Geht’s dem Wortschaft gut, geht’s uns allen gut

Vermutlich lesen Sie über Zweitstaatenlösung einfach drüber, ohne das allzu komisch zu finden.

Streichen Sie gelegentlich Wörter aus Ihrem aktiven Wortschaft? Wortschaft, zum Beispiel. Der taucht nämlich regelmäßig beim Versuch auf, Wortschatz zu schreiben. Man fühlt sich dann regelrecht als Wortschuft. Aber das kommt vor, blättern wir einmal im Handtuch der Vertipper nach. Fast jeder Kundengrippe ist es schon einmal passiert, dass sie in Wein ein Glas Wien getrunken hat. Oder die falsche Domian in den Browser getippt, wenn man den Kieferstatus bei Amazon (oder auch einem anderen Webship) prüfen oder die Zahlungswiese ändern wollte. Bestimmt haben Sie auch schon den einen oder anderen Screenshit solcher Peinlichkeiten gesehen. Und wahrscheinlich ist schon in so mancher Zeitung von der Zweitstaatenlösung die Rede gewesen – die umso interessanter geworden ist, seit die Balkonroute geschlossen ist. Vermutlich eine Alterspanne. Nur wenn dann jemand darüber klagt, wer kommt dann für die Gesichtskosten auf? Waldimir (hihi) Putin vermutlich nicht. Immerhin, so fällt man zumindest nicht negativ auf, wenn man schreibt, dass man gerade auf der Toilette schießen war. Sollte Ihnen jemand mitteilen, dass Sie Elefant sind, können Sie in der Regel davon ausgehen, dass es als Kompliment für Ihr gepflegtes Erscheinungsbild gedacht war. Bekommen Sie eine Nachricht geschickt, dass jemand gerade im Badezimmer seine Brüste sucht, war er wohl auch ein Opfer der Autokorrektur. Und sagt jemand einen Termin ab, weil noch eine Nacktschicht ansteht, wird er die wohl trotzdem bekleidet machen.

Aber es muss gar keine Bedeutung hinter jedem Vertipper versteckt sein, finden Sie nciht? Manchmal entstehen auf diese Weise auch wunderschöne Begriffe, die halt einfach nichts heißen. Geümse, zum Beispiel. Oder eben der eingangs erwähnte Wortschatz – verdammt, jetzt ist es genau umgekehrt passiert . . .

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 04.06.2018)

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Die Kunst, Nein zu sagen

Aus Angst davor, andere zu enttäuschen, sagt man allzu oft Ja, ohne dass man es will. Die Autorin Sarah Knight rät dazu, in solchen Situationen einfach „Scheiß darauf“ zu sagen.

„Sorry seems to be the hardest word“, sang Elton John. Mag sein, doch es ist nur die halbe Wahrheit. Kommt doch die Entschuldigung in der Regel erst, nachdem etwas passiert ist. Es gibt schon vorher ein Wort, das vielen Menschen unglaublich schwerfällt. Um bei Elton John zu bleiben und ohne Rücksicht auf das Versmaß, wäre dann „Nein“ das Wort, mit dem wir uns so unglaublich schwertun. Nicht damit, einer Aussage zu widersprechen, das geht recht gut. Auch nicht, jemanden im Sinn von „lass das“ zum Beenden einer Handlung aufzufordern. Und erst recht nicht damit, seine emotionale Befindlichkeit auszudrücken („Nein, das kann nicht wahr sein!“). Sondern damit, einer Bitte oder Aufforderung zu widersprechen.

Das Nein in einer solchen Situation trägt auch immer ein potenzielles Enttäuschen des Gegenübers in sich. Den Beigeschmack des Widerwillens, der Faulheit. Empfindungen, die negativ aufgefasst werden können. Gerade bei scheinbaren Kleinigkeiten fällt es besonders schwer, Nein zu sagen. Was ist denn schon so schwer daran, das kann doch maximal zehn Minuten dauern, worum man da gebeten wurde? Ja, eh. Nur summieren sich die vielen Zehn-Minuten-Jas schnell auf ein paar Stunden. Es bleibt am Ende das Gefühl, dass man vielleicht doch ein paar Mal Nein hätte sagen sollen.

Sarah Knight bietet dafür eine simple Lösung an: darauf scheißen. Es ist eine freie deutsche Übersetzung des Slogans, den die amerikanische Autorin zum Motto ihres Antiratgebers gemacht hat: „Fuck it“. Vielleicht nicht ganz konsequent, weil der Titel der deutschsprachigen Version mit „Not Sorry“ dann doch ein wenig sanfter ausfällt – vermutlich hat ein deutschsprachiger Lektor ja einfach Nein gesagt. Abseits des Covers ist im Buch allerdings recht häufig zu lesen, worauf man alles scheißen sollte. Etwa auf alles, was nur Frust bringt. Nur dann, wenn etwas Lust bringt, so ihre These, sollte man Ja sagen.

Es sind Handlungsanleitungen, wie sie in einem klassischen Ratgeberbuch eben zu finden sind. Mit direkter Anrede, vielen Imperativen und gelegentlichen Versalienorgien. Inhaltlich dreht es sich darum, sich darauf zu besinnen, was man tun will. Nicht mehr nur Dinge zu tun, die man tun muss. Und dabei mehr auf sich selbst zu achten, und nicht auf die anderen. So wie man auch im Flugzeug zuerst die eigene Sauerstoffmaske anlegen soll, bevor man anderen hilft, wie sie es in einem Vergleich beschreibt. Dazu gehört eben auch, nicht zu allem Ja zu sagen.

Ja zu den falschen Dingen

Von einem Ja-Budget spricht Knight. Dass man nur eine begrenzte Anzahl an Jas zur Verfügung hat – sagt man zu den falschen Dingen Ja, ist der Vorrat schnell aufgebraucht. So weit, so einleuchtend. Nur braucht es dann eben eine Priorisierung, zu welchen Dingen man überhaupt Ja sagen will – und zu welchen nicht. Die Gefahr, damit womöglich andere Menschen zu enttäuschen – und das ist ja oft die Triebfeder des Jasagens –, ist damit ja noch immer da. Auch hier greift die Autorin zu ihrer (zumindest im Deutschen) anal-exkrementellen Lebensweisheit. Scham und Schuldgefühle, was die Menschen über einen denken, hätten ja nichts damit zu tun, dass es falsch ist, was man tut.

Immerhin schränkt sie aber auch ein, dass es nicht sinnvoll ist, ihr Konzept eins zu eins in eine Reaktion auf eine Frage oder Bitte umzusetzen. Ehrlichkeit und Höflichkeit seien hier besonders wichtig. Indem man etwa keine Ausreden sucht, warum man nicht zum Karaokeabend mit den Firmenkollegen gehen möchte. Sondern einfach feststellt, dass man nicht viel mit Singabenden anfangen kann. Was die Höflichkeit angeht: Man sollte die Verachtung für eine solche Abendgestaltung in diesem Moment nicht allzu offenkundig machen. „Sei kein Arschloch“ ist auch ein wichtiges Element der „Not Sorry“-Methode. Vergraulen will man damit ja auch niemanden.

Nein zu sagen, meint Knight, kann man üben. Für den Anfang einmal zu Dingen, die man nicht braucht, oder für die man sich nicht interessiert. Die kann man schließlich nicht enttäuschen. Als nächsten Schritt schlägt die Autorin die Arbeit vor – etwa, indem man Meetings, die nichts bringen, einfach auslässt. Ist ein Fernbleiben nicht möglich, rät sie dazu, sich zumindest keine Notizen zu machen. „Haben Sie jemals die Notizen, die Sie sich während eines Meetings gemacht haben, hinterher noch einmal angeschaut?“

Ähnliche Tipps verteilt sie schließlich auch noch in den Bereichen Freunde, Bekannte, Fremde und am Ende in der eigenen Familie. Da sei es am schwierigsten, weil man sich gegenüber Verwandten doch auch pflichtschuldig fühlt. Mancher Familienfeier, meint man, kann man einfach nicht entkommen. Aber auch hier rät Knight dazu, das Pflichtgefühl nicht zu wichtig zu nehmen, nur, weil diese Menschen dieselbe DNA haben.

Natürlich, die Gefahr ist da, dass man mit dieser Attitüde gelegentlich als zickig, vielleicht gar als soziopathisch gesehen wird. Ob ein Team, etwa im Beruf, dann auch funktioniert, wenn alle darauf scheißen, darauf liefert Knight keine Antwort. Vermutlich klappt das nur, solang es genügend andere gibt, die dann auch die unangenehmen Aufgaben übernehmen, zu denen die Nein-Sager keine Lust haben. Jene, die es nicht schaffen, Nein zu sagen. Wäre spannend, wie lang ein System hält, wenn sie dann auch alle „Scheiß darauf“ sagen.

 

Buchtipp

„Not Sorry. Vergeuden Sie Ihr Leben nicht mit Leuten und Dingen, auf die Sie keine Lust haben.“
Sarah Knight, Ullstein Extra, 15,50 Euro.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 07.08.2016)

Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu errichten

Im Juni 2012 hätte in Berlin der neue Flughafen offiziell eröffnen sollen. Seit damals wurde der Termin mehrfach verschoben. Auch die geplante Inbetriebnahme Ende 2017 wackelt.

„Euer Flughafen, auf dem wir heute gelandet sind, ist ein bisschen alt. Vielleicht solltet ihr einen neuen bauen!“ Die Pointe saß. Und das Publikum im Berliner BKA-Theater, das zum Auftritt des Wiener Duos Christoph & Lollo gekommen war, lachte an der dafür vorgesehenen Stelle. Warum auch nicht, denn längst gehört der Flughafen Berlin-Brandenburg (BER), der noch immer nicht eröffnet wurde, zur Berliner Identität. Sogar ein eigenes Witzgenre gibt es – etwa auf Postkarten mit dem abgewandelten Mauer-Zitat von Walter Ulbricht: „Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu errichten.“

„Es ist immer noch möglich, 2016 den Bau zu beenden und 2017 zu fliegen“, sagte Berlins Regierender Bürgermeister, Michael Müller, vor rund zwei Wochen nach einer Sitzung des BER-Aufsichtsrats. Mit der Einschränkung, dass er sicher nicht um vier Wochen streiten werde. Eine Hintertür, um auch einen Eröffnungstermin 2018 schon einmal vorsichtig anzudeuten. Doch, so hieß es, man wolle den Druck im Kessel lassen. Oder eine weitere Blamage noch ein wenig hinauszögern. Dass die dazu für 13 Uhr angesetzte Pressekonferenz erst kurz vor halb vier begann, passte da gut ins Bild.
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Brandschutzanlage. Es hätte so schön werden können am 3. Juni 2012. Viele Reisende hatten bereits ihre Tickets für den Tag, an dem sie als Erste den neuen Flughafen im Echtbetrieb ansteuern wollten. Seit Monaten waren Komparsen auf dem Gelände unterwegs gewesen, hatten den Flughafen im Probebetrieb getestet. Koffer wurden aufgegeben, Boardingkarten ausgestellt und Sicherheitschecks durchgeführt. Nur geflogen wurde noch nicht. In Zeitungen wurden schon freudige Ausblicke auf die Eröffnung gebracht. Doch dann kam Dienstag, der 8. Mai.

Da verkündete die Betreibergesellschaft auf einer Pressekonferenz, dass sich der Termin nicht halten lasse. Die Sicherheitsanlagen für den Brandschutz, so hieß es, hätten noch nicht den Reifegrad gehabt, der eine Abnahme erlaubt hätte. Von mehreren Wochen Verspätung war die Rede, später von August oder September.

Es war nicht das erste Mal, dass die Eröffnung nach hinten verlegt worden war. Nur war man vorher noch nie so nahe am offiziellen Start gewesen. 2002 hatte man einen Beginn im Jahr 2008 vorgesehen. Als 2003 die private Finanzierung der Arbeiten scheiterte, wurde das Projekt von öffentlicher Hand weitergeführt. 2006 erfolgte schließlich der Spatenstich, im November 2011 sollte eröffnet werden. Doch die Pleite einer Planungsfirma und verschärfte Sicherheitsbedingungen sorgten im Juni 2010 dafür, dass man diesen Termin nicht halten konnte und nun der 3. Juni 2012 angepeilt wurde.

Auf dieses Datum war schließlich alles ausgerichtet. Der bisherige Hauptflughafen in Tegel sollte obsolet werden, der Flughafen Schönefeld sollte im neuen BER aufgehen. Den alten Flughafen in Tempelhof hatte man schon im Oktober 2008 geschlossen. Zwei Flughäfen, die 2012 bereits hätten eingemottet werden sollen, tragen also seit vier Jahren die gesamte Last, die eigentlich der neue Flughafen tragen sollte. Der Luftverkehr in der deutschen Hauptstadt wächst noch dazu seit 13 Jahren in Folge rasant an, vergangenes Jahr verzeichnete man in Berlin 29,53 Millionen Passagiere, 2016 sollen es mehr als 30 Millionen sein.

Während also die Fluggäste durch die altersschwachen Terminals von Tegel und Schönefeld gelotst werden, wird am BER weitergebaut. Wobei es zunächst erst einmal darum ging, das komplette Ausmaß der Probleme zu erheben. Und das war größer, als es die Verantwortlichen rund um die Absage der Eröffnung absehen konnten. Da kam etwa heraus, dass manche Rolltreppen zu kurz waren, in der unterirdischen Betankungsanlage teilweise Rohrstücke nicht ineinanderpassten, die Gepäcksanlage nicht funktionierte, die Kühlaggregate der IT zu schwach waren, in einigen Treppenhäusern die Treppengeländer unvollständig montiert waren, die Notstromversorgung nicht funktionierte – und dann war da eben auch noch der Brandschutz.

16.000 Brandmelder, mehr als 50.000 Sprinklerköpfe, 3400 Klappen in kilometerlangen Zu- und Abluftkanälen, 81 Ventilatoren – es ist ein komplexes System, das in dem Terminal mit 320.000 m Bruttogeschoßfläche installiert wurde. Nur funktionierte es nicht. Manche Teile waren etwa ohne Zulassung des TÜV verbaut worden. Als dann im April 2012 klar wurde, dass die Entrauchungsanlage bis zum Eröffnungstermin nicht bewilligt werden würde, erwog man sogar, 700 Hilfsarbeiter zu engagieren, die im Notfall die Türen händisch öffnen sollten. Eineinhalb Jahre nach der geplatzten Eröffnung war schließlich klar, dass die gesamte Anlage fehlerhaft geplant war. Unter anderem sollte bei Bränden Rauch nach unten abgepumpt werden – wider die Regeln der Physik, nach der heiße Gase aufsteigen.

Kein Ingenieur. Als wäre das nicht genug, kamen dazu Korruptionsvorwürfe, Personalwechsel und weitere überraschende Erkenntnisse – so stellte sich etwa bei einem Explaner heraus, dass er gar kein Ingenieur war, sondern nur technischer Zeichner. Die Politik schob Verantwortungen hin und her – der damals Regierende Berliner Bürgermeister, Klaus Wowereit, legte 2013 sein Mandat als Aufsichtsratsvorsitzender zurück, nahm es nach dem Rückzug seines Nachfolgers, Matthias Platzeck, aber wieder an, ehe er Ende 2014 komplett zurücktrat.

Wäre es mittlerweile nicht einfacher, Berlin komplett abzubauen und neben einem funktionierenden Flughafen wieder aufzubauen? Scherze wie diese tauchten auf, nachdem der geplante Eröffnungstermin immer wieder nach hinten verlegt wurde. Der wahre Kern hinter dem Scherz: Es ist leichter, etwas von Grund auf neu zu bauen, als bei solch einem großen Projekt noch nachträglich massive Änderungen einzuarbeiten. Dass die Komplexität immer wieder unterschätzt wurde, zeigt sich daran, welche Eröffnungstermine im Lauf der Jahre kolportiert wurden. 2013, 2014, 2015, möglicherweise erst 2016 – der aktuelle Stand ist nach wie vor 2017 mit Option auf 2018.

Doch selbst daran gibt es mittlerweile Zweifel. In deutschen Medien wird gern Dieter Faulenbach da Costa als Experte zitiert – der ehemalige Flughafenplaner nannte im April als realistischen Eröffnungszeitpunkt das Jahr 2019, zuletzt bezweifelte er sogar, dass der BER überhaupt jemals eröffnen wird. Weil mit den Umbauten in die Systemarchitektur eingegriffen wurde, sei die Anlage funktionsunfähig. Und zuletzt tauchte ein weiteres Problem auf – dass nämlich das Terminal und der dazugehörige unterirdische Bahnhof nicht voneinander getrennt entraucht werden können. Genau das muss aber möglich sein. Mit zwei zusätzlichen Glastürmen, die eine Verbindung nach außen schaffen, soll dieses Problem gelöst werden. Nun beginnt das Warten, ob diese Lösung auch genehmigt wird.

Trennung nach Ehrlichkeit. Es hakt aber längst nicht nur an der Technik – auch die Kommunikation nach außen wirkt alles andere als souverän. So trennte man sich im April von Pressesprecher Daniel Abbou, nachdem der in einem Interview sehr offen über die Versäumnisse am Bau gesprochen hatte: „Kein Politiker, kein Flughafendirektor und kein Mensch, der nicht medikamentenabhängig ist, gibt Ihnen feste Garantien für diesen Flughafen“, hatte er unter anderem gesagt.

Sollte der Flughafen 2017 eröffnen, hätte er nach derzeitigem Stand drei Flughafenmanager und drei Aufsichtsratsvorsitzende verschlissen. Die Kosten stiegen – einschließlich zwischendurch beschlossener Erweiterungen – seit dem Spatenstich von zwei auf 5,4 Milliarden Euro. Und ganz abgesehen davon – ein prestigeträchtiges Rennen hat man in jedem Fall schon verloren: Die Hamburger Elbphilharmonie, das zweite deutsche Endlosprojekt, das mit massiven Verzögerungen und Baukostenüberschreitungen kämpfte, feiert im Jänner 2017 ihre Eröffnung.


Chronologie:

  • 1996 fassen Berlin und Brandenburg den Entschluss, einen neuen Flughafen in Berlin-Schönefeld zu bauen.
  • 2002 wird die Grundsatzvereinbarung unterzeichnet, geplanter Start ist 2008.
  • 2006 folgt der Spatenstich, im Juli 2008 wird der Bau des Terminals begonnen.
  • 2010 wird die geplante Eröffnung wegen der Pleite einer Planungsfirma von November 2011 auf den 3. Juni 2012 verschoben.
  • 2012 kommt vier Wochen vor der geplanten Eröffnung der Stopp – im Mai wird März 2013 zur Eröffnung angepeilt. Im September verschiebt man auf Oktober 2013.
  • 2013 gibt es im Jänner eine weitere Verschiebung – frühstens 2014, eventuell erst 2015.
  • 2014 gilt eine Eröffnung vor Herbst 2016 als unrealistisch. Im November tauchen Unterlagen auf, in denen von Mitte 2017 die Rede ist.
  • 2015 tritt der neue Flughafenchef Karsten Mühlenfeld mit dem Auftrag an, bis Herbst 2017 zu eröffnen
  • 2016 legt sich der Aufsichtsrat im April fest, dass man eine Eröffnung Ende 2017 weiter schaffen will.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 08.05.2016)

Die Bankrotterklärung des Rauchens

Es gab eine Zeit, in der Rauchen als Inbegriff der Coolness galt. Nein, man muss sich diese Zeit nicht zurückwünschen. Doch was davon übrig blieb, ist traurig: Die E-Zigarette als letzter Strohhalm.

Schaut nur, was sie mit den Rauchern gemacht haben! Da sitzen die Armen, nuckeln an einem rosa Filzstift und blasen ein bisschen Dampf in die Luft. Ja, die Nichtraucheraktivisten haben es geschafft. Sie haben die Lokale vom Qualm befreit, sie haben erreicht, dass man den Pullover nach dem Fortgehen ein zweites Mal anziehen kann, haben auf langfristige Sicht womöglich sogar die Gesundheit der Menschen im Land verbessert. Und vielleicht auch noch unzählige Menschen dazu gebracht, das Rauchen aufzugeben – weil die es leid waren, auf Flughäfen wie Tiere in gläserne Gehege gesperrt zu werden, wo sie vor dem Abflug noch einen letzten Zug nehmen konnten. Weil sie bemerkten, dass plötzlich strafende Blicke auf sie gerichtet waren, wenn sie während eines Konzerts das Feuerzeug nicht nur zum Mitschwingen bei langsamen Nummern verwendeten. Und weil sie nach ein paar Tagen ohne Zigaretten bemerkten, dass Stiegen steigen auch ohne Keuchen geht.

Aber ja, natürlich gibt es die Raucher noch. Auch in Restaurants und Lokalen. Nur, dass sie jetzt eben vor allem an Plastikstiften saugen, die sich E-Zigaretten nennen, und ein wenig Dampf in die Umgebung absondern. Wie die Raupe bei „Alice im Wunderland“ wirken sie. Nur, dass die auf einem Schwammerl saß und nie den Anspruch erhob, so etwas wie Würde auszustrahlen. Mit verbissenem Grinsen halten sie fest, dass sie hier im Lokal auch dampfen dürfen. Ein letzter Akt des Widerstands der Nikotinsüchtigen gegen die Nichtraucherlobby, wie sie es vielleicht empfinden. Allein, vom „Rebel Without a Cause“ sind sie meilenweit entfernt. Allein die Vorstellung: James Dean mit einer E-Zigarette? Nie im Leben.
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Es gab eine Zeit, in der Rauchen als Inbegriff der Coolness galt. Als der Marlboro Man für Freiheit stand. Als Lucky Luke auf nahezu jedem Bild die selbst gerollte Zigarette aus dem Mundwinkel hing. Und als man in sich selbst auch den kleinen Cowboy spürte, wenn man vor der Schule den Zigarettenstummel lässig in eine Ecke schnippte. Nun ist schon klar, diese Zeiten sind vorbei. Als Wayne McLaren, der 1976 in diversen Werbespots den Marlboro Man spielte, 1992 an Lungenkrebs starb, wusste man schon, dass es mit dem Tabak langsam bergab gehen musste. Als Lucky Luke plötzlich statt der Zigarette ein Grashalm aus dem Mund hing, brach auch die tabakgeschwängerte Westernromantik langsam zusammen. Gut, die Zigarettenwegschnipper vor der Schule gibt es immer noch. Vermutlich wird sich das aber auch noch legen.

Und nein, man muss den ehemals rauchenden Helden keine Träne nachweinen. Stimmt schon, das Pathos auf Werbeplakaten und im Kino wirkte schon recht stark. Nur war am Morgen danach, als man das bisschen Verwegenheit und Freiheit wieder schleimig aushustete, halt einfach keine Kamera dabei. Keine Kunst also, dass in der Erinnerung am Ende eher die Coolness hängen blieb.

Einatmen wie Darth Vader. Den E-Zigaretten-Rauchern von heute bleibt nicht einmal mehr die. Wie sie da an ihren Plastikstiften ziehen – als würden sie wie Darth Vader an einer Lungenmaschine hängen. Wie sie zwischendurch das Gerät aufschrauben und an den Elektrokontakten herumnesteln, weil der Akku schon wieder nicht funktioniert. Und abgesehen davon: Wie bei Nespressokapseln für den Kaffee lassen sich auch hier noch verschiedene Geschmacksrichtungen hinzufügen. Eine Zigarette mit Schoko-, Karamell- oder Erdbeeraroma. Viel mehr muss man dazu wohl nicht sagen.

Von der sozialen Komponente ganz zu schweigen. „Hast du eine Zigarette für mich?“ oder „Hast du Feuer?“ Wird schwierig – und selbst wenn: Wie attraktiv wirkt es, wenn man beim Sitznachbarn nachfragt, ob man sich einmal kurz das USB-Kabel ausleihen kann, um den Akku wieder vollzukriegen? Da wird das ehemals Erhabene zur Parodie. Wird der Dampfer zum technikabhängigen Nerd, der ohne Reservestrom hilflos zu zappeln beginnt. Was soll denn das für ein Lebensgefühl sein?

Ja, vielleicht passt es zur Generation Handy. Wo parallel zu Gesprächen im Lokal auch noch SMS geschrieben oder gechattet wird. Und wo zwischendurch immer wieder kurz Panik ausbricht, wenn der Akku langsam nach Ladung zu lechzen beginnt. Wo das Mobiltelefon fast schon ein integraler Bestandteil des Körpers ist, ohne den ein Leben nicht mehr vorstellbar scheint. Nur, ein Handy ist eben ein Handy. Und ein Verdampfer eben nur ein bunter Stift, den man in den Mund steckt und daran zieht.

Langzeitfolgen. Ja, vermutlich sind die dampfenden Kugelschreiber gesünder, als es Zigaretten je waren – zumindest gilt diese Vermutung, solange es noch keine Studien zu den Langzeitfolgen gibt. Vielleicht ist es für ehemalige Raucher auch ein gangbarer Weg, sich langsam vom Tabak zu entfernen. Ein Substitut, das weniger Schaden anrichtet als das Original. Doch eines muss dabei auch klar sein: Einen Coolness-Preis gewinnt man damit jedenfalls nicht. Es ist eine Parodie des Rauchens, ein Schnappen nach aromatisierter heißer Luft aus einem Gerät, das wie eine Bankrotterklärung des Rauchens wirkt. Schaut nur, was sie aus den Rauchern gemacht haben!

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 01.06.2014)

Wenn der Dialekt auf einmal nicht mehr da ist

Junge Innsbrucker verwenden das charakteristische „sch“ nicht mehr, das „gsi“ in Vorarlberg hört man auch seltener. Der Sprachwandel fordert seine Opfer. Aber das muss nicht unbedingt ein Verlust sein.

In Tirol sagt man „Öschterreich“. Briefe wirft man ins „Poschtkaschtl“. Und auch bei der Schwester haben nach dem „s“ ein „c“ und ein „h“ zu folgen. Aber wie lange noch? Als die Innsbrucker Sprachwissenschaftlerin Irina Windhaber kürzlich ein Ergebnis ihres Dissertationsprojekts veröffentlichte, war die Aufregung groß. Schließlich fand sie heraus, dass das für Tirol so charakteristische „isch“ zunehmend seltener wird. Zumindest im Raum Innsbruck, den sie untersuchte, sprechen junge Menschen das „s“ zunehmend ohne „ch“ danach aus. So sagen sie plötzlich „Österreich“, werfen Briefe ins „Postkastl“ und sagen: „Mei Schwester is krank.“ Tirol ohne „isch“, gerät man ins Grübeln – da fehlt doch etwas. Das wäre ja fast so, als würde man in Vorarlberg plötzlich auf das charakteristische „gsi“ verzichten.

Nun, das könnte passieren. Denn der für Vorarlberg so typische Begriff für „gewesen“ scheint langsam seinen Weg ins sprachliche Ausgedinge anzutreten. In seiner Diplomarbeit stellte der Germanist Lukas Österle unter anderem fest, dass sich in seiner Heimatgemeinde Wolfurt zunehmend das „war“ anstelle des „gsi“ durchgesetzt hat. Und er prognostiziert, dass der Begriff über kurz oder lang wohl aus dem Vorarlberger Dialekt verschwinden wird.

„Rettet das Gsi“. Es sind zwei Arbeiten, die nur einen kleinen Teil der österreichischen Sprachlandschaft untersucht haben. Aber beide sind Arbeiten, die eine Befürchtung wecken. Dass nämlich ein wichtiger Teil der österreichischen Identität zunehmend verloren gehen könnte – die Sprache, genauer gesagt, der Dialekt. Wobei es natürlich vermessen ist, von einem einzelnen österreichischen Dialekt zu sprechen, vielmehr sind es unzählige regionale Dialekte mit unterschiedlichsten Eigenheiten. Vom umgangssprachlich liebevoll „Bellen“ genannten steirischen Dialekt bis zum typischen Vorarlberger Diminutiv mit dem „le“ am Ende. Dass diese und weitere sprachliche Charakteristika aus dem Land verschwinden könnten, sorgt jedenfalls bei vielen für Unbehagen.

So war Österles Arbeit etwa Grund genug, dass eine Facebook-Initiative namens „Rettet das Gsi“ gegründet wurde. Auch eine Gruppe „Rettet unsere österreichischen Dialekte“ hat sich im Internet formiert. Und auch abseits der virtuellen Welt gibt es immer wieder Initiativen, die sich der Rettung der österreichischen Mundart verschreiben – zuletzt vergab etwa das Magazin „News“ Patenschaften für Dialektwörter, auf dass die „Kombinege“ oder der „Bluzer“ nicht vergessen werden. Kurz, es scheint eine gewisse Angst um die Sprache vorhanden zu sein. Und das nicht nur in Österreich – in Bayern gibt es etwa Bayerisch-Kurse, in denen Kinder lernen, dass sie zur Karotte „geibe Ruabn“ sagen und eine angedrückte Birne als „zerbatzelt“ bezeichnen sollen. Auch in der Schweiz versucht man, schon bei den Jungen anzusetzen – so führte etwa der Kanton Zürich 2012 Schweizer Mundart als alleinige Unterrichtssprache im Kindergarten ein.

Aber ist die Furcht tatsächlich berechtigt, dass regionale Dialekte aussterben und man irgendwann bei einer Einheitssprache landet? „Da sind schon Erosionsprozesse im Gang“, sagt Hannes Scheutz, Sprachwissenschaftler an der Uni Salzburg. Wobei es vor allem die Städte sind, in denen einzelne Merkmale eines Dialekts verschwinden – oder besser gesagt, sich wandeln. Beobachten lässt sich das etwa am „l“, das in zahlreichen österreichischen Dialekten zum Vokal wird – aus dem „Wald“ wird etwa der „Woid“. Spricht nun ein Salzburger vom „Spielen“, wird es in seinem Dialekt zum „Spün“. Die eigentliche Form im Salzburger Dialekt, so Scheutz, sei aber eigentlich „Spin“. Diese Aussprache finde man aber nur mehr bei älteren Menschen, vornehmlich Bauern, am Stadtrand. „Wenn ich meinen Studenten Aufnahmen davon vorspiele, schütteln die ungläubig den Kopf und sagen: ,Das ist nicht Salzburgerisch. So sagt das doch kein Mensch.‘“

Um die Vielfalt der Dialekte im alpenländischen Raum zu dokumentieren, hat Scheutz einen eigenen Dialektatlas (www.argealp.org/atlas) erstellt, in dem es unter anderem einen Vergleich der Generationen gibt. Anhand der Hörbeispiele lässt sich erkennen, wie unterschiedlich ältere und jüngere Menschen sprechen. Wobei die Unterschiede in manchen Regionen größer, in anderen kleiner sind. „In den alpinen Gebieten erodiert es weniger stark als auf dem flachen Land“, sagt Scheutz. Was einerseits damit zu tun habe, dass in engen Tälern weniger Einflüsse von außen kommen, man sprachlich eher unter sich bleibt. Und andererseits auch durch eine Ortsloyalität verbunden sei: „Im alpinen Gebiet freuen sich die Menschen, wenn ich ihren Dialekt aufzeichne. Auf dem flachen Land in Niederösterreich habe ich auch schon zu hören bekommen: ,Was wollt ihr denn von uns wissen? Wollt’s schauen, wie blöd wir sind?‘ Da spiegelt sich schon ein anderes Sprachbewusstsein.“ Wandelt sich der Dialekt, ist das allerdings ein ganz natürlicher Prozess. Durch die Mobilität der Menschen verbreitet sich Sprache, mischt sich und bildet neue Formen. Die verschiedenen Arten, Dinge auszusprechen, beeinflussen sich gegenseitig und nähern sich einander an.

Das „Tschüss“. Vor allem im österreichischen Donauraum gab es in den vergangenen Jahrzehnten eine zunehmende Tendenz zur Vereinheitlichung der Sprache. Und auch der Einfluss des Bundesdeutschen durch Medien und Zuwanderung färbt auf die Sprachgewohnheiten in Österreich ab – „Tschüss“ wird mittlerweile sogar in so mancher ländlichen Region zur Verabschiedung verwendet.

Starke Veränderungen bringt auch die Migration nichtdeutschsprachiger Menschen mit sich. Hier vermischen sich Einwandererdialekt und regionaler Dialekt zu neuen Formen der Sprache. Da etwa das Türkische keine Artikel und Präpositionen kennt, entstehen unter Jugendlichen mit türkischen Wurzeln Sätze wie das geflügelte „Gemma Billa“. Und Elemente dieses Stils haben jüngere Wiener mittlerweile auch schon übernommen. „Ob ich das beklage?“ Susi Stach ist Dialektcoach, hat unter anderem Daniel Brühl beigebracht, wie Niki Lauda Wienerisch zu sprechen. „Ich fände es schade, wenn Wienerisch als Sprache völlig verschwinden würde, weil es tolle Ausdrücke gibt.“ Allein die vielen Ausdrücke, die man in Wien für das Sterben kennt – vom „Bankl reißen“ bis zum „Patschen strecken“ – bereiten ihr regelmäßig großes Vergnügen. Auf der anderen Seite ist selbst ihr, die den Wiener Dialekt nicht nur aus beruflichen Gründen liebt, auch klar, dass Sprache sich ändert – sich ändern muss. „Sonst wäre es ja traurig.“

Diese Einsicht ist es auch, die den Umgang mit dem Dialekt wohl oder übel prägen muss. Sprachliche Entwicklungen lassen sich auf lange Sicht nicht aufhalten. Weil Sprache kein monolithischer Block ist, sondern sich ständig bewegt, sich ständig verändert. Und das, was wir unter dem Dialekt verstehen, den man immer schon so gesprochen hat, auch nur ein räumliches und zeitliches Abbild einer bestimmten Generation ist. Für ältere Generationen mag es wie ein Verlust wirken, wenn einzelne sprachliche Eigenheiten verschwinden. Die Jüngeren werden wohl auch so gut leben – und ihre Briefe einfach ins „Postkastl“ werfen. So lange es das noch gibt. Aber das ist eine andere Geschichte.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 09.03.2014)

SMS: Die Kultur des gesenkten Blicks wird 20

Sie hat die Kommunikation, die Körperhaltung und das Lebensgefühl der Menschen in den letzten zwei Jahrzehnten massiv geprägt – das SMS feiert einen runden Geburtstag.

Die Busstation ist der Schreibtisch des mobilen Zeitalters. Und das seit mittlerweile ziemlich genau 20Jahren, seit am 3.Dezember1992 das erste SMS der Welt verschickt wurde. Gut, der Versand ging damals noch von einem PC aus, doch empfangen wurde die Botschaft schon von einem Mobiltelefon, einem Orbitel 901. Diese Übertragung war jener Schritt in der Evolution der schriftlichen Kommunikation, die den Verfasser endgültig vom Schreibtisch löste – und den Schreibvorgang an die Bushaltestelle verlegte.

Wobei die Bushaltestelle nur das plakativste Beispiel ist – das Warten mit dem Blick auf das Handy brannte sich einfach am stärksten in das Stadt- und Landbild ein. In Wirklichkeit entkoppelte das SMS den Schreibenden vollständig von räumlichen Vorgaben. Die schriftliche Kommunikation war plötzlich an jedem Ort möglich, im Kinderzimmer, auf dem Sportplatz, in der Schule. Und – genau das macht auch einen großen Reiz vor allem für Jugendliche aus – weitgehend unkontrolliert von den Eltern.

Neue Körperlichkeit. Mit dem SMS begann aber nicht nur ein neues kommunikatives Zeitalter, auch eine neue Körperlichkeit setzte damit ein. Der Blick der Menschen, der bisher horizontal ausgerichtet war, begann Richtung Boden zu wandern – der Kopf richtete sich nach unten, die Augen fixierten das Display. Es war der Anfang einer Kultur des gesenkten Blickes. Zart noch, schließlich ist eine Nachricht schnell geschrieben, der Blick kann wieder nach oben wandern. Doch aus der einzelnen Textbotschaft wurden mehrere; vom Bildschirm auf dem alten Nokia schien eine Gravitation auszugehen, die den Nacken immer wieder nach unten zog. Bis der gesenkte Kopf zum normalen Erscheinungsbild des mobilen Menschen wurde, sollte aber noch einige Zeit vergehen. Noch war das Smartphone ja nicht erfunden.

Die mobile Körperlichkeit rückte aber auch noch einen weiteren Spieler in den Mittelpunkt, der auf kommunikativ-schriftlicher Ebene bis dato nur wenig zu sagen hatte: Der Daumen wurde zum Primus der kommunikativen Körperteile. Nein, nicht in Form des „Daumen hoch“ auf Facebook, um Zustimmung auszudrücken – das kam erst später und ist außerdem eine ganz andere Geschichte –, sondern als Joystick, der sich in atemberaubender Geschwindigkeit über die Tasten des Handys bewegte und mit gezieltem Druck auf die Zahlentasten Briefe schrieb. Umständlich, eigentlich.

Denn um einen Buchstaben auszuwählen, musste eine der zwölf Tasten bis zu vier Mal gedrückt werden – dazu kamen Wartezeiten, sollte ein Buchstabe ausgewählt werden, der auf derselben Zahl lag wie der vorherige. Doch mit der Zeit entwickelte sich so etwas wie schlafwandlerische Routine, zielsicher und schon ohne Blick auf das Display waren da die Texte innerhalb weniger Sekunden fertig getippt.

Dafür war es plötzlich möglich, jederzeit und überall mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Und das, ohne sich am Schreibtisch niederlassen zu müssen und auf edlem Briefpapier, in langen, ausformulierten Sätzen ein kleines Kunstwerk zu verfassen, das einige Tage später seinen Adressaten erreichen sollte. Auf einmal ging es schnell, einfach und unverbindlich.

Und einer der größten Trümpfe: Das SMS ist perfekt geeignet, um Konfliktsituationen zu umschiffen. Schließlich kann man sich die direkte Reaktion des Gegenübers ersparen, wie sie im direkten Kontakt unausweichlich wäre. Eine Beziehung auf diese Weise zu beenden geht also auch ohne lange Streiterei. Ob es besonders ehrlich und stilvoll ist, das ist wieder eine andere Frage. Doch auch bei weniger dramatischen Ereignissen ist die Lösung per SMS praktisch. Man kann sich etwa mit der Antwort auf eine Frage Zeit lassen. Und erst dann zurückschreiben, wenn man eine Lösung gefunden hat. Oder es sich gerade richtig anfühlt.

Geschrieben sprechen. Wobei manche eine solche Phase des Herunterkühlens im kommunikativen Alltag fast schon als Verstoß gegen die Etikette betrachten. Denn jede Minute, die zwischen dem Senden und dem Eintreffen der Antwort vergeht, beinhaltet eine Bandbreite psychologischer Erklärungsversuche: Will das Gegenüber nicht antworten? Bin ich in seiner Gunst gesunken? Habe ich etwas falsch gemacht? Oder hat er das Piepen einfach nicht gehört – oder die Vibration nicht gespürt? Was in dem SMS drinsteht, ist dabei gar nicht so entscheidend – es geht eher um die Kommunikation an sich, der schnelle Text verläuft wie ein Gespräch, nur eben nicht von Angesicht zu Angesicht. Klar, dass da eine Unterbrechung im Schreibfluss schnell als Gesprächsabbruch aufgefasst werden kann.

Gerade die Kürze macht es aus, dass beim gegenseitigen Schreiben der Eindruck synchroner Kommunikation entsteht. Dementsprechend ist und war die Begrenzung einer Nachricht auf 160 Zeichen nie ein wirkliches Problem. Ein schneller Satz geht sich schon aus, wenn nicht, gibt es ja Abkürzungen. Außerdem kann man ja auch mehrere SMS schicken. Klar, ein umständliches MMS oder ein langes E-Mail kann da nicht mithalten. Sieht aus, als würde die Busstation noch weitere 20 Jahre Schreibtisch bleiben.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 02.12.2012)