Das Kebab der japanischen Küche

So mancher kulinarische Exportschlager scheint nur dafür gemacht, die Würde des essenden Mitteleuropäers mit Füßen zu treten. Dazu muss man nicht einmal an ein Dürüm-Kebab denken, dessen Verzehr ohne massiven Austritt von Sauce „mit alles und scharf“ auf Boden oder Bekleidung kaum zu bewältigen ist. Nein, auch die japanische Küche kann zur Kriegserklärung werden. Speziell Maki – die gerollte Sushi-Variante, Sie wissen schon – sind gefährliche Kampfstoffe, mit denen der durchschnittlich versierte Österreicher nicht und nicht umzugehen weiß.

Es sind weniger die kleinen Reisröllchen, aus denen ein Stückchen Lachs oder Gurke blinzelt, sondern die über dimensionalen Walzen, in  denen sich vierundzwanzig Fisch- und Gemüsesorten um die Mitte drängen, und die nur ein Blatt Seetang von der Explosion abhält. Denn egal, wie man es angeht, man verliert immer. Bei Variante eins, bei der das gesamte Stück auf einmal in den Mund geschoben wird und der Esser für fünf Minuten mehr einem verzweifelt kauenden Goldhamster ähnelt denn einem Menschen. Aber auch bei der zweiten Variante, dem Versuch des Abbeißens, ist letztlich kein Land zu gewinnen. Denn kein noch so gezielter Biss durchtrennt das Seetangband – das sich in weiterer Folge löst und Reis, Fisch und Gemüse mit einer ausrollenden Bewegung der Schwerkraft übergibt.

Auf der anderen Seite montiert manche Nation auch Stützräder auf das kulinarische Rad des schlingernden Urlaubers. Dass etwa die Italiener den Österreichern und Deutschen einen Löffel in die Hand drückten, auf dass sie nicht im Gewirr aus Nudeln untergehen, muss man als Form der Entwicklungshilfe betrachten. Dumm nur, dass die Geholfenen so wohl nie lernen, Spaghetti wie richtige Italiener zu essen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 27.07.2009)

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Schafe und Erbsen zählen

Als Kinder wurde uns eingebläut, zum Einschlafen einfach Schafe zu zählen. Eine romantische Vorstellung, die im ländlichen Raum zwar praktikabel scheint, der Lebensrealität des urbanen Einschlafwilligen jedoch in keinster Weise gerecht wird. Zugegeben, praktischer als das Zählen von Bären ist es allemal, handelt es sich bei Letzteren doch um keine Herdentiere, sondern um Einzelgänger, deren Zählung nur äußerst schleppend vorangehen würde. Das ändert aber nichts daran, dass Stadtmenschen das Zählen von Autos auf der Südosttangente oder von einkaufswilligen Passanten auf der samstäglichen Mariahilfer Straße um einiges näherliegen würde. Ganz abgesehen davon, dass schon 2002 im „New Scientist“ von einer Studie zu lesen war, in der Schafezählen als untaugliches Mittel zum Einschlafen bezeichnet wurde.

Lebensnah und in jeder Küche verfügbar wären dagegen Erbsen. Eine 100-Gramm-Packung Tiefkühl erbsen nach Stück zu quantifizieren hat allerdings den Nachteil, dass die auftauenden Hülsenfrüchte im Bett ihre Spuren hinterlassen würden – und wie wir von Hans Christian Andersen wissen, schläft es sich auf ihnen nicht besonders gut. Selbst wenn man keine Prinzessin ist. Linsen dagegen wurden von den Gebrüdern Grimm schon erfolgreich als Einschlafhilfe getestet – bei „die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“ (Aschenputtel, Sie wissen schon) ist schon so manches Kind ins Reich der Träume gewandert. Andererseits – als Kind wäre ich vermutlich sogar beim Vorlesen eines Textes von Ingeborg Bachmann eingenickt, wäre er nur mit monotoner Stimme vorgelesen worden. Und selbst das Lesen von Zeitungskolumnen führt bei so manchem Zeitgenossen direkt in den Tiefschlaf . . . Hallo, sind Sie noch da?

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 20.07.2009)

Und, wie stehen die Akazien?

An und Pfirsich bin ich ja Fortsetzungen gegenüber eher septisch, doch auf die Lauer kann ich den mehrfachen Punsch vieler Laser nicht illustrieren.

Also gut, beschäftigen wir uns heute mit der Zeit, als ich mit einem Open-Air-Mädchen lädiert war. Sie war Griechin und absolvierte gerade ein Auslandssilvester in Wien – ich fand sie gleich zu Beginn sehr symptomatisch. Eines Tages machten wir einen romanischen Ausflug auf den Simmering, mein mit 98 Oktaven vollgetankter Popel glitt lästig die Terpentinen hinauf. Kein Wunder, mit neuen Reifen hat man einfach mehr Grips. Wir sprachen darüber, dass ich irgendwann den Wurlitzer-Preis bekommen und dann meine Autobiologie schreiben würde, als die Inventurwetterlage plötzlich Nebel aufkommen ließ. Nicht einmal meine Haluzinogen-Scheinwerfer konnten ihn durchdringen. „Dieser Klimahandel“, schimpfte ich, „nur, weil sich keiner an das Toyota-Protokoll hält!“

„Dabei könnte man das Problem so einfach lösen, indem man Urinanreicherung nicht ständig vertäfeln würde.“ Doch mit diesem Satz hatte ich wohl gegen die Krokette verstoßen, schließlich war sie entschiedene Atemkraftgegnerin. Und durch die Bluse sagte sie mir, dass sie mit mir nicht chloroform gehen würde. In diesem Moment war mir klar, dass meine Akazien bei ihr nicht mehr wahnsinnig gut stehen.

Am Abend lag ich dementsprechend allein auf der Coach. Ich versuchte mich bei einigen Bach-Senaten zu entschlammen, doch ich wusste, dass ich bei ihr nur mehr unter ferner oliven rangierte. Wir würden wohl nie mehr gemeinsam Souflaki tanzen. Ich merkte, dass ich in eine defensive Stimmung verfiel. Wieder eine Beziehung beendet, das war echt nicht olé. Aber Tel Aviv, so ist das Leben.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 13.07.2009)

Sprachliche Zombies

Manche Dinge sind schon so ausgelutscht, dass der Hohlraum irgendwann implodiert. Dummerweise verteilen sich durch diesen Knall immer wieder neue Kolonien des ewig Gleichen in alle Richtungen und überziehen die Welt mit einer Patina jenseits jeglicher Originalität. Klassisches Beispiel ist die ewige Frage, welche drei (wahlweise fünf) Dinge man wohl auf eine Insel mitnehmen würde. Längst tot geglaubt, tauchen diese unseligen Inselrankings als Zombies der alternativen Fragestellung in Interviews und Kettenmails noch immer regelmäßig auf.

Ein solches Zombiedasein fristet auch der arme Lazarus, dessen Auferstehung immer wieder als Referenz für Comebacks auf sportlicher, politischer oder künstlerischer Bühne herhalten muss – hätte Michael Jackson seine Londoner Konzerte noch absolvieren können, wäre dieser Vergleich wohl wieder herangezogen worden. Aus bekannten Gründen wird diese Phrase in besagtem Fall wohl eher nicht mehr gebraucht werden – obwohl, sollte ein Album mit bisher unveröffentlichten Songs in den Charts ganz vorne landen, würden wohl einige Kritiker erst recht wieder diesen Vergleich bemühen.

Im Grab rotieren (zugegeben, auch schon ziemlich oft wiedergekäut. Sorry!) wird wohl Helmut Qualtinger, wenn jede Auseinandersetzung gleich in Relation zu „Simmering gegen Kapfenberg“ gesetzt wird. Gibt es denn keine anderen brutalen Schlachten, die man für einen Vergleich aus der Kredenz holen kann? Es würde unserem sprachlichen Koordinatensystem jedenfalls nicht schaden, manchen Referenzpunkt nicht bei jeder Gelegenheit anzusteuern.

Zum Abschluss – was würde ich auf die Insel mitnehmen? Nur einen nassen Fetzen. Um jeden zu traktieren, der mir diese Frage stellt.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 06.07.2009)

Essen in der U-Bahn

Fast alle sind dagegen, viele wollen sogar ein Verbot: Essen in der U-Bahn an sich ist aber gar kein Problem – solange man es mit Stil macht. Ein Plädoyer für Messer und Gabel.

Verbote sind typisch für Österreich. Kein Wunder also, wenn sich in einer Umfra ge der Wiener Linien 70 Prozent der über 40-Jährigen für ein Essverbot in den öf fentlichen Verkehrsmitteln aussprechen. Dabei ist die Zufuhr von Nahrung in der U-Bahn gar nicht das wirkliche Problem. Die eigentliche Krux liegt darin, dass der Wiener einfach keinen Stil hat und diesen Mangel bei der Nahrungsaufnahme auch deutlich zur Schau stellt.

Das beginnt bei olfaktorischen Merkwürdigkeiten wie dem klassischen Lehrlingsmenü (Leberkäsesemmel mit Red Bull) und endet bei entwürdigenden Szenen, in denen sich ganze Weckerlinhalte beim Hineinbeißen über den Fahrgast oder das Interieur des Waggons verteilen. Fairerweise muss man anmerken, dass die Wiener Linien nicht wahnsinnig viel tun, um den Menschen eine etwas stilvollere Nahrungsaufnahme zu ermöglichen.

Würden sie sich nämlich dazu entschließen, ihre Garnituren endlich so aufzurüsten, dass die Fahrgäste ihren Mittagssnack mit Messer und Gabel essen, ihren Eistee aus einem echten Glas trinken könnten, würde sich wohl so mancher besinnen. Derzeit, und hier beginnt der eigentliche Selbstversuch, ist es jedenfalls mit einigen Mühen verbunden, gepflegt im U-Bahn-Waggon zu speisen. Wo soll man etwa sein Tischchen aufbauen? Gottlob finden sich schnell zwei leere Plätze, auf einem davon wird gedeckt – Tischtuch, Teller, Besteck, so viel Zeit muss sein. Auf dem Speiseplan steht Rindergeschnetzeltes mit Artischocken und Fettuccine, gegessen wird mit Besteck.

Wackelige Angelegenheit. Die langen Nudeln waren rückblickend vermutlich keine so gute Idee, denn das Aufwickeln fällt im wackeligen Waggon etwas schwer. Das Glas mit dem Eistee schwankt  einige Male bedrohlich, wenn der Zug abrupt bremst. Und auch die Sitzposition – schräg zum linken Platz geneigt – ist nicht ganz so bequem wie ein Sitz am Tisch. Aber eine größere Sauerei als ein sich selbst zerlegender Kebab ist es auch wieder nicht.

Da sitze ich nun, der kulinarische Robin Hood urbaner Fortbewegungsmittel, und warte auf empörte Blicke, den Ruf nach Verboten oder Schlimmerem. Doch die Fahrgäste dürften nicht zu jenen gehören, die in der Umfrage der Wiener Linien die Mehrheit stellten. Im Gegenteil. Freundlich lächelnd und sehr interessiert mustert die Dame schräg gegenüber die Szenerie; ein Ehepaar betont, dass es sich nicht belästigt fühlt. Und schließlich fragt ein junger Fahrgast sogar, ob er mit seinem Handy ein Foto machen darf. Das wiederum beweist: Stilvolles Essen in Öffis stört niemanden. Würden also mehr Menschen gesittet mit Messer und Gabel in der U-Bahn speisen, könnten wir uns die Debatte über Verbote sparen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 05.07.2009)