Meta-Selfies und Justin Biebers Porno-Bitch

Wahrscheinlich redet in ein paar Tagen niemand mehr darüber, also muss man jetzt noch etwas dazu sagen, wenn man etwas dazu sagen will. Über Selfies, nämlich, jene Modeerscheinung der digitalen und sozialnetzwerkenden Fotografie – derzeit vor allem in der Doppel-Selfie-Variante gemeinsam mit einer mehr oder weniger prominenten Persönlichkeit (UHBP, Papst etc.). Ein Phänomen, das durch Barack Obamas Auftritt bei Nelson Mandelas Trauerfeier aus der Jugendkultur in den medialen Mainstream gespült wurde, wo sie jetzt ein paar Tage lang bleiben darf, ehe sie wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwindet. Dass das Thema bereits weitgehend abgefrühstückt wurde, erkennt man übrigens daran, dass mittlerweile vor allem Meta-Selfies umherlaufen – also Aufnahmen, die Menschen dabei zeigen, wie sie gerade mit jemand anderem einen Selfie machen. Und spätestens dann, wenn Meta-Meta-Selfies in den sozialen Netzen zirkulieren – also Fotos von Menschen, die gerade Menschen fotografieren, die gerade einen Selfie machen –, ist die Zeit gekommen, sich etwas Neues zu überlegen. Vielleicht, sich von seinem Essen fotografieren zu lassen?

Oder das Fotografieren mit dem Handy einfach sein lassen. Und sich stattdessen sinnvolleren Dingen aus dem Bereich der Jugendkultur zu widmen. Der aktuellen Ausgabe des „Bravo“, zum Beispiel, die man von Freunden geschenkt bekommen hat. In der erfahren wir schon auf der Titelseite, dass sich Justin Bieber mit „tödlicher Sex-Sucht“ angesteckt hat. Bei einer, wie es heißt, „Porno-Bitch“. Im Inneren erfahren wir, dass eine „Brustmatte“, also eine behaarte Männerbrust, „voll bäääh“ ist. Dass „,Vampire Diaries‘-Hottie“ Paul Wesley (Muss man den kennen?) eine „Bitch datet“. Und dass Debbie Schippers (Wer?) den Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen will, dass sie „eine Bitch“ sei – weil sie „sexy Selfies“ auf Instagram gepostet hat. Womit sich der Kreis wieder schließt. Aber wahrscheinlich redet in ein paar Tagen ohnehin niemand mehr darüber.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 16.12.2013)

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Ich, mein Leben und der ganze Rest

Irgendwann kommt vermutlich jeder auf die Idee, eine Autobiografie zu verfassen. Eine Idee, die in den häufigsten Fällen daran scheitert, dass man eigentlich gar nichts zu erzählen hat. Das zweite große Hindernis besteht im Gedanken daran, wer sich überhaupt dafür interessieren könnte, was man zu erzählen hat – wenn man es überhaupt hat, wie bereits vorher erwähnt. Drittens verbinden viele eine Autobiografie mit Memoiren, und die hat man gefälligst erst gegen Ende seines Lebens preiszugeben. Gut, spätestens seit vor einigen Tagen Justin Bieber seine Autobiografie vorgestellt hat, ist dieser Punkt obsolet. Der US-Popsänger ist gerade einmal 16 Jahre alt. Aber erfolgreich, womit sich zumindest für ihn Problem Nummer vier nicht stellt – nämlich einen Verlag zu finden, der ein derartiges Kompendium herausbringen will.

Wie auch immer, irgendwann hat man alle Punkte für sich positiv abgehakt und ist bereit, seine Lebensgeschichte in die Textverarbeitung zu klopfen. Da taucht plötzlich ein gewaltiges Problem auf, an das man noch gar nicht zu denken wagte: Welchen Titel soll das Buch tragen? Klingt banal, ist aber eine entscheidende Frage, wie die Nachwelt die Schilderungen eines Lebens dereinst einordnen wird. Ein einfaches „Ich“, so wie Ricky Martin? Oder wirkt das zu wichtigtuerisch, wenn man nicht Ricky Martin ist? Vielleicht passt ja „Mein Leben“, was prägnant wäre – aber auch ziemlich langweilig. Möglicherweise bietet sich ja ein Zitat an, mit dem man assoziiert wird? Kann allerdings danebengehen, wenn es „Hey Baby, soll ich dir meine Briefmarkensammlung zeigen?“ lautet. Vielleicht „Bekenntnisse eines österreichischen Journalisten“? Nein, jetzt weiß ich es! Der Titel meiner Autobiografie wird: „Dichtung und Wahrheit“. Wow. Auf so eine geniale Idee wäre vermutlich nicht mal Goethe gekommen . . .

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 14.02.2011)