Beißen tun nur Mädchen, wir wollen Schweinsbraten

Mit Töchtern haben wir es ja nicht so. Zwar hört man hierzulande nur mehr selten die despektierliche Bezeichnung „das Mensch“, wenn es um ein junges Mädchen geht. Und auch der Ausruf „Na endlich was G’scheit’s“, wenn nach einem Mädchen auch ein Bub auf die Welt kommt, wird wohl nicht mehr so oft durch Krankenhausflure schallen. Doch wenn es darum geht, sie auch in der Bundeshymne zu nennen, wird der Österreicher plötzlich widerständig, wie man es sonst nicht von ihm kennt. Argumentatives Unterfutter braucht er dazu nicht. Es genügt, einfach einmal zu schimpfen. Dieser Reflex kommt immer gut, egal, in welche Richtung. Danach folgen zwei Argumentationsmuster. „Weil es immer so war“ ist das eine, mit dem unsinnige oder überholte Regeln einzementiert werden. Das zweite hingegen lautet: „Es gibt wichtigere Probleme als das.“ Ja, stimmt sogar. Aber wenn es eh nicht so wichtig ist, ob die Töchter nun in der Bundeshymne genannt werden, warum wehrt man sich dann so dagegen?

Die große Masse sehnt sich nach einem Schweinsbraten, sprach einst Andreas Gabalier. Sehr richtig, Herr Volksmusikant, am besten von der Sau, die man zuvor medial durch das Dorf getrieben hat, wie es scheint. Denn die Gehässigkeit, die hierzulande an den Tag gelegt wird, um möglichst wieder den gottgewollten Zustand herzustellen – bei dem Frauen ja eh mitgedacht werden, die sollen sich nicht so anstellen –, erinnert an finstere Zeiten. „Das kommt dabei raus, wenn man Frauen in die Politik lässt.“ Ja, klar, weil uns all die anderen Entscheidungen, die vornehmlich Männer getroffen haben, so viel weitergebracht haben.

Immerhin, wenigstens der Schweinsbraten Fußball bleibt noch als männliche Bastion. Hätte da nicht Uruguays Luis Suárez jüngst einen Gegenspieler gebissen. Das, verkündete ein Kolumnist der „Krone“, gehe in dieser Männersportart doch nicht. „So handeln Mädchen, nicht Männer.“ Heimat, bist du großer Toren. Und nein, das hat mit Fußball nichts zu tun.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 30.06.2014)

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Hallo Baby, soll ich dir mein Sommerloch zeigen?

Zugegeben, jeder Running Gag nützt sich mit der Zeit ein wenig ab. Auch die „Hallo Baby, soll ich dir mein (jedes beliebige Wort einsetzen) zeigen?“-Reihe erreicht irgendwann die Grenzen des Zumutbaren. Was in dieser Jahreszeit aber nur bedingt eine Rolle spielt. Optimisten sagen jetzt: Endlich ist der Sommer da. Pessimisten klagen, dass die Tage nun wieder kürzer werden. Bis allerdings am 22.Dezember endlich wieder die Dunkelheit zurückzuweichen beginnt, bleibt noch eine beträchtliche Delle in der Nachrichtenlage, die vermutlich erst im September wieder ausgebügelt sein wird. Erste Anzeichen für das sogenannte Sommerloch schwirren jedenfalls bereits durch die frühherbstliche (o.k, das ist jetzt übertrieben) Landschaft.

„Kaninchen fraß Petersilie und wurde öffentlich gebraten“ ist eine jener Meldungen, die wohl keine Chance auf Veröffentlichung hätte, würde der Rest der Welt nicht schon mit dem Kopf im Urlaub sein. „Am Muhen erkennen Forscher die Brunst von Kühen – Deutsche Forscher nehmen Rinder mit Mikrofonen an Halsbändern auf“ fällt auch in diese Kategorie. Und dass der extrem seltene Albino-Buckelwal „Migaloo“ vor der Küste Sydneys gesichtet wurde, wirft die Frage auf, in welchem Loch sich das 1991 erstmals gesichtete Tier zwischendurch so aufgehalten hat. Man muss aber gar nicht in die Ferne schweifen, um diese ausgelutschte Phrase auch noch unterzubringen. Immerhin wird in Klosterneuburg debattiert, sich Wien anzuschließen und künftig als 24.Bezirk zu fungieren. Wenn auch bis auf einen Gemeinderat ohnehin kaum jemand etwas davon wissen will. „Zum Glück behütet uns der heilige Leopold davor“, wird Bürgermeister Stefan Schmuckenschlager zitiert. Und damit, dass er mit seinem Wiener Amtskollegen Michael Häupl bei einem Spritzer darüber geredet habe – und man sich einig sei, dass das keinen Sinn hat.

Trotzdem schön, dass wir darüber geredet haben. Möge das Sommerloch weitere Kalauer bereithalten. Übrigens, in knapp sechs Monaten ist Weihnachten.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 23.06.2014)

Schön, Sie wiederzusehen. Aber wer sind Sie eigentlich?

Die Beschäftigung mit dem Phänomen des Déjà-vu führt regelmäßig zu einem Déjà-vu, dass nämlich dieses Thema schon so oft zerredet und diskutiert wurde, dass man es eben nicht noch einmal sehen will. In der Regel viel bedeutungsvoller ist ja ohnehin das Gegenteil – nämlich das Jamais-vu. Das ist Französisch – jene Sprache, die man im Alltag trotz der fünf Jahre Unterricht oft tatsächlich so beherrscht, als hätte man noch nie davon gehört. Aber das ist ein anderes Thema. Übersetzt steht das Phänomen jedenfalls für „niemals gesehen“ und bezeichnet ein Ereignis, bei dem man eine Person, einen Ort oder einen Umstand – obwohl eigentlich bekannt – als völlig fremd oder neu empfindet. Was gerade im Fall einer Person sehr peinlich sein kann.

Wenn man etwa von einem Menschen euphorisch begrüßt wird, von dem man nicht einmal wusste, dass es ihn gibt. Die Person dann auch noch in allen Details schildert, wann und wo man einander kennengelernt hat. Und man womöglich auch noch erfährt, dass man sich dabei auf irgendeine Art danebenbenommen hat. Mit hochrotem Kopf laufen dann im Hinterkopf unzählige Filme ab, aber der Klick, das rettende Aha-Erlebnis bleibt aus. Bitter, das. Die harmlosere Variante ist jene, dass man eine Person kennt, mit ihr immer wieder spricht – und keine Ahnung hat, wie sie heißt. Was spätestens dann unangenehm wird, wenn eine dritte Person dazukommt, und man die beiden einander vorstellen sollte. Im Zweifel bleibt dann nur noch, so lange zu warten, bis sie das von selbst machen. Ähnlich lässt sich übrigens auch die Frage lösen, ob man nun mit jemandem, den man nicht so eindeutig zuordnen kann, per Du oder per Sie ist – einfach abwarten, bis der andere einen direkt anspricht, dazwischen schön allgemein bleiben. Ja, ja, geht gut, und selbst?

Übrigens: Das Geständnis „Sorry, ich habe echt keine Ahnung, wer Sie sind“ ist etwas hart. Auf Französisch dagegen klingt es gleich nicht mehr wie ein Schuldeingeständnis: „Mon dieu, ich habe gerade ein Jamais-vu!“

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 16.06.2014)

Deutschländisches Deutsch und haste nich‘ geseh’n

Na servus – oder na tschüss, wie es wohl auf Deutschländisch heißen muss. Hat das Bildungsministerium nun also tatsächlich eine Broschüre für die Schulen herausgebracht, in der der Unterschied zwischen österreichischem und deutschländischem (ja, das steht wirklich so drin) Deutsch erläutert wird, um Kindern den Stellenwert des österreichischen Deutsch als Nationalvarietät einer plurizentrischen Sprache näherzubringen. Da lernt man etwa, dass die Maroni in Deutschland Esskastanie oder Marone heißt – und man sie in der Schweiz mit zwei r schreibt. Oder dass die Semmel in Deutschland Brötchen genannt wird, während man in der Schweiz Brötli, Bürli oder Mutschli (!!!) sagt. Wobei zum Teil auch verallgemeinernder Unsinn zu lesen ist – denn dass sich in Österreich für das geflochtene Mohnweckerl der Begriff „Flesserl“ durchgesetzt haben soll, kann nur einem Oberösterreicher eingefallen sein. So sagt nämlich im Osten zum Mohnstriezel kein Mensch.

Trotz allem ist die Lektüre lohnend. Wenn auch so manche Redewendung, die aus dem Deutschländischen ins Österreichische geschwappt ist, nicht erwähnt wird. Wenn einem etwa bei einer Aufzählung die Worte ausgehen, wird heute anstelle des früher verbreiteten „und so weiter“ gerne ein „haste nich‘ geseh’n“ verwendet. Deutlich an Einfluss bei Aufzählungen hat auch die Phrase „Schieß mich tot“ gewonnen. Die wird immer häufiger eingesetzt, wenn jemand sagen möchte, dass er etwas nicht genau weiß, es aber eigentlich auch gar nicht darauf ankommt. Früher nahm man dafür unter anderem ein „was auch immer“, ein locker dahingesagtes „und so weiter“ oder auch das typisch österreichische „was weiß ich“ in den Mund.

Noch in österreichischen Kinderschuhen steckt hingegen ein Ausruf der Freude oder Überraschung, der aber auch ein gleichgültiges Abschwächen bedeuten kann: „Scheiß die Wand an!“ Und was, wenn sich dieser Begriff auch hierzulande durchsetzt? Nun, tausend Rosen. Oder in der urösterreichischen Kurzform: wurscht.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 02.06.2014)

Die Bankrotterklärung des Rauchens

Es gab eine Zeit, in der Rauchen als Inbegriff der Coolness galt. Nein, man muss sich diese Zeit nicht zurückwünschen. Doch was davon übrig blieb, ist traurig: Die E-Zigarette als letzter Strohhalm.

Schaut nur, was sie mit den Rauchern gemacht haben! Da sitzen die Armen, nuckeln an einem rosa Filzstift und blasen ein bisschen Dampf in die Luft. Ja, die Nichtraucheraktivisten haben es geschafft. Sie haben die Lokale vom Qualm befreit, sie haben erreicht, dass man den Pullover nach dem Fortgehen ein zweites Mal anziehen kann, haben auf langfristige Sicht womöglich sogar die Gesundheit der Menschen im Land verbessert. Und vielleicht auch noch unzählige Menschen dazu gebracht, das Rauchen aufzugeben – weil die es leid waren, auf Flughäfen wie Tiere in gläserne Gehege gesperrt zu werden, wo sie vor dem Abflug noch einen letzten Zug nehmen konnten. Weil sie bemerkten, dass plötzlich strafende Blicke auf sie gerichtet waren, wenn sie während eines Konzerts das Feuerzeug nicht nur zum Mitschwingen bei langsamen Nummern verwendeten. Und weil sie nach ein paar Tagen ohne Zigaretten bemerkten, dass Stiegen steigen auch ohne Keuchen geht.

Aber ja, natürlich gibt es die Raucher noch. Auch in Restaurants und Lokalen. Nur, dass sie jetzt eben vor allem an Plastikstiften saugen, die sich E-Zigaretten nennen, und ein wenig Dampf in die Umgebung absondern. Wie die Raupe bei „Alice im Wunderland“ wirken sie. Nur, dass die auf einem Schwammerl saß und nie den Anspruch erhob, so etwas wie Würde auszustrahlen. Mit verbissenem Grinsen halten sie fest, dass sie hier im Lokal auch dampfen dürfen. Ein letzter Akt des Widerstands der Nikotinsüchtigen gegen die Nichtraucherlobby, wie sie es vielleicht empfinden. Allein, vom „Rebel Without a Cause“ sind sie meilenweit entfernt. Allein die Vorstellung: James Dean mit einer E-Zigarette? Nie im Leben.
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Es gab eine Zeit, in der Rauchen als Inbegriff der Coolness galt. Als der Marlboro Man für Freiheit stand. Als Lucky Luke auf nahezu jedem Bild die selbst gerollte Zigarette aus dem Mundwinkel hing. Und als man in sich selbst auch den kleinen Cowboy spürte, wenn man vor der Schule den Zigarettenstummel lässig in eine Ecke schnippte. Nun ist schon klar, diese Zeiten sind vorbei. Als Wayne McLaren, der 1976 in diversen Werbespots den Marlboro Man spielte, 1992 an Lungenkrebs starb, wusste man schon, dass es mit dem Tabak langsam bergab gehen musste. Als Lucky Luke plötzlich statt der Zigarette ein Grashalm aus dem Mund hing, brach auch die tabakgeschwängerte Westernromantik langsam zusammen. Gut, die Zigarettenwegschnipper vor der Schule gibt es immer noch. Vermutlich wird sich das aber auch noch legen.

Und nein, man muss den ehemals rauchenden Helden keine Träne nachweinen. Stimmt schon, das Pathos auf Werbeplakaten und im Kino wirkte schon recht stark. Nur war am Morgen danach, als man das bisschen Verwegenheit und Freiheit wieder schleimig aushustete, halt einfach keine Kamera dabei. Keine Kunst also, dass in der Erinnerung am Ende eher die Coolness hängen blieb.

Einatmen wie Darth Vader. Den E-Zigaretten-Rauchern von heute bleibt nicht einmal mehr die. Wie sie da an ihren Plastikstiften ziehen – als würden sie wie Darth Vader an einer Lungenmaschine hängen. Wie sie zwischendurch das Gerät aufschrauben und an den Elektrokontakten herumnesteln, weil der Akku schon wieder nicht funktioniert. Und abgesehen davon: Wie bei Nespressokapseln für den Kaffee lassen sich auch hier noch verschiedene Geschmacksrichtungen hinzufügen. Eine Zigarette mit Schoko-, Karamell- oder Erdbeeraroma. Viel mehr muss man dazu wohl nicht sagen.

Von der sozialen Komponente ganz zu schweigen. „Hast du eine Zigarette für mich?“ oder „Hast du Feuer?“ Wird schwierig – und selbst wenn: Wie attraktiv wirkt es, wenn man beim Sitznachbarn nachfragt, ob man sich einmal kurz das USB-Kabel ausleihen kann, um den Akku wieder vollzukriegen? Da wird das ehemals Erhabene zur Parodie. Wird der Dampfer zum technikabhängigen Nerd, der ohne Reservestrom hilflos zu zappeln beginnt. Was soll denn das für ein Lebensgefühl sein?

Ja, vielleicht passt es zur Generation Handy. Wo parallel zu Gesprächen im Lokal auch noch SMS geschrieben oder gechattet wird. Und wo zwischendurch immer wieder kurz Panik ausbricht, wenn der Akku langsam nach Ladung zu lechzen beginnt. Wo das Mobiltelefon fast schon ein integraler Bestandteil des Körpers ist, ohne den ein Leben nicht mehr vorstellbar scheint. Nur, ein Handy ist eben ein Handy. Und ein Verdampfer eben nur ein bunter Stift, den man in den Mund steckt und daran zieht.

Langzeitfolgen. Ja, vermutlich sind die dampfenden Kugelschreiber gesünder, als es Zigaretten je waren – zumindest gilt diese Vermutung, solange es noch keine Studien zu den Langzeitfolgen gibt. Vielleicht ist es für ehemalige Raucher auch ein gangbarer Weg, sich langsam vom Tabak zu entfernen. Ein Substitut, das weniger Schaden anrichtet als das Original. Doch eines muss dabei auch klar sein: Einen Coolness-Preis gewinnt man damit jedenfalls nicht. Es ist eine Parodie des Rauchens, ein Schnappen nach aromatisierter heißer Luft aus einem Gerät, das wie eine Bankrotterklärung des Rauchens wirkt. Schaut nur, was sie aus den Rauchern gemacht haben!

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 01.06.2014)