Willkommen in der Socken-Singlebörse

Über manche Dinge lohnt es sich wirklich nicht mehr zu schreiben. Wer heute noch Witze über Kärnten macht, ist schon retro. Wer sich über die hyperinflationäre Verwendung des Wortes „Lebensmensch“ echauffiert, hat den Anschluss ebenfalls verpasst. Auch jegliche Lob- oder Hassschrift über Punsch, Advent und dieses ganze Weihnachtsgetue ist angesichts unzähliger einschlägiger Elaborate längst hinfällig. Im Grunde ist ja zu jedem Thema eigentlich schon alles gesagt worden.

Zeit also, um sich langsam wieder auf das Wesentliche zu besinnen – das für uns ja immer wichtiger wird, wie Josef Hader es einmal formuliert hat. Reden wir über Socken. Darüber, dass schwarze Socken in der Waschmaschine unterschiedliche Formen annehmen, auf dass sie danach nie mehr ihrem Gegenüber zugeordnet werden können. Ja, eine Trennung tut weh. Reden wir daher auch über die Socken-Singlebörse, in der einzelne Söckchen verzweifelt auf die Rückkehr des Zwillings warten – oder ihn einfach nicht mehr erkennen, wenn er ausgebleicht und zu Tode geschleudert aus der Waschmaschine geholt wird.

Das Äquivalent zur Kontaktbörse à la „Love.at“ im Internet spielt sich in der analogen Welt der Socke meist irgendwo zwischen Wäscheständer und Kommode ab – mit ähnlich schlechten Aussichten, jemals die Wunschsocke leibhaftig zu Gesicht zu bekommen. Geben Sie es zu, auch Sie haben einen solchen Hügel der einsamen Socken, auf dem in unregelmäßigen Abständen ein – in der Regel erfolgloser – Versuch gestartet wird, aus den textilen Singles doch noch Pärchen zu bilden. Und kommen Sie mir jetzt nicht mit Sockenklammern. Denn über manche Dinge lohnt es sich wirklich nicht nachzudenken.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 24.11.2008)

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Wer hat Angst vor Virginia Wurst?

Grundsätzlich ist es ja schön, wenn Freunde an einen denken. Nachdenklich kann es allerdings stimmen, bei welchen Gelegenheiten das passiert. Wenn etwa in „Willkommen Österreich“ ein Kochbuch mit dem schönen Titel „Zum Scheißen reicht’s“ vorgestellt wird, muss man in der Assoziationskette ja nicht unbedingt an vorderster Front stehen, könnte man meinen. Genau da bin ich allerdings kürzlich gelandet: „Das wäre das perfekte Weihnachtsgeschenk für dich!“

Tatsächlich haben Kochbücher, die mehr sind als nur Rezeptsammlungen, ihren Reiz. Man denke an „Küche totalitär“, Wladimir und Olga Kaminers Kochbuch des Sozialismus, in dem die postsowjetische Küche mit launigen Beschreibungen einzelner Regionen garniert wird. Oder der von Droste/Heidelbach/Klink gestaltete Band „Wurst“, der mit Bonmots à la „Wer hat Angst vor Virginia Wurst?“ das Kochbuchgenre in literarische Höhen trägt.

Einen eher unfreiwilligen skurrilen Charme hat auch das „What Would Jesus Eat Cookbook“, in dem Autor Don Colbert Rezepte vorstellt, die auf biblischen Prinzipien beruhen. Kern der Jesus-Diät sind Tipps, wie man sie auch aus modernen Ernährungsberatern kennt – Vollkorn, wenig Fleisch, langsam essen & Co. Spektakulärer ist da schon das E-Book „Cooking With Balls – The Testicle Cookbook“ (www.yudu.com/testicles). Autor Ljubomir Erovic – der Serbe organisiert auch die jährlichen World Testicle Cooking Championships – erklärt, wie man Hoden richtig zubereitet und schmackhafte Gerichte wie Hodenpizza zaubert. Ja, das gibt es wirklich. Ganz im Gegensatz zum anfangs genannten „Zum Scheißen reicht’s“, das nur ein Gag war. Schade, eigentlich. Unter dem Weihnachtsbaum hätte sich das sicher gut gemacht.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 17.11.2008)

Wie unsere Jugend wirklich tickt

Die Jugendforscher haben versagt. Da wird in elaborierten Vorträgen von Lebensstilen, Konsum- und Freizeitverhalten gesprochen, die Jugendlichen in Gruppen wie die „Lohas“ (das steht für „Lifestyle of Health and Sustainability“ und bezeichnet das Verhalten, dass man Geiz gar nicht so geil findet) eingeteilt und Sport als das neue verbindende Element der Jugendkultur prophezeit. Und dann muss man am Samstag in „Wetten, dass . . . ?“ (Ich bin nur kurz beim Zappen hängen geblieben, ehrlich!) zwei Mädchen beobachten, die sämtliche Vorstellungen, wie unsere Jugend tickt, über den Haufen werfen: Die eine sitzt in der Badewanne und bläst Popsongs in das Quantum Schaum (Ist Ihnen das Wörtchen „Quantum“ vor dem neuen Bond-Film eigentlich schon jemals in einem Zeitungsartikel begegnet? Aber das nur nebenbei . . .) in ihren Händen, die andere erkennt an der Bewegung des Schaums das dazupassende Lied. Und das Erstaunliche daran – es funktioniert.

Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein, spult sich irgendwo im Hinterkopf der alte Tocotronic-Song ab. Doch, liebe Jugendforscher, welche Jugendbewegung haben wir da vor uns? Warum sind uns in euren Berichten zwischen HipHop, Krocha & Co. noch nie jene Jugendlichen begegnet, die den Lifestyle of a new Generation zwischen Bergen aus Seifenschaum in der Badewanne ausleben? Haben wir womöglich die Gruppe der „Lobstas“ (so etwas wie „Lifestyle of Bathrooms singing Tokio Hotel“) einfach übersehen? Wenn wir schon dabei sind, wie sieht die Gegenbewegung jener Jugendlichen aus, die keine Badewanne daheim haben? Und können beunruhigte Eltern jetzt endlich die besorgten Fantasien ad acta legen, was sich bei einer Schaumparty in einer Großdisco wirklich abspielt?

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 10.11.2008)

Märtyrer des Kapitalismus

Das Jammern als Gruß gehört längst nicht mehr exklusiv den Kaufleuten. So mancher, der durch die Anlage seines Geldes in Wertverlustpapiere höchstens an Erfahrung gewonnen hat, lässt das zumindest implizit auch durchklingen. Nicht verbittert, versteht sich, man steht ja drüber. Und fühlt sich mit 30 Prozent weniger Geld im Depot fast schon als Märtyrer des Kapitalismus. Das geht übrigens auch ohne Wertpapiere – ein simpler Verkauf bei eBay kann genauso das Gefühl hervorrufen, am Scheiterhaufen der Ökonomie verbrannt zu werden.

Da war etwa kürzlich dieser Formel-1-Kalender aus dem Jahr 1997, der plötzlich beim Ausmisten in der Wohnung auftauchte – mit Autogrammen von Michael Schumacher, Gerhard Berger und weiteren Fahrern. Ein Geschenk eines Bekannten, der ihn von Heinz Prüller höchstpersönlich bekommen hat. Und jetzt? In den Müll damit? Nein, versteigern wir das Stück bei eBay – ein Formel-1-Fan könnte sich ja darüber freuen. Und tatsächlich, ein echter Fan bekam den Zuschlag. Als einziger Bieter. Für einen Euro. Na immerhin.

Die Versandkosten, zuvor mit einem eigenen Tool auf eBay aufwändig berechnet, sollten bei 9,50 Euro liegen. Wenige Tage später hatte der Käufer aus Deutschland 10,50 Euro überwiesen. Alles perfekt, Ware wird verschickt. Allein, für den etwas außerformatigen Kalender (43 x 31 cm) fand sich bei der Post kein passendes Kuvert. So musste es eben ein spezieller Karton sein (1,50 Euro). Ein Karton, der leider noch ein bisschen außerformatiger war – und deshalb als Paket verschickt werden musste. Für 12,83 Euro (plus 0,13 Euro Lkw-Maut). Am Ende zeigte die Kurve steil nach unten, wies die Bilanz ein Minus von 3,96 Euro aus. Liebe Anlagegeschädigte, liebe Investmentbanker, ich fühle mit euch.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 03.11.2008)