Die kältesten Maie aller Zeiten

Der Plural kann ein Hund sein. Vor allem bei Wörtern, die selten mehr als einmal gemeinsam im selben Raum auftauchen. Wie lautet etwa die korrekte Bezeichnung, wenn man den Mai – der heuer so furchtbar war, wie nur wenige vor ihm – in einen Kontext mit all den anderen vor ihm setzen will? Instinktiv würde man wohl von Mais sprechen – korrekt wären allerdings Maie, wie Kollege Dieter Chmelar auf Twitter festhielt. Und nachlegte, dass der Plural von Mais wiederum Maise wäre, aber das nur nebenbei. Tatsächlich haben auch Monate Plurale. Die Februare, die Märze, die Aprile, irgendwann werden wir auch die Junis der vergangenen Jahre mit dem aktuellen vergleichen – und bei den Julis muss man nicht zwangsläufig an Junge Liberale denken. Danach wären die Auguste an der Reihe. Das war es aber auch schon: Alle anderen Monate klingen im Plural genauso wie im Singular – ob zwei Jänner oder sieben Dezember, ganz einfach.

Wie auch immer, die Maie waren jedenfalls schon einmal besser. Aber vermutlich geht es dem aktuellen damit nicht viel anders als Richard Lugner. Der sagt nämlich, wie das „Seitenblicke“-Magazin „exklusiv“ enthüllt hat: „Was die Leut‘ über mich sagen, ist mir egal!“ Uns eigentlich auch.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 29.05.2013)

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Vom solitären Vergnügen, allein essen zu gehen

Allein essen zu gehen ist eine solitäre Angelegenheit. Was nicht zwangsläufig negativ sein muss, auch wenn viele davor zurückschrecken – und sich lieber daheim mit einer Pizza Solo zurückziehen. Wobei das Problem am Einzeltisch im Restaurant ja weniger das Essen selbst ist, sondern die Beschäftigung zwischendurch. In Gaststätten mit Fernseher ist das weniger das schwierig, da schaut man im Notfall sogar Fußball oder bosnische Musikvideos – Hauptsache, es bewegt sich. Doch soll es auch Lokale ohne Berieselung von der Wand geben, und hier muss der Alleinesser Eigeninitiative ergreifen. Der Buchleser signalisiert, indem er auch während des Essens nicht vom Lesen ablässt, dass er mit sich selbst im Reinen ist und keine Tischgesellschaft braucht. Der Zeitungsleser macht auch gute Figur, solange das Großformat nicht mit einem Eck in die Suppe hängt. Und nicht zuletzt kann man sich ja auch mit seinem Handy beschäftigen. Die Spezies des permanenten Mail-Checkers oder Surfers gehört heute zu den am weitesten verbreiteten unter den Alleinessern. In Lokalen im Ausland ohne W-LAN und mit hohen Roamingkosten blättert man dann eben im Instagram-Archiv.

Neben all diesen solipsistischen Essern kennt man auch noch die Beobachter, die sich vom Treiben im Lokal unterhalten lassen. Die Schauer, die mit ihren Blicken Löcher in die Luft zu bohren scheinen. Die Auf-den-Boden-Starrer, die Kerzen- und Glühbirnenzähler, die Salzstreuerspieler, die Zahnstocherbastler, die Serviettenbekritzler, die Bierdeckelarchitekten. Und nicht zuletzt die – ziemlich unsouveränen, wenn Sie mich fragen – Kellner-in-ein-Gespräch-Verwickler. Denn letztere Gruppe signalisiert allzu deutlich, dass man eigentlich lieber in Gesellschaft wäre. Dabei kann allein essen gehen wirklich etwas sehr Spannendes sein. Vor allem dann, wenn man nachher darüber eine Kolumne schreiben kann. Geht halt nur einmal…

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 27.05.2013)

Die Einfallslosigkeit von Reiseführerautoren

Am Anfang war das Wort, am Ende die Phrase. Doch hat genau dieses Eingeständnis der Einfallslosigkeit viele Bereiche unseres Lebens fest im Griff. Nicht nur im deutschen Schlager, bei dem die unheilige Endreim-Allianz aus Herz und Schmerz in einer Möbiusschleife über den Äther gejagt wird, sondern auch in der englischsprachigen Populärkultur, wo Fire und Desire regelmäßig ihre gute Nachbarschaft begießen. Doch auch die nicht musikalisch schreibende Kaste – um nicht Zunft zu sagen, was ja auch wieder nur eine totgelutschte Formulierung wäre – bedient sich allzu oft dieses Falschgelds der Kommunikation. Wie oft noch muss ein ambivalentes Phänomen mit der Frage „Lust oder Frust“ oder – ohne Reim – „Fluch oder Segen“ betitelt werden? Will man schon Sprüche klopfen, sollte man dafür doch, bitte schön, wenigstens gutes Werkzeug verwenden. Abgesehen davon sind Formulierungen wie „ein Mensch mittleren Alters“ derart dünn, dass der Informationswert gleich dem sprachlichen Vergnügen am liebsten unter dem Bett verschwinden und heulen würde.

Nun ist schon klar, dass unter Zeitdruck gern auf Elemente aus dem Sprachbaukasten zurückgegriffen wird, doch manche Bausteine sind derart abgegriffen, dass sie keine Kanten mehr haben und die Beschriftung nur noch hinter fettiger Patina durchscheint. In Reiseführern begegnet man etwa durchwegs der Formulierung: „Land der Gegensätze“. Selbstverständlich gibt es die, doch was ist das Alleinstellungsmerkmal für ein bestimmtes Land? Natürlich ist die Wüste Nevadas anders als die weitläufigen Wälder von, sagen wir, Illinois. Natürlich gibt es einen Gegensatz zwischen der pulsierenden Metropole (ups!) Moskau und der sibirischen Steppe. Ja, selbst im Vatikan ließen sich wohl zwei Gegenpole finden, die man dann so taxieren könnte. Fällt uns denn nichts anderes ein, um ein Land zu beschreiben? Hugh, ich habe gesprochen!

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 13.05.2013)

Die begrenzte intellektuelle Kapazität der Miesmuschel

Gibt es eigentlich noch jemanden, der die Assoziation des italienischen Begriffs für Miesmuschel mit dem Erbrechen lustig findet? Der Kellner in der Pizzeria, der zum hundertsten Mal „Pizza mit Kotze, höhöhö“ aufnehmen musste, vermutlich nicht. Das ist übrigens ähnlich originell, wie im Wiener Wirtshaus nach der „zweitgrößten Leber“ zu fragen oder die gebackenen Champignons mit „Sauce Trara“ zu ordern. (Von den Zeitgenossen, die beim Chinesen „Flühlingslolle“ bestellen, reden wir gar nicht erst.) Kleine anarchische Scherzchen mit der Sprache sind trotzdem nicht gänzlich verboten – so wie kürzlich vor einer kleinen Trattoria, die stolz die Spezialität des Tages auf einer Kreidetafel vor dem Eingang ankündigte. Und ein Gast mit einem kleinen Fingerwischer aus „PEPATA DI COZZE“ ein „DEPATA“ machte. Zumindest ein bisschen Schmunzeln war erlaubt, immerhin war das eine intellektuelle Eigenleistung, die (noch) nicht im Buch der gesammelten Kalauer steht. Bitte trotzdem nicht nachmachen – viel öfter funktioniert der Schmäh nicht einmal in Wien!

Apropos Meeresgetier – manchmal ist es nicht der Wortwitz, sondern der Gedanke dahinter, der verstört. Etwa bei einer neuen Mitarbeiterin einer Umweltschutzorganisation, die weniger wegen ihrer besonderen Affinität zu Natur und Nachhaltigkeit als ihrer organisatorischen Fähigkeiten eingestellt wurde. Und die in der ersten Mittagspause gleich einmal Socializing mit den neuen Kollegen über das Essen versucht: „Also ich mach mir jetzt einen Thunfischsalat, will noch jemand?“ Derartige kleine Gedankenlosigkeiten sind selten böse gemeint – und können doch genau so ankommen. Auch wenn es nicht ums Essen geht. Etwa dann, wenn die türkischstämmige Hotelrezeptionistin in Hamburg beim Auschecken „Gute Heimreise“ wünscht – und man ihr gedankenverloren und ein wenig harsch entgegenschmettert: „Ihnen auch!“

(“Die Presse”, Print-Ausgabe, 06.05.2013)