Trash als bewusste Selbstreinigung

(c) Residenz Verlag

Alles Liebe: Alfons Haider ist wie Blattspinat

Es kann sehr befruchtend sein, ab und zu Dinge zu tun, die dem eigenen Lifestyle diametral zu widerlaufen. Etwa ausnahmsweise keinen (jungen und urbanen) Blattspinat aufzutischen, sondern Cremespinat zu kredenzen, wie ihn schon die Großmutter gemacht hat. Oder auch statt ins Museumsquartier zum Heurigen nach Grinzing zu fahren – und dort mit Gruppen deutscher Touristen die Reblaus zu singen. Wichtig bei diesen sporadischen Selbstversuchen zur seelischen Selbstreinigung sind vor allem zwei Dinge. Erstens muss ein solches Unterfangen freiwillig geschehen, und zweitens muss man sich der Abweichung vom Weg bewusst sein.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, lässt sich auch an Trash Spaß haben. Sogar zu Y.M.C.A. lässt sich dann ohne Schamgefühl tanzen – ist ja eine bewusste Entscheidung. Dass die Trashkultur seit Ende der 90er kultiviert und längst zu einer Säule der Kulturindustrie wurde, sei am Rande erwähnt. Allerdings ist dieser bewusst gemachte Trash für ein bewusst danach suchendes Publikum eigentlich nur halb so lustig. Daher also einige Empfehlungen in Richtung Cremespinat: In der Buchhandlung Thalia (Landstraßer Hauptstr. 2a/2b; 19 Uhr) präsentiert Alfons Haider sein neues Buch „Alles Liebe, Mama“ (Residenz Verlag). Und Ex-Verkehrsstadtrat Fritz Svihalek gibt im Tivoli Center im Böhmischen Prater ab 19 Uhr wieder seine Sangeskunst zum Besten. Also, hingehen, fallen lassen und spüren, wie die Seele sich von allen Zwängen befreit. Und morgen gibt’s wieder Blattspinat.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 26.04.2006)

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Sex von Thymian und Basilikum

Single-Männer sind arme Geschöpfe. Vor allem, wenn sie keinen Körperbau wie Adonis oder zumindest einen halbwegs annehmbaren Schmäh haben, kann die Kontaktanbahnung mit Frauen schwierig werden. „Entschuldigen Sie, Gnädigste, darf ich Sie auf eine Limonade einladen“, hat zwar einen gewissen Charme, doch besteht die Gefahr, dass das bei so manchem Mann allzu aufgesetzt wirkt. Erleichterung bringen Singletreffs, heute etwa in der 10er Marie (16, Ottakringer Str. 222-224, http://www.dinneranddate.at). Noch einfacher ist es, seine Attraktivität zu erhöhen, indem man mit kleinen Kindern oder Hunden durch die Stadt flaniert (Kinderwagen mit drei Rädern wirken mittlerweile sogar ein bisschen sportlich). „Ja, ist der aber süß“, ist schon ein relativ wenig verkrampfter Einstieg. Dumm allerdings nur, dass Kind und Hund dem Lebensstil des echten Single-Hedonisten eher zuwider laufen.

Aber zum Glück gibt es eine kostengünstige und praktische Alternative. Besorgen Sie sich beim Spezialitätenmarkt am Margaretenplatz frische Kräuter im Topf, die Sie dann – gut sichtbar – vor sich hertragen. Sie können sich der bewundernden Blicke aller Damen sicher sein, denen Sie begegnen – flankiert vom Partner, der gerade drei Tiefkühlpizzen unterm Arm nach Hause schleppt. Schließlich können Männer, die mit Thymian und Basilikum kochen, keine schlechten Menschen sein. Aber Vorsicht: Sollte sich mit der Kräutermasche etwas ergeben, muss gewährleistet sein, dass Sie auch wirklich kochen können.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 20.04.2006)

Die Löffler gegen die Schlecker

Ein Kampf der Kulturen steht bevor. Dabei ist nicht die Rede von Christen und Moslems, Linken und Rechten oder Fußballfans jeglicher Couleur („Bist du Austria oder Rapid?“). Nein, viel schlimmer, es betrifft jeden von uns. Die Frage, die dabei die Welt in zwei Lager spaltet, lautet: Schlecken oder nicht, nämlich Löffeln. Auf der einen Seite stehen Eisstanitzel, über die sich Zungen wie Nacktschnecken winden und die rund um den Mund einen klebrigen Sabber aus Vanille und Fiocco hinterlassen. Auf der anderen Seite haben wir die handlichen Papierbecher mit lustigen, bunten Motiven, in denen mit grässlich neongelben, -grünen oder -roten Plastiklöffel nach Schokolade und Pistazie herumgestochert wird.

Ästhetisch ist beides eine Zumutung. Oder finden Sie es sexy, wenn Männer eine Portion Stracciatella in ihrem Bart spazieren führen? Und einen Plastiklöffel aus dem Plexiglasbehälter zu fischen und dabei mit seinen – hoffentlich wenigstens gewaschenen – Händen gleich alle anderen anzugrapschen, lässt Lebensmittelhygieniker angeekelt frösteln. Da lobe ich mir ein frisch geöffnetes Dosenbier, bevorzugt zu trinken im Horr-Stadion (Austria gegen Mattersburg, 19.30 Uhr). Obwohl, so richtig ästhetisch ist das dann auch wieder nicht. . .

Aber egal, vermutlich fragen Sie sich jetzt ohnehin, wie ich das mit dem Eis halte, wenn ich bei frühsommerlicher Hitze durchs Museumsquartier wandere. Nun: Ich habe Halsschmerzen, ich muss passen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 12.04.2006)

Tango in Finnland: Betörende Wehmut

Schlaflose Nächte beim Tangofestival in Seinäjoki.

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„Eteen, eteen, sivulle yhden, taakse, taakse“ – vor, vor, Seite, zusammen, zurück, zurück. Einige hundert Menschen in kurzen Hosen und T-Shirts beobachten Åke Blomquist, wie er im Turnsaal der Schule von Seinäjoki den richtigen Tangoschritt vorzeigt. Der ältere Herr, im Styling eine Mischung aus Lex Barker und Opa Laffite aus der „Lieben Familie“ – wobei der Beitrag von Lex Barker vor allem in der schlaksigen Gestalt und der Tolle besteht – ist Finnlands bekanntester Tangolehrer.

Und so ist auch die für Außenstehende skurril anmutende Szenerie schnell erklärt: In der kleinen westfinnischen Stadt Seinäjoki findet seit 1985 alljährlich das Tangofestival statt. Für fünf Tage verwandelt sich die ganze Stadt – Straßen, Plätze, Lokale, in Hallen oder unter freiem Himmel – in ein riesiges Tanzparkett. Wohin sich der Blick wendet, überall wiegen sich Paare im Tangoschritt.

Dabei ist das Festival nicht nur für die Einwohner Finnlands – neben Argentinien die zweite große Tangonation – interessant. Aus der ganzen Welt strömen Tangoliebhaber und Hobbytänzer herbei. Und auch internationale Medien berichten vom alljährlichen Treiben in Seinäjoki vor Ort.

Tomoo Sukogawa, ein Tanzlehrer aus Tokio, ist auf Einladung von Åke Blomquist gekommen, den er bei der Dance Teachers Association kennen gelernt hat. Gekonnt gleitet er mit seiner Partnerin, einer seiner Studentinnen, über das Turnsaalparkett. „Das Gefühl ist wichtiger als die Musik“, verrät er.

Im Gegensatz zum argentinischen Tango lasse sich der finnische sehr leicht erlernen. Denn er sei weniger technisch, in seiner betörenden Wehmut vielmehr gefühlsorientiert. Kurz: „Es gibt keinen Fehler beim Tanzen, jeder Tänzer macht es richtig.“

Åke Blomquist scheint das nicht ganz so einfach zu sehen. Unnachgiebig geht er durch die Reihen und mustert die Tänzer. Unnachgiebig zählt er im Takt mit: „Eteen, sivulle yhden, taakse.“ Die Wurzeln des finnischen Tangos liegen in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Während Familien und Liebende durch den Krieg getrennt waren, hielt der Tango das Volk zusammen. Nostalgie, Weltschmerz und unglückliche Liebe sind die Themen, um die sich die Texte der Lieder drehen. Und der Tango ist für viele Finnen mehr als nur Musik oder Modetrend, sondern ein Teil finnischer Lebensart.

Während im Turnsaal der Ernstfall nur geprobt wird, herrscht draußen auf der Straße bereits Feststimmung. Männer mit aufgekrempelten Hemdsärmeln halten Damen in Jeans und T-Shirts im Arm, wiegen elegant hin und her und verbinden den ausdruckslosen Blick des Tangos mit einem Hauch finnischer Fröhlichkeit. Bei Sonnenschein ist die gesamte Straße mit Tänzern übersät, bei Regen drehen zumindest die Härteren ihre Runden – einige davon eben mit Schirm in der Hand.

Wem das bunte Treiben zu viel wird, der kann sich für einige stille Momente in Richtung Aalto-Zentrum zurückziehen. In der Stadtbücherei, dem Theater, der Stadthalle und der Kirche „Lakeuden Risti“, alle vom finnischen Nationalarchitekten Alvar Aalto erbaut, scheint auch während des Festivals eine Art Tangoverbot zu herrschen. Und auch in der alten Mallaskoski-Brauerei widmen sich die Finnen eher in Ruhe dem frisch gezapften Bier als dem überall präsenten Tanzfestival.

Gegen Abend verlagern sich die Massen langsam in Richtung Seinäjoki Arena, eine Mehrzweckhalle mit rund 7000 Sitzplätzen. Hier findet der Tango Singing Contest statt. Denn finnischer Tango ist nicht nur ein Tanz, auch die Musik dazu wird zelebriert. Und die alljährlich stattfindenden Wahlen zu Tangokönigin und Tangokönig waren schon das Sprungbrett für so manche Karriere. Zumindest national gesehen, oder haben Sie schon einmal etwas von Jari Sillanpää gehört? In Finnland ist der ehemalige Tangokönig von 1995 ein absoluter Superstar.

Das Publikum, eher Menschen jenseits der Dreißig, findet sich brav auf den Sitzen ein, in einer Stimmung irgendwo zwischen der Ehrfurcht bei einem Udo Jürgens-Konzert und der Gelassenheit während des Musikantenstadls. Und dann beginnt die Halle zu kochen.

Die Scherze zwischen den Musikbeiträgen verstehen Nichtfinnen wegen der sprachlichen Hürde zwar nicht, doch die Stimmung greift auch auf alle anderen über. Und am Ende des Tages, wenn die sommerliche Sonne gerade eine kurze Pause einlegt, lässt sich so mancher Besucher der zweiten großen Tangohauptstadt dabei ertappen, wie er im passenden Schritt zurück ins Hotel tänzelt. „Eteen, sivulle yhden, taakse.“

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 08.04.2006)

So nicht, Bussibär!

Früher half die Androhung der strafenden Hand Gottes, um Menschen zu sozial verträglichem Verhalten zu ermuntern. Mit zunehmender Säkularisierung ging dieser lenkende Effekt verloren. Und auch Drohungen wie „Wenn du nicht aufisst, wird das Wetter schlecht“ sorgen bei rational denkenden Menschen maximal noch für Erheiterung. Und dennoch lässt sich auch heutzutage mit einer pädagogischen Maßnahme ein bestimmtes Verhalten herbeiführen: mit öffentlicher Bloßstellung.

Beispiele? Ein Schild über der Toilettentür eines Restaurants, das aufblinkt, wenn ein Mann die Örtlichkeit verlässt, ohne sich die Hände zu waschen. So nicht, Bussibär! Und alle haben es gesehen. So einfach funktioniert Pädagogik. Ähnlich effektiv können Besucher zweifelhafter Etablissements zur Räson gebracht werden, indem bei Verlassen des Gebäudes grelles Scheinwerferlicht auf sie gerichtet wird. Wo solche Sündentempel zu finden sind, erfährt man übrigens bei der Führung Fress-, Sauf- und Luderhäuser (Kärntner Straße/Mahlerstraße; 18.30 Uhr).

Dumm ist allerdings, wenn für einen Missstand kein Verantwortlicher ausgemacht werden kann. Wen sollte man etwa dafür an den Pranger stellen, dass an einem Abend gleich drei gute Konzerte angesetzt sind: Die Ska-Truppe von Russkaja spielt im Ost (4, Schwindg. 1), Rough and Rugged stellen im Porgy & Bess (1, Riemerg. 11) ihre CD vor und die Minimalblues-Truppe Fenzl Experience kommt ins Blue Tomato (15, Wurmserg. 21). Nun, auch die Pädagogik hat ihre Grenzen.
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 07.04.2006)