U-Bahn-Marathon und andere seltsame Hobbys

Tätigkeiten, die jemand freiwillig und regelmäßig betreibt und die dem eigenen Lustgewinn oder der Entspannung dienen, nennt man Hobby. Das Fahren mit der U-Bahn erfüllt in der Regel nur eines dieser vier Kriterien – in der Regel macht man es regelmäßig. Gut, bei der Freiwilligkeit kann man streiten, aber wirklich l’art pour l’art seine Runden durch die Stadt zu drehen, ist zumindest ein wenig spleenig. Und Lustgewinn und Entspannung – so gut manche Kampagne der Wiener Linien das auch zu suggerieren versucht, in einer Therme geht es doch etwas entspannter zu als in der U6.

Es mutet also seltsam an, dass sich jemand in die U-Bahn setzt, einfach nur um des U-Bahn-Fahrens willen. Und doch gibt es diese Menschen. Vergangenen Dienstag etwa fuhr der Motorjournalist Andreas W. Dick alle Stationen des Wiener U-Bahn-Netzes ab. Das sind 104 Stationen auf fünf Linien. Er benötigte dafür 4:54 Stunden. Weltrekord. Wobei nach oben sogar noch Luft wäre – denn wie er danach erzählte, hatte man in der U3-Endstation Ottakring den Gegenzug Richtung Simmering ganz knapp verpasst. Sein „Das muss uns so schnell einer nachmachen“ könnte also bald erfüllt sein. So sich jemand findet, der das nachmachen möchte …

Man kann sich der U-Bahn aber auch auf einer theoretischeren Ebene widmen. Horst Prillinger, Experte für Technik und Verkehr an der Wiener Universitätsbibliothek, hat das gemacht. Auf seiner Website www.aardvark.at/metro hat er unter anderem Namen aller Wiener U-Bahn-Stationen recht frei ins Englische übersetzt. Da klingt die „Slaughterhouse Street“ gleich noch ein wenig morbider, wirkt der „Earth Mountain“ noch bodenständiger und lässt „Seven Sheperds“ schottische Gefühle aufkommen. „Grumbling Square“ für den Keplerplatz ist sowieso großartig. Und im Jahr 2017 kann man demnach mit der U1 bis zum „Upper Empty Spa“ fahren. In der Therme wäre man dann, vielleicht wird es also doch was mit der Entspannung. Wobei, in die Therme gehen als Hobby ist dann auch wieder fad.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 28.10.2013)

Werbung

Dem Mohren steht es frei, in die Heimat zu fahren

Warum eine spannende Debatte allzu oft mit einer abgedroschenen Phrase enden muss.

Feministinnen wollen Schach verbieten. Weil es ein zentraler Bestandteil des Spiels sei, die Dame zu schlagen. Und weil die Frauenquote von 15:1 ein klares Anzeichen für eine patriarchale Unterdrückungskultur sei. Diese Meldung sorgte kürzlich für Aufruhr in diversen sozialen Medien. Und sofort wurde gewütet über die humorlosen Feministinnen, verbunden mit weiteren Schmähungen. Dass Furor blind macht, bedurfte in diesem Moment keines weiteren Beweises – schließlich war die Meldung auf der Website, die zu der Meldung verlinkt wurde, sogar als Satireartikel ausgeschildert. Auf einen Konter wie jenen, dass die Dame beim Schach ohnehin alles kann, während der König sich hinter Bauern und Pferden verstecken muss, kam interessanterweise auch niemand. Wer braucht schon Fakten, wenn er auch einfach so drauflos schimpfen kann?

Diskutiert wurde zuletzt auch – wieder einmal – über eine bekannte österreichische Süßspeise. Ob der Mohr im Hemd nun rassistisch ist oder nicht war die Frage, die nach einer TV-Sendung erneut aufpoppte. Nun ist die Debatte zulässig und spannend, vor allem die Frage, inwieweit solche Bezeichnungen ein koloniales Erbe in sich tragen – und wie sich das auf die Einstellung zu Menschen mit schwarzer Hautfarbe auswirkt. Allein, Debattenbeiträge à la „Das war schon immer so“ und „Ich bin doch kein Rassist“ helfen bei der Aufarbeitung verhältnismäßig wenig. Und besonders traurig wird es, wenn Menschen so sehr im argumentativen Notstand strudeln, dass sie sich in abgedroschene Totschlagargumente flüchten. „Wenn es Ihnen nicht passt, wie wir unsere Süßspeisen nennen, steht es Ihnen frei, in Ihre Heimat zurückzukehren.“

An diesem Punkt erübrigt sich die Diskussion. Und man nützt die Zeit lieber, um eine Partie Schach zu spielen. Und wenn das den Feministinnen nicht passt,… äh?

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 21.10.2013)

Der Hundefleischhauer auf der Linzer Landstraße

Endlich hat auch Österreich einen Hundefleischhauer. Vorbei sind damit die Zeiten, in denen man bis nach Korea fahren musste, um in einem Spezialitätenrestaurant Hundeeintopf serviert zu bekommen. Denn am 1.Oktober eröffnete in der Linzer Landstraße Peter Wolfseder, dessen Dynastie seit 1920 im Schweizer Engelberg ein Geschäft betreibt, seine erste Filiale in Österreich. Dass er, wie er auf seiner Website schreibt, schon aus Tradition nur die beste Qualität (Bio-Hunde!) liefert, die Tiere selbst züchtet und dabei auch auf die Regionalität des Hundefleisches achtet, ist für die Konsumenten ein gutes Zeichen. Schließlich will man ja beim Hund nicht die Katze im Sack kaufen. Also, schnell in die Westbahn steigen und ab nach Linz – dort warten schon Dackelwurst, Hundesülze und Dalmatinerschnitzerl nur darauf, endlich in der Einkaufstasche zu landen. „Die feine Chihuahua-Streichwurst und der Selchspeck vom Riesenpudel haben mir und meiner Familie sehr gut geschmeckt“, schreibt dann auch ein zufriedener Kunde auf der Facebook-Seite des Unternehmens. „Da merkt man die Liebe zum Tier, gern jederzeit wieder“, vermerkt ein anderer.

Allein, es ist alles nicht wahr. Zwar ist die Website www.wolfseder.at großartig gemacht, wirkt authentisch bis ins Detail, doch spätestens der Blick ins Impressum offenbart, dass es sich um eine Bachelorarbeit an der Kunstuniversität Linz handelt. Dass das beworbene Angebot und die vorkommenden Personen frei erfunden sind, keine Hunde geschlachtet werden und die Schweiz sowieso nichts damit zu tun hat. Es geht darum, möglicherweise unethische Kaufentscheidungen zu hinterfragen – und nicht jede davon wird so offensichtlich als unethisch erkannt, wie das bei Hundefleisch passiert.

Übrigens, es gibt in Wien Lokale, die sich Hühnerparadies nennen. Die haben’s halt gut, die Hühner…

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 14.10.2013)

Wer durch die Finger schaut, braucht dazu keine Brille

Eine Brille hat keinerlei Notwendigkeit für denjenigen, der nur durch die Finger schaut. Sehr wohl kann sich ein Sehbehelf jedoch als hilfreich herausstellen, wenn dem Begriff selbst auf die Spur gegangen werden soll. Denn wie das Wort „Brille“ entstanden ist, gehört nicht unbedingt zum präsentesten Teil der Allgemeinbildung. Beim Blick in etymologische Nachschlagewerke offenbart sich dann auch, dass das französische „briller“ („scheinen“, „glänzen“) zwar damit verwandt ist, doch den Ursprung hat man damit noch nicht freigelegt. Die Hypothese, dass sich der Begriff vom italienischen „Barilla“ ableitet, muss sogleich verworfen werden – wenn auch die Assoziation mit dem wienerischen „Nudlaug“ verlockend erscheint. Tatsächlich stößt der Suchende irgendwann auf den Halbedelstein Beryll, aus dem die ersten Brillen geschliffen wurden. Auf ihn stößt man heute unter anderem auch in Wörtern wie „Brillant“ und „Brillanz“. Brillant, nicht?

Weitgehend unabhängig davon wurden Brillen hierzulande auch gern „Augengläser“ genannt. Ein hübscher Begriff, der abseits allen Küchenlateins vor allem durch seinen naiven Zugang besticht. So wie „Flugzeug“ das Unverständnis physikalischer Gesetze zu einem Kompositum vermengt, so wie die „Schallplatte“ ganz ohne technisches Brimborium die Wirkungsweise eines Tonträgers erklärt, so fragen auch die Augengläser nicht nach durch Halbedelsteine gebrochenem Licht.

Interessant ist aber, dass von den genannten Begriffen nur die Augengläser heute als veraltet gelten. Als „Omawort“, das nur noch von der älteren Generation aktiv verwendet wird. So wie auch die „Kombinege“ heute kaum mehr Einlass in Kleiderschrank und Wortschatz der Jüngeren findet. Und auch „ein Pulver nehmen“, wo doch eigentlich eine Tablette geschluckt wird, kann getrost der Kategorie aussterbend zugerechnet werden. Doch damit genug für heute, ich begebe mich (nicht wirklich, nur der Schlusspointe willen) auf den Topf. Womit wir wieder bei der Brille wären.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 07.10.2013)