Rettet das Deppen-A

Wenn Sprachpfleger in die Schlacht ziehen, geht es meist darum, alltäglich verbreitete Sprachphänomene mit Häme zu überziehen und deren Verursacher an den Pranger zu stellen. Nehmen wir etwa die Apostrophitis, landläufig auch als „Deppenapostroph“ bekannt. Sie wissen schon, da lesen wir von der „Spezialität des Hause’s“ oder stehen fassungslos vor „Trikot’s“, während uns der Kellner ein paar „Drink’s“ mixt. Weit verbreitet ist auch die Anwendung von Leerzeichen in Komposita – weniger euphemistisch auch „Deppenleerzeichen“ genannt. Davon sprechen wir dann, wenn aus dem „Diplomingenieur“ (passt) oder dem „Diplom-Ingenieur“ (passt auch) plötzlich ein „Diplom Ingenieur“ (oje) wird.

Doch diesmal wollen wir den Spieß umdrehen und uns einem liebenswürdigen Phänomen widmen, das Sprachpfleger wohl als „Deppen-A“ bezeichnen würden. Gerade der Wiener neigt ja dazu, in so manches gesprochene Wort zwischen zwei aufeinanderfolgenden Konsonanten ein A einzubauen, wo es eigentlich gar nichts zu suchen hat. Ein Umstand, der zu so mancher charmanter Bedeutungsverschiebung führen kann. Beispiel gefällig? „Chanel“ lässt sich etwa sowohl als französischer Duft verstehen, aber auch als Gegenteil von langsam (Sch-a-nell, klar?). Oder nehmen wir das deutsche Universallexikon, den „Brockhaus“ – und wir haben plötzlich statt einer massiven Wand an Buchrücken ein massiv gebautes – und hoffentlich denkmalgeschütztes – „Barockhaus“ vor den Augen. Sie merken schon, ob bewusst oder unbewusst, das lustvolle Spiel mit dem „Deppen-A“ regt zu so manchem Schabernack (nein, da ist jetzt kein A zu viel) an. Die Einwohner der Döblinger Karottenbachstraße wissen vermutlich ein Lied davon zu singen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 30.03.2009)

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Murphys Gesetz

Was schiefgehen kann, geht auch schief. Doch gilt Murphys Gesetz für unseren Alltag tatsächlich? Selbstverständlich, solange man nur fest genug daran glaubt. Sonst nicht.

Es kann nicht jeder so privilegiert sein wie jene Freundin, die sechs Monate lang in Armenien gearbeitet hat: „PO Box 1, Jerewan“ als Postadresse legt schon nahe, dass das Anstellen am Postamt nicht allzu lange dauert. In Wien muss man dagegen mit einigen Schlangen rechnen, um zum Schalterbeamten zu gelangen. Und genau hier setzt Murphys Gesetz an – die eigene Schlange ist immer die langsamste. Sie muss nicht die längste sein, aber unter Garantie braucht der Kunde vor mir dreimal so lang wie alle anderen zusammen. Bei der Abendkassa im Kino, beim Anstellen in der Kantine und im Supermarkt – das Bild ist überall gleich.

Ein Selbstversuch beim Nahversorger bringt allerdings die erschreckende Erkenntnis: Murphys Gesetz gilt doch nicht. Zumindest nicht, wenn man es gerade nicht eilig hat. Schnell und flüssig geht es an der Nachbarschlange vorbei. Oder der gute Murphy ist einfach ein scheues Reh, das sich versteckt, sobald es merkt, dass es beobachtet wird. Ist schon recht. Also fahren wir schwerere Geschütze auf. Denn dass beim Warten auf die U-Bahn immer zuerst die kommt, die man gerade nicht braucht, wird ja wohl funktionieren. Doch natürlich: Es ist der Zug Richtung Ottakring, der als Erster auftaucht. Bis vor ein paar Wochen hätte Murphy ja noch recht gehabt, doch nach meinem Umzug ist das die richtige Richtung. Ob die Wiener Linien einen Deal mit Murphy abgeschlossen haben?

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Interessant: Die Seite mit der Wurst ist oben...

Also gut, versuchen wir es eben auf die harte Tour und machen den ultimativen Murphy-Test: Fällt ein Brot tatsächlich immer mit der Butterseite nach unten auf den Boden? Also, Brot gestrichen und rauf mit der Scheibe auf die Tischkante. Tatsächlich, der erste Wurf endet mit einer Butterspur auf dem Teppich. Auch beim zweiten Wurf schlägt das Gebäck mit der beschmierten Seite auf dem Boden auf. Presto! Doch dann setzt die Wahrscheinlichkeitsrechnung ein, und die nächsten Versuche enden mit einem überraschenden Ergebnis: Butter oben. Es folgen ausgedehnte Versuchsreihen – andere Fallhöhe, Handhaltung, Fallenlassen nach Anrempeln. Das Ergebnis: Einmal schafft das Brot eine ganze Umdrehung, einmal klatscht es nach einer halben mit der Butterseite auf. Beim Doppelblindversuch mit Wurstbelag dasselbe Ergebnis: 50:50. Murphy, warum hast du mich verlassen?

Und doch wirkt die Erkenntnis aus den Versuchen nur auf den ersten Blick enttäuschend. Denn im Grunde hat Murphys Gesetz ja doch zugeschlagen: Sobald man zu beweisen versucht, dass es existiert, geht es schief. Also, glauben wir weiter daran, dass alles, was schiefgehen kann, auch schiefgehen wird. Dann wird es schon klappen.


(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 29.03.2009)

Bitte sich nicht anzuscheißen

Als sensibler und einfühlsamer Mensch weiß man natürlich, was sich gehört, sollte man sich gegenüber einem anderen ungebührlich verhalten haben. Im Normalfall kommt es beim Gegenüber gut an, sich zerknirscht zu zeigen und ein paar Worte der Entschuldigung zu stammeln. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, was eher weniger gut ankommt: „Scheiß dich nicht an“ taugt nur bedingt dazu, einen einmal aufgerissenen Graben zwischen zwei Menschen wieder zu füllen.

Sind diese Worte einmal ausgesprochen, ist das Eis schon recht dünn. Denn selbst wenn die späte Erkenntnis kommt, dass man sich im Ton vergriffen hat, bleibt der schale Nachgeschmack von Arroganz und Respektlosigkeit. Was tun in einer solchen Situation? Noch einmal das Gespräch suchen und diesmal zerknirscht und mit treuem Hundeblick eine Entschuldigung stammeln? Dagegen spricht allerdings Goethe: „Die Zeit entschuldigt, wie sie tröstet, Worte sind in beiden Fällen von wenig Kraft“ – das klingt nach Aussitzen und Warten, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Das ist zwar sehr bequem, beflügelt aber den täglichen Umgang miteinander kaum. Dann vielleicht lieber tätige Reue in Form von Blumen, Krokant-Schokolade oder einem Stofftier zeigen? Klingt gut, hilft aber auch nur bedingt, weil der Stoffteddy wieder kombina tionspflichtig mit entschuldigenden Worten ist, die ja laut Goethe von wenig Kraft sind.

„Lass mein Schweigen dir sagen, was keine Worte sagen können“ – wieder mal Goethe. Klingt spannend, lieber Johann Wolfgang von, das versuche ich. „Du sagst ja gar nichts“, wird dann das Gegenüber  sagen. „Stimmt, das hab ich vom Goethe gelernt“, werde ich erwidern. „Also scheiß dich nicht an!“

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 23.03.2009)

Irgendwas kann jeder

Aber reicht es auch bei jedem für einen Weltrekord? Die Rubrik „Bitte nachmachen“ im Guinness-Buch der Rekorde lädt ja förmlich dazu ein.

Eigentlich kann ich ihn schon gar nicht mehr hören, den Warhol’schen Spruch der „15 Minutes of Fame“. Doch für manches Phänomen bietet er sich trotz inflationärer Verwendung immer noch an. Dann etwa, wenn ein weiterer Weltrekord gebrochen wird – einer jener Rekorde, die keiner braucht. Oder hat es einen Sinn, mit einem Billardstock auf dem Kinn eine Distanz von 400 Metern zurückzulegen? Bringt es uns wirklich weiter, 20 Eier gleichzeitig in einer Hand zu halten? Oder hat es eine wie auch immer geartete Relevanz für unser Leben, wenn wir innerhalb einer Minute drei Bananen schälen und hinunterwürgen können? Obwohl, das mit den Bananen klingt ja eigentlich gar nicht so schwierig. Und so ein Weltrekord im Lebenslauf …

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Rekordversuch: Bananen essen

Die erste Erkenntnis bei einem solchen Rekordversuch ist vor allem ein Gefühl der Erniedrigung. Schon das Essen einer einzelnen Banane reicht, um auf Schnappschüssen eine wenig elegante Figur zu machen, doch gleich drei – und unter Zeitdruck – dienen vor allem dem Gaudium des Publikums. Das mag mit ein Grund sein, warum erniedrigende Rekordjagden gerne im TV gezeigt werden. Gut, vielleicht spornt das ja an. Denn mein Versuch, ganz ohne Zuschauer, endete erst nach 2:15 Minuten. Für den Weltrekord eindeutig zu wenig.

Bevor jetzt Sprüche à la „den Mund zu voll genommen“ auftauchen, gehen wir gleich zum nächsten Rekordversuch. 246 ist die magische Zahl, die es als Nächstes zu schlagen gilt. So viele Strohhalme steckte sich ein gewisser Marco Hort beim Weltrekordtag 2006 in Wien in den Mund.

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Rekordversuch: Strohhalme

Das kann ich doch auch! Fast zumindest, denn im Selbstversuch war schon bei 56 Stück Schluss. Unbeantwortet blieb auch die Frage, wie der Rekordhalter es schaffte, auf den offiziellen Fotos so gepflegt auszusehen. Denn, man glaubt es kaum, der Speichel nützt jede Gelegenheit, in Freiheit zu gelangen, und bahnt sich den Weg an den Strohhalmen vorbei, ehe er vom Kinn seinen sabbernden Weg zum Boden antritt.

(c) Clemens Fabry (Die Presse)

Rekordversuch: Handyweitwurf

Dann doch lieber noch etwas Seriöses zum Abschluss. Handyweitwurf zum Beispiel. Der Finne Ville Piippo hält in dieser Disziplin mit 82,55 Metern den Rekord. Also das alte Alcatel aus dem Kasten gefischt und ab in den Stadtpark. Nach Abwägen der Windrichtung – und Abwarten, bis die Entenfamilie die Landebahn verlassen hat – folgt ein gezielter, kraftvoller Wurf. Das greise Mobiltelefon hebt ab, dreht sich in Zeitlupe um die eigene Achse, überwindet die Gravitation – und fällt wie ein nasser Sack in die Wiese. 26 Meter. Sieht fast so aus, als würde ich meine „15 Minutes of Fame“ nur dafür bekommen, am öftesten an einem Weltrekordversuch gescheitert zu sein.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 22.03.2009)

Wenn die Maus zu viel gekokst hat

„Jüngere Semester können sich wahrscheinlich gar nicht mehr erinnern.“ Ein wenig schockierend war es schon, kürzlich diese Einleitung eines „Presse“-Artikels zu lesen – vor allem weil die Kollegin zehn Jahre jünger ist als ich. Abgesehen davon signalisiert ein solcher Einstieg eine gewisse Altklugheit, die auch als Arroganz ausgelegt werden kann. Aber egal, ich möchte heute einmal zwei Figuren der Fernsehgeschichte erwähnen, die mich nachhaltig traumatisiert haben – und an die sich jüngere Semester wahrscheinlich gar nicht mehr erinnern können.

Beginnen wir mit der Maus aus dem Kinderprogramm, die mir die Folgen exzessiven Drogenkonsums vor Augen geführt hat. Ständig torkelte das Nagetier über den Bildschirm, während es Schnüffelgeräusche von sich gab –  es entstand der Eindruck, das Tier würde sich ständig eine Prise Kokain in die Nase ziehen. Erhärtet wird dieser Befund dadurch, dass die Maus einen kleinen (!), blauen (!!) Elefanten sah. Klingt komisch, war aber so.

Die zweite traumatische Gestalt war eine Holzpuppe, die deutlich vor Augen führte, wie wichtig interaktives Fernsehen wäre. Denn in so gut wie jeder Folge ließ sich Pinocchio vom räudigen Fuchs und dem Straßenkater zu irgendeiner Blödheit überreden – während wir Kinder vor dem Fernseher schrien: „Nein, Pinocchio, geh nicht mit ihnen mit!“ Schließlich wussten wir längst, dass die Geschichte wieder einmal mit einem vor Angst schlotternden Holzpüppchen im dunklen Wald enden würde. Doch keine Chance, der kleine – verzeihen Sie – Trottel tappte jedes Mal in die Falle. Und wir saßen frustriert vor dem Fernseher. Die anfangs genannte Kollegin hat es da besser – als jüngeres Semester kann sie sich wahrscheinlich gar nicht mehr daran erinnern.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 16.03.2009)

Eine Woche ohne Handy

Kein Problem. Am meisten leiden ohnehin die anderen – die nicht mehr kurzfristig absagen können.

Gut, dass es die Würfeluhren noch gibt. Die markanten Zeitmesser haben in den vergangenen sieben Tagen plötzlich wieder an Bedeutung gewonnen. Denn der regelmäßig-reflexartige Griff in die Hosentasche führte ins Leere – eine Woche ohne Handy und damit auch ohne Uhr am Display. Was soll daran so schlimm sein, früher ging es ja auch ohne. Das schon, aber erklären Sie einmal einem starken Raucher, dass er eigentlich gar keine Zigaretten braucht. Der Effekt ist ähnlich. Entzugserscheinungen inklusive.

Keine kurze SMS zwischendurch, um die Langeweile in der U-Bahn zu unterdrücken. Und auch kein gehetzter Anruf, dass es ein bisschen später werden könnte. Es waren 25 Minuten Ungewissheit vor dem Vietnamesen in der Zollergasse, ob die kommunikativ flexible – ja, sie hat ein Handy – Verabredung überhaupt auftauchen würde. Sie kam schließlich. Ihre Nachricht „Was glaubst du? Ich habe wie immer ein paar Minuten Verspätung“ versandete im kommunikativen Nirvana. Immerhin, ich weckte ihr schlechtes Gewissen, dass man früher, in der Festnetz-Ära, noch pünktlich zu Verabredungen erschien – allein schon, um den Wartenden nicht im Regen stehen zu lassen.

Eine Erkenntnis, die sich in den darauf folgenden Tagen zu einem regelrechten Vorteil entwickelte. Auf einmal tauchten die Freunde, die Internetbekanntschaft und der gestresste Kollege pünktlich am zuvor per E-Mail vereinbarten Treffpunkt auf. Keine Rede mehr vom spontanen Wechsel in ein Lokal, in das man ja auch schnell nachkommen könnte. Die Machtposition hatte sich verschoben – aus Rücksicht auf den Handylosen gab es plötzlich wieder verbindliche Treffpunkte.

Nur, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen – den Rückfall in die Prä-Mobilfunk-Ära rechtfertigt das noch lange nicht. Denn fairerweise muss ich gestehen, dass das Suchen nach Telefonzellen bei dienstlichen Terminen eher mühsam ist – geschweige denn, dass so mancher Informant oder Kollege seine Schwierigkeiten hatte, mir die eine oder andere Information zu übermitteln. Auch die Abhängigkeit von Kleingeld steigt in Zeiten der Handylosigkeit rapide an. Aber fragen Sie einmal Passanten, ob sie Ihnen einen Euro schenken könnten – „zum Telefonieren“. Ja, sicher…

Abgesehen davon glaubt man gar nicht, wie wenig Telefonnummern sich ohne elektronische Hilfe in den eigenen Ganglien bewegen. Die Erinnerung an so manchen Kontakt entwickelte sich am öffentlichen Telefon also geradewegs zum mentalen Zahlensudoku – mit allen Schwierigkeitsstufen. Und wieder einmal gewinnt ein Relikt aus früheren Zeiten plötzlich an Bedeutung: Gut, dass es noch Notizbücher gibt.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 15.03.2009)

Can you English?

Es gehört zu den schönsten Nebenbeschäftigungen der Welt: schlechtes Englisch. Es hellt den tristen Büroalltag ungemein auf, ein freund liches „How goes it you?“ entgegengeschmettert zu bekommen. Und erreicht mich ein derart geschriebenes Mail, gerate ich vor dem „picture umbrella“ regelmäßig „fully out of the little house“, wenn Sie wissen, was ich meine. Dementsprechend können Sie sich  sicher vorstellen, dass ich ein großer Fan von Richard Lugner bin. Wenn etwa eines seiner Neomausis in einem Nobelhotel am Frühstückstisch nach einem „Mirror Egg“ verlangt, „make I me almost in the trousers“, wie der Engländer sagt.

Sollten Sie auch zu jener Spezies gehören, lege ich  Ihnen ein Kleinod ans Herz, das kürzlich per YouTube (http://www.youtube.com/watch?v=lUDguFNyS4s) seine Runden machte: ein Interview mit dem österreichischen Pornodarsteller Marcello Bravo, der mit den Worten „In Porno is so, jo“ über die technischen Schwierigkeiten beim Dreh philosophiert: „It’s only in the head – I can eat five Viagra. When I don’t have a Complication in the head, when I think too much, it don’t go up.“ Sehr erhellend, das. „Is so, jo!“ Damit es nun ein bisschen besser mit der Kommunikation klappt, gibt es eine Reihe von Kursen. Besonders empfehlenswert dabei ist „Learning English with Austrofred“ im Theater im Rabenhof. Dabei übersetzt das österreichische Pendant zu Freddie Mercury seine Liedtexte aus dem Österreichischen (wie sagt man etwa „Norrenkastl“?) ins Englische – mithilfe des Publikums, selbstverständlich.

Lange habe ich nach Absolvierung des Austrofred-Kurses überlegt, ob ich nicht sogar die ganze Kolumne in Englisch verfasse. „That would you so pass, or?“ Aber ich will mich ja nicht zum Trottel machen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 09.03.2009)

Mein Leben als Brandstifter

So manches dunkle Geheimnis, das im hintersten Winkel der persönlichen Erinnerung abgelegt sein karges Dasein fristet, offenbart gelegentlich und unerwartet seine dämonische Fratze. Auch mir, als ich kürzlich meinen Kleiderschrank ausmistete. Da war sie also wieder. Und mit ihr die schmerzhaften Erinnerungen. Aber beginnen wir von vorne.

Es war im Jänner 2000, gezahlt wurde noch mit Schilling, als ich mich aufmachte, eine Winterjacke zu erstehen. Eine massentaugliche Bekleidungskette auf der Mariahilfer Straße offenbarte dann auch ein solches Stück – schwarzer Stoff und ein dekorativer, dicker brauner Streifen, umrahmt von zwei dünnen weißen Streifen, die horizontal über die Jacke mäanderten. Im Abverkauf noch dazu. Formschön, günstig, zapp zapp – Jacke gekauft und angezogen.

Beim Verlassen des Geschäfts lächelte der Maronibrater vis à vis freundlich – so etwas, er trug genau die gleiche Jacke. So wie auch der nächste Maronimann. Und so wie weitere gefühlte 666 Passanten, die an diesem Nachmittag über die Mariahilfer Straße marschierten. Wie ein Kainsmal leuchtete der markante weiß-braun-weiße Streifen alle paar Sekunden aus der Masse hervor. Eine Bruderschaft der Jacke, die Stück für Stück den Glauben an Individualität aus meinem Herzen riss.

„Der Brandstifter ist gefasst“, lautete am nächsten Tag die Schlagzeile einer Zeitung, die mir beim Frühstück entgegensprang. Jener Brandstifter, der über Wochen den oberösterreichischen Ort St. Georgen an der Gusen in Aufruhr versetzt hatte. Unter dem Titel war sogar ein Bild des mutmaßlichen Täters zu sehen, der gerade von der Polizei abgeführt wurde. Und jetzt raten Sie einmal, welche Jacke er trug.

Am nächsten Tag habe ich mir eine neue gekauft.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 02.03.2009)