Nehmt der Spontaneität endlich das e weg

„Es war ein tolles Jahr! Danke, dass du ein Teil davon warst!“ Schön für all jene, die diesen vorgefertigten Text millionenfach auf Facebook als Resümee ihres Jahres verwendet haben. Abgesehen davon, dass 2014 vielleicht gar nicht so toll war, erschüttert aber viel mehr, mit wie wenig Individualität sich das Kollektiv so zufriedengibt. Als wäre jeder Dialog mit Kalendersprüchen und Zitaten von Paulo Coelho austapeziert schon komplett. Originalität has left the building, wie es scheint. Apropos, über die Spontaneität sollten wir auch noch reden – warum die nämlich dieses komplett widersinnige e vor der ität führt. Schon klar, das war schon im spätlateinischen spontaneus drin und hat sich über das französische spontanéité bis ins Deutsche durchgeschlagen. Wobei das mit den Franzosen ja auch so eine Sache ist – nehmen wir zum Beispiel das partielle Vigesimalsystem beim Zählen, das als Basis die Zahl 20 verwendet. Da heißt beispielsweise 96 quatre-vingt-seize, was so viel bedeutet wie viermal 20 und 16. Mon Dieu!

Dabei sind die Franzosen in anderer Hinsicht gar nicht so skurril, sondern haben im Gegenteil eine ziemlich großartige Logik installiert – das metrische System. Da ist es wiederum vor allem die Anglosphäre, die USA und zum Teil Großbritannien, die sich mit ihren Meilen, Pfunden und Gallonen nach wie vor querlegen. Nun, sie waren 1798 halt aus politischen Gründen nicht bei der Pariser Konferenz vertreten, bei der Frankreich zur Teilnahme am französisch-metrischen System eingeladen hat. Aber gut, das waren Deutschland und Russland auch nicht. Und die haben sich im Lauf der Zeit ja auch überzeugen lassen.

In diesem Sinn sollten wir uns auch im deutschsprachigen Raum zu einer sinnvollen Maßnahme durchringen: Nehmen wir der Spontaneität endlich dieses unsinnige e weg. Ansonsten vielen Dank, es war ein tolles Jahr! Danke, dass Sie ein Teil davon waren!

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 29.12.2014)

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Diese Weihnachtskolumne ist zu 27,3 Prozent erfunden

Aus Mangel an eigenen Kindern lassen sich rührende Erlebnisse rund um Weihnachten halt nicht so leicht erzählen. So auf die Art, wie der Zehnjährige dem Papa verständnisvoll ins Ohr flüstert: „Du, ich weiß eh schon seit ein paar Jahren, dass es das Christkind gar nicht gibt. Aber ich wollte dich nicht enttäuschen, darum hab ich mitgespielt.“ Also muss der persönliche Erfahrungsschatz eben mit Kuriosa aus externen Quellen aufgepimpt werden. Etwa mit Umfragen aus der Markt- und Meinungsforschung, die uns dabei helfen, das Phänomen Weihnachten besser zu verstehen. Hier erfährt man unter anderem, dass 71,7 Prozent der Österreicher schon mindestens einmal ein falsches Geschenk bekommen haben, sich das 67,8 Prozent jedoch nicht anmerken ließen – hat ja nie jemand behauptet, dass Weihnachten das Fest der Aufrichtigkeit ist. 68 Prozent streiten rund um das Fest der Liebe (das macht 50 Cent fürs Phrasenschwein) mit der Familie oder dem Partner. Zu 35 Prozent ist das Aufräumen und Putzen daran schuld, gefolgt vom Organisieren familiärer Veranstaltungen mit 27 Prozent. Letztere gehören für 72 Prozent zur Weihnachtszeit dazu – nach mageren 65 Prozent im Vorjahr ein deutlicher Anstieg. 46 Prozent backen ihre Weihnachtskekse selbst – und im Dezember legen die Anmeldungen in Fitnesscentern um etwa 20 Prozent zu. (Ja, alle diese Umfrageergebnisse gibt es wirklich!)

Immerhin, hier kann man – auch ganz ohne Kinder– aus eigner Erfahrung etwas beisteuern. 16,9 Prozent treffen bei „Stille Nacht“ auf Anhieb den richtigen Ton. 34,5 Prozent der Bonbonnieren, die unter dem Christbaum liegen, sind weitergeschenkte Firmengeschenke, auf 18,2 Prozent klebt sogar noch die Glückwunschkarte mit bestem Dank für die gute Zusammenarbeit. 57,3 Prozent der Österreicher glauben immer noch, dass Peter Rapp „Licht ins Dunkel“ moderiert. 67,2 Prozent können sich noch an weiße Weihnachten erinnern. Und etwa 77,8 Prozent der besten Geschenkideen hat man in der Woche nach Weihnachten.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 22.12.2014)

Dinge, die man unter dem Christbaum nicht hören will

Weihnachten steht vor der Tür – und ein Text, der mit diesen Worten beginnt, hat eigentlich schon verloren. Auch „Weihnachten naht mit großen Schritten“ ist ein Auswurf kreativer Einfallslosigkeit. Würde man einen Euro für jede Verwendung einer solchen vorweihnachtlichen Hohlphrase zur Seite legen, ließe sich damit eine ganze Kärntner Bank sanieren. Mit einem weiteren Euro für „leuchtende Kinderaugen“ könnten womöglich sogar die Pensionen gesichert werden, bis besagte Kinder selbst in den Ruhestand treten. Und was das hyperinflationär eingesetzte Adjektiv „besinnlich“ bedeuten soll, müsste man all die hektisch weiter über die Mariahilfer Straße hoppelnden Leute fragen, die einem gerade eben ein solches Fest gewünscht haben.

Auch unter dem Christbaum warten diverse Wörter und Sätze, die man nicht unbedingt hören möchte. „Aha“, zum Beispiel, ist der Gottseibeiuns der Reaktionen beim Geschenkeauspacken. Damit signalisiert der Beschenkte, dass er keine Ahnung hat, was er denn nun mit dem Ding, das er gerade aus dem Geschenkpapier geschält hat, anfangen soll. Oder zumindest, dass es definitiv nicht auf irgendeiner Wunschliste verzeichnet war. Gelegentlich wohnt dem „Aha“ noch der Wunsch inne, dass es sich um eine Finte handeln könnte – und unter fröhlichem Gelächter dann doch noch ein Geschenk, das man wirklich gern hätte, aus einem Versteck geholt wird. Allein, wenn die Post-aha-Stille länger als 30 Sekunden anhält, ist es wohl vorbei. Und der Schenkende kann seinerseits eine Phrase auspacken, um das schönste Fest des Jahres (höhö!) weiter in den Abgrund zu ziehen: „Du freust dich ja gar nicht!“

Ein Klassiker ist übrigens auch das „Eigentlich haben wir ja ausgemacht, dass wir uns heuer nichts schenken“. Was allerdings nur wirklich gut funktioniert, wenn beide sich nicht daran gehalten haben. Wer also jetzt noch den Verdacht hat, dass der Pakt erneut nicht halten wird, sollte sich beeilen. Denn, falls es noch nicht erwähnt wurde: Weihnachten steht vor der Tür.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 15.12.2014)

Zehn Dinge, die in Kolumnen zum Advent stehen müssen

Eigentlich wären jetzt ja 24 Tage Zeit, um täglich eine Weisheit aus einem Kalender mit schlauen Sprüchen zu ziehen. Allein, aus irgendeinem Grund hat es sich eingebürgert, Listen mit zehn, 33 oder 83 meist weitgehend irrationalen Dingen zu erstellen, die man tun muss, bis ein Ereignis eintritt – sehr häufig übrigens das finale Momentum des eigenen Todes, aber das hat ja mit Weihnachten wieder nichts zu tun. Also bitte, dann eben eine Top-Ten-Liste für die kommenden Tage.

1) Einen Wortwitz mit Punsch machen. „Punschlos glücklich“ oder jemandem „jeden Punsch von den Lippen ablesen“.

2) Am Einkaufssamstag einen Verkäufer in eine Grundsatzdebatte über Weihnachten als Orgasmus des Kapitalismus verwickeln.

3) Jedem Zehnten, der sich über „Last Christmas“ beschwert, ein fröhliches „Bingo“ entgegenrufen.

4) Arbeitskollegen, die zur Toilette gehen, einen „besinnlichen Aufenthalt“ wünschen.

5) Dem ORF-Wettermann vorsorglich einen Beschwerdebrief schicken, warum es schon wieder keine weißen Weihnachten geben wird.

6) Täglich auf die Waage steigen und mit betretenem Gesicht „aber nach Weihnachten dann“ murmeln.

7) Die Türen des Adventkalenders in der falschen Reihenfolge öffnen und dabei lauthals „Breaking the Law“ singen.

8) Darauf bestehen, dass bei der Bescherung nicht schon wieder „Stille Nacht“ gespielt wird, sondern das „Helikopter-Streichquartett“ von Karlheinz Stockhausen.

9) Die Wohnung mit Sand auslegen, Heizstrahler aufstellen und Freunde zu einer Mottoparty „Hawaii“ mit Badekleidungspflicht einladen.

10) Mit möglichst vielen Menschen, die man selten sieht, ein baldiges Treffen ausmachen. Irgendwann nach Weihnachten dann, wenn wir mehr Zeit haben, ja? Freu mich! Dann noch schöne Feiertage!

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 01.12.2014)