Nurzurinfoisierung

Im Herbst wird ja gern gebastelt. Wer allerdings nicht Kürbisse zerschneiden, Kastanien durchbohren oder Tannenzapfen mit Zweigen zusammenschnüren will, kann ja mit ein paar Wörtern spielen. Zum Beispiel könnte man aus dem Buchstabensäckchen die Zutaten für „indem“ hervorkramen. Und sich darüber Gedanken machen, ob ein Leerzeichen mitten im Wort zu einer Bedeutungsveränderung führt. Ja, tut es, auch wenn in vielen aktuellen Texten „indem“ und „in dem“ so willkürlich gesetzt werden, als hätte man per Münzwurf darüber entschieden. „In dem“ leitet einen Relativsatz ein – und könnte auch durch „in welchem“ ersetzt werden. Ein Satz, in dem „indem“ steht, dreht sich hingegen um die Art und Weise, wie etwas geschieht. Es ließe sich also auch mit „dadurch, dass“ erklären. Dass das mittlerweile ähnlich schlampig gehandhabt wird wie „das“ und „dass“, mag auch daran liegen, dass eben zu wenig mit Sprache gebastelt wird.

Der zweite Griff in das Säckchen mit den Buchstaben könnte ja die Kombination „nur“ hervorbringen. Das lässt sich etwa im Sinne von ausschließlich, lediglich, bloß, aber, allerdings, doch oder jedoch anwenden. In der alltäglichen Kommunikation kommt es hauptsächlich zum Einsatz, wenn jemand beschwichtigt werden soll, den man gerade unterbricht oder stört. „Nur ganz kurz“ ist die dazugehörige Killerphrase, über die man dann während der ganz und gar nicht kurzen Störung ziemlich lange sinnieren kann. Und dann gibt es auch noch jene Zeitgenossen, die jedes Gespräch mit „nur zur Info“ einleiten. Was ja legitim wäre, wenn gesagt werden soll: Du musst nichts tun, aber ich erzähle dir jetzt etwas. Doch mittlerweile scheint „nur zur Info“ fast schon die Funktion des „grüß Gott“ übernommen zu haben. Ja, offenbar haben wir es mit einer schleichenden Nurzurinfoisierung der deutschen Sprache zu tun.

Damit genug gebastelt für heute. Und das Lamentieren über die sprachliche Verrohung in dem (nicht indem) Text bitte nicht persönlich zu nehmen. War ja nur zur Info.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 29.09.2014)

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Rettet das Datum!

Erinnert sich eigentlich noch jemand an diese Ice-Bucket-Challenge? Das war dieses kurzlebige Internetphänomen, das einige Wochen lang in Form von Bewegtbildern, versehen mit der Aufforderung, sich auch daran zu beteiligen, gefühlt die Hälfte des gesamten Internetverkehrs ausmachte. Noch etwas kurzlebiger, weil vermutlich intellektuell ein wenig herausfordernder, war der ebenfalls in sozialen Netzwerken verbreitete Kettenbrief mit der Aufforderung, die zehn Bücher zu nennen, die das eigene Leben am stärksten geprägt haben – Nominierung an weitere Personen inklusive. (Michael Ende: „Die unendliche Geschichte“ wäre übrigens fix drauf gewesen, hätte mich jemand nominiert, aber jetzt nur nicht abschweifen.) Derartige Hypes im Internet tauchen auf, haben einen kurzen Höhepunkt, verschwinden wieder in der Versenkung. Und ab und zu spült es sie Monate oder Jahre später noch einmal in die Mailbox. Dann werden sie mit der gleichen Begeisterung wieder weiterverbreitet, als wären sie gerade erst aus dem Ei geschlüpft.

Eine Bewegung allerdings zeichnet sich durch eine besondere Konstanz aus. Zwar hat sie nie einen derartigen Boom wie die Eiskübelausleerer erlebt, dafür klopft sie mehrmals täglich an, um in die Mailbox eingelassen zu werden. Es müssen wahrhaft echte Idealisten dahinterstecken. Und, das macht es noch spannender, es läuft immer weiter, ohne dass überhaupt jemand nominiert werden muss, die Botschaft zu verbreiten. Ihr Slogan lautet: „Rettet das Datum“. Wie groß angelegt die Kampagne ist, lässt sich daran erkennen, dass sie weit über den deutschen Sprachraum hinausgeht, ja, die ganze Welt umspannt – denn die Botschaft kommt, auf dass sie jeder versteht, auf Englisch daher. „Save the date“ steht in der Betreffzeile. Dass sich im eigentlichen Mail dann nur Erinnerungen an sinnlose Veranstaltungen finden, ist die perfekte Tarnung. Wer sollte schon Verdacht schöpfen, dass hinter einem schnöden Gartenfest eine weltumspannende Organisation steht? Also, Mail schnell löschen. Und wissen, dass wir uns um den Fortbestand des Datums keine Sorgen machen müssen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 22.09.2014)

Wenn der Antibiotiker keinen Guster hat

Der Ostösterreicher neigt ja zu einer gewissen Schlampigkeit in der Aussprache. Da wird das Parkett schon mal zum französischen Weißbrot. Und der Antibiotiker muss sich fragen, ob er im Lateinunterricht nicht doch besser aufpassen hätte sollen. Zugegeben, das ist nichts, wofür gleich der Ruf „Hysterika“ ertönen muss, doch als Connaisseur (das spricht man gar nicht aus, da sagt man einfach nur „Kenner“) in Sachen Sprache macht man sich halt so seine Gedanken. Über den Gusto, zum Beispiel, der hierzulande ja nicht nur gesprochen zum Gusta, sondern auch geschrieben gerne zum Guster wird – ob man das nun goutiert oder nicht so gout, pardon, gut findet. Hübsch ist auch die sprachliche Verbindung, die hierzulande ein Kreuzblütengewächs mit einem Streit und einem henkellosen Trinkgefäß eingeht. So wird der Kohl im Dialekt auch Kölch (ausgesprochen Köch) genannt. Die Frage, ob man einen solchen will, sollte in Vorstadtgasthäusern dennoch nicht mit Ja beantwortet werden, weil man damit die Zustimmung zu einer körperlich geführten Auseinandersetzung gäbe. Das derart benannte Gemüse hingegen wird in der Großelterngeneration gerne in die Hochsprache zurückgeführt – und endet dort fälschlicherweise als Kelch. Der dann hoffentlich an einem vorübergeht, denn zumindest als Kind war die Attraktivität des eingebrannten Kohlkopfs enden wollend.

Aber zum Trost sei den Ostösterreichern gesagt, dass auch in anderen Regionen sprachliche Missverständnisse auftreten können. Wenn etwa der Kellner im brandenburgischen Eisenhüttenstadt als Menüvorschläge „Bratwurst oder Steg“ aufzählt, darf der Gast ruhig einmal nachfragen. Bratwurst kennt man ja, aber was kann man sich denn unter einem Steg vorstellen? „Na ja“, stammelt dann der Kellner mit einem Blick, als stünde ein Außerirdischer vor ihm. „Ein Stück Fleisch.“ Na, das klingt ja ganz vernünftig. Und zum Steak bitte ein Glas Wein – aber keinen roten, sonst muss am Ende womöglich wieder der Antihistaminiker ausrücken.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 08.09.2014)

Ihre Polyurethane e.V. wurden ungelesen gelöscht

Es ist nämlich so: Wir wissen es nicht. Warum nämlich Menschen E-Mails mit einer Lesebestätigung verschicken. Damit sie in ihre vermutlich ohnehin randvolle Mailbox einen ganzen Haufen weiterer Mails bekommen, in denen steht, dass XYZ ihre Mail gelesen hat? Oder auch nicht, denn wenn man seinen Mail-Client gut eingestellt hat, taucht beim Lesen ohnehin eine Warnung auf, dass der Versender eine Lesebestätigung angefordert hat – ein Begehr, das man selbstverständlich mit einem Nein quittiert. Denn was geht es den Versender an, wann und ob ich seine Botschaft nun gelesen habe. Ist sie so interessant, dass eine Reaktion sinnvoll ist, schickt man sowieso eine Antwort. Ist sie es nicht, wandert das Stück in den Ordner mit den gelöschten Objekten – und eine eventuell zuvor automatisch geschickte Info, dass man sie zuvor gelesen hat, ist damit Tinnef.

Es ist nämlich auch weiter so: Wir wissen es nicht. Wie man nämlich auf manche Mailverteilerliste kommt. Und mit ungläubig geöffnetem Mund vor Nachrichten mit einem Betreff à la „An Weihnachten aus dem Nagelstudio zu Ihnen nach Hause“ sitzt. Oder sich fragen muss, ob man schon wieder irgendwo versehentlich etwas unterschrieben hat, um es plötzlich auf den Mailverteiler vom „Fachverband Schaumkunststoffe und Polyurethane e. V.“ zu schaffen. Vor allem, weil deren Schriftverkehr ja doch über wahllos verstreute Spam-Botschaften à la „Ich habe ein lukratives Geschäft Vorschlag von gemeinsamem Interesse mit Ihnen teilen. Ich will lieber Sie mich auf meiner privaten E-Mail-Adresse unten zu erreichen. betrachten Sie Ihre früheste Reaktion“ hinausgeht und die Versender vermutlich wirklich damit rechnen, dass sie ihre Neuigkeiten an ein tatsächlich interessiertes Publikum adressiert haben.

Vielleicht sollte man derartigen elektronischen Brieffreunden ja ganz einfach eine Lesebestätigung schicken. Auch, wenn sie gar keine angefordert haben. „Ihre Nachricht wurde ungelesen gelöscht“. Ob das wohl etwas hülfe? Nun, wir wissen es nicht.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 01.09.2014)