Eine Lüge zieht rasch ein und verklebt nicht

Schon drei Buchstaben können eine Lüge sein. Das „nur“ vor einem Eurobetrag, zum Beispiel. So wie auch das „statt“, das zwischen einem Fantasiebetrag auf der linken und einem günstigeren Preis auf der rechten Seite steht. Das hat zwei Buchstaben mehr, ist deswegen aber auch nicht ehrlicher. Nur ein Heilsversprechen für das Haushaltsbudget, das eine ähnliche Relevanz hat wie die Frauenquote im SPÖ-Parlamentsklub. „My friend“ ist der Code dafür im orientalischen Bazar, der je nach Tageszeit mit „you are my first customer, you get discount“ oder „you are my last customer, you get discount“ aufgefettet wird. Oder auch mit dem Ausruf „good price“ – der gelegentlich sogar bei Produkten mit Fixpreisen wie etwa Briefmarken in die Schlacht um die Kundschaft geworfen wird.

„Derzeit sind leider alle Leitungen besetzt“ in der Warteschleife am Telefon wirkt wie ein Hohn, wenn im Callcenter in Wirklichkeit gerade einmal ein Kollege Bereitschaftsdienst hat. Und der ist eben gerade auf Pause. „Wir sind bemüht, so rasch wie möglich eine Leitung für Sie bereitzustellen.“ Ja, danke auch. Nach sechs Mal Donauwalzer klopft man ohnehin schon den Dreivierteltakt mit. Und dann auch noch diese Versprechen auf Kosmetikprodukten. „Zieht rasch ein und verklebt nicht“, mäandert es durch die Ganglien, während die Sonnencreme über die Fingerkuppen tropft und auf der Digitalkamera Schleimspuren zieht, wie sie sonst nur Nacktschnecken auf Waschbetonplatten zu hinterlassen vermögen. Und warum erfindet nicht irgendjemand einmal einen Zippverschluss, der sich beim Öffnen nicht im Futter verhakt? Was gerade bei einem Schlafsack, aus dem man sich des Nachts schälen muss, um schnell zum Toilettenzelt zu gelangen, gar nicht so unpraktisch wäre. Abgesehen davon, lieber Bankensektor: 0,1 Prozent sind keine „attraktiven Zinsen“. Aber da traut sich dann wieder keiner, ein „nur“ voranzustellen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 25.08.2014)

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Das Ladekabel ist das neue Feuerzeug

Kugelschreiber sind treulos. Durch wie viele Hände sie im Lauf ihrer Tintenfülle gehen, ehe sie dereinst im Einwegkugelschreiberhimmel ankommen, lässt selbst Don Giovanni vor Neid erblassen. Es gibt kaum ein Objekt, das derart häufig den Besitzer wechselt. Weil sie so leicht zu haben sind, vermutlich. Und der Eigentumsanspruch wohl auch deshalb nicht allzu stark ausgeprägt ist. Der nächste Bic liegt schon voller Vorfreude bereit. Eine echte Beziehung zwischen Mensch und Objekt kann auf diese Weise naturgemäß kaum entstehen.

Das Feuerzeug ist ein ähnlich liederliches Ding. Und doch steht es in der Hierarchie der Dinge ein paar Stufen weiter oben. Weil es selbst in der Einwegvariante nicht einfach genommen wird, wenn es auf dem Tisch liegt. Sondern in der Regel gefragt wird, ob man es sich denn mal kurz ausleihen könnte. Und weil es als soziales Werkzeug dabei helfen kann, mit anderen ins Gespräch zu kommen – darum ist der Klassiker der Aufrisssprüche ja auch das lässig geflüsterte „Entschuldigung, hast du Feuer?“ und nicht ein mit hochgezogener Augenbraue gehauchtes „Hallo Baby, kann ich mir vielleicht deinen Kugelschreiber ausborgen?“.

Allerdings bekommt der Feuer- und Lichtspender zunehmend Konkurrenz. Denn wenn es um das Ausborgen geht, hat sich zuletzt – vor allem am Arbeitsplatz – ein anderer flatterhafter Zeitgenosse penetrant in den Vordergrund gedrängt: „Hat jemand ein iPhone-5-Ladegerät?“ Ob per Mail vorgetragen oder in die Gänge des Großraumbüros geschrien, man entkommt der Frage nicht. Und schon wandert das weiße Kabel durch unzählige Hände, wird minutenweise verborgt – und dient so wie dereinst das Feuerzeug als Initialzündung für so manch prickelnden Dialog. „Hallo, darf ich mir einmal dein Ladekabel ansehen?“ Vielleicht sollte man ja sogar ein Flirtseminar veranstalten, bei dem man lernt, sich das begehrte Objekt besonders lasziv um den Finger zu wickeln… Übrigens, wenn wir schon dabei sind, Android-Nutzer sind die neuen Nichtraucher.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 04.08.2014)