Die Einsamkeit des Käufers vor der Supermarktkassa

Ein bisschen peinlich ist es ja schon immer, wenn man da so allein vor der Kassa steht. Der Deostick, die Zahnpasta und die Taschentücher liegen längst auf dem Fließband, die Bankomatkarte ist gezückt und der Rucksack geöffnet, um gleich alles einräumen zu können. Nur von der Kassafrau ist nichts zu sehen – interessant übrigens, dass sich der Begriff Kassamann nie durchgesetzt hat, obwohl es ihn ja durchaus auch gibt. Im Grunde ist es in diesem Moment aber völlig egal, wer die Waren letztendlich über den Scanner zieht, solange es nur irgendjemand endlich tut. Üblicherweise dauert die Phase, in der man – mit ratlos schweifendem Blick quer durch das Geschäftslokal – darauf hofft, ein Angestellter möge von selbst bemerken, dass jemand wartet, eine knappe Minute. Dann setzt der Moment ein, in dem der Leidensdruck der Isolation das Schamgefühl rechts überholt und sich in den Worten „Kassa, bitte!“ den Weg in die Außenwelt bahnt.

Zugegeben, das erinnert von der Penetranz her an die Klingel, mit der man an der Hotelrezeption den Portier zu jeder Tages- und Nachtzeit nerven kann. Doch was wären die Alternativen, um die Aufmerksamkeit des Kassenpersonals zu erheischen? Ein Fünf-Liter-Gurkenglas zu Boden krachen lassen? Das müsste man dann wohl zahlen, also nein. Die Kassa besetzen, ein Transparent entrollen, von einem massiven Polizeiaufgebot umstellt und mit Wasserwerfern bedroht werden – und die Besetzung erst dann beenden, wenn die Kassenkraft hinter einem Regal hervorschlurft? Auch ein wenig drastisch. Oder lieber die harmlose Variante – einfach darauf warten, dass ein anderer Kunde seinen Einkauf beenden möchte. Und während man ihn dann schulterzuckend anblickt, braucht man nur noch darauf zu warten, dass er die penetranten Worte in den Mund nimmt: „Kassa, bitte!“ Mein Gott, dass die Leute immer so ungeduldig sein müssen . . .

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 26.09.2011)

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Das war nicht sehr nett von Ihnen, Herr Taxifahrer!

Selbst ein guter Reiseführer kann nicht alle Eventualitäten beinhalten, die einem widerfahren können. Das ist gut so, so wie es auch umgekehrt gut ist, wenn man nicht alles erlebt, was im Abschnitt „dangers and annoyances“ aufgelistet sind. In einem Indien-Führer kann man sich etwa über Krankheiten informieren, deren Namen man kaum aussprechen kann. In einem Israel-Guide wird man vor Ausflügen in den Gazastreifen gewarnt. Und in einem gedruckten Reisebegleiter für Sri Lanka wird man auf die – vergleichsweise harmlose – Gefahr aufmerksam gemacht, dass man als Auswärtiger grundsätzlich ein Vielfaches des Einheimischenpreises bezahlen muss.

Etwa bei den Taxis auf dem Flughafen. Hier bestehe die Gefahr, dass man – vom Flug ermüdet – übers Ohr gehauen wird. Vom Bandaranaike International Airport sollten es 2500 Rupien sein, um nach Mount Lavinia zu gelangen, den kleinen Badeort zwölf Kilometer südlich der Hauptstadt Colombo. Nach einigem Verhandeln war der Deal perfekt, der Fahrer würde uns an der Busstation von Mount Lavinia aussetzen. So fuhren wir los, freuten uns auf eine Dusche, und nach einer halben Stunde ließ uns der freundliche Fahrer vor einer Busstation raus. „Mount Lavinia?“ „Yes, Yes!“ Und weg war er. Bisschen viel los für einen Badeort, dachten wir, als wir uns auf die Suche nach unserem Hotel machten. Und seltsam, der Weg von der Busstation zum Hotel sah auf dem Plan doch viel kürzer aus . . . Der Polizist, dem wir den Plan von Mount Lavinia schließlich vor die Nase hielten und auf unser Hotel zeigten, war sehr freundlich. Er winkte ein Tuk Tuk heran, eines dieser dreirädrigen Taxigefährte, setzte uns und unsere Rucksäcke hinein und schickte uns auf den Weg – etwa zwölf Kilometer weiter südlich. Nach Mount Lavinia eben. Der Taxifahrer hatte uns mitten in Colombo aussteigen lassen. An irgendeiner Busstation . . . Vielleicht hätte ich ihm kein Trinkgeld geben sollen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 19.09.2011)

Das Wladiwostok des Westens

Alle Städte sind gleich, nur Venedig is e bissele anders. Friedrich Torbergs Tante Jolesch konnte wohl nicht wissen, dass sich genau dieser Andersartigkeit auch andere Städte rühmen. Wenn sie dabei auch immer wieder auf das große Vorbild Venedig zurückgreifen. Dass etwa Amsterdam gern als das „Venedig des Nordens“ bezeichnet wird, ist ja weithin bekannt. Dass derselbe Titel auch Brügge, Berlin, Hamburg und Stockholm umgehängt wurde, ist dann nicht mehr ganz so geläufig. Und dass sich auch Papenburg (wer kennt es nicht!), die nördlichste Stadt des Emslandes (wo?), mit diesem Titel schmückt, sei nur mehr am Rande erwähnt. Blickt man in andere Himmelsrichtungen, stößt man auch noch auf St. Petersburg, Bangkok und Suzhou in China oder Duisburg und Nantes. Tatsächlich scheint es, als würde sich jede Stadt, durch die zwei, drei Kanäle führen, gleich des venezianischen Renommees versichern wollen.

Neben Venedig begegnet man noch weiteren Städten, die überall auf der Welt weiterstrahlen. Gern verwendet wird etwa Paris. Und auch Rom – sobald in einem Örtchen mehr als drei Kirchen stehen, wird ihm gleich das Attribut „Rom des . . .“ umgehängt. Negombo an der Westküste Sri Lankas ist so ein Fall. Dort haben die Holländer übrigens einst einen Kanal errichtet – vielleicht böte sich also eine Kombination aus „Rom und Venedig Sri Lankas“ an. Und mancher Ort wird auch mit Jerusalem in Verbindung gebracht. Etwa Prag, Vilnius, Trondheim, Montreal, Lalibela in Äthiopien, auch Memphis in den USA. Und interessanterweise auch Amsterdam und Hamburg, die ja eigentlich schon Venedigs sind. Da soll sich einer auskennen . . .

Bleibt die Frage, warum eigentlich nie andere Städte bei diesem Spielchen zum Zug kommen. So etwa als „Amstetten des Balkan“, „Teheran des Nordens“ oder „Wladiwostok des Westens“. Irgendwie hätte das nämlich schon Potenzial.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 12.09.2011)