Rübezahl, Rasputin und der Wurzelsepp rasieren sich

Wie man Winnetou, den Wurzelsepp und den russischen Zarenhof in einen Text pressen kann.

Kaum eine Geschichte hat so einen langen Bart wie die von Rübezahl. Nur warum heißt der Berggeist im Riesengebirge eigentlich so? Nun, der deutsche Philologe Johann Karl August Musäus machte 1783 die Version populär, wonach der Schrat eine Königstochter in sein Reich entführt und mit ihr eine eheliche Koalition eingehen will. Damit sie sich nicht zu sehr nach ihrem Zuhause sehnt, bietet er ihr zum Trost Zauberrüben an, die jede Gestalt annehmen können. Die Frau verspricht ihm schließlich ihre Hand, wenn er die Zahl aller Rüben auf dem Feld nennen kann. Und während er beim Kassasturz ein wenig durcheinander kommt, setzt sie sich mit einem Pferd, das sie aus einer Rübe gezaubert hat, zu ihrem eigentlichen Prinzen ab. So geriet Rübezahl zum Spottnamen, der aber heute sehr oberflächlich vor allem mit einem Bart assoziiert wird.

Damit sitzt er in einem Boot mit Figuren wie Rasputin oder dem Wurzelsepp, bei denen auch der Bart als erste Assoziation auftaucht. Grigori Jefimowitsch Rasputin, der russische Wanderprediger galt als Wunderheiler, der es bis zum Berater der russischen Zarenfamilie brachte. Der Wurzelsepp wiederum ist eine aus Holz geschnitzte Figur, die in der Regel auch Bart trägt. Weniger bekannt ist, dass es auch einen Roman von Karl May (genau, der Erfinder von Winnetou) namens „Der Wurzelsepp“ gibt. Darin heißt die Figur eigentlich Joseph Brendel, ist ein bayerischer Geheimpolizist, der in den Bergen diverses Wurzelwerk sammelt und so zu seinem Namen kommt. Und was hat das mit dem sprichwörtlichen langen Bart zu tun? Nun, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geriet der Vollbart aus der Mode – und weil ihn nur noch alte Männer trugen, stand der Begriff für etwas Altes, Rückständiges. Wenn Ihnen jetzt eine spöttische Bemerkung zu Hipstern einfallen sollte – lassen Sie es, die hat auch schon einen ziemlich langen Bart.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 18.12.2017)

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„Guten Morgen“ lustvoll absichtlich missverstehen

Spätestens, wenn der grüßende Kollege vom Quadratklafter erschlagen ist, hat man gewonnen.

„Was meint ihr damit? Wünscht ihr mir einen guten Morgen, oder meint ihr, dass dies ein guter Morgen ist, gleichviel, ob ich es wünsche oder nicht. Meint ihr, dass euch der Morgen gut bekommt oder dass dies ein Morgen ist, an dem man gut sein muss?“ Natürlich kann man sich an Gandalfs Antwort in J. R. R. Tolkiens „Der kleine Hobbit“ ein Beispiel nehmen und den Kollegen, der beim Betreten des Büros einen guten Morgen gewünscht hat, ein wenig aus der Fassung bringen. Oder man missversteht ihn absichtlich noch ein wenig mehr und nimmt den Morgen nicht als Tageszeit, sondern als altes Flächenmaß. Das war, doziert man dann, bis etwa 1900 in Deutschland gebräuchlich – als Fläche, die ein Ochsengespann an einem Vormittag pflügen kann. Das konnte regional ziemlich unterschiedlich viel sein, ehe sich im 20. Jahrhundert der metrisierte Morgen von 25 Ar durchsetzte. Harr, das kennen wir – genau, ein Ar entspricht einem a, also 100 m2. (Und 100 a sind ein Hektar, also bei einem Ausmaß von 68 mal 105 Metern etwa 1,4006 Fußballfelder.) Sind Sie noch da?

Als Pendant zum Morgen, wenn auch für einen ganzen Arbeitstag, galt einst das Tagewerk. Also die Fläche, die die berühmten Ochsen von Sonnenauf- bis -untergang bewältigten. Unter anderem in Österreich verwendete man, zumindest in den flachen Teilen, stattdessen das Joch. Das lag, je nach Region und Bodenbeschaffenheit, zwischen 33 und 58 Ar – das österreichische Joch wurde schließlich mit circa 57,55 Ar festgelegt. Das entspricht – bingo! – 1600 Quadratklaftern. Ein Quadratklafter kommt so auf 3,5979 Quadratmeter. Und der Arbeitskollege, der sich eben noch am Beginn eines normalen Bürotags wähnte, setzte mittlerweile einen Blick auf, als wäre er gerade gegen ein Klafter Brennholz gerannt. Tja, wird ein guter Tag heute. Man hätte aber natürlich einfach auch „Guten Morgen“ sagen können.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 11.12.2017)

Würden Sie mich bitte heftig deonymisieren

Charles Cunningham Boycott war kein guter Mensch, darum lebt er in unserer Sprache weiter.

Man muss einiges richtig gemacht haben, wenn der eigene Name irgendwann zu einem eigenständigen Begriff wird. Oder einiges falsch. Charles Cunningham Boycott, zum Beispiel, gehört in die zweite Kategorie. Als 1880 eingesetzter Gutsverwalter in der irischen Grafschaft Mayo verhielt er sich gegenüber den Pächtern derart bösartig, dass niemand mehr für ihn arbeiten wollte. Die irische Landliga ächtete ihn und billigte den Landarbeitern schließlich offiziell zu, dass sie keine Geschäfte mehr mit dem Menschenschinder machen müssen, bis Charles schließlich auswandern musste. Am Ende bekam diese Art des Widerstands seinen Namen – und der Boykott wurde zum geflügelten Wort, das heute gar nicht mehr groß erklärt werden muss. Auch Johann Balhorn der Jüngere gehört eher zur Sorte der negativen Deonymisierung (Deonyme sind Anteile eines Wortschatzes, die durch Ableitung von Eigennamen entstanden sind). Der Lübecker Buchdrucker brachte 1586 eine überarbeitete Ausgabe des Lübschen Rechts heraus, in der mehr Fehler enthalten waren als vorher. Diese Edition Balhorniana wurde schließlich als Beispiel für Verschlimmbesserungen zum heute noch gebräuchlichen Verb verballhornen.

Weniger bekannt ist eine scherzhafte Redewendung englischsprachiger Besucher von Arabischkursen, die einen Begriff im Wörterbuch nachschlagen. Eines der Standardwerke dafür stammt vom deutschen Arabisten Hans Wehr – das dazu passende Verb lautet dann hanswehrifying. Das war jetzt für Feinspitze, oder? Wer allerdings dahinter den französischen Couturier Jean Baptiste Feinspitz vermutet, muss enttäuscht werden. Der ist nur eine Erfindung dieses Montagskolumnisten, der immer mit Sprache herumdilettiert. Falls er Sie gerade verkocinat hat, nehmen Sie es ihm bitte nicht übel. Einen Boykott kann er nämlich wirklich nicht brauchen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 04.12.2017)