Wie mich Produktdesign zu einer Frau machte

Männer mögen es angeblich, sich beim Chipsessen die Finger abzulecken. Wenn das Konfuzius wüsste.

Konfuzius sagt: „Wenn du das, was du gerade im Rucksack suchst, nicht eingepackt hast, wirst du es nicht finden, und wenn du noch so lang darin herumwühlst.“ Wie ein chinesischer Philosoph zur Zeit der Östlichen Zhou-Dynastie dieses Chaos zwischen Duschgel, einem Buch, einem Magazin, zwei Packungen Chips und viel zerknülltem Papier in einer Umhängetasche gedanklich vorwegnehmen konnte, ist eine gute Frage. Und noch interessanter ist, dass das Klischee der Tasche als Schwarzes Loch, in dem gerade das, was man sucht, im Ereignishorizont verschwindet, an sich auf Frauen gemünzt ist – Handtasche, groß, viel Zeug drin, Sie wissen schon. Lauscht man den Worten von Indra Nooyi, wird es in dieser Hinsicht sogar noch interessanter: „Frauen lieben es, Chips in ihren Handtaschen herumzutragen“, sagte die Geschäftsführerin von Pepsi Ende Jänner in einem Interview mit dem Podcast Freakonomics Radio. Aha. Deshalb plane der Konzern übrigens, Chips künftig in kleineren Packungen anzubieten, damit man sie überallhin mitnehmen kann.

Doch meine Frauwerdung ist damit noch nicht abgeschlossen. Denn laut Nooyi lecken junge Männer beim Chipsessen ihre Finger ab und leeren die letzten Brösel aus der Packung in ihren Mund. Frauen hingegen würden das nicht tun. So wie sie auch nicht gern in der Öffentlichkeit laut knabbern. Darum arbeite Pepsi an Low Crunch Chips für Frauen, die weniger Lärm beim Kauen machen und bei denen nicht so viel an den Fingern kleben bleibt. Als jemand, der Chips am liebsten mit Messer und Gabel essen würde, um die Finger nicht mit Bröseln zu panieren, finde ich den Vorschlag gar nicht schlecht. Und der Kaulärm des Sitznachbarn im Kino ist auch mir ein Dorn im Ohr. Nur muss man deswegen eine Frau sein? Nun, das ist vermutlich wieder so ein Geschlechterklischee. Sagt zumindest Konfuzius.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 05.02.2018)

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Irgendwann ist nur ein längeres Wort für nie

Wie heißt es so schön: Wer „Wie heißt es so schön“ sagt, kann damit fast jeden Unsinn verkaufen.

Wie heißt es so schön: Das Wort „nun“ ist im Grunde nur der Buchstabe n, der einen Purzelbaum schlägt. Und was lernen wir daraus? Vor allem, dass man jedem Unsinn eine Aura des Wahrhaftigen umhängen kann, indem man ihn zu einem Aphorismus verklärt. (Sie wissen schon, das ist so ein Satz, der rhetorisch kunstreich zum allgemeinen Sinnspruch gemacht wird, den man dann auf T-Shirts drucken kann.) Das geht zum Beispiel, indem man ein „Konfuzius sagt“ voranstellt. Oder eben, indem man etwas schön heiß macht. Denn wie heißt es so schön: Das Leben ist der peinliche Moment zwischen Geburt und Tod. Sie verstehen den Mechanismus? Auf diese Weise könnte man Unbedarften vielleicht sogar erklären, dass Giuseppe Verdis Oper „Aida“ in ihrer ursprünglichen Fassung „Oida“ hieß und in Ottakring spielte, ehe sie italienisiert und die Handlung nach Ägypten verlegt wurde.

Immerhin, hinter manchem derart geschaffenen Aphorismus steckt auch ein bisschen Wahrheit. Wie heißt es etwa so schön: Irgendwann ist nur ein längeres Wort für nie. Das ist ein spannender Ansatz, den wir irgendwann einmal gemeinsam besprechen sollten. Und auch technische Fragen lassen sich damit versinnvollen (Und sagen Sie jetzt nicht, dass es dieses Verb gar nicht gibt! Bedarf dafür gibt es nämlich auf jeden Fall.) Wie heißt es zum Beispiel so schön: Ich habe den Festnetzanschluss nur noch, damit ich mein Handy anrufen kann, wenn ich es wieder einmal nicht finde. Ein anderer Begriff für derartige Zitate ist übrigens jenes vom geflügelten Wort. Und nein, ein Vogel erfüllt zwar beide Voraussetzungen – er ist ein Wort und hat Flügel –, aber die Voraussetzungen für einen Aphorismus fehlen ihm dann doch. War das jetzt halbwegs verständlich? Falls nicht, hier noch einmal zur Verdeutlichung der Grenzen des heißen Schönen: Wie heißt es so schön: Vogel.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 14.08.2017)

Gib jemandem langsames Internet und dann warte

Durch nichts erfährt man mehr über den Charakter eines Menschen als bei quälend langsamem WLAN.

Wenn Sie etwas über den Charakter eines Menschen erfahren wollen, geben Sie ihm eine langsame Internetverbindung. Hätte es zu Zeiten von Konfuzius schon Internet gegeben, hätte man vor diesen weisen Satz auch ein „Konfuzius sagt“ stellen können, so viel Wahrheit steckt darin. Erschwerend können Sie noch eine zusätzliche Aufgabe damit verknüpfen, etwa einen Flug zu buchen. Wenn Sie dann lang genug am Fluss sitzen, sehen Sie irgendwann die Leiche Ihres Feindes vorbeischwimmen, um mit einem weiteren chinesischen Sprichwort fortzufahren. Gut, es muss nicht unbedingt ein Feind sein, und den Tod will man auch niemandem wünschen, aber im übertragenen Sinn kann man mit einer solchen Aufgabenstellung jemanden in den Wahnsinn treiben, ohne dass man sich selbst dabei wahnsinnig anstrengen muss.

Spätestens dann, wenn der Proband schon so ärgerlich ist, dass er am liebsten IN VERSALIEN SPRECHEN würde, sollte der Versuchsaufbau aber beendet werden. Dann hatte man ja schon seinen Spaß beim Beobachten. Wie die Augen sich weiten, die gerade noch lockere Hand sich immer mehr zusammenballt. Und der Mensch am Computer von Minute zu Minute auf der nach unten offenen Frustskala weiter hinabklettert. Viel lässt sich dabei herausfinden. Ob die Person ein Sanguiniker ist, der trotz allem locker bleibt. Ein Phlegmatiker, der irgendwann die Aufgabe zur Seite legt. Ein Melancholiker, der den Kopf traurig auf seine Hände stützt. Oder ein Choleriker, der die Tasten des Rechners am Ende wie ein Schlagzeug bearbeitet. Und abgesehen davon findet man auch etwas über sich selbst heraus: Wer sich am Unglück anderer weidet, wird irgendwann auch eine schlechte Internetverbindung haben. Hätte Konfuzius sicher gesagt – wenn sein WLAN damals nicht auch so verdammt langsam gewesen wäre.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 22.02.2016)

Fun Fact: Adam Riese hieß gar nicht Adam Riese

Wussten Sie, dass die Einleitung „Fun Fact“ heute dafür steht, was früher „Wussten Sie, dass?“ hieß?

Jede Zeit hat ihre Sprüche. So wie man Anfang der 1990er eben „Ja, das stimmt“ sagte, frei nach Mini Bydlinskis Toni-Polster-Parodie, und Mitte der 1990er auf das Alfred-Dorfer’sche „Danke, ganz lieb“ wechselte, findet sich auch im heutigen Sprachgebrauch die eine oder andere Konstante. Zuletzt etwa ein Anglizismus, der vor allem im Internet eingesetzt wird: „Fun Fact“. Zu finden ist die lustige Tatsache vor mittlerweile fast jedem Satz, der einen gewissen Informationsgehalt beansprucht und im besten Fall auch noch eine Überraschung beinhaltet, die beim Lesen für ein Schmunzeln sorgen könnte. Dinge also, die auch in den um die Jahrtausendwende beliebten Handbüchern des nutzlosen Wissens und ihren Epigonen zu finden waren. Im Gespräch hätte man früher mit einem „Wussten Sie, dass?“ begonnen.

So erfährt man, dass Adam Riese, der Vater des modernen Rechnens, in Wirklichkeit Adam Ries hieß. Und die Redewendung „nach Adam Riese“ darauf zurückgeht, dass zu seiner Zeit Personennamen dekliniert wurden – und beim Dativ eben ein -e angehängt wurde. Interessant auch, dass wenn man in China mit Daumen und Zeigefinger dem Kellner eine Zwei für zwei Bier signalisiert, acht Bier bekommen wird. Was daran liegt, dass dort mit einer Hand bis zehn gezählt werden kann. Die Nationalhymnen von Finnland und Estland haben die gleiche Melodie. Der Wüstenstaat Saudiarabien importiert Sand aus Schottland und Kamele aus Australien. Und ein Viertel der weltweiten Haselnussernte landet in Nutella.

Fun Fact: So manches vorangestellte „Fun Fact“ suggeriert einen Wahrheitsgehalt, der einer genauen Recherche nicht standhält – so wie etwa auch „Konfuzius sagt“ immer wieder dazu dient, so manche sinnlose Aussage zu legitimieren. Abraham Lincoln hatte schon recht, als er sagte: „Das Problem mit Zitaten aus dem Internet ist, dass man nie weiß, ob sie echt sind.“

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 23.03.2015)

Wie die Waschmaschine die Konzentration sabotiert

Konzentration ist jener Zustand, der nach langem Warten darauf genau dann einsetzt, wenn die Waschmaschine fertig ist. All die Mühsal, sich in die richtige Stimmung zu versetzen, um endlich mit der Arbeit zu beginnen, ist in diesem Moment umsonst. Schließlich muss man sich vom Schreibtisch erheben und die Wäsche aus der Trommel holen. Im nächsten Moment feststellen, dass auf dem Wäscheständer noch die Wäsche vom vorherigen Waschgang hängt. Und sich in den folgenden Minuten über weitere Exponate in der umfangreichen Einzelsockensammlung freuen.

Sind T-Shirts und Unterhosen zusammengelegt, die feuchten Wäschestücke zum Trocknen aufgehängt, ist der Platz vor dem Computer wieder eingenommen und sind die Gedanken gerade dabei, sich wieder zusammenzurotten, meldet sich in der Regel das Mobiltelefon zu Wort. „Du hast 75 Prozent deines Datenvolumens erreicht“, informiert der Betreiber. Ja, vielen Dank, vor lauter Vorfreude auf diese Nachricht konnte man ja ohnehin schon nächtelang nicht mehr schlafen.

Ähnlich mag es auch den Polizisten in Gmunden gehen – sie werden seit mehr als zwei Wochen nächtens hunderte Male von Notrufen, bei denen sich am anderen Ende niemand meldet, aus der Konzentration gerissen. Und die wohl von einem Handy ohne Sim-Karte getätigt werden, das deswegen auch nicht geortet werden kann.

Um die Konzentration ob all der Störungen wieder in Lauf zu bringen, hilft übrigens das Versinken in meditative Kontemplation. Beim Warten auf den Bus im nasskühlen Nebel, zum Beispiel. Den Kopf tief in der Kapuze verborgen, die Hände unter die wärmende Jacke gesteckt, kann es dann durchaus passieren, dass einer jener berühmten Augenblicke der Erleuchtung kommt. Und man einen Eintrag in sein persönliches Buch der gesammelten Weisheiten machen kann. So à la: Konfuzius sagt, während du seit 15 Minuten auf den 10A wartest, ist er in die Gegenrichtung schon dreimal gekommen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 20.01.2014)

Konfuzius sagt: Rede keinen Blödsinn!

Der größte Unsinn kann plötzlich sehr plausibel klingen, wenn man ihn richtig verpackt. So kann man sein Gegenüber mit jedem beliebigen Satz in Verlegenheit bringen, indem man jene offenkundige Weisheit einfach einer moralischen Autorität zuordnet. „Konfuzius sagt . . .“ ist die wohl mit Abstand bekannteste Variante. Und so gut wie immer ein Treffer, schließlich haben sich die wenigsten jemals mit den Lehren des chinesischen Philosophen beschäftigt. Wobei, ein bisschen raffiniert sollte die Weisheit schon klingen, denn „Konfuzius sagt, kannst du mir bitte mal die Butter reichen“ wird Ihnen nicht einmal der dümmste Gesprächspartner abnehmen.

Sollten Sie nicht gerade mit einem Bibelforscher parlieren, bietet sich auch ein „Schon in der Bibel steht geschrieben . . .“ an, um in einem Dialog eine Legitimation vorzutäuschen. So wie man auch nahezu jeden Unsinn glaubhaft loswerden kann, wenn man ihn einfach Kant, Nietzsche oder Hegel zuschreibt. Besteht Ihr Freundeskreis nicht aus Philosophiestudenten, geht das ziemlich sicher durch. Ansonsten leiten Sie einfach ein mit: „Britische Forscher haben herausgefunden, dass . . .“ Damit verleihen Sie Ihren Worten den nötigen Hauch von Seriosität, bleiben aber unbestimmt genug, um nicht festgenagelt werden zu können. Den gleichen Effekt erreicht man, indem man am Ende seiner Ausführungen ein „Das ist wissenschaftlich bewiesen“ hängt. Mit derartigen Tricks kann man sich übrigens auch argumentativ verteidigen, wenn Ihnen jemand mit den Ergebnissen einer Studie kommt. Dann antworten Sie einfach: „Laut einer amerikanischen Studie sind 67,3 Prozent aller Studien gefälscht!“

Und noch eine Weisheit darf ich Ihnen am Ende dieser Kolumne mitgeben: Konfuzius sagt, wer alles glaubt, was er liest, sollte besser aufhören zu lesen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 25.10.2010)