Kein Stress! Bleib ganz ruhig!

Nur noch ein paar Tage, dann ist sie wieder vorbei, die sogenannte besinnliche Zeit. Sogenannt deswegen, weil sich die Zeit vor Weihnachten zeitweilig eher besinnungslos anfühlt. Wer am vierten Advent-Einkaufssamstag die Einkaufszombies auf der Mariahilfer Straße bei ihrer Jagd miterlebt hat, weiß, wovon die Rede ist. Nein, das soll jetzt kein Weihnachts-Bashing werden, aber mit dieser Einleitung bekommt man die Kurve recht gut zum eigentlichen Thema des Interesses, nämlich dem Stress. Doch soll die Kolumne jetzt auch nicht im üblichen und erwartbaren vorweihnachtlichen Wehklagen enden. Im Gegenteil. Lebe lieber unerwartet! Also, konkret geht es darum, wie man Menschen, die ohnehin schon am Limit sind, noch ein bisschen stärker unter Druck setzen kann. Die passenden Worte, die man etwa an jemanden richtet, der gerade aus der Dusche steigt, während draußen vor der Tür schon die Gäste warten, lauten: „Kein Stress!“

Genau diese Aufforderung trägt eine gemeine 180-Grad-Wendung in sich, die dem armen Stressgeplagten subtil mitteilt, dass er sich gefälligst beeilen soll. Umgekehrt kann man Menschen, die noch keine Anzeichen von Stress zeigen, mit drei schönen Worten aus der Fassung bringen: „Bleib ganz ruhig!“ So sehr die Person auch vorher noch in sich geruht hat, so schnell wird sich in ihr Aggression entwickeln. Falls ein Gespräch zu harmonisch verlaufen sollte, hat man damit eine Trumpfkarte in der Hand.

Zugegeben, diese kleine Lehrstunde in Sachen menschliches Zusammenleben hat eine gewisse provokante Note. Auf der anderen Seite – selbst schuld, wer sich von derartigen Sticheleien aus der Ruhe bringen lässt. Man könnte ja auch ebenso gut sagen: „Ich lasse mich nicht stressen. Ich habe ohnehin schon genug Stress.“ In diesem Sinne wünsche ich eine halbwegs ruhige Weihnachtswoche. Und… kein Stress!

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 19.12.2011)

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Sri Lanka, „Nein, Danke“ und die Mariahilfer Straße

„Annoying“ sei es, sagte der britische Tourist. Wir stimmten ihm mit einem Kopfnicken zu und ignorierten, so wie er, den Mann am Straßenrand, der uns winkte und etwas Unverständliches zurief. Was würde er uns wohl wieder andrehen wollen, scherzten wir. Einen neunzig Zentimeter hohen Holzelefanten? Ein paarmal rief uns der Mann noch nach, dann gab er auf. Da hatte der Brite recht, es war wirklich ärgerlich hier auf Sri Lanka. Ständig wird man von Einheimischen angesprochen, die etwas verkaufen wollen. Freundlich sind sie ja. Aber spätestens nach dem Smalltalk à la „First time Sri Lanka?“ und „Where are you from?“ kommt schon das Angebot für ein Hotel, ein Taxi oder eine Rundfahrt.

Ein Urlaub in Sri Lanka läuft ähnlich ab wie ein Besuch auf der vorweihnachtlichen Mariahilfer Straße: „Nein, Danke“ wird zum gemurmelten Mantra – in Wien gegenüber den Greenpeace-Spendensammlern, in Sri Lanka gegenüber so ziemlich allen Einheimischen. Wie auch immer, müde von der langen Wanderung – wir hatten eine steile Bergfestung zu Fuß erklommen und einen ebenso mühseligen Abstieg bewältigt – kamen wir zum Ausgang des Naturparks. Doch der Fahrer, der uns mit dem Taxi abholen sollte, war nicht hier. Natürlich nicht, sagte der freundliche Mann beim Tor. Die Parkplätze seien auf der anderen Seite des Geländes. Etwa noch einmal 20 Minuten Fußmarsch durch die Hitze zurück. Warum wir denn nicht schon in der Anlage selbst auf den Weg zum Parkplatz abgebogen seien, fragte er noch. Die richtige Abzweigung zu finden, sei nämlich gar nicht so schwer. Ein Kollege von ihm stehe ohnehin am Straßenrand und rufe den Touristen zu, dass sie hier abbiegen sollten.

Manche Kolumnen haben am Ende eine „Moral von der Geschichte“. Ich glaube, das lassen wir diesmal einfach bleiben.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 12.12.2011)

(c) Erich Kocina

Irgendwo in Sigiriya, Sri Lanka

Der Tag, an dem der heilige Nikolaus starb

Da lag er also. Auf dem Rücken, mit einem Polster unter dem Kopf. Die charakteristische Bischofsmütze hatte er auf, die weißen Ärmel ragten aus dem purpurroten Gewand. Die Finger hatte er ineinander verschränkt auf dem Bauch liegen. Die Augen waren fest verschlossen, der Mund dagegen leicht geöffnet. Auch die große Nase, die gen Himmel ragte, passte ins Bild. Dass der weiße Rauschebart fehlte, das fiel mir in dieser Situation nicht auf. Aber diese Unaufmerksamkeit sei mir verziehen, immerhin war ich noch nicht einmal ganze vier Jahre alt, als sich die schreckliche Situation ereignete.

Aber fangen wir von vorn an. Mein Großvater arbeitete damals noch als Arzt. Und das Wartezimmer, in dem sich tagsüber die Patienten gedulden mussten, war abends leer gefegt. Nur ein paar Illustrierte lagen neben den Wartebänken. Der perfekte Ort für einen kleinen Buben, dem die Gespräche der Großeltern zu langweilig waren. Und der sich lieber durch die „Bunte“, die „Neue Post“ oder die „Freizeit Revue“ blätterte. Und dann das – auf dem Titelblatt einer dieser Illustrierten prangte das Bild des toten Mannes mit dem roten Mantel und der Mitra. Ein Schock.

Wer sollte nun die roten Papiersäckchen bringen, gefüllt mit Schokolade, Mandarinen und Aschantinüssen? Und wie kann dieser Mann überhaupt sterben? Schreiend lief ich ins Wohnzimmer: „Der Nikolaus ist tot! Der Nikolaus ist tot!“

Als am Morgen des 6.Dezember dann doch wieder die roten Säckchen neben dem Bett standen, wusste ich längst Bescheid. Meine Eltern hatten mir damals lächelnd alles erklärt. Der Tote mit der Bischofsmütze war in Wirklichkeit Albino Luciani vulgo Papst Johannes Paul I., der im September 1978 gestorben war. Als „Papst des Lächelns“ war der Kurzzeit-Pontifex bekannt. Vermutlich hätte er auch für die Verwechslung mit dem heiligen Nikolaus ein Lächeln übrig gehabt.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 05.12.2011)