Das E-Wort steht in der U-Bahn wie ein Rüsseltier

Dinge, die man nicht aussprechen will, mit Anfangsbuchstaben zu verklausulieren, ist l-Wort.

Sich den Mund mit Seife auszuwaschen ist keine umständliche Umschreibung für Zähneputzen. Wobei Zähneputzen wichtig ist, damit das K-Wort keine Chance hat. Sie wissen schon, das mit den Löchern, für die der Zahnarzt den B-Wort auspackt und sagt, dass es jetzt gleich ein bisschen w-Wort tun wird. Es sei denn, natürlich, man hat sich vorher eine S-Wort geben lassen. Ganz genau, diesmal geht es darum, Wörter nicht in den Mund zu nehmen. Beim Zähneputzen selbst geht das ja eh nicht, weil das Wort die verflüssigte Zahnpasta aus dem Mund drängen würde, was wieder eine ziemliche Sauerei ergibt. Aber im normalen Sprachgebrauch hat sich das ein bisschen eingebürgert, stattdessen nur den Anfangsbuchstaben zu verwenden und dabei ein bisschen verschwörerisch zu schauen. Was bei der Umschreibung eines im Sprachgebrauch herabwürdigenden Wortes ja noch seine Berechtigung hatte. Doch was im Windschatten des N-Worts mittlerweile veranfangsbuchstabisiert wurde, ist schon ein bisschen l-Wort.

Die trübe Jahreszeit, die den Sommer ablöst, mit H-Wort zu titulieren, zum Beispiel. Oder auch ein im Englischen gebräuchliches Schimpfwort auf Basis von Geschlechtsverkehr als f-word zu verklausulieren. Das ist dann ein bisschen wie das E-Wort, das im Raum steht – das Rüsseltier, das jeder sieht, aber über das keiner sprechen will. Das funktioniert wie der Gottseibeiuns, Sie wissen schon, wer. („He who must not be named“ in „Harry Potter“ spielt in einer ähnlichen Liga.) Wobei sich das T-Wort für ihn nie wirklich durchgesetzt hat.

Dafür ist das E-Wort (nein, nicht das mit dem Rüsseltier) ja jetzt in der Wiener U-Bahn verboten. Also verzichten Sie künftig besser auf den D-Wort und die L-Wort-Semmel und lassen die P-Wort während der Fahrt im Karton. Sehen Sie es positiv – damit fällt danach auch das Ausspülen des Mundes mit Seife weg.

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Wenn dich die Technik wie einen Trottel aussehen lässt

Der bösartige Rauhaardackel in der U-Bahn-Tür ist schuld. Also schauen Sie nicht so vorwurfsvoll.

Die Technik ist ein Hund, heißt es. Dabei sind Hunde alles andere als bösartig. Und schadenfroh schon gar nicht. Welches Tier tarnt sich also hinterlistig in der Gestalt eines harmlos schauenden Rauhaardackels, wenn man in der U-Bahn den Türöffnungsknopf gedrückt hat? Denn da steht man im Waggon, sieht, dass das Licht auf dem Taster schon leuchtet. Man hat alles richtig gemacht (Brav!). Und doch schauen Leute draußen ungeduldig durch das Türfenster. Schauen dir ins Gesicht. Schauen außen auf den Türtaster. Und man selbst steht drinnen. Weiß, dass man nichts falsch gemacht hat. Doch der schlafende Hund wurde noch nicht geweckt. Die Zeitverzögerung, bis der elektrische Impuls die Tür zur Bewegung antreibt, scheint sich auf eine halbe Minute auszudehnen. Bis irgendwann draußen einer aus der Runde der Ungeduldigen auf den Türöffner drückt. Genau eine Millisekunde später gehen die Seitenteile auseinander. Du Hund! Der Drücker außen fühlt sich als Held. Der Rest der Meute schaut einem beim Aussteigen mit diesem „zu blöd zum Türöffnen“-Blick nach. Und während man innerlich ein bisschen vor die Hunde geht, grinst der bösartige Rauhaardackel im Türöffnungsmechanismus vor sich hin.

Es ist der gleiche Hund, der auch im Laptop sitzt und dreiundzwanzig Mal verhindert, dass man mit der richtigen Eingabe zum richtigen Ergebnis kommt. Und der erst dann, wenn man jemanden von der IT geholt hat, unauffällig die Pfote vom Störtaster nimmt. Man zeigt dem Computermenschen, wie etwas nicht klappt. Drückt hundertprozentig genau das gleiche wie bei den vorigen Fehlversuchen. Nur, dass es diesmal klappt. Der IT-Mensch verdeckt sein „dummer User“ hinter einem freundlichen Lächeln. Und der Hund schlägt vor Freude einen Salto. Es reicht. Der Laptop kommt jetzt ins Tierheim. Gleich neben die U-Bahn-Tür.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 17.07.2017)

Leute, die in jeder Station den Waggon wechseln

Man muss nicht jedes Phänomen der Großstadt verstehen. Die Phänomene tun es oft selbst nicht.

Als gelernter Großstädter ist man ja einiges gewohnt. Dass in der U-Bahn gelegentlich Menschen verkehren, deren Verhalten, sagen wir, interessant ist, zum Beispiel. Und nein, jetzt folgt kein Lamento über die soziale Unintelligenz der Passagiere, die sich auf dem Bahnsteig direkt vor der Tür positionieren, damit ja niemand an ihnen vorbei aussteigen kann. Auch die Nach-dem-Aussteigen-Stehenbleiber-und-in-die-Luft-Schauer sollen nicht im Mittelpunkt stehen (wobei, im Mittelpunkt wären sie wenigstens vom Eingangsbereich weg . . .). Diesmal geht es um den Waggonhopper. Und wieder nein, das sind nicht diese russischen Freizeitakrobaten, die auf den Dächern fahrender Züge ihren Schabernack treiben. Sondern Menschen, die im Lauf der U-Bahn-Fahrt mehrmals den Waggon wechseln.

Bevor Sie zu rätseln beginnen: In der Regel haben Stationen zwei Ausgänge – einen vorn, einen hinten. Steigt man daheim hinten ein, muss aber am Ende vorn aussteigen, kann ein Weiterhanteln sinnvoll sein. (Wenn man gerade noch rechtzeitig hineinspringen konnte – sonst hätte man ja schon in der Heimstation die paar Schritte auf dem Bahnsteig machen können.) So jedenfalls entsteht das Phänomen des Hoppers, der jede Station einen Waggon weiter nach vorn geht. Was besonders interessant ist, wenn er dort einen Kollegen trifft, freundlich grüßt, Small Talk führt – und dann zur nächsten Etappe aussteigt. Am Ende steigt man aus und sieht den Kollegen in derselben Station drei Waggons weiter vorn aussteigen. Das ist Effizienz. Vielleicht hätte man ihm aber auch sagen können, dass er in einem V-Wagen gefahren ist. Sie wissen schon, das sind die Nachfolger der Silberpfeile, die auch schon seit 2002 in Wien unterwegs sind. In denen kann man übrigens von vorn bis hinten in einem durchgehen. Aber gut, als gelernter Großstädter ist man ja einiges gewohnt.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 17.10.2016)

Körperkontakt und Türen als Feinde in Wiens U-Bahn

Die Idee des Fahrgastverdichters hat im öffentlichen Verkehr Wiens noch nicht Einzug gehalten. Das wundert nicht, schließlich steht Körperkontakt auf der Liste der Höllenqualen in Wien ganz weit oben – und Mitarbeiter, die zur Stoßzeit Menschen in die Waggons drücken, um den für Fahrgäste zur Verfügung stehenden Raum möglichst effektiv zu nutzen, würden mit dieser Verdichtung Körper aneinanderdrücken, deren Anziehungskraft ohne fremde Hilfe eine eher negative wäre. Der Bahnhof Shinjuku in Tokio, wo in der Rushhour weiß behandschuhte Kräfte die Züge mit Fahrgästen volldrücken, scheint also eher kein Vorbild für Wien zu sein. Auch die Moskauer Mentalität passt nicht so recht zur Vorstellung, die man in Wien von gedeihlichem Zusammenleben im öffentlichen Raum hat.

Hier braucht es erst gar keinen externen Mitarbeiter, der Menschen in schon übervolle Waggons drängt – darum kümmern sich die Fahrgäste selbst, die keinesfalls warten wollen, bis innerhalb von eineinhalb bis drei Minuten die nächste Garnitur einläuft. Auch beim Eingang in ein Stationsgebäude ist diese auf das eigene Ich gerichtete Geradlinigkeit deutlich stärker ausgeprägt als in Wien. Wer etwa erwartet, dass der Vordermann in der Station Partisanskaja darauf achtet, was mit der hölzernen Schwingtür passiert, sobald er sie passiert hat, muss damit rechnen, dass er sie gleich auf der Nase kleben hat.

Nutzer der Wiener Vorortelinie können von gänzlich anderen Erfahrungen erzählen. In der Station Ottakring wird etwa brav die Tür aufgehalten, bis der Nachkommende seine Hand daraufgelegt hat. Innerlich murrend zwar ob der Verzögerung, aber doch. So viel Höflichkeit muss sein. Apropos – gerade an den alten Otto-Wagner-Stationen wie Gersthof, Hernals oder eben Ottakring merkt man schön, dass sie dereinst nicht für so viele Menschen geplant wurden, wie jetzt zur Stoßzeit durch die engen Türen in das Stiegenhaus strömen. Hoffentlich kommt hier nur niemand auf die Idee, Fahrgastverdichter auf die Stiegen zu stellen!

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 18.11.2013)

U-Bahn-Marathon und andere seltsame Hobbys

Tätigkeiten, die jemand freiwillig und regelmäßig betreibt und die dem eigenen Lustgewinn oder der Entspannung dienen, nennt man Hobby. Das Fahren mit der U-Bahn erfüllt in der Regel nur eines dieser vier Kriterien – in der Regel macht man es regelmäßig. Gut, bei der Freiwilligkeit kann man streiten, aber wirklich l’art pour l’art seine Runden durch die Stadt zu drehen, ist zumindest ein wenig spleenig. Und Lustgewinn und Entspannung – so gut manche Kampagne der Wiener Linien das auch zu suggerieren versucht, in einer Therme geht es doch etwas entspannter zu als in der U6.

Es mutet also seltsam an, dass sich jemand in die U-Bahn setzt, einfach nur um des U-Bahn-Fahrens willen. Und doch gibt es diese Menschen. Vergangenen Dienstag etwa fuhr der Motorjournalist Andreas W. Dick alle Stationen des Wiener U-Bahn-Netzes ab. Das sind 104 Stationen auf fünf Linien. Er benötigte dafür 4:54 Stunden. Weltrekord. Wobei nach oben sogar noch Luft wäre – denn wie er danach erzählte, hatte man in der U3-Endstation Ottakring den Gegenzug Richtung Simmering ganz knapp verpasst. Sein „Das muss uns so schnell einer nachmachen“ könnte also bald erfüllt sein. So sich jemand findet, der das nachmachen möchte …

Man kann sich der U-Bahn aber auch auf einer theoretischeren Ebene widmen. Horst Prillinger, Experte für Technik und Verkehr an der Wiener Universitätsbibliothek, hat das gemacht. Auf seiner Website www.aardvark.at/metro hat er unter anderem Namen aller Wiener U-Bahn-Stationen recht frei ins Englische übersetzt. Da klingt die „Slaughterhouse Street“ gleich noch ein wenig morbider, wirkt der „Earth Mountain“ noch bodenständiger und lässt „Seven Sheperds“ schottische Gefühle aufkommen. „Grumbling Square“ für den Keplerplatz ist sowieso großartig. Und im Jahr 2017 kann man demnach mit der U1 bis zum „Upper Empty Spa“ fahren. In der Therme wäre man dann, vielleicht wird es also doch was mit der Entspannung. Wobei, in die Therme gehen als Hobby ist dann auch wieder fad.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 28.10.2013)

Als Franz Kafka eine U-Bahn-Station plante

Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens in die U-Bahn-Station Volkstheater gestellt. Genau, das ist jene Station, die Franz Kafka erdacht haben könnte, wäre er nicht Autor gewesen, sondern Architekt. Denn der dreigeschoßige, unterirdische Kreuzungsbahnhof wirkt mit seinem weitverzweigten Gewirr unübersichtlicher Räume wie aus dem „Prozess“ oder „Schloss“ entlehnt. Da sind die unzähligen Ein- und Ausgänge, die quer über die Ränder von erstem und siebentem Bezirk verstreut worden sind – und vor jedem davon steht zumindest ein Unglücklicher, der sich bei der Station Volkstheater verabredet hat und sich nun versetzt wähnt, während dessen Verabredung an einem der anderen Eingänge das gleiche Schicksal erleidet.

Welchen Eingang in das Kellergewölbe man auch wählt, um hinabzugelangen – es ist immer der falsche. „Da die Seitenbahnsteige der U2-Station Volkstheater nur ein Geschoß unter dem Straßenniveau liegen, ist die Entscheidung, in welcher Fahrtrichtung man mit der Linie U2 fahren will, bereits an der Oberfläche zu treffen“, warnen die Wiener Linien bereits in bestem Bürokratendeutsch. Doch damit nicht genug – wer von der Burggasse aus zur U2 Richtung Aspernstraße will, wird erst bergab gejagt, nur um gleich wieder bergauf fahren zu müssen. Besonders bedrohlich wirkt dieses Labyrinth undurchsichtiger Verhältnisse dann, wenn eine der Rolltreppen nicht in Betrieb ist – was häufig vorkommt – und die Fahrgäste über dunkle Treppenhäuser, vorbei an verwaisten Schaukästen, ihren Weg zu den Bahnsteigen finden müssen.

Das vergebliche Streben ist ein Hauptmotiv in Kafkas Arbeiten, das Scheitern an einer unzugänglichen höheren Macht durchzieht sein Œuvre. Hier kann man es täglich erleben. Schade, dass sein Romanfragment „Das Volkstheater“ heute als verschollen gilt.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 26.11.2012)

Murphys Gesetz

Was schiefgehen kann, geht auch schief. Doch gilt Murphys Gesetz für unseren Alltag tatsächlich? Selbstverständlich, solange man nur fest genug daran glaubt. Sonst nicht.

Es kann nicht jeder so privilegiert sein wie jene Freundin, die sechs Monate lang in Armenien gearbeitet hat: „PO Box 1, Jerewan“ als Postadresse legt schon nahe, dass das Anstellen am Postamt nicht allzu lange dauert. In Wien muss man dagegen mit einigen Schlangen rechnen, um zum Schalterbeamten zu gelangen. Und genau hier setzt Murphys Gesetz an – die eigene Schlange ist immer die langsamste. Sie muss nicht die längste sein, aber unter Garantie braucht der Kunde vor mir dreimal so lang wie alle anderen zusammen. Bei der Abendkassa im Kino, beim Anstellen in der Kantine und im Supermarkt – das Bild ist überall gleich.

Ein Selbstversuch beim Nahversorger bringt allerdings die erschreckende Erkenntnis: Murphys Gesetz gilt doch nicht. Zumindest nicht, wenn man es gerade nicht eilig hat. Schnell und flüssig geht es an der Nachbarschlange vorbei. Oder der gute Murphy ist einfach ein scheues Reh, das sich versteckt, sobald es merkt, dass es beobachtet wird. Ist schon recht. Also fahren wir schwerere Geschütze auf. Denn dass beim Warten auf die U-Bahn immer zuerst die kommt, die man gerade nicht braucht, wird ja wohl funktionieren. Doch natürlich: Es ist der Zug Richtung Ottakring, der als Erster auftaucht. Bis vor ein paar Wochen hätte Murphy ja noch recht gehabt, doch nach meinem Umzug ist das die richtige Richtung. Ob die Wiener Linien einen Deal mit Murphy abgeschlossen haben?

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Interessant: Die Seite mit der Wurst ist oben...

Also gut, versuchen wir es eben auf die harte Tour und machen den ultimativen Murphy-Test: Fällt ein Brot tatsächlich immer mit der Butterseite nach unten auf den Boden? Also, Brot gestrichen und rauf mit der Scheibe auf die Tischkante. Tatsächlich, der erste Wurf endet mit einer Butterspur auf dem Teppich. Auch beim zweiten Wurf schlägt das Gebäck mit der beschmierten Seite auf dem Boden auf. Presto! Doch dann setzt die Wahrscheinlichkeitsrechnung ein, und die nächsten Versuche enden mit einem überraschenden Ergebnis: Butter oben. Es folgen ausgedehnte Versuchsreihen – andere Fallhöhe, Handhaltung, Fallenlassen nach Anrempeln. Das Ergebnis: Einmal schafft das Brot eine ganze Umdrehung, einmal klatscht es nach einer halben mit der Butterseite auf. Beim Doppelblindversuch mit Wurstbelag dasselbe Ergebnis: 50:50. Murphy, warum hast du mich verlassen?

Und doch wirkt die Erkenntnis aus den Versuchen nur auf den ersten Blick enttäuschend. Denn im Grunde hat Murphys Gesetz ja doch zugeschlagen: Sobald man zu beweisen versucht, dass es existiert, geht es schief. Also, glauben wir weiter daran, dass alles, was schiefgehen kann, auch schiefgehen wird. Dann wird es schon klappen.


(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 29.03.2009)

Berühr mich nicht in der U-Bahn

Die U-Bahn ist jener Ort, an dem selbst Philanthropen ihre schwachen Momente bekommen. Kein Wunder, eigentlich. Denn jeder einzelne Fahrgast für sich mag ja recht nett, ein interessanter Gesprächspartner und freundlicher Mensch sein. Doch verschwimmen all diese Individuen plötzlich zu einer im Gleichklang mit dem Wagon schwankenden, trägen Masse, die nichts Menschliches mehr an sich hat. Mit dem Steigen der Temperaturen wähnt sich der Fahrgast oft nur noch mitten in einem vor sich hinblubbernden Germteig. Verständlich, dass bei jeder sich bietenden Gelegenheit so schnell wie möglich versucht wird, dem silbrig-glänzenden Backofen auf Schienen zu entkommen.

Dumm nur, dass der Vorgang der Wiedermenschwerdung nicht ohne Feindkontakt abläuft – und verschwitzte Hände in Bauchhöhe Schneisen in die Freiheit schlagen. Nun mögen Besucher von Swinger-Clubs Körperkontakt mit wildfremden Menschen schätzen, doch beim täglichen Weg in die Arbeit ist der Arm in der Leistengegend keine allzu erbauliche Vorstellung – besser, Realität.

Es muss aber nicht einmal eine volle U-Bahn sein, die für unerwünschten Körperkontakt sorgt. Das Unbehagen beginnt oft schon dann, wenn ein Passagier das ungeschriebene Gesetz missachtet, in der Vierergruppe nicht den Sitz schräg gegenüber einzunehmen, sondern sich neben mich zu setzen. Und genau jene Zeitgenossen sind es – selektive Wahrnehmung ausgeschlossen -, die dann die U-Bahn-Zeitung bis vor mein Gesicht ausbreiten, als wäre es die Wochenendausgabe der Frankfurter Allgemeinen. Genau jene Zeitgenossen sind es, die ihren Ellenbogen bis in die Mitte meines Sitzes reichen lassen. Und jene Zeitgenossen sind es auch, die in mir die Erkenntnis wecken, dass ich eigentlich kein Philanthrop sein kann.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 02.06.2008)