Cäsars und Stefan Petzners illeistische Sprachspiele

Wer ein großes Ego hat, spricht gern über sich. Dementsprechend verhält sich der Grad der Selbstüberzeugung direkt proportional zur Anzahl des Wortes „Ich“ im Kommunikationsverhalten der betreffenden Person. Allein, irgendwo gibt es eine Art gläserne Decke, an der die Bezeichnung für die eigene Identität mit dem Referieren über das Selbst nicht mehr mithalten kann. Durchstoßen lässt sich diese Decke etwa mit dem Pluralis Majestatis: Das „wir“ repräsentiert auch gleich sämtliche Untertanen und Untergebenen. Weniger bekannt ist der Pluralis Modestiae, der Bescheidenheitsplural – wenn etwa jemand seine eigene Leistung durch ein „wir“ als Leistung eines möglicherweise gar nicht daran beteiligten Kollektivs im Hintergrund beschreibt.

Und dann besteht noch die Möglichkeit, beim Reden über sich selbst in den Illeismus zu verfallen – eine Wortbildung aus dem lateinischen Pronomen „ille“ („jener“, abgewandelt auch „er“) und dem Nominalsuffix „-ismus“. Gaius Julius Cäsar hat das in „De bello Gallico“ zur Perfektion getrieben, indem er, um den Anschein von Objektivität zu erwecken, von sich in der dritten Person geschrieben, sich dabei aber umso mehr in den Himmel gelobt hat. (Sein Zitat „Veni, vidi, vici“ stammt übrigens nicht aus diesem Werk!)

Illeismus kann auch als Stilmittel eingesetzt werden, etwa, um das Gefühl einer außerkörperlichen Erfahrung zu vermitteln. Auch kann das exzessive Verwenden der dritten Person als Ausdrucksform von Geschöpfen dienen, die sich nicht wirklich ihres Selbst bewusst sind. Roboter oder künstliche Lebensformen in der Science-Fiction fallen etwa häufig in diese Kategorie („Diese Einheit ist defekt!“). Warum aber manche Politiker von sich in der dritten Person sprechen („Der Stefan Petzner“, „der Gerhard Dörfler“,…), ist eine andere Frage. Aber darüber wird er sich bald noch Gedanken machen. Er, der Verfasser dieser Kolumne.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 30.07.2012)

Das wohltuende Schweigen des Servierpersonals

Ein wenig irritierend war er schon, der Erstkontakt mit dem Kellner des Gasthauses in Rudolfsheim-Fünfhaus. Wie er sich so vor dem Tisch aufbaute und seinen stechenden Blick auf mich richtete – das hatte schon etwas Bedrohliches. Noch bedrohlicher war, dass er kein Wort sagte. Nur schaute. Nun, nach der ersten Schrecksekunde bestellte ich ein Bier. Seine Mimik blieb unverändert, als er auch nacheinander all die anderen am Tisch taxierte. Und bei keinem änderte er den Gesichtsausdruck, bei keinem zeigte er eine irgendwie geartete Reaktion, ob er das Gehörte denn auch verstanden hatte. In Situationen wie diesen meint man sogar Paul Watzlawicks Axiom „Man kann nicht nicht kommunizieren“ widerlegen zu können. Doch weit gefehlt, denn zwei Minuten später standen die bestellten Getränke auf dem Tisch. Es war lediglich eine auf das absolut Wesentliche reduzierte Kommunikation, die aufseiten des Kellners ohne jegliche verbale oder nonverbale Äußerung auskam.

Und spätestens ab diesem Moment wich das Bedrohliche sofort einer völlig gegenteiligen Stimmung. Es war angenehm. Kein pseudoamikales Gehabe, keine schlüpfrigen Kellnerwitze, kein schunkelfreudiges Verbalumtata bei der Entgegennahme der Bestellung. Und vor allem: keine pseudohöflichen Floskeln. Diese angloamerikanische Unart hat sich nämlich in den letzten Jahren heimlich und still des Sprachschatzes sämtlichen Verkaufs- und Bedienungspersonals bemächtigt und droht den natürlichen Widerwillen durch geheuchelte Freundlichkeit zu verdrängen. Warum muss etwa ein Kellner lächelnd „Gern“ sagen, wenn man ihn bittet, noch ein Getränk zu bringen? Wo doch ein einfaches „Ja“, ein „Okay“ oder was auch immer genügen würde, um zu signalisieren, dass die Botschaft angekommen ist. Oder auch nur Schweigen. Und im Übrigen glaube ich nicht, dass der Kellner in Rudolfsheim-Fünfhaus das Bier ungern gebracht hat.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 23.07.2012)

Das Geheimnis der Bettbezüge in Hollywood

Sosehr man sich auch bemüht, man wird sie nirgendwo bekommen – jene L-förmig geschnittene Bettdecke, wie wir sie aus Hollywoodfilmen kennen. Das sind jene Bettbezüge, die bei Frauen genau unter die Achseln reichen, beim Mann neben ihr hingegen bis zum Bauchnabel. Auch der Eindruck, dass man von jedem Fenster in Paris aus den Eiffelturm sehen kann, entpuppt sich in der Realität als cineastisch-verblendetes Hirngespinst. Und schließlich würden wir uns niemals so anziehen, wie es uns die Schauspieler in diversen Blockbustern vormachen – erst die Hose zuknöpfen und dann das Hemd umständlich hineinstopfen. Und doch sollte man nicht gleich alles als unbrauchbar abtun, was das US-Kino anbietet, denn vor allem im Bereich der Phrasen kann man doch einiges lernen.

Wie sehr kann man etwa Eindruck schinden, wenn man eine stark blutende Fleischwunde lapidar mit „Ach, ist doch nur ein Kratzer“ kommentiert. Großes Kino lässt sich auch bei einer Wanderung inszenieren, wenn man keine Lust mehr verspürt, bis auf den Gipfel mitzumarschieren: „Lasst mich zurück, ich bin doch nur eine Belastung für euch!“ Und dann gibt es auch noch die wunderbare Redewendung: „Du hast dich verändert!“ Die lässt sich vortrefflich in einer Diskussion einsetzen, bei der man argumentativ gerade keine Chance mehr hat. Damit erwischt man das Gegenüber frontal, reißt es von der inhaltlichen Ebene sturzflutartig ins Persönliche. Der Gesprächspartner ist verunsichert – kann da etwas dran sein? Wie soll ich mich verändert haben? Genau diese Momente des Grübelns kann man nun nutzen, um sich zu sammeln, neue Argumente aufzubauen. Oder einfach Luft aus der angespannten Situation zu lassen. Und falls das Gegenüber fragen sollte, was man damit konkret meint, bleibt immer noch die Ausflucht in eine weitere Hollywood-Phrase: „Ach, nichts.“

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 16.07.2012)

Zeitverzögerte Spontaneität

Schlagfertigkeit ist das, was einem in der Regel erst auf dem Heimweg einfällt. Die eine Aussage, mit der man vorher hätte glänzen können. Hätte, denn die übliche Reaktion oszilliert meist irgendwo zwischen verunsichertem Stammeln und Sätzen aus der Kategorie, die noch Tage später die Röte des Schames ins Gesicht steigen lassen. Ja, es ist nicht einfach, innerhalb von Sekundenbruchteilen aus der Unzahl von Antwortmöglichkeiten die eine, die passende herauszufinden und mit der Intensität einer verbalen Ejakulation nach außen zu schleudern. Erst Minuten oder Stunden später, zu spät jedenfalls, um sie noch anbringen zu können, schält sich vielleicht die passende Meldung aus den Ganglien. Allein, mit dieser zeitverzögerten Spontaneität ist das Entertainmentpotenzial dann doch eher enden wollend.

Und doch gibt es sie, die Momente, in denen alles passt – in denen man spontan genau das sagt, wofür Drehbuchschreiber oft Wochen harter Arbeit brauchen. Das Problem dabei: Vor lauter begeisterter Überraschung über sich selbst ist man nur noch damit beschäftigt, still in sich hineinzukichern – und bedacht darauf, dem Gegenüber nicht das Gefühl zu geben, dass man gerade über seinen eigenen Witz lacht. Darum ist man wiederum nicht fähig, den kurzen Moment der Bewunderung, die das Gegenüber angesichts der treffend pointierten Reaktion hegt, in irgendeiner Form weiterzutreiben. Und sich vielleicht als smarten Entertainer zu geben, der im Windschatten der ersten Pointe ein Feuerwerk an Bonmots startet.

Welch Gaudium hätte das werden können, wie sehr wäre man in diesem Moment der humoristische Nabel der Welt gewesen. Doch es bleibt beim Konjunktiv. Und so stapft man heimwärts, mit einem Gefühl der Ambivalenz – dem Amüsement über die gute Pointe und der Enttäuschung, dass sie noch nicht zum richtigen Zeitpunkt abschussbereit war. Wobei – immer noch besser als ein Iocus praecox … aber das ist wieder eine andere Geschichte.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 09.07.2012)

Die Verhuchisierung der deutschen Sprache

Vorsicht, ein Huch geht um! Dieser Ausruf des erstaunten Erschreckens oder erschrockenen Erstaunens, der lange Zeit aus dem kollektiven Wortschatz ganzer Generationen verschwunden war, erfreut sich derzeit einer Renaissance. Ob der Begriff gemeinsam mit deutschen Zuwanderern ins Land gekommen ist, lässt sich zwar vermuten, jedoch nicht schlüssig nachweisen. Doch Faktum ist, dass das Huch dem Ups den Rang als primären Erstaunenslaut abgelaufen hat. Sehr traurig, das. Nun muss man schon zugestehen, dass Britney Spears‘ zweites Album „Oops!… I did it again“ schon an die zwölf Jahre alt ist. Und es braucht niemanden zu verwundern, dass sich der popkulturell so stark aufgeladene Begriff nicht ewig als primäre Spontaninterjektion halten kann. Doch warum muss die Upsologie gerade durch eine Verhuchisierung der deutschen Sprache abgelöst werden?

Warum kann nicht stattdessen das Hoppla, von mir aus auch gern in der austrifizierten Form des Hoppala, zum bevorzugten Ausruf des Erschreckens werden? Warum kann nicht o Schreck eine Wiederaufnahme in die Konversation finden? Oder noch besser, das Sapperlot könnte aus dem sprachlichen Ausgedinge ausbrechen und wieder einen triumphalen Einzug in den aktiven Wortschatz feiern. Das t am Ende dieser schönen Entstellung des französischen sacre nom (heiliger Name) darf übrigens nicht verschluckt werden, so wie die Franzosen es etwa beim Merlot tun. (Italiener hätten damit kein Problem, sie schlucken bekanntlich nur den Wein, nicht aber das t am Ende.) Wobei sich hier die Frage stellt, was mit den vielen t passiert, die nun in den Mägen der Franzosen herumtreiben. Und was ein Franzose sagt, wenn die derart verschluckten harten Buchstaben irgendwann wieder aus dem Körper hinausdrängen. Vermutlich so etwas wie oups oder houp, vermutlich. Aber eines ist klar: Huch sagen sie auf jeden Fall nicht.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 02.07.2012)