Neulich auf der Couch

Eigentlich halte ich ja nicht so viel von Therapie. Wenn Sie da in meinem Kopf herumwühlen, was soll denn da schon herauskommen? Dieses ganze freie Assoziieren klingt ja recht nett, aber in Wirklichkeit ist das alles doch nichts anderes als blöder Dadaismus, während im Hintergrund das Taxameter läuft und ich nach dieser Stunde um weitere 90 Euro erleichtert bin. Und doch hält mich etwas hier bei Ihnen, Herr Doktor. Ich fühle mich richtig wohl. Viel wohler als zu Hause. Gut, zu Hause sitzen Sie halt nicht dabei und hören zu. Und ich kann hier nicht einfach die Stereoanlage aufdrehen oder mir ein kühles Getränk aus dem Kühlschrank holen. Aber selbst das vergesse ich hier.

Im Grunde hätte ich mir den Gang zu Ihnen trotzdem sparen können. Aber ich musste ja unbedingt spontan sein, nicht lange nachdenken, was gut für mich ist. Vorher probieren, alle Möglichkeiten in Ruhe abwägen und nicht gleich zuschlagen, so geht es richtig. Aber nein, bei mir muss es immer wieder anders gehen. Schnell, schnell, das ganze einfach hinter mich bringen. Nur ja nicht zu viel nachdenken. Herr Doktor, verstehen Sie, was ich meine?

Am Ende sieht es dann immer so aus, dass ich unter der Entscheidung leide wie ein Hund. Und das nur, weil ich immer gleich genervt bin. Weil ich nicht fähig bin, aus vielen Optionen die richtige herauszusuchen. Es ist wie beim Hosenkaufen. Die erste, die ich anprobiere, die wird es. Wozu überhaupt eine zweite probieren? Und jetzt liege ich hier bei Ihnen, lang ausgestreckt, mit Beinfreiheit, den Kopf in angenehmem Winkel auf den Seitenarm gelegt. So bequem, wie es daheim niemals sein kann. Nur weil ich wieder einmal viel zu schnell Ja gesagt habe. Ich hätte mir diese verdammte Ikea-Couch nie kaufen dürfen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 27.04.2009)

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House Running

Was Germany’s next Topmodels können, kann ich doch auch. Der Gang über den „Vertical Catwalk“, auch House Running genannt, könnte mein Einstieg ins Modelbusiness werden.

Was gehört dazu, ein Supermodel zu sein? Seit „Germany’s next Topmodel“ wissen wir, dass eine Voraussetzung dafür ist, auf einer senkrechten Hauswand herumzuspazieren. Nun habe ich weder Modelmaße noch die jugendliche Strahlkraft, die mich auf dem Catwalk in die Herzen der Haute-Couture-Afiçionados katapultieren würde, doch das mit dem Wandern bekomme ich hin.

Als Laufsteg bietet sich das Airo Hotel in Wien-Oberlaa an, wo es einmal im Monat (nächster Termin: Sa., 17. Mai, Infos: www.jochen-schweizer.at) die Gelegenheit gibt, eine Wanderung über die Fassade zu unternehmen. 50 Meter abwärts. Eine gute Gelegenheit also, um sich und die neuesten Errungenschaften der Bekleidungsindustrie der staunenden Öffentlichkeit zu präsentieren. Dumm nur, dass die Organisatoren auf das Tragen von Helm, Handschuhen und Klettergurt bestehen, was die blaue Levi’s 501 und das rote T-Shirt mit dem kirgisischen Wappen am Rücken etwas aus dem Blickfeld drängt. Aber gut, man kann nicht alles haben.

Oben am Dach ist man ohnehin ein wenig abgelenkt. Weniger vom Oberlaaer Panorama als vom Gedanken, gleich über die Kante des Hauses steigen zu müssen. Für jemanden, der schon in geringerer Höhe unruhig wird, wenn es kein zumindest hüfthohes Geländer gibt – ja, das werde ich -, ein seltsamer Gedanke. Immerhin, beim Abstieg ist man mit einem Seil gesichert. Das beruhigt.

Es geht bergab. Dann die letzten Sekunden vor dem Auftritt. Stehen an der Kante. Blick hinunter. Wie in einen Babysitz setzt man sich in den Klettergurt. Und lehnt sich nach vorne. In diesem Moment wirkt alles unlogisch. Und da das Nach-vorne-Lehnen in einer Art Hockstellung erfolgt, ist auch die ästhetische Komponente eher eine Niederlage. Sekunden später hängt man in der Waagrechten. Jetzt Beine durchstrecken. Der erste Schritt. Ein bisschen wackelig, als müsste man erst gehen lernen. Und etwas ruckelig ist es, denn zu Beginn muss man sich an einem Seil in Richtung Boden ziehen. Nach und nach werden die Schritte lockerer, geht es flott bergab. Angst? Woher denn, ist ja ein Spaziergang. Nur eben in der Vertikalen. Endlich kommt auch das Modelfeeling auf. Elegant einen Fuß vor den anderen setzen, in die Menge lächeln, die von unten ungläubig heraufblickt. Endlich reich und berühmt.

Minuten später ist es vorbei. Auf einer Matte endet der Laufsteg, die Perspektive dreht sich wieder um 90 Grad. Heidi Klum würde jetzt sagen, wie tapfer ich war – würde sie das? Vielleicht ein wenig an meinem Laufstil herummäkeln. Kann schon sein, ein bisschen zittern die Knie ja doch. Aber in der leicht adrenalingeschwängerten Euphorie ist das so nebensächlich. Gedankennotiz: Bei der nächsten Staffel des Model-Castings anmelden.

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Ein Topmodel macht auch im Klettergurt eine gute Figur. Ich nicht ganz so. Aber daran denkt man kurz vor dem 50-Meter-Abstieg ohnehin nicht wirklich.

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Der härteste Moment: Das Vorbeugen über die Kante und der erste Schritt auf die Hausmauer. Der zweite ist auch noch hart, dann kommt die Sicherheit.

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Hängt man in der Wand, ist es ein Spaziergang. Hallo Schwerkraft, ich komme! Jetzt weiß ich, was eine steile Karriere ist.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 26.04.2009)

Die Warnschildkröte und der Imperativ

Sprache ist ein unglaublich schönes Spielzeug. Keine Anschaffungskosten, hoher Unterhaltungswert und nach dem Spielen muss man auch nicht alles wieder aufräumen. Man kann allein mit ihr spielen, sich aber auch gemeinsam dem Vergnügen hingeben. Und noch dazu gibt es unzählige verschiedene Spielarten. Sehr beliebt ist etwa das Spielen mit einer Bedeutungsverschiebung, wenn in Tiernamen ein Imperativ verborgen ist. „Glüh, Würmchen!“ oder „Sing, Vogel!“ sind klassische Beispiele dafür. Mit ein bisschen Fantasie entdecken Sie auch im Rollmops einen Befehl an den kleinen, doggenartigen Hund, sich am Boden zu wälzen. Aber ob ein Hirsch tatsächlich der Aufforderung nachkommt, durch hohen Innendruck zu explodieren (Auf Platzhirsch sind Sie jetzt schon von selbst gekommen, oder?), ist zu bezweifeln.

Ein herrliches Spiel bietet auch die Beschäftigung mit zusammengesetzten Substantiven. Vor allem dann, wenn zwei Komposita zu einem Nonsenswort verbunden werden. Da begegnet uns dann der Kurvendiskussionsleiter, wird ein Blick auf eine Grenzbalkengrafik geworfen oder die Strohfeuerwehr alarmiert. Irgendwo zwischen Zoologie und Straßenverkehrsordnung treffen wir auf die Warnschildkröte oder das Zebrastreifenhörnchen. Und sollte die katholische Kirche auf die Idee kommen, einen Action-streifen zu drehen, würde der Protagonist wohl mit einem Heiligenscheinwerfer durch das Bild laufen. Versuchen Sie es einfach mal. Man glaubt gar nicht, wie schnell sich Erfolgserlebnisse einstellen.

Zu guter Letzt noch ein Spiel, das auf mangelnden Englischkenntnissen basiert. Lesen Sie englische Wörter einfach so, wie sie auf Deutsch klingen würden. Damit verabschiede ich mich. File busy.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 20.04.2009)

Erkennt man alkoholfreies Bier am Geschmack?

Bier ohne Alkohol gilt als geschmacklich minderwertig. Aber kann man den Unterschied zwischen echtem und alkoholfreiem Bier im Blindversuch überhaupt erkennen?

Lang waren die Gesichter an der Corniche in Muscat. In keinem einzigen Lokal der Hauptstadt des Sultanats Oman war Bier aufzutreiben. Lediglich eine Flasche Barbi can wurde zum Essen gereicht – alkoholfrei. Mundwinkel bei Fuß dachte die Reisegruppe an daheim, an echtes Bier. Aber auch hierzulande haftet Bier ohne Alkohol der Nimbus des Minderwertigen an. Es schmeckt halt doch anders. Aber – tut es das wirklich? Vor allem, merkt man den Unterschied, wenn man nicht weiß, was im Glas ist?

Die Versuchsanordnung ist naheliegend. Vier Dosen Bier, zwei mit, zwei ohne Alkohol. Dazu eine Augenbinde und eine Assistentin, die die mit Nummern versehenen Gläser in willkürlicher Reihenfolge reicht. Ein bisschen wie in „Wetten, dass . . ?“, nur ohne Publikum.

Beim ersten Schluck macht sich ein gewohnter Geschmack breit – und die Erkenntnis, dass Alkohol in Bier vielleicht doch nicht so leicht zu erahnen ist. Es wird also eine Gefühlsentscheidung. Ja, das muss echtes Bier sein. Das nächste Glas schmeckt nicht viel anders. So, wie es aussieht, fehlt mir zum Biersommelier also doch noch einiges. Also wieder ein Urteil aus dem Bauch heraus – vermutlich also auch mit Alkohol. Objekt Nummer drei liegt etwas anders auf der Zunge – also alkoholfrei. Sagen wir mal. Erst das vierte Bier weckt Assoziationen – als ehemaliger Simmeringer kennt man das Bier aus der niederösterreichischen Nachbargemeinde natürlich. Also, auch wenn es etwas wässrig ist, da muss Alkohol drin sein.

Gut, Übung also vorbei . . . Nein, die Assistentin reicht noch ein Glas. Eines muss also doppelt gewesen sein. Wie auch immer, Urteil: alkoholfrei.

Das Ergebnis. Als ich die Augenbinde ablege, ist am Gesicht der Assistentin ein breites Grinsen zu sehen. Es folgt der Blick auf die Liste mit den richtigen und falschen Antworten. Und ein Hauch von Ernüchterung – wenn es die nach fünf Schluck Bier überhaupt schon geben kann. Viermal falschgelegen, alkoholfrei für alkoholisch gehalten und umgekehrt. Nur eine einzige Punktlandung beim alten Bekannten aus Niederösterreich. Ein wenig fühle ich mich wie Harald Krassnitzer, der seinerzeit als Testimonial für koffeinfreien Kaffee ebenso danebengegriffen hat. „Das könnt ihr nicht mit mir machen“, war damals seine Aussage, die jetzt wieder in mein Bewusstsein dringt.

Was lernen wir daraus? Vermutlich, dass schon allein die Packung und die Bezeichnung viel ausmachen. Dass manche Dinge ihr schlechtes Image nur dann loswerden, wenn man ohne vorgefertigte Meinung an sie herangeht. Und dass ich eine Karriere als Bierpapst wohl ausschließen kann. Aber an einem halte ich weiterhin eisern fest: Coca-Cola light schmeckt furchtbar.

(c) Michaela Bruckberger (Die Presse)

Die Versuchsanordnung: vier Biersorten, zwei mit Alkohol, zwei ohne. Die Gläser und die Dosen sind nummeriert, um sie nach dem Test zuordnen zu können | (c) Michaela Bruckberger (Die Presse)

(c) MIchaela Bruckberger (Die Presse)

Der Versuch: Mit verbundenen Augen trinkt sich Bier auch nicht anders als sonst. Abgesehen davon, dass man nicht weiß, was gerade im Glas ist. | (c) Michaela Bruckberger (Die Presse)

(c) Michaela Bruckberger (Die Presse)

Das Resultat: Ein wenig ernüchternd ist es schon: Viermal daneben gelegen, ein einziges Bier richtig erkannt - dafür aber wenigstens gleich mit Sorte | (c) Michaela Bruckberger

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 19.04.2009)

Der entscheidende zweite Satz

Der erste Eindruck soll ja bekanntlich über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Klingt gut, ist aber falsch. Diesem äußerst oberflächlichen Konzept widerspricht nämlich die Praxis. Und die beweist, dass in Wirklichkeit etwas ganz anderes die Spreu vom Weizen trennt – der entscheidende zweite Satz. Nehmen wir als Beispiel die Drogenfahnder, die in Zügen aus Amsterdam die Passagiere ins Kreuzverhör nehmen. „Haben Sie Drogen bei sich?“ – „Nein.“ So weit ist der Dialog an Unverbindlichkeit kaum zu überbieten, doch dann setzen die psychologisch geschulten Beamten alles auf eine Karte und bringen ihn an – den entscheidenden zweiten Satz: „Sicher nicht?“

In genau diesem Moment nimmt das Gesicht des Gegenübers Leichenblässe an, die Knie beginnen zu zittern, und sofort knickt der psychologisch derart ins Eck gedrängte Fahrgast ein – und das ganz unabhängig davon, ob er nun wirklich etwas bei sich hat oder nicht. Sie sehen, der zweite Satz hat entschieden.

Ein ähnliches Muster erleben Urlauber, die in orientalischen Bazars von Händlern angesprochen werden. „My friend (so viele Freunde wie in der Altstadt von Jerusalem hatte ich noch nie!), you want to buy something?“ Es folgt das „No, thank you“, das – längst verinnerlicht – reflexartig aus dem Rückenmark abgefeuert wird. Doch dann, Sie ahnen es, setzt der psychologisch geschulte Verkäufer alles auf eine Karte und bringt ihn an – den entscheidenden zweiten Satz: „Good price!“ Und schon trägt der Reisende einen Turban, hält in der linken Hand einen Dolch („Really antique, I promise“) und in der rechten eine Wasserpfeife. Alles schon erlebt, oder? Und falls Sie Zweifel an meiner Theorie haben, sehen Sie sich doch einfach den zweiten Satz dieser Kolumne an.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 06.04.2009)

 

Drei Tage als Flüchtling im eigenen Land

Verdammt zum Nichtstun, keine Möglichkeit zur Ablenkung, von der Bevölkerung schief angesehen: Die Aktion „3 Tage fremd“ zeigt, wie das Leben als Asylwerber aussieht.

Ich verstehe kein Wort. Noch mit der Reisetasche in der Hand werde ich von Selim durch das Gebäude getrieben. Er öffnet eine Tür, zeigt auf ein Waschbecken und sagt etwas in einer fremden Sprache. Was der tschetschenische Asylwerber mir zeigen will, ist klar: die Einrichtung des Hauses, in dem ich die nächsten Tage verbringen soll. Es ist ein Flüchtlingsheim. Sein Flüchtlingsheim.

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Trister Anblick: Im Flüchtlingsheim

„3 Tage fremd“ ist der Name der Aktion, die zeigen will, wie Asylwerber ihren Tag verbringen, wie sie über die Runden kommen. Und das nicht aus der bequemen Sicht des Zuschauers – sondern mittendrin. Als Flüchtling. Fünf Euro pro Tag. „Ausweis, Unterschrift, das sind die Regeln.“ Ein wenig kafkaesk wirkt die Situation schon. Immerhin steht das Flüchtlingsheim in Kirchschlag bei Linz mittlerweile leer, wurde vor wenigen Tagen aus Kostengründen geschlossen. Der Betreiberverein bekam keine Förderungen mehr. Die Aktion setzt einen Schlusspunkt, ehe das Gebäude von seinem neuen Mieter zu einem Wohnhaus umgebaut wird. Wie auch immer – die zunächst herrschende Vorstellung von kasernenhaftem Drill weicht schnell einer entspannten Sozialarbeiteratmosphäre. „Nein, es gibt keine Verpflichtungen“, sagt Initiatorin Karina Stockhammer, die die Heimleiterin mimt. „Aufstehen kann man, wann man will.“ Auch ein Programm gibt es nicht.  Lediglich einen Putzplan. Wer sich  an den nicht hält, bekommt nur die Hälfte des Taggeldes. Das wären dann  2,50 Euro. Aber selbst mit dem ganzen Betrag scheint es schwierig, überhaupt durchzukommen. Denn mit den fünf Euro muss auch die Verpflegung bestritten werden – als Selbstversorger.

Verständlich, dass das Tagesprogramm dadurch eher eingeschränkt ist. Zwar fährt ein Postbus alle heiligen Zeiten nach Linz, doch allein der Fahrschein dafür braucht fast das gesamte Budget auf. Und selbst wenn der Wirt in Kirchschlag geöffnet hätte, würde ein Bier – geschweige denn eine Mahlzeit – den finanziellen Rahmen bei Weitem sprengen. Und so lernt die Gruppe von 15 Freiwilligen recht schnell, dass die Hauptbeschäftigung eines Asylwerbers vor allem daraus  besteht, die Zeit totzuschlagen. Wie in „Big Brother“, nur ohne Kameras. Und ähnlich wie in der Containershow beginnt der erste Abend damit, dass sich die Teilnehmer im Aufenthaltsraum beschnuppern, über sich erzählen, und warum sie bei der Aktion mitmachen.

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Mit Bertl im Zimmer

30 Menschen wohnten zuletzt hier: Tschetschenen, Somalier, Mongolen, Männer, Frauen, Kinder. Ein Gemisch, das um einiges weniger homogen ist als die 15 Österreicher, die jetzt um den Tisch sitzen. Man hat denselben kulturellen Hintergrund, versteht einander – und hat die Gewissheit, dass die Aktion in einigen Tagen beendet sein wird. Ein Gefühl, das Asylwerbern fremd sein muss. Sie wissen nicht, wie lange sie bleiben werden. Sie können nachher nicht einfach nach Hause fahren und sich an ein paar Tage in den Bergen  erinnern. Über ihnen schwebt ständig das Damoklesschwert eines negativen Asylbescheids.

Fast stellt sich deswegen ein schlechtes Gewissen ein, dass wir alle hier gerade einmal eine Art Schullandwoche machen – wenn auch unter erschwerten Bedingungen. Kein heißes Wasser in der Dusche etwa. „Das Wasser war immer schon kalt“, sagt Selim, der im Rahmen des Projekts die Rolle eines Zivildieners im Heim spielt, lachend, als am Morgen ein paar über die Kälte in den Zimmern klagen.

Doch das größte Problem ist die Langeweile, das Gefühl, einfach nichts tun zu können. Nichts tun zu dürfen. Abwechslung bringen die wenigen Fixpunkte des Tages – wie die Mahlzeiten. Und das Einkaufen natürlich, das  erstaunlich gut funktioniert, weil alle ihr Tagesgeld zusammengelegt haben. Damit lassen sich beim Diskonter  im Nachbarort einige Großpackungen kaufen – Reis, Nudeln, Suppenwürfel, Kaffee. Natürlich, einige Kunden schauen etwas erstaunt. Doch auf den zweiten Blick wissen sie, wer hier gerade seine Vorräte auffüllt – die Asylwerber aus dem Heim. Erkennbar an eigens für die Aktion angefertigten T-Shirts, auf denen in rosa Lettern „Fremder“ prangt. Und wieder regt sich das schlechte Gewissen, immerhin können wir die Leibchen ja jederzeit ablegen. Ein somalischer Asylwerber wird diese Blicke wohl länger – und weitaus intensiver – aushalten müssen.

Gegen das Nichtstun

Es sind ähnliche Blicke, die uns auch bei einem je ner Programmpunkte begegnen, die  Abwechslung in den Flüchtlingsalltag bringen: gemeinnütziger Arbeit im Dorf. Mit Besen und Schaufeln aus gestattet, säubern wir die Gehsteige rund um Kirche und Gemeindeamt vom Streusplitt. Nein, die Blicke sind nicht unbedingt böse. Viele plaudern darüber, wie gut es mit den Asylwerbern aus dem Heim gelaufen ist, zeigen sich dankbar für die Arbeit und bringen sogar kleine Geschenke – ein Sackerl „Mohnflesserln“. Vier Euro pro Stunde bekommen die Asylwerber danach für die Arbeit. Geld, das den Alltag etwas leichter macht. Viel mehr geht nicht, denn Arbeitsbewilligungen für andere Jobs gibt es so gut wie nie. Und doch ist man dankbar, schließlich lassen sich so die langen Stunden der Untätigkeit vertreiben, stellt sich zumindest ein wenig das  Gefühl ein, etwas geleistet zu haben.

Doch nicht bei allen Bewohnern von Kirchschlag ist eine positive Grundhaltung zu spüren. Viele waren dagegen, als das alte Erholungsheim für Gehörlose 2005 zum Flüchtlingsheim umfunktioniert wurde. Und auch wenn die Ängste vieler nicht bestätigt wurden, hört man bei manchen eine gewisse Zufriedenheit heraus, dass das Kapitel nun beendet ist. „Wir haben damals eine Alarmanlage installiert“, erzählt eine Frau. „Wer zahlt uns das?“ Ob seit Eröffnung des Heims bei ihr etwas vorgefallen sei? Nein, das nicht. Bei der Polizei heißt es, dass kaum etwas passiert sei. „Aber“, so die Dame, „es wird ja alles vertuscht.“ Zu uns ist sie freundlich – trotz der T-Shirts, die uns als Asylwerber ausweisen.

Ausgeliefert

Das, so stellt sich nach und nach heraus, ist wohl das große Manko der Aktion: Man mag zwar  besser verstehen, unter welchen Bedingungen Asylwerber leben, unter welcher psychischer Belastung sie schon allein wegen der teils widrigen Bedingungen im Heim, der Enge, der finanziellen Knappheit und der Langeweile leben. Doch nie lässt sich das Gefühl der Fremdheit, des Ausgeliefertseins an ein System, das man nicht kennt und nicht versteht, so verinnerlichen, wie es ein Flüchtling erlebt. Wenn Selim also über seine Erfahrungen spricht – nicht auf Tschetschenisch oder Russisch, sondern auf Deutsch -, werde ich wahrscheinlich trotz des Aufenthalts im Heim resignierend eingestehen müssen: Ich verstehe kein Wort.

HINTERGRUND

Leben wie ein Flüchtling
Die Aktion „3 Tage fremd“ wurde von fünf Kirchschlagern  ins Leben gerufen, die zeigen wollten, wie der Alltag von  Asylwerbern in einem Flüchtlingsheim aussieht.

Anstoß zur Aktion
Das Heim in Kirchschlag bei Linz, in dem seit 2005 bis zu  30 Asylwerber gleichzeitig untergebracht gewesen sind, wurde Ende März geschlossen, weil der Betreiberverein keine Förderun gen mehr erhielt. Um das Kapitel sinnvoll zu beenden und gegen Vorurteile anzukämpfen, wurde die Aktion ins Leben gerufen.

Teilnehmer
Von ursprünglich geplanten 30 Freiwilligen, die drei Tage im Heim verbringen sollten, machten schließlich 15 mit. Abschluss des Programms bildet heute, Sonntag, eine Podiumsdiskussion im St.-Anna-Pfarrheim in Kirchschlag. Beginn: 17 Uhr. Infos zur Aktion unter www.3tagefremd.at.


(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 05.04.2009)