Irgendwo auf der Welt stirbt gerade ein Kätzchen

Der Widerspruch ist es, der uns produktiv macht. Ein schöner Leitsatz, den man sich von Goethe entlehnen darf. Tatsächlich sind es gerade Momente der intensiven Debatte, in denen der Geist sich zu wahren Höhenflügen emporschwingt. Ob man am Ende des argumentativen Wettstreits nun siegt oder unterliegt, ein Gewinn ist es in der Regel für alle. Soweit die Theorie. Die Praxis bringt dagegen vermehrt jene Mitdiskutanten hervor, deren argumentative Höchstleistung sich im oberflächlichen Verächtlichmachen anderer erschöpft – ob das nun gesprochen oder geschrieben passiert. Wessen stichhaltigstes Argument in einem Internetforum zu einer Fußgängerzone das kindlich-bösartige Spiel mit dem Namen der zuständigen Stadträtin darstellt, der erfüllt definitiv nicht die Mindestanforderungen für ein sinnvolles Gespräch. Damit es die angesprochene Spezies auch versteht: Nein, „Vassilakuh“ ist kein sinnvoller Beitrag zur Lösung verkehrspolitischer Probleme.

Es muss aber gar nicht immer die primitiv geschwungene verbale Holzkeule sein, die eine Debatte flugs abwürgt. Dann nämlich, wenn die Diskussion gerade am Kochen ist, beide Seiten vor Begeisterung sprühend eine Argumentationssalve nach der anderen abfeuern, sich von gegenseitigem Respekt getragener Widerspruch zu mächtigen Wolken aufbaut, auf dass am Ende mit Donner und Blitz ein reinigender Gewitterschauer daraus niedergehen möge. Und genau in jenem Moment, kurz vor der Entladung, ein bis dato Unbeteiligter nüchtern festhält: „Mir ist das Thema wurscht.“ Oder auch: „Gibt es nichts Wichtigeres, über das man diskutieren kann?“

All jenen ignoranten Verbaldämpfern sei eine goldene Regel ins Stammbuch geschrieben: Immer, wenn jemand sagt, dass ihm ein Thema wurscht ist, stirbt irgendwo auf der Welt ein kleines Kätzchen! Aber wahrscheinlich ist euch das auch wieder wurscht…

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 26.08.2013)

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Der Tag des heiligen Fenster

Er ist der höchste Feiertag des Jahres. Warum es ihn gibt, spielt keine allzu große Rolle. Auch nicht, wessen Gedenken der Tag davor oder jener danach gewidmet ist. Es gibt ihn meist nicht nur einmal, sondern sogar mehrmals pro Jahr. Und auf kaum ein Ereignis im Kalender wird die Bevölkerung derart früh und penibel vorbereitet – ganze Handlungsanleitungen und Kalenderspielereien zur richtigen Vorbereitung werden pünktlich zu Jahresbeginn in diversen Medien veröffentlicht, um die Festtagsfreude (bzw. die Festtage) noch zu mehren. Gerade, dass findige Geschäftsleute nicht auch noch einen Kalender mit 24 Fenstern (hö hö!) erfinden, mit deren täglichem Öffnen man das Nahen des hohen Festes auch für Kinder erlebbar macht. Der Jahrestag des heiligen Fenster, um im Jargon des heimischen Feiertagsgebarens zu bleiben, hat in seiner landesweiten Bedeutung Weihnachten längst abgelöst. Gefeiert wird er österreichweit, wenn es auch regionale Eigenheiten gibt – die allerdings weitgehend sprachlicher Natur sind. Da wird einmal eben der heilige Zwickel verehrt, ein anderes Mal die heilige Brücke.

Gekennzeichnet ist ein solcher Fenstertag, wie er im Volksmund auch gern vereinfacht genannt wird, von Völle und Leere zugleich. Völle etwa überall dort, wo sich die Menschen zur Feier treffen. Das kann eine Einkaufsstraße sein, aber auch – je nach Jahreszeit – ein mehr oder weniger entfernter Erholungsort. Und Leere überall dort, wo an all den dunklen (fensterlosen?) Tagen malocht wird. Wobei die wenigen Systemerhalter – nennen wir so einfach all jene, die diesmal nicht zur Huldigung davonschreiten – zum Trost meist zumindest den Tag davor oder den Tag danach von ihrem Tagewerk pausieren dürfen. Vielleicht klappt es dann ja beim nächsten Fenstertag.

Übrigens, gestern, Donnerstag, war auch frei. Hand aufs Herz: Wer weiß, was da gefeiert wurde?

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 16.08.2013)

Das ist die leichteste Regel der deutschen Sprache

Das „das“ birgt viele Missverständnisse, etwa das, dass „das“ mit einem oder zwei s geschrieben werden kann. Je nachdem, wie viele s dem „da“ folgen, bedeutet das Wort etwas anderes. Das wiederum liegt daran, dass es in Wirklichkeit vier verschiedene Wörter sind. So kann das „das“ erstens ein Artikel sein, der einem sächlichen Nomen vorangestellt wird. Zweitens kann es sich in derselben Schreibweise um ein Demonstrativpronomen handeln, das für „dies“ steht. Drittens kann es ein Relativpronomen sein, das auch durch „welches“ ersetzt werden könnte. Und schließlich kann es sich um eine Konjunktion handeln, ein Bindeglied zwischen zwei Satzteilen – dann aber wird es mit zwei s geschrieben. (Das „dass“ als „daß“, das gibt es seit Einführung der neuen deutschen Rechtschreibung gar nicht mehr.)

Allein in jüngster Zeit scheint das Wissen über den korrekten Einsatz der ein- oder der zwei-essigen Variante zunehmend in Vergessenheit geraten zu sein. Mehr noch, so wie Fußballanalytiker Herbert Prohaska beim Verwechseln von Dativ und Akkusativ eine annähernd hundertprozentige Trefferquote hat („Ich habe dem Spieler gesehen. Das muss ich ihn sagen!“), so scheint sich auch in der geschriebenen Sprache ein Wandel zu vollziehen. Nicht nur in SMS, Tweets oder schnell hingerotzten E-Mails, nein, sogar in Zeitungen und Zeitschriften wird das „das“ und das „dass“ immer wieder falsch angewandt. Und nein, mit Schlampigkeit allein lässt sich das nicht erklären.

Das schmerzt. Vor allem, weil es sich bei der Unterscheidung wohl um die leichteste Regel der deutschen Sprache handelt. Gerade in Österreich lässt es sich bei Zweifeln ganz einfach überprüfen – lässt sich das umgangssprachliche „des“ einsetzen, schreibt man es mit einem s. Das war es schon. Und künftig bitte aufpassen, dass das „das“ immer das richtige „das“ ist. Oder das „dass“, je nachdem.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 05.08.2013)