Message-T-Shirts als Stoff wiederkehrender Dialoge

Die Zeit von Message-T-Shirts ist an sich vorbei, sobald man die Schule hinter sich hat, an der Uni kann man sie noch durchgehen lassen, doch spätestens am Arbeitsplatz gilt man damit weitgehend als Exot. Doch gelegentlich führt man sie dann doch aus – wenn alle weißen Hemden zum Trocknen auf dem Ständer hängen, zum Beispiel. Tage wie diese haben dann diesen „Und täglich grüßt das Murmeltier“-Faktor. „Keine Ausreden mehr“, eine dieser Messages auf einem T-Shirt, wird etwa von jedem Kollegen, dem man auf dem Gang begegnet, mit drohendem Unterton – und gezücktem Zeigefinger – nachgesprochen. Das zweite Leibchen aus der gleichen Serie, jenes mit dem schönen Aufdruck „Mein letztes Hemd“ wird in 99,8 Prozent aller Begegnungen mit einem „Das ist ja gar kein Hemd“ quittiert. Nachsatz: „Ha ha!“ Ein besonders hübsches schwarzes Shirt ziert ein neongelbes „Sozialschmarotzer“ – da werfen die Kollegen regelmäßig mit Kleingeld nach mir. Das knallrote T-Shirt mit dem Aufdruck „Kyrgyzstan“ hinterlässt zumindest ein paar ratlose Blicke – ein zentralasiatischer Ländername lässt sich ja auch nur recht schwer zu einem Scherzchen ummünzen.

Die immer gleichen Dialoge funktionieren aber auch ohne Message auf dem Leibchen. Es reicht schon, wenn die Kollegin ihr Rennrad genau hinter meinem Platz abstellt – neben ihrem Schreibtisch sei kein Platz. Was damit endet, dass jeder Besucher bewundernd die Augen hebt und fragt: „Wow, du fährst mit dem Rad in die Arbeit?“ Spätestens beim achten Mal macht es gar nicht mehr so viel Spaß, die Sache mit der Kollegin und ihrem Rad zu erklären, irgendwann murmelt man einfach nur mehr irgendetwas und lenkt auf ein anderes Thema. Immerhin, ein Kollege kam ohne Murmeltierfrage aus. „Wen lässt du sein Fahrrad hier abstellen, damit alle glauben, dass du sportlich bist?“ Er weiß offenbar besser, wie ich ticke.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 24.06.2013)

Augenauswischerei mit der Zunge

Das hat Japan nun wirklich nicht verdient. Das Land hat eine faszinierende Geschichte, das weltweit wohl beste Essen, ziemlich gute Autos, unglaublich schnelle und extrem pünktliche Züge und ziemlich viele spannende technische Geräte – doch medial muss es, außer wenn ein Atomkraftwerk hochgeht, fast ausschließlich als skurriles Kuriositätenkabinett herhalten. Vom Klassiker, den getragenen Mädchenunterhosen, die man aus Automaten ziehen und beschnüffeln kann (ob es diese Automaten, die Anfang der 1990er-Jahre kurz tatsächlich existierten, heute überhaupt noch gibt, weiß man nicht so genau), bis zum neuesten Trend, der seit einigen Tagen durch die Medien geistert, nämlich dem Ablecken von Augäpfeln als Form der Liebkosung. „Oculolinctus“ heißt diese sexuelle Spielart, die japanische Teenager derzeit offenbar als Steigerung des Zungenkusses entdeckt haben. Nun ist es zugegebenermaßen eine seltsame Vorstellung, gerade das Auge zum Spielball sexueller Fantasien zu machen – vor allem, wenn man schon die Vorstellung kaum erträgt, sich eine Kontaktlinse auf die Pupille drücken zu müssen. Auch aus gesundheitlicher Sicht ist es ein äußerst zweifelhaftes Vergnügen, sich mithilfe all der Bakterien auf der Zunge eine Bindehautentzündung zuzulegen – in japanischen Schulen ist deswegen das Tragen von Augenbinden en vogue. Und im schlimmsten Fall, warnen Augenärzte, kann die Liebe sogar blind machen.

Doch so skurril manche japanische Sitten und Gebräuche wie der Okularverkehr auf die westliche Welt auch wirken mögen: Die nach solchen Geschichten gerne mit überlegenem Lächeln gezogene Schlussfolgerung, dass die Japaner einfach ein degeneriertes und durchgeknalltes Volk von Perversen sind, die tut weh. Und ist etwa genauso zulässig wie die Unterstellung, dass Österreicher gerne Menschen in verborgenen Kellerabteilen einsperren.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 17.06.2013)

Manchmal fühle ich mich unzulässig geserienbrieft

„Sehr geehrter Herr Die Presse.“ Was für eine nette Anrede, die kürzlich auf einem an mich gerichteten Schriftstück zu lesen war. Natürlich freut man sich, wenn die eigene Person so stark mit dem Arbeitgeber bzw. dem Produkt identifiziert wird – aber der Fairness halber muss schon gesagt werden, dass noch eine Reihe anderer Menschen nicht unwesentlich zum Gelingen dieser Zeitung beiträgt. Abgesehen davon bin ich mir nicht sicher, ob es sich bei dieser Personifizierung überhaupt um eine absichtliche Würdigung handelt, oder ob es vielmehr eine nicht intendierte unzulässige Verserienbriefung war, die da von einer PR-Agentur in mein Postfach gesteckt wurde.

Es muss aber gar nicht immer ein Serienbrief sein – gelegentlich passieren auch bei der individuellen Anrede Fehler. Auch mir. Beantwortet man etwa eine Zuschrift, in der der nicht unbedingt vertraut vorkommende Vorname nicht eindeutig einem Geschlecht zuordenbar ist, wird es kompliziert. Die schnelle Recherche ergibt, dass es sich um einen türkischen Mädchennamen handelt, und schon wird die Antwort an die „Sehr geehrte Frau…“ abgeschickt. Die sehr freundliche Replik, die dann mit „Sehr geehrte Frau Erich“ eingeleitet wird, verrät, dass eine intensivere Recherche ein Missverständnis hätte verhindern können. Denn der gleiche Name ist in anderen Breiten auch für Männer üblich. Sorry, war nicht böse gemeint.

Und dann birgt auch noch die Verabschiedung ein gewisses Fehlerpotenzial. Da verfasst man etwa per Mail ein hochseriöses Bewerbungsschreiben – nein, „Herr Die Presse“ erzählt hier nicht von sich selbst – an ein Unternehmen, hängt den professionell verfassten Lebenslauf und ein sauber durchargumentiertes Motivationsschreiben an, setzt in die Anrede die „sehr geehrte“ Personalchefin. Und merkt beim Drücken des Send-Buttons, dass man unten nur mit dem Vornamen unterschrieben hat. Ups! Liebe Grüße, Erich

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 10.06.2013)

Der Moment, in dem nichts mehr so ist wie gedacht

Wer immer nur vor dem Computer sitzt und Geschichten schreibt, kommt selbst nicht dazu, allzu viel zu erleben. Zum Glück gibt es Freunde, deren ganzes Leben nur aus Erleben zu bestehen scheint. Und die dieses Erleben den schreibenden Nichterlebern auch bei jedem Treffen in derartigem Detailreichtum mitteilen, dass man meinen könnte, man hätte es selbst miterlebt.

Und so hat man es fast vor Augen, wie jener Freund zu einem geschäftlichen Termin zum Linzer Lentos marschiert. Elegant, mit schwarzem Anzug, Krawatte und Sonnenbrille. Im Gegenlicht vor dem imposanten Museumsgebäude ist schon die Silhouette des Geschäftspartners zu erkennen – er winkt. Also winkt der Freund zurück und marschiert los. Es ist schon länger her, seit die beiden einander begegnet sind. Und was für ein Zufall, der Geschäftspartner hat die gleiche Adjustierung. Elegant, mit schwarzem Anzug, Krawatte und Sonnenbrille. Wie das wohl wirkt? Wie in einem alten Mafiastreifen. Ein filmreifes Treffen, jedenfalls. Die beiden Männer lächeln.

Seine Haare sind länger als sonst, bemerkt der Freund. Nur noch wenige Meter trennen die beiden, als der Freund seine rechte Hand anhebt, um mit einer gelassenen Bewegung seine Sonnenbrille abzunehmen. „Du hast dich verändert“, sagt er in Richtung des Geschäftspartners. Er bleibt stehen. Der Geschäftspartner greift ebenfalls mit der rechten Hand zur Sonnenbrille. Er nimmt sie ab. „Du auch“, sagt er. Kurzes Schweigen. Und dann der Moment, in dem beide realisieren, dass hier zwei völlig fremde Menschen einander gegenüberstehen. „Du bist nicht der, mit dem ich mich treffen wollte.“ „Nein.“

Ja, es ist eine aufregende Welt. Aber man kann nicht überall dabei sein. Irgendjemand muss schließlich auch vor dem Computer sitzen und darüber schreiben, was die anderen so alles erleben.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 03.06.2013)