Postprandiales Vigilanzsuppressionssyndrom

Reiz-Reaktions-Modelle haben dank einer leicht nachvollziehbaren Systematik ihren Reiz. Wenn A eintritt, passiert B – so einfach ist es. Warum das genau so passiert, ist eine andere Frage, die gefälligst die Wissenschaft klären soll – im Alltag genügt es, einfach darüber zu spekulieren. Etwa darüber, warum man immer unmittelbar nach dem Frühstückskaffee einen starken Zug zur Toilette verspürt. Warum sich die Zähne nach dem Genuss von Blattspinat so stumpf anfühlen. Und vor allem, warum man nach dem Essen plötzlich in so eine unglaubliche Müdigkeit verfällt. Letzteren Effekt kennt man auch unter den Begriffen Fressstarre, Futternarkose oder auch Suppenkoma. Müsste man es einem Mediziner erklären, böte sich als Bezeichnung Postprandiales Vigilanzsuppressionssyndrom an. Der Arzt würde dann vermutlich Somnus meridianus als Therapievorschlag anregen.

Womit wir bei einem weiteren interessanten Themenfeld wären, nämlich dem Spiel mit Fremdwörtern. Das beherrschen nämlich vor allem Ärzte besonders gut, die es in ihrem Fachchinesisch einfach nicht zustande bringen (wollen), dass Nichtmediziner auch nur im Ansatz verstehen, wo nun das Problem liegt. In diesem Fall kann der Versuch lohnend sein, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen – und zu fragen, ob sie denn auch ein Fremdwort für Fremdwort kennen. Das ist nämlich gar nicht so einfach und mündet zunächst einmal in langes Grübeln, ehe mit viel Kreativität Neologismen wie Xenologismus aus dem Hut gezaubert werden. Eine Möglichkeit wäre übrigens Xenismus, das den Weg in den Duden allerdings noch nicht geschafft hat, sondern noch den Status eines schillernden Terminus hat, dessen Bedeutung noch nicht klar definiert ist. Sollte der Mediziner diese Prüfung geschafft haben, legen Sie nach – fragen Sie ihn nach einem Synonym für Synonym. Und dann widmen Sie sich wieder dem Suppenkoma. Gute Nacht!

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 23.04.2012)

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Kann man mit dem Aufhören anfangen?

Einschlafen ist gar nicht so einfach. Wenn man etwa plötzlich im beginnenden Halbschlaf registriert, dass man auf die Schlaftablette vergessen hat, dann ist das ein ähnlicher Effekt, als würde man beim Schäfchenzählen aufwachen. Und dann ist es passiert, man liegt da und starrt mit offenen Augen in die Dunkelheit. Im Kopf rotieren all die offenen Punkte des Tages – und damit gleich die Frage, wie ein nicht ausgedehnter Ort (das ist ein Punkt in der Geometrie nämlich) überhaupt offen sein kann.

Um derartiger Schlaflosigkeit am Abend zu entgehen, böte sich an, sich einfach vorzunehmen, den ganzen Tag nichts zu erreichen. Allerdings: Schafft man das, hat man dann ja doch etwas erreicht, oder? Das wäre dann so, als müsste man sich zwei Mal halb tot lachen, um wirklich das Zeitliche zu segnen. Oder man bemüht das Rechenspiel, wenn aus einem Zug mit drei Passagieren vier aussteigen, dann müsste einer wieder einsteigen, damit keiner drin ist. Fast schämt man sich schon ob solcher Uraltkalauer – da kann man noch so schlaftrunken sein – und überlegt, ob es nicht originellere Gedanken gibt, die die Ganglien beim Versuch des Einschlafens beschäftigen könnten. Vielleicht, ob USB die Fortsetzung von USA ist? Oder die Frage, ob man auch mit Münzen Scheingeschäfte machen kann. Sieht es sehr blöd aus, wenn man sich im Handumdrehen das Bein bricht? Und kann ein kleinkarierter Mensch auf seine Linie achten? Und warum sind Karotten oranger als Orangen?

Könnte sich jetzt bitte endlich der Schlaf meiner erbarmen? Dann könnte ich endlich aufhören, mir mit solchen Blödheiten das Warten auf das Einschlafen zur Qual zu machen. Wobei, kann man mit dem Aufhören eigentlich anfangen?

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 19.07.2010)

Schafe und Erbsen zählen

Als Kinder wurde uns eingebläut, zum Einschlafen einfach Schafe zu zählen. Eine romantische Vorstellung, die im ländlichen Raum zwar praktikabel scheint, der Lebensrealität des urbanen Einschlafwilligen jedoch in keinster Weise gerecht wird. Zugegeben, praktischer als das Zählen von Bären ist es allemal, handelt es sich bei Letzteren doch um keine Herdentiere, sondern um Einzelgänger, deren Zählung nur äußerst schleppend vorangehen würde. Das ändert aber nichts daran, dass Stadtmenschen das Zählen von Autos auf der Südosttangente oder von einkaufswilligen Passanten auf der samstäglichen Mariahilfer Straße um einiges näherliegen würde. Ganz abgesehen davon, dass schon 2002 im „New Scientist“ von einer Studie zu lesen war, in der Schafezählen als untaugliches Mittel zum Einschlafen bezeichnet wurde.

Lebensnah und in jeder Küche verfügbar wären dagegen Erbsen. Eine 100-Gramm-Packung Tiefkühl erbsen nach Stück zu quantifizieren hat allerdings den Nachteil, dass die auftauenden Hülsenfrüchte im Bett ihre Spuren hinterlassen würden – und wie wir von Hans Christian Andersen wissen, schläft es sich auf ihnen nicht besonders gut. Selbst wenn man keine Prinzessin ist. Linsen dagegen wurden von den Gebrüdern Grimm schon erfolgreich als Einschlafhilfe getestet – bei „die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“ (Aschenputtel, Sie wissen schon) ist schon so manches Kind ins Reich der Träume gewandert. Andererseits – als Kind wäre ich vermutlich sogar beim Vorlesen eines Textes von Ingeborg Bachmann eingenickt, wäre er nur mit monotoner Stimme vorgelesen worden. Und selbst das Lesen von Zeitungskolumnen führt bei so manchem Zeitgenossen direkt in den Tiefschlaf . . . Hallo, sind Sie noch da?

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 20.07.2009)