Von Herrn Sido will man nicht gestreichelt werden

„Lieber von einer Hand, die wir nicht drücken möchten, geschlagen als von ihr gestreichelt werden“, sagte Marie von Ebner-Eschenbach. Ein edler Gedanke, der Dominic Heinzl sicherlich in jenem Moment durch den Kopf gegangen sein muss, als er jüngst von einem Faustschlag getroffen zu Boden ging. Allerdings auch einer, der dem Durchschnittsösterreicher eher nicht in den Sinn kam, als er der Attacke des deutschen Rappers Sido gegen den Moderator medial gewärtig wurde. Hier regierte vielmehr ein Gefühl der Befriedigung, weil es mit Heinzl eine Figur des öffentlichen Lebens erwischt hatte, der viele einen solchen Schlag von Herzen gönnten.

An den Stammtischen und in den sozialen Netzwerken herrschte eine regelrechte Schadenfreude, die Facebook-Gruppe „Sido 1 Heinzl 0“ kam innerhalb von zwei Tagen auf über 50.000 Mitglieder. Und Wortmeldungen à la „Den (sic!) hat schon lange eine auf die Fresse gehört“ bestimmen den Ton der Debatte. Geradezu unappetitlich lesen sich dann auch Kommentare auf Twitter oder Facebook, dass „a klane Tetschn“ ja ohnehin niemandem schaden würde. Ja, es scheint sogar immer noch ein tief verwurzeltes Verständnis dafür zu geben, dass jemandem einmal „die Hand ausrutscht“. Und Herr Sido war letztlich nur derjenige, der das, was viele sich immer schon gedacht haben, auch tatsächlich umsetzte.

Nein, man muss Dominic Heinzl nicht mögen. Und es ist gut möglich, dass er auch das Seinige zum letztlich eskalierten Streit beigetragen hat. Doch wer sich für Sidos Aggressivität derart begeistert und sie für ein probates Mittel erachtet, seiner Antipathie Ausdruck zu verleihen, gehört zur Kategorie Mensch, der man lieber nicht die Hand drücken sollte. Und für die gilt dann eine weitere Ebner-Eschenbacher’sche Weisheit: „Über das Kommen mancher Leute tröstet uns nichts als die Hoffnung auf ihr Gehen.“

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 22.10.2012)

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Mein Höhepunkt des Seelenstriptease

Ich weiß, wo Sie gerade sind. Dazu muss ich nicht einmal Günther Platter sein, der Ihnen mit der Kamera folgt oder Ihr elektronisches Postfach durchforstet. Nein, im Normalfall reicht es mir schon, Ihre Stimme zu hören. „Ich bin in der Straßenbahn“ ist ja mittlerweile der Beginn schon fast jeder Konversation per Mobiltelefon. Auch die restlichen kleinen Details aus Ihrem Leben muss ich mir gar nicht erst mühsam zusammensuchen, sondern bekomme sie als Hörspiel tagtäglich frei Haus geliefert. Nicht, dass mich das sehr interessieren würde, aber von mir aus.

Nun ist unfreiwilliges Mithören eine Sache. Eine andere ist die, dass man geradezu danach lechzt, derartige Statusmeldungen permanent zu empfangen. Und so wie der Voyeurismus den Exhibitionismus braucht, um als Gegensatzpaar existieren zu können, fehlt es auch nicht an Menschen, die eine Erfüllung darin sehen, laufend mitzuteilen, wo sie gerade sind und was sie tun. Dass im Internet schon das passende Werkzeug für derartige permanente Banalkommunikation existiert, verwundert nicht. „Twitter“ (englisch für „Geschnatter“) heißt der Dienst, mit dem ein User jedermann ständig mitteilen kann, ob er gerade Nietzsche liest (unwahrscheinlich), an einer Käsekrainer knabbert (schon eher) oder seinem Hamster den Bauch massiert (Bingo) – auf genau 140 Zeichen. Und das nicht nur per Mail sondern auch aufs Handy. Juhu, permanenter Seelenstriptease. Dumm nur, dass so jeglicher Reiz verloren geht, der dem Entblättern des Innersten sonst innewohnt. Schließlich bietet der Blick auf das sonst Verborgene nur eine Anhäufung von Belanglosigkeiten, die nur mehr die Frage offen lassen, wann „Twitter.com“ von Google, Microsoft & Co gekauft wird – scheint ja ein Geschäftsmodell zu sein. Und, nur falls es jemanden interessiert, ich gehe jetzt.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 26.05.2008)