Neujahrsfortsatz schlägt zurück

Spätestens jetzt sind wir mitten drin in der Zeit, in der die Figur der Charakterschwäche allgegenwärtig an unseren Seiten wandelt. Ein Zeitraum, der für manche schon unmittelbar nach dem Jahreswechsel beginnt, sich bei vielen aber erst mit zwei, drei Wochen Verzögerung einstellt – ich spreche in diesem Zusammenhang von der Zeit des Neujahrsfortsatzes. Von diesem Phänomen spricht man dann, wenn der nur wenige Tage alte Neujahrsvorsatz unter wehleidigem Klagen zu Grabe getragen wird.

Jetzt ist es an sich schon unsinnig, sich an einem  willkürlich gesetzten Da tum einzureden, dass man  über Nacht seine schlechten  Eigenschaften über Bord werfen kann. Aber egal, gönnen wir den Menschen diese kleine Illusion zwischen Walzer, Sekt und Marzipanschwein. Nur soll die vorhersehbare Niederlage dann bitte halbwegs würdevoll hingenommen werden. „Ja, ich bin schwach!“ Diese Einsicht würde genügen, um den angetretenen Weg halbwegs stilvoll verlassen zu können. Doch was müssen wir hören? „Es schmeckt mir halt so gut“, geben die Diätnichtdurchhalter von sich. „Ich hab mir überhaupt kein Geld gespart“, sagen jene, die kurzfristig und mit zittrigen Fingern einen Bogen um den Zigarettenautomaten machten. Und vom Klassiker à la „Aber morgen gehe ich es wirklich an“ – egal in welchem Zusammenhang – möchten wir auch endlich verschont bleiben.

Ich habe mir übrigens vorgenommen, im heurigen Jahr etwas positivere Kolumnen zu schreiben und nicht so viel an kleinen Schwächen und Fehlern  herumzumäkeln. Nur macht böse zu sein halt viel mehr Spaß. Und mein Vorsatz endet spätestens nach Fertigstellung dieser Zeilen. Aber nächsten Montag, da gehe ich es wirklich an. Versprochen!

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 25.01.2010)

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Der Moderator als moralische Instanz

Guten Abend, die Damen, guten Abend, die Herren, guten Abend, die Madeln, servas, die Buam. Heute möchte ich mit Ihnen über ein Thema plaudern, das mit Alfons Haiders Sager von Österreich als „verschissenem“ Land neue Aktualität bekommen hat: Der TV-Moderator als moralische Ins tanz. Dabei muss es gar nicht immer politisch zugehen, oft sind es nur kleine Hinweise, die das Publikum dankbar aufsaugen sollte. Denken wir etwa an den Sager von Hans Rosenthal, der in „Dalli Dalli“ einen Kandidaten zurechtwies: „Nicht winken, Sie sind in einer Großstadt – das kann man doch nicht machen!“ Recht hatte er, auch wenn der Appell kaum Früchte getragen hat und das Publikum von Bingo, Musikantenstadl und Co. immer noch reflex artig das Händchen hebt, sobald eine Kamera naht. (Ein ähnlicher Reflex ist das Applaudieren nach der Landung von Charterflugzeugen – das man übrigens am besten konterkariert, indem man lautstark „Zugabe“ schreit.)

„Man sollte nicht immer die gleichen Fehler machen, die Auswahl ist doch groß genug“, riet seinerzeit „Was bin ich?“-Moderator Robert Lembke seinen Zusehern. Und auch Thomas Gottschalk kann man in diesem Zusammenhang eine gewisse analytische Begabung nicht absprechen: „Von den Menschen, die ein Brett vor dem Kopf haben, sind wohl die Schachspieler die intelligentesten.“ Nicht so blöd, oder?

Allerdings: Nicht jeder legendäre Showmaster eignet sich auch als moralische Instanz – man denke an Hans Joachim Kulenkampffs Aussagen à la: „Frauen müssen das letzte Wort behalten – aber leider nicht für sich.“ Nun, vielleicht hatte Peter Alexander doch recht, als er sagte: „Wahrscheinlich wäre es für die Welt besser, wenn es kein Fernsehen gäbe.“

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 18.01.2010)

Das Monster unter meinem Bett

Wenn über Stellungen im Bett geredet wird, muss dem nicht immer eine sexuelle Konnotation anhaften. Das Gespräch kann genauso gut davon handeln, wie man sich am besten bettet, um vor den Monstern in Sicherheit zu sein. Natürlich weiß man, dass diese Wesen nur irrationale Projektionen einer lebhaften Fantasie sind, doch für den Fall, dass die Ratio doch irrt, sollte man zumindest einen Plan haben. Dabei lassen sich grob zwei Gruppen unterscheiden: Die einen betten sich möglichst nahe an die Wand, um in der Dunkelheit zumindest von dieser Seite den Rücken frei zu haben. Die anderen schlafen fast direkt an der Bettkante, weil die Monster ja bekanntlich aus der Wand selbst nach ihrer Beute greifen. Als Kind bin ich übrigens ein paar Mal aus dem Bett gefallen – jetzt erraten Sie mal, von welcher Seite ich die Gefahr erwarte.

Am schlimmsten dran sind aber ohnehin jene armen Menschen, die ihr Bett direkt unter einem Dachflächenfenster aufgestellt haben. Denn schreckt man nachts hoch, weil ein Dämon auf der Dachschräge liegt und das Bett im Blickfeld hat, erübrigt sich die Frage, ob nun die Dunkelheit oder die Wand grundsätzlich mehr Schutz bietet. In diesem Fall empfiehlt es sich, das Schlafzimmer zumindest in puncto Fluchtwege halbwegs nach Feng-Shui-Kriterien angelegt zu haben. Ja, Prävention ist enorm wichtig für einen gesunden Schlaf ohne Störung durch nächtlichen Besuch aus der Twilight Zone. Apropos, wenn wir gerade beim Thema Prävention sind – schauen Sie sich „Paranormal Activity“ im Kino eher nicht allein an! Und wenn doch? Dann werden Sie einsehen, dass die Frage, ob man lieber an der Wand oder an der Bettkante liegt, im Grunde herzlich egal ist. Reden Sie dann doch lieber über Sex.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 11.01.2010)

Freibaden im Winter

Lässt sich durch die Leugnung der Realität etwas ändern? Indem man etwa den Winter aus den Gedanken streicht und sonnenbaden auf die Copa Cagrana geht? Nun, es ist hart.

Durch das konsequente Leugnen der Kälte lässt sich der Winter vertreiben. Na turwissenschaftlich eher nicht haltbar, und doch ist Leugnen ein verbreitetes Muster der menschlichen Psyche. Man denke an Kinder, die sich die Hand vor die Augen halten, um nicht gesehen zu werden. Oder an durchaus erwachsene Vertreter der Spezies, die bei einer drohenden Aussprache die Hände an die Ohren legen und laut „la la la“ singend davonrennen. Irgendetwas muss wohl dran sein an dieser Taktik, sonst würde man ihr nicht so oft begegnen.

Also sehen wir uns einmal an, ob der aktuelle Wintereinbruch sich einfach wegsonnenbaden lässt. Badetuch, Sonnenhut und Sandalen eingepackt – und ab zur Copa Cagrana. Hier, wo sich im Sommer Handtuch an Handtuch reiht, belegt mit sonnengegerbten Körpern, herrscht heute verhältnismäßig wenig Andrang. Eine einsame Spaziergängerin stapft mit ihrem Hund durch den Schnee. Gut, dass das Wegleugnen des Winters eine Massenveranstaltung sein wird, habe ich ohnehin nicht wirklich angenommen. Immerhin, so kann ich mir wenigstens einen schönen Platz aussuchen.

Eistee im Eis. Das Ausbreiten des Badetuchs ist die erste Herausforderung – es versinkt geradezu im Neuschnee. So wie auch die Flasche Eistee, von der nur mehr die bunte Verschlusskappe zu sehen ist. Wirklich hart wird es allerdings erst beim Wechsel zur Sommeradjustierung: Ein paar Sekunden mit dem T-Shirt in der Kälte kennt man, sei es vom Mistkübelausleeren im Hof oder vom Staubtuchausschütteln auf dem Balkon. Doch spätestens in der zweiten Minute beginnen sich die feuchten minus 0,5 Grad in den Körper zu fressen. Ähnlich fühlt es sich an, wenn die Füße aus den Winterstiefeln in die kühle Umgebungsluft freigesetzt werden. Ja, vermutlich hat meine Mutter recht, wenn sie mir auch heute noch immer in Erinnerung ruft, dass ich mich im Winter warm anziehen soll. Aber egal, ich habe schließlich eine Mission.

Hinlegen, eincremen (falls die Sonne doch durchkommen sollte) und ein bisschen in einem Reiseführer blättern. Ja, das hat was. Auch wenn sich wirkliche Entspannung nicht so recht einstellen will. Nein, Zukunft hat das keine. Vielleicht, um wieder zu den mütterlichen Tipps zu kommen, hilft ja Bewegung gegen die Kälte. Aufstehen, ein paar Schritte laufen, ein kleines Tänzchen . . . wenn nur der Schnee in den Badesandalen nicht so stechen würde. Fast 20 Minuten später sehe ich ein, dass das Wegleugnen der Kälte wohl nicht funktionieren wird. Also Abbruch. Und in den nächsten Tagen überlegen, wie man eigentlich eine Erkältung am effektivsten wegleugnet. Wo ich mir diesen Schnupfen wohl eingefangen habe? Naja, wird wahrscheinlich gerade ein Virus umgehen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 10.01.2010)

Längster Superlativ aller Zeiten

Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Vielleicht liegt es daran, dass wir gern unseren Horizont ausschließlich auf die Vergangenheit, maximal noch auf die Gegenwart, beschränken. Klar, da haben wir schon Erfahrungswerte, über die wir nicht spekulieren müssen – und die sich schön in Rankings ausdrücken lassen. Mit einem kleinen Schönheitsfehler, der genau an der Ausblendung der Zukunft festgemacht werden kann und sich hinter zwei Worten verbirgt: „aller Zeiten“.

In schöner Regelmäßigkeit – meist dann, wenn James Cameron einen neuen Streifen herausbringt – wird etwa vom „teuersten Film aller Zeiten“ gesprochen. Alle paar Jahre wird ein neues Gebäude als „höchstes Bauwerk aller Zeiten“ eröffnet. Und alle Jahre wieder feiert ein junger Musiker das „erfolgreichste Debüt aller Zeiten“.

Genau da liegt auch schon das Problem, schließlich sollten „alle Zeiten“ ja auch die Zukunft beinhalten. Und mit der ständigen Neukreation zeitlich gebundener Superlative schließt man diese Ebene vollständig aus. Zugegeben, eine derart absolute Festlegung über alle Zeiten hinweg – Stichwort Prognose – lässt sich nur recht schwer umsetzen. Andererseits, die an sich korrekte Redewendung „aller bisherigen Zeiten“ ist nicht wirklich wahnsinnig sexy – und befriedigt nicht unser nach Absolutem strebendes Superlativdenken.

Vermutlich werden wir also damit leben müssen, dass alle Zeiten vielleicht doch nicht alle sind. Freuen wir uns also lieber über die kleinen sprachlichen Spitzfindigkeiten, die unser Streben nach Absolutheit ein bisschen durch den Kakao ziehen. So wie jene denkwürdige Schlagzeile, mit der die „Süddeutsche Zeitung“ einmal das Ableben des ältesten Menschen der Welt vermeldete: „Jetzt ist er schon wieder tot!“

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 04.01.2010)