Ab heute wird zurückgesprungen

Immer deutlicher wird, was die kaum verständlichen Funksignale beim Sprung von Felix Baumgartner aus der Stratosphäre tatsächlich bedeuteten. Konnte Sponsor Red Bull die Frage des Springers an das Fernsehpublikum noch rechtzeitig zensieren („Wollt ihr den totalen Sprung?“), gelang es später nur mehr, die Laute des Springers etwas zu verzerren. Doch nun konnten Experten das rauschende Kauderwelsch entschlüsseln. „Ab heute wird zurückgesprungen“, soll er im Moment des Absprungs geschrien haben. „Heute gehört uns die Stratosphäre, morgen die ganze Welt“ war die Nachricht, als er zu trudeln begann. Und als er sich wieder gefangen hatte, jubilierte er vom „Triumph des Willens“. Nicht überliefert ist allerdings das Geräusch, das Baumgartners Verstand machte, als er an der Schallmauer hängenblieb.

Immerhin, mittlerweile soll sich der ehemalige Profisportler bereits ein wenig gemäßigt haben. So hält er etwa Wahlfreiheit durchaus für möglich – Red Bull gibt es schließlich auch mit oder ohne Zucker… Und auch auf dem heiklen Terrain der Fiskalpolitik zeigt er sich mittlerweile gemäßigt, aber souverän: So wird bereits darüber spekuliert, dass Baumgartner sich von Europas Schuldenberg stürzen möchte.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 30.10.2012)

Den Volksmund kann man nicht kaufen

Der höchste Wolkenkratzer der USA ist der Sears Tower. Vermutlich wird der Großteil der Menschen hier wohlwollend nickend Zustimmung signalisieren. Grundsätzlich ist der Satz ja auch richtig– abgesehen davon, dass der inklusive Antenne 527 Meter hohe Turm schon seit mehr als drei Jahren nicht mehr Sears Tower heißt. Nachdem der britische Versicherungskonzern Willis Group Holdings die Namensrechte an dem Hochhaus gekauft hat, heißt das Gebäude heute eigentlich Willis Tower. Allein, kaum ein Mensch in Chicago nennt ihn so. Und auch weltweit sieht es nicht so viel anders aus.

Wien ist da keine Ausnahme. Als 1967 in Simmering die Mautner-Markhof-Gasse ihren Namen erhielt, verschwand ihr früherer Name keineswegs. Noch jahrzehntelang wurde sie als Dorfgasse bezeichnet. Erst nach und nach setzte sich mit immer neuen Generationen der neue Name durch. Allein, vom namensgebenden Lebensmittelbetrieb ist in der Gegend ironischerweise heute kaum mehr etwas vorhanden.

Den Volksmund kann man nicht kaufen, lernt man aus Episoden wie diesen. Nur weil ein Unternehmen sich Namensrechte sichert, muss die alte Bezeichnung noch lange nicht verdrängt werden. Viele sagen noch heute Raider zum Twix-Schokoriegel. Und der Holland Blumen Markt wird nach wie vor so genannt, obwohl er aus wettbewerbsrechtlichen Gründen schon 1993 sein t am Ende eingebüßt hat. Auch das Penthouse, in dem Ex-Bawag-Chef Helmut Elsner einst residiert hat, wird wohl noch längere Zeit als Elsner-Penthouse bezeichnet werden. Vom neuen Hauptbahnhof gar nicht zu reden. Der wird sicher über Jahre hinweg noch Südbahnhof heißen.

So manches Festhalten an alten Bezeichnungen kann aber auch ein wenig schrullig wirken. Zuletzt etwa, als am Ende einer Postkarte aus Berlin zu lesen war: „Liebe Grüße aus der DDR!“

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 29.10.2012)

Von Herrn Sido will man nicht gestreichelt werden

„Lieber von einer Hand, die wir nicht drücken möchten, geschlagen als von ihr gestreichelt werden“, sagte Marie von Ebner-Eschenbach. Ein edler Gedanke, der Dominic Heinzl sicherlich in jenem Moment durch den Kopf gegangen sein muss, als er jüngst von einem Faustschlag getroffen zu Boden ging. Allerdings auch einer, der dem Durchschnittsösterreicher eher nicht in den Sinn kam, als er der Attacke des deutschen Rappers Sido gegen den Moderator medial gewärtig wurde. Hier regierte vielmehr ein Gefühl der Befriedigung, weil es mit Heinzl eine Figur des öffentlichen Lebens erwischt hatte, der viele einen solchen Schlag von Herzen gönnten.

An den Stammtischen und in den sozialen Netzwerken herrschte eine regelrechte Schadenfreude, die Facebook-Gruppe „Sido 1 Heinzl 0“ kam innerhalb von zwei Tagen auf über 50.000 Mitglieder. Und Wortmeldungen à la „Den (sic!) hat schon lange eine auf die Fresse gehört“ bestimmen den Ton der Debatte. Geradezu unappetitlich lesen sich dann auch Kommentare auf Twitter oder Facebook, dass „a klane Tetschn“ ja ohnehin niemandem schaden würde. Ja, es scheint sogar immer noch ein tief verwurzeltes Verständnis dafür zu geben, dass jemandem einmal „die Hand ausrutscht“. Und Herr Sido war letztlich nur derjenige, der das, was viele sich immer schon gedacht haben, auch tatsächlich umsetzte.

Nein, man muss Dominic Heinzl nicht mögen. Und es ist gut möglich, dass er auch das Seinige zum letztlich eskalierten Streit beigetragen hat. Doch wer sich für Sidos Aggressivität derart begeistert und sie für ein probates Mittel erachtet, seiner Antipathie Ausdruck zu verleihen, gehört zur Kategorie Mensch, der man lieber nicht die Hand drücken sollte. Und für die gilt dann eine weitere Ebner-Eschenbacher’sche Weisheit: „Über das Kommen mancher Leute tröstet uns nichts als die Hoffnung auf ihr Gehen.“

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 22.10.2012)

Car Wars – Episode I: Die Parkpickerlbedrohung

Es herrscht Bürgerkrieg. Die Pendler, deren Autos von der Stadtgrenze aus angreifen, haben eine bittere Niederlage gegen das rot-grüne Imperium erlitten. Doch während der Schlacht um Wien ist es Spionen der niederösterreichischen Rebellen gelungen, Geheimpläne über die absolute Waffe des Imperiums in ihren Besitz zu bringen, das Parkpickerl, eine bürokratische Gemeinheit, deren Feuerkraft ausreicht, um sämtliche Parkplätze des Planeten zu vernichten. Verfolgt von den finsteren Agenten des Imperiums, jagt Pendlerprinzessin Leia an Bord ihres Kleinwagens nach Hause, als Hüterin der erbeuteten Pläne, die die geknechteten Autofahrer retten und der Galaxie die Freiheit wiedergeben könnten…

Klingt nach einem interessanten Plot für einen Hollywood-Film, nicht? Und hat durchaus Potenzial für gleich mehrere Teile. Dabei scheint ein solches Szenario rund um das Wiener Parkpickerl in den Köpfen vieler Beteiligter gar nicht so unrealistisch. Da wird die Parkraumbewirtschaftung von Pendlervertretern gern einmal als „Kriegserklärung“ bezeichnet, da wird von oppositioneller Seite „Hass und Zwietracht auf unseren Straßen“ geortet und schließlich sogar die Frage gestellt: „Müssen erst Autos brennen?“ Und tatsächlich rücken in manchen Bezirken schon mit Schlüsseln und Messern bewaffnete Anwohner aus, um Autos mit auswärtigen Kennzeichen zu zerkratzen. Zur vollständigen Eskalation fehlt nur noch, dass aus dem Wiener Rathaus ein röchelnder Darth Vassilakou ausrückt, um die letzten Widerstandsnester der rebellischen Pendler persönlich auszulöschen.

Natürlich, es ist unangenehm, keinen Parkplatz zu finden. Und es ist bitter, für einen Stellplatz künftig auch etwas tiefer in die Tasche greifen zu müssen. Aber müssen deswegen gleich Kriegsmetaphern und apokalyptische Szenarien bemüht werden? Kleiner Tipp am Rande: Hütet euch vor der dunklen Seite…

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 15.10.2012)

Das Wie-geht’s-dir-danke-gut-Dilemma

Amerikaner sind ein freundliches Volk. Sogar die Verkäufer im Supermarkt grüßen, lächeln dabei, und dann fragen sie im selben Atemzug auch noch, wie es einem geht. Nun ist die Phrase „How are you“ auch dem Österreicher nicht ganz unbekannt. Doch in der generell eher oberflächlichen sozialen Interaktion mit Verkäufern ist sie hierzulande mehr als unüblich. Noch. Denn es besteht die Gefahr, dass sie gemeinsam mit all den anderen Errungenschaften amerikanischer Kommunikationskultur, die in Film, Funk und Fernsehen vorgelebt werden, auch nach Wien gespült wird. Und das wäre so ziemlich das Letzte, was ins Stadtbild passen würde. Denn während die amerikanische Höflichkeit zwar unverbindlich, aber tatsächlich höflich gemeint ist, übertüncht die Wiener Ausprägung lediglich eine tief sitzende grundsätzliche Misanthropie. Und ein kurzer Augenkontakt mit dem Supermarktkassier ist üblicherweise schon der Höhepunkt der sozialen Interaktion.

Abgesehen davon ist das „Wie geht’s“ als unmittelbar der Begrüßung nachgestellte Floskel nur dazu gedacht, ein „Danke, gut“ hervorzulocken. Und weil es einem nur selten wirklich „danke, gut“ geht, wird durch ein unverbindliches Begrüßungsgeplänkel ein Lügengebilde aufgeblasen, das Friede, Freude und Sonnenschein suggeriert, selbst wenn man kurz davor ist, in Tränen auszubrechen.

Schließlich kann der inflationäre Gebrauch der Floskel (auch abseits der Supermarktkassa) reichlich skurril enden: Will man etwa von einem Bekannten/Freund/Kollegen nach dem „Hallowiegeht’sdankegut“-Befloskeln tatsächlich wissen, was er so treibt, wird wenige Sekunden später die Frage nach dem Befinden gleich noch einmal gestellt. Diesmal ernst gemeint. Und ein solches Doppel-wie-geht’s muss jetzt wirklich nicht sein! So, damit für heute genug gelästert. Und wie geht es eigentlich Ihnen so?

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 08.10.2012)