Essen in der U-Bahn

Fast alle sind dagegen, viele wollen sogar ein Verbot: Essen in der U-Bahn an sich ist aber gar kein Problem – solange man es mit Stil macht. Ein Plädoyer für Messer und Gabel.

Verbote sind typisch für Österreich. Kein Wunder also, wenn sich in einer Umfra ge der Wiener Linien 70 Prozent der über 40-Jährigen für ein Essverbot in den öf fentlichen Verkehrsmitteln aussprechen. Dabei ist die Zufuhr von Nahrung in der U-Bahn gar nicht das wirkliche Problem. Die eigentliche Krux liegt darin, dass der Wiener einfach keinen Stil hat und diesen Mangel bei der Nahrungsaufnahme auch deutlich zur Schau stellt.

Das beginnt bei olfaktorischen Merkwürdigkeiten wie dem klassischen Lehrlingsmenü (Leberkäsesemmel mit Red Bull) und endet bei entwürdigenden Szenen, in denen sich ganze Weckerlinhalte beim Hineinbeißen über den Fahrgast oder das Interieur des Waggons verteilen. Fairerweise muss man anmerken, dass die Wiener Linien nicht wahnsinnig viel tun, um den Menschen eine etwas stilvollere Nahrungsaufnahme zu ermöglichen.

Würden sie sich nämlich dazu entschließen, ihre Garnituren endlich so aufzurüsten, dass die Fahrgäste ihren Mittagssnack mit Messer und Gabel essen, ihren Eistee aus einem echten Glas trinken könnten, würde sich wohl so mancher besinnen. Derzeit, und hier beginnt der eigentliche Selbstversuch, ist es jedenfalls mit einigen Mühen verbunden, gepflegt im U-Bahn-Waggon zu speisen. Wo soll man etwa sein Tischchen aufbauen? Gottlob finden sich schnell zwei leere Plätze, auf einem davon wird gedeckt – Tischtuch, Teller, Besteck, so viel Zeit muss sein. Auf dem Speiseplan steht Rindergeschnetzeltes mit Artischocken und Fettuccine, gegessen wird mit Besteck.

Wackelige Angelegenheit. Die langen Nudeln waren rückblickend vermutlich keine so gute Idee, denn das Aufwickeln fällt im wackeligen Waggon etwas schwer. Das Glas mit dem Eistee schwankt  einige Male bedrohlich, wenn der Zug abrupt bremst. Und auch die Sitzposition – schräg zum linken Platz geneigt – ist nicht ganz so bequem wie ein Sitz am Tisch. Aber eine größere Sauerei als ein sich selbst zerlegender Kebab ist es auch wieder nicht.

Da sitze ich nun, der kulinarische Robin Hood urbaner Fortbewegungsmittel, und warte auf empörte Blicke, den Ruf nach Verboten oder Schlimmerem. Doch die Fahrgäste dürften nicht zu jenen gehören, die in der Umfrage der Wiener Linien die Mehrheit stellten. Im Gegenteil. Freundlich lächelnd und sehr interessiert mustert die Dame schräg gegenüber die Szenerie; ein Ehepaar betont, dass es sich nicht belästigt fühlt. Und schließlich fragt ein junger Fahrgast sogar, ob er mit seinem Handy ein Foto machen darf. Das wiederum beweist: Stilvolles Essen in Öffis stört niemanden. Würden also mehr Menschen gesittet mit Messer und Gabel in der U-Bahn speisen, könnten wir uns die Debatte über Verbote sparen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 05.07.2009)

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Wenn die Welt auf dem Kopf steht

Wie fühlt sich Trinken im Handstand an? Wichtigste Erkenntnis: Selbst mit einem Strohhalm ist es ziemlich mühsam.

Wenn die Welt Kopf steht, heißt es kühlen Kopf zu bewahren. Und sich auf die geänderten Bedingungen einzustellen. Leichter geht das, wenn man den Fall der Fälle schon einmal geübt hat. Die auf dem Kopf stehende Welt wird dabei durch einen kopfüber stehenden Körper simuliert. Wie können unter diesen Umständen die für das Leben notwendigen Grundbedürfnisse verrichtet werden? Nun weiß man, dass man ohne feste Nahrung bis zu 30 Tage überleben kann, ohne Flüssigkeit dagegen nur maximal drei bis fünf. Trinken ist also als Bedürfnis Nummer eins identifiziert. Na, dann üben wir mal.

Zurück zum Turnunterricht. Der erste Teil der Übung ist die Rückbesinnung auf sportliche Tugenden, die seit dem Turnunterricht in der Schule ein wenig zu kurz gekommen sind. Wie ging noch mal der Handstand? Sicherheitshalber kommt eine Wand als Hilfe zum Einsatz – sagt ja niemand, dass in einer auf dem Kopf stehenden Welt plötzlich alle Hausmauern verschwunden sind. Nach einem eleganten Perspektivenwechsel zeigt sich die erste Schwierigkeit der Versuchsanordnung: Wenn die Arme das Gewicht des Körpers tragen müssen, fällt der Griff zum Glas schwer. Und die Zehenfertigkeit des Menschen ist doch nicht so stark ausgeprägt, dass man damit eine Flasche Eistee zum Mund führen könnte. Es braucht also Hilfsmittel.

Ein Strohhalm bietet sich an. Tatsächlich könnte der rosa Flexi-Trinkhalm eine große Erleichterung sein – wenn nicht das Glas zu niedrig wäre und der Mund so hilflos nach dem Ende des Halms schnappt. Dachte nicht, dass die verkehrte Welt so kompliziert sein würde. Aber gut, muss eben ein höheres Trinkgefäß her. Die Kombination aus Sektflöte und Strohhalm wird wohl die richtige Höhe haben. Sollte sie auch, denn langsam beginnen die Arme zu schmerzen.

Eistee in der Nase. Endlich sind die technischen Voraussetzungen geschaffen, und der Strohhalm ist zwischen die Lippen geklemmt. Jetzt beginnt der Kampf gegen die Schwerkraft, der Härtetest für die Peristaltik der Speiseröhre. Langsam quält sich der Eistee bergauf, landet im Mund. Und siehe da, der Schluckreflex funktioniert, das Getränk wandert in den Magen. Das Glas in einem Zug auszutrinken fällt allerdings nicht ganz so leicht. Denn irgendwann macht das Trinken keinen Spaß mehr. Das Schlucken fällt schwerer, die Arme schmerzen immer stärker. Zeit, die Welt wieder zurechtzurücken. Ein Perspektivenwechsel, der für eine dezente Eisteenote in der Nasenhöhle sorgt. Was bleibt am Ende? Die Erkenntnis, dass die verkehrte Welt mit einigen Mühen verbunden ist. Sollte es dennoch einmal dazu kommen, sollten Sie aber auf jeden Fall eine Sektflöte und einen Strohhalm dabeihaben. Nur, falls Sie Durst bekommen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 14.06.2009)

Beine enthaaren

Manche Dinge kann man sich nur vorstellen, wenn man eine Frau oder ein Radrennfahrer ist. Aber wie fühlt es sich an, seine Beine zu enthaaren? Eines vorweg, es dauert . . .

Für Ästheten ein schrecklicher Anblick.“ Mit diesen Worten wurden vergangenen Sonntag in diesem Blatt meine behaarten Beine bedacht. Gut, man ist ja lernfähig und will den Freunden der Ästhetik keine schlaflosen Nächte bereiten – also runter damit. In Gesprächen mit erfahrenen Enthaarern lernte ich zunächst, dass es gleich mehrere Wege gibt, sich des Buschwerks zu entledigen – und dass der Großteil davon eher schmerzhaft sein soll. „Du wirst schreien“, meinte etwa die Freundin, die grinsend ihren Epilierer aus dem Badezimmer kramte. Völlig emotionslos war hingegen der Gesichtsausdruck der Verkäuferin im Drogeriemarkt, als sie Kaltwachsstreifen und Enthaarungscreme über die Kassa zog.

Einen ganz so phlegmatischen Blick schaffe ich daheim nicht, als der erste Wachsstreifen mit einer beherzten Handbewegung ein paar hundert Haare von meinem Unterschenkel reißt. Aber so schlimm ist es auch wieder nicht. Lustig sieht er aus, der gerodete Streifen. Mehr schon nicht. Und der Epilierer? Auch kein Drama. Das Gefühl dabei ist nicht mehr als ein etwas intensiveres Kitzeln. Bleibt noch die Enthaarungscreme, die von der Anwendung her wohl am gemütlichsten ist. Mit einer Spachtel auftragen, fünf Minuten eine rauchen gehen, mit der Spachtel das Schaum-Haar-Gemisch abkratzen. Fertig. Wieder ein paar Quadratzentimeter freigelegt. Wo ist das Problem?

Die Mühen der Ebene. Der Anruf einer Freundin unterbricht die Enthaarungszeremonie – mit drei Landebahnen auf den Unterschenkeln geht es zu einem spontanen Abendessen. Bei dem ich stolz erzähle, dass Enthaaren ja überhaupt nicht wehtut, wie kann man nur so wehleidig sein und überhaupt. Stolz rolle ich ein Hosenbein auf – sehr zum Gaudium des Gegenübers: „Du hast ja nur an den Stellen enthaart, wo es am wenigsten wehtut!“ Aha, an den Innenseiten soll es also schmerzhafter sein. Und an den Knien erst. Interessant, dürfte also noch ein längerer Abend werden . . .

Und tatsächlich werden die Mühen der Ebene spürbar, wenn es um mehr geht als nur einen Streifen aus dem Busch zu reißen. Beim sechsten Wachsstreifen beginnt das Gefühl, dass es mühsam wird – der Kniebereich ist wirklich eher schmerzhaft zu roden. Der Epilierer wird auch langsam nervig, wenn er sich immer wieder in den Haaren festfrisst. Und die Enthaarungscreme macht auch keinen Spaß mehr – weil sie leer ist, ehe die Beine glatt sind. Der Abend endet mit einem langen Rendezvous mit dem Nassrasierer unter der Dusche, Beinen wie Hühnerschenkel in Zellophan – und der Erkenntnis, dass mir die Ästheten die Beine runterrutschen können. Glatt genug wären sie jetzt . . .

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 31.05.2009)

Im Bademantel in die Arbeit

Manche Dinge sind nicht dafür gemacht, außerhalb der eigenen vier Wände eingesetzt zu werden. Aber wie fühlt es sich an, wenn man im Bademantel in die Arbeit fährt?

(c) Michaela Bruckberger (Die Presse)

Einige Dinge sind einfach nicht dazu gedacht, außerhalb der eigenen vier Wände zum Einsatz zu kommen. Trainingsanzüge, zum Beispiel, eignen sich nur be dingt für den Sonntagsspaziergang – es sei denn, man ist Sportler und das Spazieren erfolgt im Laufschritt. In den meisten Fällen wird der Jogginganzug jedoch mitnichten zum Joggen übergestreift, sondern zum Ausführen des Hundes oder zum Einsammeln der Sonntagszeitungen missbraucht.

Bei einem anderen Kleidungsstück ist diese natürliche Schamgrenze offenbar noch nicht gefallen. Oder kennen Sie jemanden, der das Haus im Bademantel verlässt? Und, nein, das Öffnen der Haustüre, um die abonnierte Sonntagszeitung von der Matte zu holen, zählt natürlich nicht.

Zeit also, den Grenzgang zu wagen – und mit dem Bademantel in die Arbeit zu fahren. Ein Unterfangen, das mit einem kleinen Kribbeln beginnt, nachdem die Wohnungstür ins Schloss gefallen ist – verbunden mit der Hoffnung, dass nicht gerade ein anderer Hausbewohner auch den Aufzug nach unten nimmt. „Ein Experiment . . . für die Arbeit“, würde man dann stammeln. Nein, bei allem Forschungsdrang – zumindest im eigenen Haus will man sich nicht unbedingt zum Trottel machen.

Schamgefühl verfliegt. Einmal auf der Straße, weicht das Schamgefühl der Neugierde. Die entgegenkommenden Passanten beobachten, Blickkontakt suchen, auf eine Reaktion warten. Allein, die Leute benehmen sich nicht sonderlich auffällig. Die einen schauen vorbei, ein paar verschämt zu Boden. Wahrscheinlich wäre es zu viel verlangt, auf den Frotteemantel angesprochen zu werden, doch wenigstens ein verdutzt-freundliches Lächeln oder ein verschämtes Grinsen wäre schon schön. Hallo, hier geht jemand mit dem Bademantel durch die Neustiftgasse! Findet da niemand etwas dabei?

Bleibt die Hoffnung auf die U-Bahn. Und endlich, am Bahnsteig tuschelt ein Pärchen hinter vorgehaltenen Händen. Juhu! Endlich bemerkt mich jemand. Als die U-Bahn einfährt und sich die Türen öffnen, strömen die Fahrgäste aber wieder mit Tunnelblick aus dem Waggon und registrieren mich nicht. Na gut, Sitzplatz suchen und das Gegenüber beobachten. Die ältere Dame ist sichtlich bemüht, möglichst nirgendwo hinzuschauen. Im Grunde nicht anders als sonst – Blickkontakt in öffentlichen Verkehrsmitteln ist in Wien ja ohnehin tabu.

Resümee: Als Bademantelträger erregt man in Wien kein sonderliches Aufsehen. Vielleicht, weil die Wiener lieber wegschauen und hinterher heimlich flüstern? Vielleicht, weil man sich an derartige Erscheinungen schon gewöhnt hat? Vermutlich, weil hier ein derart offenes Klima herrscht – und Menschen, die man früher als Dorftrottel bezeichnet hätte, heute nur mehr als Exzentriker gelten.

(c) Michaela Bruckberger (Die Presse)

Der Bademantel an sich wurde nicht dafür gemacht, um damit in die Arbeit zu fahren. Dennoch bleibt das öffentliche Aufsehen verhältnismäßig gering.

(c) Michaela Bruckberger (Die Presse)

Die U-Bahn-Fahrt verläuft nicht anders als sonst, kein einziger Fahrgast spricht mich an, es wird nicht gelächelt - und Blickkontakt ist sowieso tabu.

(c) Michaela Bruckberger (Die Presse)

Allzu oft kommt es nicht vor, dass Redakteure im Schlafrock das Gebäude der "Presse" betreten. Aber den Versuch war es wert.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 24.05.2009)

House Running

Was Germany’s next Topmodels können, kann ich doch auch. Der Gang über den „Vertical Catwalk“, auch House Running genannt, könnte mein Einstieg ins Modelbusiness werden.

Was gehört dazu, ein Supermodel zu sein? Seit „Germany’s next Topmodel“ wissen wir, dass eine Voraussetzung dafür ist, auf einer senkrechten Hauswand herumzuspazieren. Nun habe ich weder Modelmaße noch die jugendliche Strahlkraft, die mich auf dem Catwalk in die Herzen der Haute-Couture-Afiçionados katapultieren würde, doch das mit dem Wandern bekomme ich hin.

Als Laufsteg bietet sich das Airo Hotel in Wien-Oberlaa an, wo es einmal im Monat (nächster Termin: Sa., 17. Mai, Infos: www.jochen-schweizer.at) die Gelegenheit gibt, eine Wanderung über die Fassade zu unternehmen. 50 Meter abwärts. Eine gute Gelegenheit also, um sich und die neuesten Errungenschaften der Bekleidungsindustrie der staunenden Öffentlichkeit zu präsentieren. Dumm nur, dass die Organisatoren auf das Tragen von Helm, Handschuhen und Klettergurt bestehen, was die blaue Levi’s 501 und das rote T-Shirt mit dem kirgisischen Wappen am Rücken etwas aus dem Blickfeld drängt. Aber gut, man kann nicht alles haben.

Oben am Dach ist man ohnehin ein wenig abgelenkt. Weniger vom Oberlaaer Panorama als vom Gedanken, gleich über die Kante des Hauses steigen zu müssen. Für jemanden, der schon in geringerer Höhe unruhig wird, wenn es kein zumindest hüfthohes Geländer gibt – ja, das werde ich -, ein seltsamer Gedanke. Immerhin, beim Abstieg ist man mit einem Seil gesichert. Das beruhigt.

Es geht bergab. Dann die letzten Sekunden vor dem Auftritt. Stehen an der Kante. Blick hinunter. Wie in einen Babysitz setzt man sich in den Klettergurt. Und lehnt sich nach vorne. In diesem Moment wirkt alles unlogisch. Und da das Nach-vorne-Lehnen in einer Art Hockstellung erfolgt, ist auch die ästhetische Komponente eher eine Niederlage. Sekunden später hängt man in der Waagrechten. Jetzt Beine durchstrecken. Der erste Schritt. Ein bisschen wackelig, als müsste man erst gehen lernen. Und etwas ruckelig ist es, denn zu Beginn muss man sich an einem Seil in Richtung Boden ziehen. Nach und nach werden die Schritte lockerer, geht es flott bergab. Angst? Woher denn, ist ja ein Spaziergang. Nur eben in der Vertikalen. Endlich kommt auch das Modelfeeling auf. Elegant einen Fuß vor den anderen setzen, in die Menge lächeln, die von unten ungläubig heraufblickt. Endlich reich und berühmt.

Minuten später ist es vorbei. Auf einer Matte endet der Laufsteg, die Perspektive dreht sich wieder um 90 Grad. Heidi Klum würde jetzt sagen, wie tapfer ich war – würde sie das? Vielleicht ein wenig an meinem Laufstil herummäkeln. Kann schon sein, ein bisschen zittern die Knie ja doch. Aber in der leicht adrenalingeschwängerten Euphorie ist das so nebensächlich. Gedankennotiz: Bei der nächsten Staffel des Model-Castings anmelden.

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Ein Topmodel macht auch im Klettergurt eine gute Figur. Ich nicht ganz so. Aber daran denkt man kurz vor dem 50-Meter-Abstieg ohnehin nicht wirklich.

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Der härteste Moment: Das Vorbeugen über die Kante und der erste Schritt auf die Hausmauer. Der zweite ist auch noch hart, dann kommt die Sicherheit.

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Hängt man in der Wand, ist es ein Spaziergang. Hallo Schwerkraft, ich komme! Jetzt weiß ich, was eine steile Karriere ist.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 26.04.2009)

Erkennt man alkoholfreies Bier am Geschmack?

Bier ohne Alkohol gilt als geschmacklich minderwertig. Aber kann man den Unterschied zwischen echtem und alkoholfreiem Bier im Blindversuch überhaupt erkennen?

Lang waren die Gesichter an der Corniche in Muscat. In keinem einzigen Lokal der Hauptstadt des Sultanats Oman war Bier aufzutreiben. Lediglich eine Flasche Barbi can wurde zum Essen gereicht – alkoholfrei. Mundwinkel bei Fuß dachte die Reisegruppe an daheim, an echtes Bier. Aber auch hierzulande haftet Bier ohne Alkohol der Nimbus des Minderwertigen an. Es schmeckt halt doch anders. Aber – tut es das wirklich? Vor allem, merkt man den Unterschied, wenn man nicht weiß, was im Glas ist?

Die Versuchsanordnung ist naheliegend. Vier Dosen Bier, zwei mit, zwei ohne Alkohol. Dazu eine Augenbinde und eine Assistentin, die die mit Nummern versehenen Gläser in willkürlicher Reihenfolge reicht. Ein bisschen wie in „Wetten, dass . . ?“, nur ohne Publikum.

Beim ersten Schluck macht sich ein gewohnter Geschmack breit – und die Erkenntnis, dass Alkohol in Bier vielleicht doch nicht so leicht zu erahnen ist. Es wird also eine Gefühlsentscheidung. Ja, das muss echtes Bier sein. Das nächste Glas schmeckt nicht viel anders. So, wie es aussieht, fehlt mir zum Biersommelier also doch noch einiges. Also wieder ein Urteil aus dem Bauch heraus – vermutlich also auch mit Alkohol. Objekt Nummer drei liegt etwas anders auf der Zunge – also alkoholfrei. Sagen wir mal. Erst das vierte Bier weckt Assoziationen – als ehemaliger Simmeringer kennt man das Bier aus der niederösterreichischen Nachbargemeinde natürlich. Also, auch wenn es etwas wässrig ist, da muss Alkohol drin sein.

Gut, Übung also vorbei . . . Nein, die Assistentin reicht noch ein Glas. Eines muss also doppelt gewesen sein. Wie auch immer, Urteil: alkoholfrei.

Das Ergebnis. Als ich die Augenbinde ablege, ist am Gesicht der Assistentin ein breites Grinsen zu sehen. Es folgt der Blick auf die Liste mit den richtigen und falschen Antworten. Und ein Hauch von Ernüchterung – wenn es die nach fünf Schluck Bier überhaupt schon geben kann. Viermal falschgelegen, alkoholfrei für alkoholisch gehalten und umgekehrt. Nur eine einzige Punktlandung beim alten Bekannten aus Niederösterreich. Ein wenig fühle ich mich wie Harald Krassnitzer, der seinerzeit als Testimonial für koffeinfreien Kaffee ebenso danebengegriffen hat. „Das könnt ihr nicht mit mir machen“, war damals seine Aussage, die jetzt wieder in mein Bewusstsein dringt.

Was lernen wir daraus? Vermutlich, dass schon allein die Packung und die Bezeichnung viel ausmachen. Dass manche Dinge ihr schlechtes Image nur dann loswerden, wenn man ohne vorgefertigte Meinung an sie herangeht. Und dass ich eine Karriere als Bierpapst wohl ausschließen kann. Aber an einem halte ich weiterhin eisern fest: Coca-Cola light schmeckt furchtbar.

(c) Michaela Bruckberger (Die Presse)

Die Versuchsanordnung: vier Biersorten, zwei mit Alkohol, zwei ohne. Die Gläser und die Dosen sind nummeriert, um sie nach dem Test zuordnen zu können | (c) Michaela Bruckberger (Die Presse)

(c) MIchaela Bruckberger (Die Presse)

Der Versuch: Mit verbundenen Augen trinkt sich Bier auch nicht anders als sonst. Abgesehen davon, dass man nicht weiß, was gerade im Glas ist. | (c) Michaela Bruckberger (Die Presse)

(c) Michaela Bruckberger (Die Presse)

Das Resultat: Ein wenig ernüchternd ist es schon: Viermal daneben gelegen, ein einziges Bier richtig erkannt - dafür aber wenigstens gleich mit Sorte | (c) Michaela Bruckberger

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 19.04.2009)

Drei Tage als Flüchtling im eigenen Land

Verdammt zum Nichtstun, keine Möglichkeit zur Ablenkung, von der Bevölkerung schief angesehen: Die Aktion „3 Tage fremd“ zeigt, wie das Leben als Asylwerber aussieht.

Ich verstehe kein Wort. Noch mit der Reisetasche in der Hand werde ich von Selim durch das Gebäude getrieben. Er öffnet eine Tür, zeigt auf ein Waschbecken und sagt etwas in einer fremden Sprache. Was der tschetschenische Asylwerber mir zeigen will, ist klar: die Einrichtung des Hauses, in dem ich die nächsten Tage verbringen soll. Es ist ein Flüchtlingsheim. Sein Flüchtlingsheim.

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Trister Anblick: Im Flüchtlingsheim

„3 Tage fremd“ ist der Name der Aktion, die zeigen will, wie Asylwerber ihren Tag verbringen, wie sie über die Runden kommen. Und das nicht aus der bequemen Sicht des Zuschauers – sondern mittendrin. Als Flüchtling. Fünf Euro pro Tag. „Ausweis, Unterschrift, das sind die Regeln.“ Ein wenig kafkaesk wirkt die Situation schon. Immerhin steht das Flüchtlingsheim in Kirchschlag bei Linz mittlerweile leer, wurde vor wenigen Tagen aus Kostengründen geschlossen. Der Betreiberverein bekam keine Förderungen mehr. Die Aktion setzt einen Schlusspunkt, ehe das Gebäude von seinem neuen Mieter zu einem Wohnhaus umgebaut wird. Wie auch immer – die zunächst herrschende Vorstellung von kasernenhaftem Drill weicht schnell einer entspannten Sozialarbeiteratmosphäre. „Nein, es gibt keine Verpflichtungen“, sagt Initiatorin Karina Stockhammer, die die Heimleiterin mimt. „Aufstehen kann man, wann man will.“ Auch ein Programm gibt es nicht.  Lediglich einen Putzplan. Wer sich  an den nicht hält, bekommt nur die Hälfte des Taggeldes. Das wären dann  2,50 Euro. Aber selbst mit dem ganzen Betrag scheint es schwierig, überhaupt durchzukommen. Denn mit den fünf Euro muss auch die Verpflegung bestritten werden – als Selbstversorger.

Verständlich, dass das Tagesprogramm dadurch eher eingeschränkt ist. Zwar fährt ein Postbus alle heiligen Zeiten nach Linz, doch allein der Fahrschein dafür braucht fast das gesamte Budget auf. Und selbst wenn der Wirt in Kirchschlag geöffnet hätte, würde ein Bier – geschweige denn eine Mahlzeit – den finanziellen Rahmen bei Weitem sprengen. Und so lernt die Gruppe von 15 Freiwilligen recht schnell, dass die Hauptbeschäftigung eines Asylwerbers vor allem daraus  besteht, die Zeit totzuschlagen. Wie in „Big Brother“, nur ohne Kameras. Und ähnlich wie in der Containershow beginnt der erste Abend damit, dass sich die Teilnehmer im Aufenthaltsraum beschnuppern, über sich erzählen, und warum sie bei der Aktion mitmachen.

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Mit Bertl im Zimmer

30 Menschen wohnten zuletzt hier: Tschetschenen, Somalier, Mongolen, Männer, Frauen, Kinder. Ein Gemisch, das um einiges weniger homogen ist als die 15 Österreicher, die jetzt um den Tisch sitzen. Man hat denselben kulturellen Hintergrund, versteht einander – und hat die Gewissheit, dass die Aktion in einigen Tagen beendet sein wird. Ein Gefühl, das Asylwerbern fremd sein muss. Sie wissen nicht, wie lange sie bleiben werden. Sie können nachher nicht einfach nach Hause fahren und sich an ein paar Tage in den Bergen  erinnern. Über ihnen schwebt ständig das Damoklesschwert eines negativen Asylbescheids.

Fast stellt sich deswegen ein schlechtes Gewissen ein, dass wir alle hier gerade einmal eine Art Schullandwoche machen – wenn auch unter erschwerten Bedingungen. Kein heißes Wasser in der Dusche etwa. „Das Wasser war immer schon kalt“, sagt Selim, der im Rahmen des Projekts die Rolle eines Zivildieners im Heim spielt, lachend, als am Morgen ein paar über die Kälte in den Zimmern klagen.

Doch das größte Problem ist die Langeweile, das Gefühl, einfach nichts tun zu können. Nichts tun zu dürfen. Abwechslung bringen die wenigen Fixpunkte des Tages – wie die Mahlzeiten. Und das Einkaufen natürlich, das  erstaunlich gut funktioniert, weil alle ihr Tagesgeld zusammengelegt haben. Damit lassen sich beim Diskonter  im Nachbarort einige Großpackungen kaufen – Reis, Nudeln, Suppenwürfel, Kaffee. Natürlich, einige Kunden schauen etwas erstaunt. Doch auf den zweiten Blick wissen sie, wer hier gerade seine Vorräte auffüllt – die Asylwerber aus dem Heim. Erkennbar an eigens für die Aktion angefertigten T-Shirts, auf denen in rosa Lettern „Fremder“ prangt. Und wieder regt sich das schlechte Gewissen, immerhin können wir die Leibchen ja jederzeit ablegen. Ein somalischer Asylwerber wird diese Blicke wohl länger – und weitaus intensiver – aushalten müssen.

Gegen das Nichtstun

Es sind ähnliche Blicke, die uns auch bei einem je ner Programmpunkte begegnen, die  Abwechslung in den Flüchtlingsalltag bringen: gemeinnütziger Arbeit im Dorf. Mit Besen und Schaufeln aus gestattet, säubern wir die Gehsteige rund um Kirche und Gemeindeamt vom Streusplitt. Nein, die Blicke sind nicht unbedingt böse. Viele plaudern darüber, wie gut es mit den Asylwerbern aus dem Heim gelaufen ist, zeigen sich dankbar für die Arbeit und bringen sogar kleine Geschenke – ein Sackerl „Mohnflesserln“. Vier Euro pro Stunde bekommen die Asylwerber danach für die Arbeit. Geld, das den Alltag etwas leichter macht. Viel mehr geht nicht, denn Arbeitsbewilligungen für andere Jobs gibt es so gut wie nie. Und doch ist man dankbar, schließlich lassen sich so die langen Stunden der Untätigkeit vertreiben, stellt sich zumindest ein wenig das  Gefühl ein, etwas geleistet zu haben.

Doch nicht bei allen Bewohnern von Kirchschlag ist eine positive Grundhaltung zu spüren. Viele waren dagegen, als das alte Erholungsheim für Gehörlose 2005 zum Flüchtlingsheim umfunktioniert wurde. Und auch wenn die Ängste vieler nicht bestätigt wurden, hört man bei manchen eine gewisse Zufriedenheit heraus, dass das Kapitel nun beendet ist. „Wir haben damals eine Alarmanlage installiert“, erzählt eine Frau. „Wer zahlt uns das?“ Ob seit Eröffnung des Heims bei ihr etwas vorgefallen sei? Nein, das nicht. Bei der Polizei heißt es, dass kaum etwas passiert sei. „Aber“, so die Dame, „es wird ja alles vertuscht.“ Zu uns ist sie freundlich – trotz der T-Shirts, die uns als Asylwerber ausweisen.

Ausgeliefert

Das, so stellt sich nach und nach heraus, ist wohl das große Manko der Aktion: Man mag zwar  besser verstehen, unter welchen Bedingungen Asylwerber leben, unter welcher psychischer Belastung sie schon allein wegen der teils widrigen Bedingungen im Heim, der Enge, der finanziellen Knappheit und der Langeweile leben. Doch nie lässt sich das Gefühl der Fremdheit, des Ausgeliefertseins an ein System, das man nicht kennt und nicht versteht, so verinnerlichen, wie es ein Flüchtling erlebt. Wenn Selim also über seine Erfahrungen spricht – nicht auf Tschetschenisch oder Russisch, sondern auf Deutsch -, werde ich wahrscheinlich trotz des Aufenthalts im Heim resignierend eingestehen müssen: Ich verstehe kein Wort.

HINTERGRUND

Leben wie ein Flüchtling
Die Aktion „3 Tage fremd“ wurde von fünf Kirchschlagern  ins Leben gerufen, die zeigen wollten, wie der Alltag von  Asylwerbern in einem Flüchtlingsheim aussieht.

Anstoß zur Aktion
Das Heim in Kirchschlag bei Linz, in dem seit 2005 bis zu  30 Asylwerber gleichzeitig untergebracht gewesen sind, wurde Ende März geschlossen, weil der Betreiberverein keine Förderun gen mehr erhielt. Um das Kapitel sinnvoll zu beenden und gegen Vorurteile anzukämpfen, wurde die Aktion ins Leben gerufen.

Teilnehmer
Von ursprünglich geplanten 30 Freiwilligen, die drei Tage im Heim verbringen sollten, machten schließlich 15 mit. Abschluss des Programms bildet heute, Sonntag, eine Podiumsdiskussion im St.-Anna-Pfarrheim in Kirchschlag. Beginn: 17 Uhr. Infos zur Aktion unter www.3tagefremd.at.


(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 05.04.2009)

Murphys Gesetz

Was schiefgehen kann, geht auch schief. Doch gilt Murphys Gesetz für unseren Alltag tatsächlich? Selbstverständlich, solange man nur fest genug daran glaubt. Sonst nicht.

Es kann nicht jeder so privilegiert sein wie jene Freundin, die sechs Monate lang in Armenien gearbeitet hat: „PO Box 1, Jerewan“ als Postadresse legt schon nahe, dass das Anstellen am Postamt nicht allzu lange dauert. In Wien muss man dagegen mit einigen Schlangen rechnen, um zum Schalterbeamten zu gelangen. Und genau hier setzt Murphys Gesetz an – die eigene Schlange ist immer die langsamste. Sie muss nicht die längste sein, aber unter Garantie braucht der Kunde vor mir dreimal so lang wie alle anderen zusammen. Bei der Abendkassa im Kino, beim Anstellen in der Kantine und im Supermarkt – das Bild ist überall gleich.

Ein Selbstversuch beim Nahversorger bringt allerdings die erschreckende Erkenntnis: Murphys Gesetz gilt doch nicht. Zumindest nicht, wenn man es gerade nicht eilig hat. Schnell und flüssig geht es an der Nachbarschlange vorbei. Oder der gute Murphy ist einfach ein scheues Reh, das sich versteckt, sobald es merkt, dass es beobachtet wird. Ist schon recht. Also fahren wir schwerere Geschütze auf. Denn dass beim Warten auf die U-Bahn immer zuerst die kommt, die man gerade nicht braucht, wird ja wohl funktionieren. Doch natürlich: Es ist der Zug Richtung Ottakring, der als Erster auftaucht. Bis vor ein paar Wochen hätte Murphy ja noch recht gehabt, doch nach meinem Umzug ist das die richtige Richtung. Ob die Wiener Linien einen Deal mit Murphy abgeschlossen haben?

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Interessant: Die Seite mit der Wurst ist oben...

Also gut, versuchen wir es eben auf die harte Tour und machen den ultimativen Murphy-Test: Fällt ein Brot tatsächlich immer mit der Butterseite nach unten auf den Boden? Also, Brot gestrichen und rauf mit der Scheibe auf die Tischkante. Tatsächlich, der erste Wurf endet mit einer Butterspur auf dem Teppich. Auch beim zweiten Wurf schlägt das Gebäck mit der beschmierten Seite auf dem Boden auf. Presto! Doch dann setzt die Wahrscheinlichkeitsrechnung ein, und die nächsten Versuche enden mit einem überraschenden Ergebnis: Butter oben. Es folgen ausgedehnte Versuchsreihen – andere Fallhöhe, Handhaltung, Fallenlassen nach Anrempeln. Das Ergebnis: Einmal schafft das Brot eine ganze Umdrehung, einmal klatscht es nach einer halben mit der Butterseite auf. Beim Doppelblindversuch mit Wurstbelag dasselbe Ergebnis: 50:50. Murphy, warum hast du mich verlassen?

Und doch wirkt die Erkenntnis aus den Versuchen nur auf den ersten Blick enttäuschend. Denn im Grunde hat Murphys Gesetz ja doch zugeschlagen: Sobald man zu beweisen versucht, dass es existiert, geht es schief. Also, glauben wir weiter daran, dass alles, was schiefgehen kann, auch schiefgehen wird. Dann wird es schon klappen.


(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 29.03.2009)

Irgendwas kann jeder

Aber reicht es auch bei jedem für einen Weltrekord? Die Rubrik „Bitte nachmachen“ im Guinness-Buch der Rekorde lädt ja förmlich dazu ein.

Eigentlich kann ich ihn schon gar nicht mehr hören, den Warhol’schen Spruch der „15 Minutes of Fame“. Doch für manches Phänomen bietet er sich trotz inflationärer Verwendung immer noch an. Dann etwa, wenn ein weiterer Weltrekord gebrochen wird – einer jener Rekorde, die keiner braucht. Oder hat es einen Sinn, mit einem Billardstock auf dem Kinn eine Distanz von 400 Metern zurückzulegen? Bringt es uns wirklich weiter, 20 Eier gleichzeitig in einer Hand zu halten? Oder hat es eine wie auch immer geartete Relevanz für unser Leben, wenn wir innerhalb einer Minute drei Bananen schälen und hinunterwürgen können? Obwohl, das mit den Bananen klingt ja eigentlich gar nicht so schwierig. Und so ein Weltrekord im Lebenslauf …

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Rekordversuch: Bananen essen

Die erste Erkenntnis bei einem solchen Rekordversuch ist vor allem ein Gefühl der Erniedrigung. Schon das Essen einer einzelnen Banane reicht, um auf Schnappschüssen eine wenig elegante Figur zu machen, doch gleich drei – und unter Zeitdruck – dienen vor allem dem Gaudium des Publikums. Das mag mit ein Grund sein, warum erniedrigende Rekordjagden gerne im TV gezeigt werden. Gut, vielleicht spornt das ja an. Denn mein Versuch, ganz ohne Zuschauer, endete erst nach 2:15 Minuten. Für den Weltrekord eindeutig zu wenig.

Bevor jetzt Sprüche à la „den Mund zu voll genommen“ auftauchen, gehen wir gleich zum nächsten Rekordversuch. 246 ist die magische Zahl, die es als Nächstes zu schlagen gilt. So viele Strohhalme steckte sich ein gewisser Marco Hort beim Weltrekordtag 2006 in Wien in den Mund.

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Rekordversuch: Strohhalme

Das kann ich doch auch! Fast zumindest, denn im Selbstversuch war schon bei 56 Stück Schluss. Unbeantwortet blieb auch die Frage, wie der Rekordhalter es schaffte, auf den offiziellen Fotos so gepflegt auszusehen. Denn, man glaubt es kaum, der Speichel nützt jede Gelegenheit, in Freiheit zu gelangen, und bahnt sich den Weg an den Strohhalmen vorbei, ehe er vom Kinn seinen sabbernden Weg zum Boden antritt.

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Rekordversuch: Handyweitwurf

Dann doch lieber noch etwas Seriöses zum Abschluss. Handyweitwurf zum Beispiel. Der Finne Ville Piippo hält in dieser Disziplin mit 82,55 Metern den Rekord. Also das alte Alcatel aus dem Kasten gefischt und ab in den Stadtpark. Nach Abwägen der Windrichtung – und Abwarten, bis die Entenfamilie die Landebahn verlassen hat – folgt ein gezielter, kraftvoller Wurf. Das greise Mobiltelefon hebt ab, dreht sich in Zeitlupe um die eigene Achse, überwindet die Gravitation – und fällt wie ein nasser Sack in die Wiese. 26 Meter. Sieht fast so aus, als würde ich meine „15 Minutes of Fame“ nur dafür bekommen, am öftesten an einem Weltrekordversuch gescheitert zu sein.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 22.03.2009)

Eine Woche ohne Handy

Kein Problem. Am meisten leiden ohnehin die anderen – die nicht mehr kurzfristig absagen können.

Gut, dass es die Würfeluhren noch gibt. Die markanten Zeitmesser haben in den vergangenen sieben Tagen plötzlich wieder an Bedeutung gewonnen. Denn der regelmäßig-reflexartige Griff in die Hosentasche führte ins Leere – eine Woche ohne Handy und damit auch ohne Uhr am Display. Was soll daran so schlimm sein, früher ging es ja auch ohne. Das schon, aber erklären Sie einmal einem starken Raucher, dass er eigentlich gar keine Zigaretten braucht. Der Effekt ist ähnlich. Entzugserscheinungen inklusive.

Keine kurze SMS zwischendurch, um die Langeweile in der U-Bahn zu unterdrücken. Und auch kein gehetzter Anruf, dass es ein bisschen später werden könnte. Es waren 25 Minuten Ungewissheit vor dem Vietnamesen in der Zollergasse, ob die kommunikativ flexible – ja, sie hat ein Handy – Verabredung überhaupt auftauchen würde. Sie kam schließlich. Ihre Nachricht „Was glaubst du? Ich habe wie immer ein paar Minuten Verspätung“ versandete im kommunikativen Nirvana. Immerhin, ich weckte ihr schlechtes Gewissen, dass man früher, in der Festnetz-Ära, noch pünktlich zu Verabredungen erschien – allein schon, um den Wartenden nicht im Regen stehen zu lassen.

Eine Erkenntnis, die sich in den darauf folgenden Tagen zu einem regelrechten Vorteil entwickelte. Auf einmal tauchten die Freunde, die Internetbekanntschaft und der gestresste Kollege pünktlich am zuvor per E-Mail vereinbarten Treffpunkt auf. Keine Rede mehr vom spontanen Wechsel in ein Lokal, in das man ja auch schnell nachkommen könnte. Die Machtposition hatte sich verschoben – aus Rücksicht auf den Handylosen gab es plötzlich wieder verbindliche Treffpunkte.

Nur, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen – den Rückfall in die Prä-Mobilfunk-Ära rechtfertigt das noch lange nicht. Denn fairerweise muss ich gestehen, dass das Suchen nach Telefonzellen bei dienstlichen Terminen eher mühsam ist – geschweige denn, dass so mancher Informant oder Kollege seine Schwierigkeiten hatte, mir die eine oder andere Information zu übermitteln. Auch die Abhängigkeit von Kleingeld steigt in Zeiten der Handylosigkeit rapide an. Aber fragen Sie einmal Passanten, ob sie Ihnen einen Euro schenken könnten – „zum Telefonieren“. Ja, sicher…

Abgesehen davon glaubt man gar nicht, wie wenig Telefonnummern sich ohne elektronische Hilfe in den eigenen Ganglien bewegen. Die Erinnerung an so manchen Kontakt entwickelte sich am öffentlichen Telefon also geradewegs zum mentalen Zahlensudoku – mit allen Schwierigkeitsstufen. Und wieder einmal gewinnt ein Relikt aus früheren Zeiten plötzlich an Bedeutung: Gut, dass es noch Notizbücher gibt.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 15.03.2009)