Bitte nicht in den Hundehaufen zu treten

Allzu gern lässt der Wiener seinen Unmut an die Oberfläche, wenn etwas da ist, was nicht unbedingt dorthin gehört, wo er es gerade erspäht hat. Es erschüttert ihn mehr in seinen Grundfesten als weltpolitische Ereignisse wie die Revolution in Ägypten und es sorgt für mehr Furchen auf seiner Stirn als Staatsschulden von fast 200 Milliarden Euro. Das, was da liegt – und das ein Hundebesitzer vorher nicht mit einem Plastiksack von der Straße gekratzt hat.

Nun muss man der Stadt Wien zugute halten, dass es in den letzten Jahren immer seltener vorkommt, dass ein Hundehalter das dampfende Etwas einfach liegen lässt. Zunehmend ist es zur Selbstverständlichkeit geworden, die Haufen fachmännisch abzutragen – es hat sich so etwas wie ein Bewusstsein gebildet. Und das alles dank eines in Wirklichkeit schwachsinnigen Slogans, der sich in die Gehirngänge der Menschen eingebrannt hat: „Nimm ein Sackerl für mein Gackerl.“ Es scheint, dass der Wiener Hundebesitzer genau darauf gewartet hat, mit einem derart primitiven Reim, der irgendwo zwischen plumper Politparole und Musikantenstadl pendelt, erzogen zu werden.

Die Wiener Linien beschreiten zum Glück einen anderen Weg. Sie weisen ab Mittwoch mit Piktogrammen auf die Gefahren hin, die in der U-Bahn lauern. Auf einem Bild wird ein Strichmännchen in der Tür eingeklemmt, auf einem anderen tappt es genau in den Spalt zwischen Bahnsteig und Zug – und bei beiden Bildern vermittelt ein roter Stern, dass das ein bisschen wehtun könnte. Ob sich der Wiener U-Bahn-Passagier dadurch davon abhalten lässt, in die sich schließende Tür hineinzuhechten, sei dahingestellt. Aber es ist zu hoffen – sonst droht künftig eine Durchsage à la „Sackerl-Gackerl“ in jeder Station. Wobei, „Halt, da ist ein Spalt“ hat ja fast schon wieder etwas.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 31.01.2011)

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Auf den billigen Plätzen sitzen die netteren Leute

Ein Buffet ist alles andere als ein neues Konzept. Und doch überrascht es jedes Mal – wenn man sich dann doch einmal zu einer derartigen Veranstaltung verirrt -, wie sehr das Jagen und Sammeln noch in unserer Mentalität verankert zu sein scheint. Da steht man kurz nach der Eröffnung des Buffets fassungslos vor einer völlig leer geräumten Fischplatte – und beobachtet den rundlichen Herrn, der gerade zwei Teller mit Shrimps voll geräumt hat und zu seinem Platz zurückeilt. Gut, dann eben keine Vorspeise. Allein, in der Anrichte mit der Aufschrift Kalbsragout findet sich nur mehr Ragout – dafür kein Kalb. Fast wäre man geneigt, seine Zurückhaltung über Bord zu werfen, um nicht am Ende nur mehr mit einem Stück gebackener Leber zum Tisch zurückzukehren – was bitter ist, wenn man Leber nicht mag. Doch am Ende besinnt man sich dann doch seiner guten Erziehung und bleibt lieber hungrig, um seine Persönlichkeit nicht vollends einem reaktivierten animalischen Raubtierinstinkt zu opfern.

Das ist übrigens der Trieb, der auch im Boardingbereich jener Fluglinien anzutreffen ist, in deren Flugzeugen freie Sitzplatzwahl herrscht. Da werden Ellbogen ausgeklappt, Trolleys mit dezenten Kicks aus der Bahn geworfen und Rücken so breit wie die Gangway. Ein Rugbymatch als Einstimmung auf den Flug? Nein, dann doch lieber irgendwo ganz hinten sitzen, von mir aus direkt neben einem lärmenden Triebwerk oder unter einem mit Leukoplast notdürftig verklebten Gepäckfach. Auf den billigen Plätzen, so würde man es wohl nennen. Das ist schließlich eine Flugreise – nicht Olympia. Irgendwo ganz vorn meine ich übrigens, den rundlichen Herrn vom Buffet gesehen zu haben. Habe ich erwähnt, dass er damals den zweiten Teller mit den Shrimps übrig gelassen hat?

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 24.01.2011)

Mit Foibe, Föbe und Fibi auf den Mond

Zwischen Belustigung und Gesichtsstarre muss es in ihren Ganglien oszilliert haben, als sie der Aussprache gewärtig wurde, in der ihr Name soeben in den Äther gehaucht wurde: „Föbe“ war sie gerade aufgerufen worden. Nun wissen wir spätestens seit der Fernsehserie „Friends“, dass der Name im angloamerikanischen Raum eher als „Fibi“ ausgesprochen wird. Und auch Phoebe selbst schien in jenem Moment gar nicht so sehr zum Lachen zumute. Jener Person, die sich ihres Lapsus möglicherweise gar nicht bewusst war, aber gleich den Vorwurf der Unbildung zu machen, griffe allerdings zu kurz.

Schließlich geht der derzeit sehr beliebte weibliche Vorname auf das griechische Φοίβη zurück, was so viel wie „die Leuchtende“ bedeutet und „Foibe“ ausgesprochen wird. Bezeichnet wurde damit übrigens die Titanin „Phoibe“, Tochter des Uranos und der Gaia sowie Großmutter der Artemis – die auch als Mondgöttin bekannt und von so manchem Dichter mit dem Beinamen Phoibe versehen wurde. Ebenfalls „Phoibe“ wurde jene Diakonin genannt, die im Auftrag des Apostels Paulus dessen Brief an die Römer überbrachte, und deren Gedenktag im katholischen und orthodoxen Kalender am 3. September gefeiert wird. Dass der Name in diverser Literatur und in Lexika auch des Öfteren als „Phöbe“ zu finden ist, gibt eine Ahnung, welche Bandbreite an Aussprachen dieser Name schon hinter sich hat. Dass es im Französischen sogar Phoebé oder Phoebeoe gibt, macht die Sache auch nicht einfacher.

Doch allen Phoebes dieser Welt, die sich falsch angesprochen fühlen, sei ein Trost mitgegeben: In Israel hieß ich „Arik“, ein betrunkener Schwede auf der Fähre von Stockholm nach Helsinki lallte „Örich“ – und in frühen Jahren sagte meine Nichte „Erkel“ zu mir. Also, liebe Föbe, irgendwie sitzen wir doch im selben Boot.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 17.01.2011)

Subtiles Mobbing an der Wursttheke

Als netter Kollege geht man mittags nicht einfach nur für sich in den Supermarkt ums Eck. Man fragt höflicherweise auch seine Sitznachbarn, ob sie vielleicht etwas brauchen. Anhand der zustande gekommenen Einkaufsliste kann man ablesen, welcher Kollege noch eine Rechnung mit einem offen hat. Dabei verhält sich die Intensität jener Rechnung direkt proportional zur Komplexität der Bestellung. Eine Käsesemmel bedeutet etwa, dass das Verhältnis weitgehend ungetrübt ist. Hat es jedoch ein Kollege auf Sie abgesehen, liest sich sein Wunsch etwa wie folgt: „An der Brottheke ein Winterzeitweckerl nehmen – das gibt es nur in der Doppelpackung, also bitte dort aufmachen und neu verpacken lassen – und damit zur Wursttheke marschieren. Dort elf Deka Salami mit Peppadew (oder irgendeine andere Wurstsorte, die möglichst umständlich aus der Theke hervorgekramt und aufgeschnitten werden muss, Anm.) in das Weckerl füllen. Dazu eine Scheibe Gouda und ein Gurkerl. Und noch ein Biojoghurt aus linksdrehenden Aminosäuren und einen Smoothie mit Boysenbeerengeschmack. Das wär’s, mehr brauche ich eh nicht. Danke schön!“

Während man nun peinlich berührt an der Wursttheke die Bestellung durchgibt, darum bittet, alles  einzeln zu verpacken, und gleichzeitig den wartenden Kunden dahinter einen entschuldigenden Blick zuwirft, hat man viel Zeit, um über Revanche zu sinnieren. Vielleicht lässt sich ja sogar eine Route berechnen, bei der der Kollege das nächste Mal besonders oft quer durch den Supermarkt laufen muss. Eine Kombination aus Biokichererbsen mit mariniertem Seeteufel vielleicht. Dazu eine eisgekühlte Schwarzwälder Kirschtorte, die man an der Wursttheke aufschneiden und mit Honigkrustenschinken füllen lässt. Das wär’s, mehr brauche ich eh nicht. Danke schön!

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 10.01.2011)

Monsieur Pujol, der Geldscheißer und ich

Gleich vorweg bitte um Verzeihung, denn eigentlich sollte man derartige Worte ja gar nicht in den Mund nehmen. Doch gelegentlich rutscht es dann doch raus – man wünscht sich einen Geldscheißer. Allein, durch Fäkulieren monetäre Erträge zu erwirtschaften, hat sich als Geschäftsmodell bisher nicht wirklich durchgesetzt. Doch in dem Moment, in dem diese Wahrheit demütig hingenommen wird, sei ein Mann erwähnt, der es zumindest auf ähnlichem Wege zu einem ansehnlichen Einkommen gebracht hat.

Joseph Pujol, geboren 1857 in Marseille, hat Ende des 19. Jahrhunderts im Pariser Moulin Rouge Gagen eingestreift, die sogar über jenen seiner Zeitgenossin Sarah Bernhardt lagen. Und das mit einer Tätigkeit, von der man nicht einmal annehmen würde, dass sie überhaupt existiert: Pujol war ein Kunstfurzer. Unter seinem Künstlernamen „Le Pétomane“ blies er zum Gaudium des Publikums mit seinem Darmschließmuskel die Marseillaise, imitierte Musikinstrumente wie die Tuba und inszenierte den Kanonendonner der Schlacht von Austerlitz. Seine Kunst war hoch angesehen, er spielte vor ausverkauften Häusern. Persönlichkeiten wie der britische Thronfolger Edward oder Sigmund Freud amüsierten sich königlich über Pujols Darbietungen.

Ähnlich erfolgreich war der 1966 im britischen Macclesfield geborene Paul Oldfield – er tourte als Kunstfurzer um die Welt und nahm unter seinem Pseudonym „Mr. Methane“ im Jahr 2000 sogar eine CD auf, auf der er unter anderem den Donauwalzer interpretierte. Auf diese Weise lässt sich also tatsächlich Geld verdienen. Aber bevor jetzt Analogien zur heißen Luft anderer Berufsgruppen gezogen werden, brechen wir diese Kolumne lieber ab.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 03.01.2011)