Das Mobiltelefon hat die lebhafte Diskussion getötet

Noch vor ein paar Jahren sahen Diskussionen am Stammtisch anders aus. Da wurden Behauptungen aufgestellt, wurden Rekorde und Begebenheiten heftig diskutiert – wobei ab einem bestimmten Punkt Fakten keine große Rolle mehr spielten. Denn irgendwann kam in jeder Debatte der Punkt, an dem man seriöserweise die eine oder andere Behauptung hätte nachschlagen müssen, um das Gespräch nicht zur beliebigen Absonderung wirklichkeitsferner Ego-Blähungen geraten zu lassen.

Solche Diskussionen gibt es heute nicht mehr. Zumindest nicht für die Generation Smartphone, die bei jeder strittigen Frage einfach bei der mobilen Wikipedia nachfragt. Dementsprechend hat sich auch die Körperhaltung bei Debatten gewandelt. Während früher aufrecht gesessen und lebhaft mit den Armen gerudert wurde, um seinen Argumenten Gewicht zu verleihen, sitzen heute ganze Gruppen mit gekrümmtem Rücken beisammen, den Blick auf das Display gerichtet und die Finger am Tippen in der Google-Maske. Doch beschränkt sich diese Haltung längst nicht auf Diskussionsrunden, selbst in der U-Bahn, auf der Parkbank oder – vermutlich zumindest – auf der öffentlichen Toilette sind Blick und Finger fest mit dem Smartphone-Display verwoben.

Tatsächlich ist es längst zu einem sozialen Phänomen geworden, wenn eine Gruppe von Menschen aufgefädelt wie die vier Daltons aus Lucky Luke hintereinander hermarschiert – leicht nach vorne gebeugt und mit wischendem Finger auf dem Display. Und noch etwas: Ist Ihnen auch schon einmal aufgefallen, dass Menschen plötzlich stehenbleiben, ihr Handy aus der Tasche holen und nach einem Blick darauf auf dem Absatz kehrtmachen und in die andere Richtung gehen? Vermutlich gibt es sogar schon eine soziologische Bezeichnung für dieses Phänomen. Ich kann nur gerade leider nicht auf die mobile Wikipedia zugreifen…

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 24.05.2012)

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Demütige Verbeugung vor dem Badezimmerspiegel

Die Reihenfolge kann bei vielen Dingen über Gelingen und Scheitern entscheiden. Beginnt man mit der Sauce Bolognese erst, wenn die Spaghetti bereits gekocht sind, werden die Nudeln kalt, klebrig oder beides auf dem Teller landen. Rührt man beim Backen das Mehl zu früh in den Mürbteig, geht das Gebäck nicht schön auf. Und betritt man einen Raum, ehe man die Tür öffnet, holt man sich unter Umständen eine blutige Nase. Unangenehm, das.

Dass die Reihenfolge bei der Morgentoilette nicht korrekt eingehalten wurde, verraten die weißen Flecken auf dem bunten T-Shirt, die von den Kollegen mit einer Weisheit kommentiert werden, wie sie ein Paulo Coelho nicht besser hinbekommen würde: „Es ist besser, sich vor dem Anziehen die Zähne zu putzen!“ Stimmt, vielen Dank für den Hinweis. Nicht, dass das nicht ohnehin klar wäre, doch im täglichen Ablauf hat sich die Zahnhygiene nun einmal ganz am Ende eingebürgert und weigert sich beharrlich, daran etwas zu ändern. Was regelmäßig mit einer gebückten Haltung vor dem Badezimmerspiegel endet, um dem weißen Schaumsabber möglichst wenig Antropffläche auf dem Hemd zu bieten, wenn er seinen unaufhaltsamen Weg aus dem Mundwinkel nimmt. Natürlich könnte man diese Körperhaltung einfach als demütige Verbeugung betrachten, als Ersatzhandlung für das Morgengebet – aber bei aller Demut, so unwürdig will man dann doch nicht in den spirituellen Dialog treten. Vor allem, weil absehbar ist, dass am Ende ja doch wieder ein Tropfen Zahnpasta eher der Anziehungskraft des Hemdes als dem von der Schwerkraft angedachten direkten Weg zu Boden anheimfällt.

Ein paradoxes physikalisches Verhalten, das übrigens auch genau dem von Spaghetti Bolognese entspricht – besonders dann, wenn das Hemd weiß ist. Paulo Coelho würde vermutlich sagen: „Es ist besser, sich vor dem Spaghettiessen das Hemd auszuziehen.“

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 21.05.2012)

Spam von Allah

Gerade ist folgende Spam-Mail in meinem Postfach gelandet…

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Dear Friend,

Your email was suggested as someone who may have heard of God (Allah) and it was suggested I reach out to you, personally.  I am God Allah and looking to people for purposes previously explained by the church or mosque i.e. The Resurrection. If you’d like to help get something started, email Me back.  You were also noted as a member of the INTL Media.  I am looking for an ongoing media relationship in order to report progress on The Resurrection.  For example, for starters, I report God Allah is alive and well.

Emergency Message,

ALLAH

God@llah.us

P.O. Box 701

San Mateo, CA 94401

+1-650-458-7524

NOTE: I apologize, however, this is an emergency.

In the event of extreme subscribe error at LLAH.US, you may post unsubscribe ticket to https://ALLAH.zendesk.com or email personally god@llah.us (auto-response and details)

Der Sojasaucensommelier und der Katzenurin

Sauvignon blanc kann Assoziationen mit Stachelbeere oder Kiwi hervorrufen, gelegentlich wohnt ihm auch eine Maracujanote inne. Aber auch ein Hauch von Gras, Paprika, Brennnessel, Heu, Artischocke und grünem Spargel findet sich in zahlreichen Beschreibungen. Und dann wäre da auch noch ein Aroma, das auf den ersten Blick nicht so recht zu Wein passen will – Sauvignon blanc weckt Duftassoziationen mit Katzenurin. Schon bildet sich vor dem geistigen Auge die Vorstellung eines Sommeliers, der heftig schnüffelnd vor der Katzenkiste sitzt – doch auch, wenn es mittlerweile Sommeliers für so ziemlich alles gibt, von Most über Fleisch und Schokolade bis zum Wasser, die Ausbildung zum Katzensommelier findet sich bis dato noch in keiner Broschüre von Wirtschaftskammer und Volkshochschule.

Auch Sommeliers für Sojasauce müssten erst erfunden werden. Wo doch gerade die asiatische Würze in Qualität und Geschmack oft großen Schwankungen unterliegt. So liegen etwa zwischen traditionell über Monate (und sogar Jahre) fermentierten und industriell beschleunigt gebrauten Saucen Welten. Und auch die Frage, ob es sich um eine chinesische (nur Soja) oder japanische (Soja und Weizen) Sauce handelt, macht einen gewaltigen Unterschied. Ein Berater, welche Sauce zu welchem Gericht passt, wäre also gar nicht so weit hergeholt. Er könnte auch die Frage beantworten, ob Sojasauce so wie Rotwein mit längerer Lagerung immer besser wird. Diese Frage tauchte jüngst in einem asiatischen Restaurant auf – denn das sonnengegerbte Etikett auf der Flasche Sojasauce trug das Ablaufdatum 20.6.2003. Ob es sich beim Inhalt tatsächlich um Jahrgangssauce handelte oder um Sojacuvée, der nach und nach mit billiger Sauce aufgefüllt wurde? Geschmacklich ging der Trank jedenfalls in eine salzige Richtung mit einer leichten Motorölnote. Aber immerhin, Spuren von Haustieren waren keine drin.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 14.05.2012)

Sojasauce | (c) Erich Kocina

Alice Schwarzer hat den Vampir gebissen

Bekanntlich gibt es einen Unterschied zwischen sozial erwünschtem und tatsächlichem Verhalten. Würden tatsächlich so viele Menschen ausschließlich 3sat und Arte auf ihren Fernsehern laufen lassen, wie dies bei Befragungen nach dem TV-Konsum angegeben wird, müssten die beiden Sender Quoten aufweisen, die an die Wahlergebnisse postsowjetischer Potentaten heranreichen. Die Differenz zwischen Schein und Realität bleibt hier allerdings im heimischen Fernsehzimmer verborgen, hat also keine nachhaltigen gesellschaftlichen Negativeffekte.

Problematisch wird es erst, wenn ein gesellschaftlich geächtetes Verhalten in der Öffentlichkeit geübt werden will. Dann sitzt die Angst, bei einem sozialen Fehlverhalten ertappt zu werden, bedrohlich im Nacken. Will man sich dieser Gefahr nicht durch Askese entziehen, ist Tarnen und Täuschen die Devise. Nehmen wir das fiktive Beispiel, man sei als intelligenter und anspruchsvoller Mensch einer banalen, trivialen und zutiefst kitschigen Liebesgeschichte mit Beteiligung von Vampiren verfallen – und möchte diese Leidenschaft nicht nur in der eigenen Wohnung befriedigen, sondern auch in der U-Bahn. Dann empfiehlt es sich, solange man die Geschichten noch nicht auf dem dämmerigen Display eines E-Book-Readers vor sich liegen hat, das Buchcover dezent zu verhüllen. Dafür bieten sich simple Buchschutzhüllen an, die es in verschiedensten Designs zu erstehen gibt. Highly sophisticated wird es aber erst dann, wenn das Vampirepos in das Cover eines prestigeträchtigen Buches gehüllt wird. Aber Vorsicht, liest ein Sitznachbar von der Seite mit, könnten unangenehme Assoziationen geweckt werden. Sollten Sie also „Bis(s) zum Morgengrauen“ ausgerechnet in das Cover der Biografie von Alice Schwarzer einwickeln wollen, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn Feministinnen in der Öffentlichkeit immer so ein bissiges Image haben.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 07.05.2012)