Radovan Karadzic ist nicht mein Vater

Was hat Michael Haneke zu verbergen? Sein Bart und seine Haare deuten darauf hin, dass er irgendetwas auf dem Kerbholz haben muss. Und jetzt macht er einen auf Wunderregisseur, der ganz ungeniert bei Preisverleihungen vor der Kamera posiert. Wir sollten nachforschen, ob er seine Gewaltobsession, die er jetzt in Filmen zeigt, nicht schon früher an echten Menschen oder Tieren ausgelebt hat. Wer würde vor uns erscheinen, würden wir mit dem Rasiermesser anrücken? Jim Morrison, vielleicht? Der soll ja seinerzeit auch ein ziemlich wilder Hund gewesen sein. Gerüchten zufolge soll auch Richard Lugner schon den Mann mit dem weißen Bart und dem wallenden Haar in seinem Einkaufszentrum gesehen haben, nichts ahnend, dass sich dahinter der 1971 angeblich verstorbene Sänger der „Doors“ verbergen könnte.

Nicht nur bei Haneke, auch bei vielen anderen ist jetzt Zweifel angebracht. Was verheimlicht Fessel-Gfk-Chef Rudolf Bretschneider? Warum ist es um Ex-EU-Kommissar Franz Fischler in jüngster Zeit so verdächtig ruhig geworden? Und warum gibt es keine Jugendfotos von Vizekanzler Wilhelm Molterer, auf denen die Bartstoppeln noch keine ständigen Begleiter waren? Oder fragen wir anders: Wo ist eigentlich der alte, der echte Erhard Busek mit seiner glatten Haut, geblieben? Und wer spielt jetzt seine Rolle?

Bei all dem Verwirrenden, dem wir jetzt ausgesetzt sind, ist aber auch etwas geschehen, worüber man lächeln muss. Allen Ernstes wird verschiedentlich behauptet – sogar über Österreichs Grenzen hinaus -, Karadzic wäre mein unehelicher Vater. Das ginge sich zwar altersmäßig aus, ist aber nicht so. Ich habe eine Mutter und einen Vater und bin stolz auf meine Eltern. Natürlich könnte ich auch auf einen Vater wie Karadzic stolz sein . . . nein, das dann doch nicht.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 28.07.2008)

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Das Rindfleisch ist wieder sauteuer

Wir alle behaupten zwar, die deutsche Sprache zu beherrschen, doch ab und zu muckt die derart Beherrschte auf und gehorcht nicht. In einigen Fällen hat dieses Aufmucken für unser Tun und Sein nicht einmal Konsequenzen, doch bei genauem Hinschauen offenbaren sich regelrechte Kleinode, die ein wenig ins Scheinwerferlicht gerückt werden sollen. Mainstream-Beispiele wie den „eingefleischten Vegetarier“ lassen wir einmal beiseite, wenden wir uns lieber dem Underground zu – für Feinspitze, sozusagen. In Zeiten steigender Lebensmittelpreise dürften wir etwa dem „sauteuren Rindfleisch“ immer häufiger begegnen. Umgekehrt werden wir angesichts rekordverdächtiger Benzinpreise wohl seltener auf „herrenlose Damenräder“ treffen.

Sprachliche Pseudoparadoxa begegnen uns auch häufig, wenn gegensätzliche Adjektive aufeinander treffen. Wenn wir etwa etwas ganz „schön hässlich“ (in Österreich „schee schiach“) finden, wir bass erstaunt ausrufen, dass der Kühlschrank „voll leer“ sei oder wir am sonntäglichen Sudoku scheitern – es ist halt „einfach kompliziert“. Und wie so oft erschließt sich uns die Paradoxie gar nicht so recht, wenn wir etwa erzählen, dass die Tochter schon „lange kurze“ Haare hat. Genauso wenig fällt uns auf, wenn unsere Zeitangaben unlogisch sind: Das beginnt bei „heute morgen“, setzt sich fort, wenn man etwas „jetzt gleich“ macht und endet, wenn wir „langsam schneller“ werden. Erwischt, oder? Sie alle verwenden Floskeln wie diese, ohne sich über logische Holperer Gedanken zu machen. Bei aller Logik, so „richtig falsch“ ist das alles doch nicht, werden Sie jetzt einwenden. Stimmt, das können Sie „ruhig laut“ sagen. Und selbst nach Lektüre dieser Zeilen, werden Sie Ihre Sprache nicht ändern, das ist mir schon klar. Da hilft „alles nichts“.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 21.07.2008)

Halb ist das neue Voll

Gleichungen sind sexy. Selbst für mathematisch wenig interessierte Gemüter wie mich. Dementsprechend groß ist die Freude, wenn auch sprachliche Bilder in Form von Gleichungen dargestellt werden. Sehr beliebt ist in jüngster Zeit die Variante, in der neuen Trends eine Referenz an Althergebrachtes gegenübergestellt wird. „Rainhard Fendrich ist der neue Peter Alexander“ wäre ein solches Bild. (Auch wenn Fendrich natürlich schon längst nicht mehr im Trend liegt und Peter Alexanders Klasse sowieso niemals erreichen wird.) „Fußball ist das neue Wetter“ beschrieb perfekt den Smalltalk während der Euro. So weit, so einfach. Dass „Schwarz das neue Grün“ sein soll, lässt sich noch irgendwie erklären – mit energiesparenden Autos (grün) etwa, die trotzdem als elegante Limousinen (schwarz) durch die Gegend rollen. Spannend ist auch „Fotografieren ist das neue Rauchen“ – stimmt, in so manchem Lokal ist Rauchen schon verboten, dafür hält eben jeder seine Handycam in die Höhe.

Etwas komplizierter wird es dann schon, wenn es an wirkliche Gegensätze geht, wenn etwa die Singer-Songwriter Szene mit dem Leitspruch „Quiet is the new loud“ den Rock’n’Roll aus den Charts und in die Altersteilzeit schicken will. Und irgendwann wird es schon äußerst schwierig, Gegensatzpaare noch sinnvoll zu erklären. Oder könnten Sie mit dem Spruch „Straight is the new gay“ etwas anfangen? „Hell ist das neue Dunkel“ ist vermutlich nur mehr Nonsens – es sei denn, Sie sind Einrichtungsberater – und schließlich landen wir bei „Lebendig ist das neue Tot“. Andererseits, natürlich kann mit derartigem Nonsens auch eine reale Situation beschrieben werden – an Tankstellen gilt ja mittlerweile „Halb ist das neue Voll“. So sexy wie gedacht ist diese Gleichung dann allerdings doch wieder nicht.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 14.07.2008)

Amokmonologe im Zugabteil

Schweigende Mehrheit, was soll das bitte sein? Wo immer ich bin, ist es eine Minderheit, die schweigt. Die Mehrheit hat den Mund zumeist offen. Das ist zwar lästig, lässt sich aber ertragen, solange man zumindest selbst nicht zum Sprechen genötigt wird. Genau das passiert aber immer wieder. Zugabteile können dann zu regelrechten Orten des Schreckens werden, wenn einer jener Zeitgenossen einsteigt, der die Strecke von Wien nach Linz ohne Reiselektüre zu bestreiten plant. In diesem Fall hilft nur, die Augen nicht von der eigenen Lektüre zu heben, um dem Gegenüber ja keine Gelegenheit zu geben, ein Gespräch zu beginnen. Denn sind einmal die ersten Worte gewechselt, könnte der nächste ruhige Moment erst am Linzer Hauptbahnhof den Platz des dauerartikulierenden Fahrgastes übernehmen. In der Zwischenzeit sind alle Nuancen von zwischendurch eingestreuten Sätzen bis zum Amokmonolog möglich – und alle halten davon ab, konzentriert (und schweigend) zu lesen.

Aber nicht nur im Zug, auch im politischen Leben wünscht man sich manchmal, so mancher Akteur würde ein Schweigegelübde ablegen. Wenn etwa BZÖ-Generalsekretär Gerald Grosz per Aussendung verkündet, wie er den Bau einer Moschee in Graz zu verhindern gedenke: Es gebe ja, so Grosz, die Möglichkeit, den dafür vorgesehenen Platz zu entweihen. Mit einem ordinären steirischen Gülletransporter könne man jedes Gründstück zur „unreinen“ Erde verwandeln. Spätestens beim Gedanken an Grosz, wie er mit hochrotem Kopf sein politisches Programm zu Boden bringt, sollte ein Spruch von Abraham Lincoln am Himmel erscheinen: „Besser schweigen und als Narr scheinen, als sprechen und jeden Zweifel beseitigen.“ Andererseits, mit seiner Methode hätte Grosz auch ein Zugabteil ganz für sich allein.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 07.07.2008)