Mein Höhepunkt des Seelenstriptease

Ich weiß, wo Sie gerade sind. Dazu muss ich nicht einmal Günther Platter sein, der Ihnen mit der Kamera folgt oder Ihr elektronisches Postfach durchforstet. Nein, im Normalfall reicht es mir schon, Ihre Stimme zu hören. „Ich bin in der Straßenbahn“ ist ja mittlerweile der Beginn schon fast jeder Konversation per Mobiltelefon. Auch die restlichen kleinen Details aus Ihrem Leben muss ich mir gar nicht erst mühsam zusammensuchen, sondern bekomme sie als Hörspiel tagtäglich frei Haus geliefert. Nicht, dass mich das sehr interessieren würde, aber von mir aus.

Nun ist unfreiwilliges Mithören eine Sache. Eine andere ist die, dass man geradezu danach lechzt, derartige Statusmeldungen permanent zu empfangen. Und so wie der Voyeurismus den Exhibitionismus braucht, um als Gegensatzpaar existieren zu können, fehlt es auch nicht an Menschen, die eine Erfüllung darin sehen, laufend mitzuteilen, wo sie gerade sind und was sie tun. Dass im Internet schon das passende Werkzeug für derartige permanente Banalkommunikation existiert, verwundert nicht. „Twitter“ (englisch für „Geschnatter“) heißt der Dienst, mit dem ein User jedermann ständig mitteilen kann, ob er gerade Nietzsche liest (unwahrscheinlich), an einer Käsekrainer knabbert (schon eher) oder seinem Hamster den Bauch massiert (Bingo) – auf genau 140 Zeichen. Und das nicht nur per Mail sondern auch aufs Handy. Juhu, permanenter Seelenstriptease. Dumm nur, dass so jeglicher Reiz verloren geht, der dem Entblättern des Innersten sonst innewohnt. Schließlich bietet der Blick auf das sonst Verborgene nur eine Anhäufung von Belanglosigkeiten, die nur mehr die Frage offen lassen, wann „Twitter.com“ von Google, Microsoft & Co gekauft wird – scheint ja ein Geschäftsmodell zu sein. Und, nur falls es jemanden interessiert, ich gehe jetzt.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 26.05.2008)

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Kdolsky’s Anatomy in the City

Ganz gewöhnliche Dinge aufzuwerten funktioniert auf der sprachlichen Ebene ganz simpel. Man füge einfach eine englische Phrase an den Begriff, den man in seiner Bedeutung zu heben gedenkt. Im besten Fall verleiht man dem Ganzen damit auch noch ein urbanes Flair, und schon ist ein Marketingkonzept entstanden. Bestes Beispiel: „. . . and the City“. Was mit der Frauen-Midlife-Soap (auch ganz schön englisch, nicht?) rund um Sex begann, findet zunehmend den Weg in Slogans und Werbeprospekte. Da locken Hotels mit „Shopping and the City“, werden Kunstführungen unter „Art and the City“ angepriesen oder eine Literaturveranstaltung als „Shock and the City“ bezeichnet. Wer das „and“ für unlogisch hält, bedient sich eines Tricks und verwendet eine tatsächliche Ortsangabe. „. . . in the City“ kennt man ja auch schon zur Genüge. (Erinnert sich eigentlich noch jemand an „Caroline in the City“? Auch eine TV-Serie.) Die überdimensionale Sandkiste mit Gastrobereich, die vergangene Woche am Heumarkt ihre zweite Saison aufnahm, nennt sich zum Beispiel „Sand in the City“. Obwohl, dafür können die Betreiber nichts, mussten sie ja den ursprünglichen Namen „Sandcity“ aus rechtlichen Gründen ändern.

Wie auch immer, das Rezept ließe sich ja auch für andere Gelegenheiten gut verwenden. Meldungen über die Gesundheitsreform könnten dann etwa als „Kdolsky’s Anatomy“ über die Bildschirme flimmern – mit Sozialminister Buchinger als McDreamy. Und Finanzminister Molterer als sein Gegenspieler McSexy – der heißt im amerikanischen Original übrigens McSteamy, was ja eigentlich wieder viel besser zu Verkehrsminister Faymann passen würde. Was sich alles an das bisher Hausfrauen vorbehaltene Attribut „Desperate . . .“ hängen ließe, lassen wir jetzt aber. Das wäre zu billig.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 19.05.2008)

Knopfleisten als Luxusproblem

Eigentlich kann man sich ja glücklich schätzen, wenn man Zeit dafür aufwenden kann, sich mit so genannten Luxusproblemen zu beschäftigen – keine Sorgen am Arbeitsplatz, keine Privatfehden im Laufen, keine Baustelle vor dem Schlafzimmerfenster. Nein, in den Fokus rücken dann eben Dinge, die auf der Maslowschen Bedürfnispyramide ganz oben auf der Spitze ihrer Bearbeitung harren. Knopfleisten, zum Beispiel. Man glaubt ja gar nicht, wie sehr die polarisieren können. Auf StudiVz gibt es sogar eine eigene Diskussionsgruppe „Die Knopfleiste der Bettdecke muss nach unten!“, in der die Mitglieder darüber lamentieren, wenn Knöpfe oder Reißverschluss am Kinn liegen. Ich wäre nicht ich, sähe ich es nicht genau umgekehrt. Denn wer auf den Fußsohlen extrem kitzlig ist, reagiert in diesem Bereich allergisch auf jeden potenziellen Impulsgeber für einen Kitzelreiz. Ein Luxusproblem, ich weiß. Aber nachvollziehbar, oder?

Immerhin, diese Marotte lebt man wenigstens nicht außerhalb des heimischen Schlafzimmers aus. Andere Eigenheiten werden – zumindest von exzentrischeren Zeitgenossen – auch in die Öffentlichkeit getragen. Wie damals, als ein Freund beim Frühstück in der Blue Box zu Semmel und Marmelade eine Tasse heißes Wasser bestellte. „Es gibt hier keinen Filterkaffee mehr“, erklärte er der Kellnerin, packte seine Jack Wolfskin-Thermotasse mit integriertem Kaffeezubereiter und ein Sackerl mit Kaffeepulver aus. Während seine Begleiter am Tisch sich ein bisschen zu schämen begannen, blieb die Kellnerin völlig unbeeindruckt. Luxusproblem, hm? Nachdem sie das heiße Wasser abgeliefert hatte, zwinkerte sie uns zu: „Ich verstehe das, ich komme auch aus Deutschland.“ Wir haben sie dann trotzdem nicht gefragt, auf welcher Seite der Bettdecke sie die Knopfleisten bevorzugt.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 05.05.2008)