Nicht einmal in Ruhe essen . . .

An Fotos von sich selbst findet der Betrachter üblicherweise ohnehin kaum etwas Gutes. Besonders schlimm wird es allerdings erst dann, wenn die abgebildete Situation so richtig unvorteilhaft ist. Politiker, im Umgang mit Medien geschult, vermeiden daher weitgehend gefährliche Situationen – man fasst sich nicht an die Nase, kratzt nicht am Hintern oder blickt allzu konzentriert ins angeschneuzte Taschentuch, um nicht dem schon lauernden Fotografen ein allzu gutes Motiv zu liefern. Weniger gut Geschulten – vornehmlich Privatpersonen – begegnet man zum Gaudium des Betrachters (und des Fotografen) dagegen laufend in digitalen wie analogen Fotoalben, schließlich zeichnen sich nicht nur Pressefotografen durch eine gewisse Bösartigkeit aus.

Die beste Gelegenheit, jemanden besonders unvorteilhaft darzustellen, findet der Hobby-Paparazzo bei den alltäglichsten Verrichtungen, etwa beim Essen. So sollte Rucola aus Prinzip erst dann bestellt werden, wenn die gesamte Tischgesellschaft ihre Kameras in sicherer Entfernung deponiert hat. Und auch der Biss in den Big Mac bietet keinen allzu würdevollen Anblick – die Anwesenheit sogenannter Freunde, die in jenem Moment auf den Auslöser drücken würden, endet garantiert mit einem Meuchelfoto. In so mancher gastronomischen Einheit böte sich daher an, statt einer rauchfreien eine fotofreie Zone einzurichten. Denn wie kommen Nichtfotografen dazu, von Uneinsichtigen durch Passiv-Fototerror belästigt zu werden. Und das auch noch während der Fütterung.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 14.01.2008)

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Die geheimen Toiletten der Stadt

An Bedürfnissen kann man auch konsequent vorbeiproduzieren. Da gibt es esoterische Stadtführer über Kraftorte, mystische Stätten und dergleichen, doch im Notfall fängt man mit Keltengrab oder Kapuzinergruft wenig an. Schon eher nach banaleren aber unentbehrlichen Requisiten der Großstadt. Zwar gibt es einen herrlichen Band diesen Namens über Wiens öffentliche Toiletten (Peter Payer, Löcker Verlag), doch ist man bei der Suche nach jenen geneigt, den darin beleuchteten historischen Aspekt nicht so wichtig zu nehmen, muss doch erst die unterste Stufe der maslowschen Bedürfnispyramide abgearbeitet werden. Abhilfe schafft ein Toiletten-Stadtplan, den der Pharma-Konzern Pfizer für Wien (auch für Linz, Graz, Salzburg und Innsbruck – www.pfizer.co.at/online/page.php?P=771) herausgegeben hat.

Der Variante, in Lokalen ohne Konsumation den Weg zur Toilette zu beschreiten, wird zunehmend ein Riegel vorgeschoben. Bei Haas & Haas am Stephansplatz bekommen Kunden längst einen Zahlencode, mit dem sich die Tür öffnen lässt. Und die McDonald’s-Filiale auf der Mariahilfer Straße vergibt an zahlende Kunden Klo-Gutscheine. Schwierigkeit: Schon beim Bestellen muss man das wissen – der unbestechliche Klomann im Keller lässt sich mit „Aber ich habe schon gegessen“ nicht abspeisen. Daher die Aufforderung an Jungautoren: Wir brauchen einen „Secret Toilet Guide“, in dem jene versteckten Plätze verzeichnet sind, die schnell Abhilfe bieten. Wird sicher ein Bestseller. Und deckt echte Bedürfnisse.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 09.01.2008)

Weihnachtliche Torschlusspanik

Die weihnachtliche Torschlusspanik hat mittlerweile eine reale Grundlage erreicht. Allzu viel Zeit bleibt nun wirklich nicht mehr. Im Gedränge auf den Einkaufsstraßen ist nun vor allem Effizienz gefragt, denn wer beim gemütlichen Herumstöbern noch auf eine plötzliche Eingebung hofft, geht maximal als weltfremder Idealist durch. Letztlich bleibt die sichere Seite – karierte Socken, bunte Krawatten, bestickte Taschentücher und dergleichen – oder die Abkehr von materiellen Geschenken. Erlebnisse, Events & Co machen sich nämlich gar nicht so schlecht unter dem Weihnachtsbaum.

Schenken Sie zum Beispiel Genitive, die sind ja mittlerweile Mangelware – eigentlich hört man sie hierzulande nur noch in Durchsagen der Wiener Linien (Wegen eines schadhaften Zuges . . .). Für Jungverliebte würde sich eine Reise in die Stadt der Liebe anbieten – Zugtickets nach Bruck an d’amour kosten ja auch nicht die Welt. Beliebt sind seit Neuestem „ethische“ Weihnachtsgeschenke, also Bestätigungen, dass man für ein soziales Projekt gespendet hat. Für fanatische Gegner der Schengen-Grenzöffnung könnte man da ja ein paar Euro für die Arterhaltung der vom Aussterben bedrohten Schlagbäume investieren. Für ein bisschen Schenkelklopfen überreicht man zu Geschenken wie diesen auch gleich eine Glühbirne – fragt der Beschenkte dann, was das nun sein soll, kommt die Antwort: „Die ist ähnlich leicht aus der Fassung zu bringen.“ Obwohl, so schlecht sind karierte Socken dann auch wieder nicht.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 22.12.2007)

Schweinische Weihnachten

Mittlerweile ist bei Vielen bereits jener Grad der Sättigung erreicht, an dem schon der Anblick von Weihnachtskeksen für Sodbrennen sorgt. Zwischen Vanillekipferl, Lebkuchen und Linzer Augen erwächst plötzlich der Heißhunger nach einem simplen Rad Extrawurst. Und dem geschundenen Magen kommt der Gedanke, warum der Christbaum nicht mit Salzbrezeln, Erdnusslocken oder Salamistangen behängt werden kann. Auch das kollektive Punschtrinken erfüllt nur mehr die soziale Funktion des in der Kälte Zusammenstehens, trinken will man das klebrige Gesöff schon längst nicht mehr.

Unnötig zu erwähnen, dass auch die amerikanisch-romantisch-verkitschten Litaneien Bing Crosby & Co aus den Lautsprechern der Einkaufszentren ihren alljährlichen Zenit weihnachtlicher Vorfreude längst überschritten haben und die gequälten Gehörgänge sehnsüchtigst Motörhead als reinigendes Korrektiv herbeisehnen, um akustisch Tabula rasa zu machen.

Derart verzweifelt stürzt sich die weihnachtlich angewiderte Seele zum Kühlschrank, zitternde Finger entriegeln eine Dose „Leberwurst grob“ und kurz darauf setzt der Moment der Entspannung ein. Der süßliche Geschmack auf der Zunge ist dem herben Aroma von salzigem Schweinefleisch gewichen. So muss Weihnachten schmecken. Zumindest kurzfristig. Denn schon kurz nach der salzigen Heißhungerattacke ertappt man sich schon beim nächsten Griff in die Keksdose. Ganz genau. Und irgendwie gehört ja auch Speisesoda zum Geschmack von Weihnachten.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 19.12.2007)

Rettet den Kakao vor dem Kaffee

Gemeinhin haftet dem Kakao der Nimbus an, ein Getränk für Kinder zu sein. Zwar hat sich die Akzeptanz in den vergangenen Jahren gebessert und in Delikatessengeschäften finden sich auch schon Kakaospezialitäten jenseits von Benco & Co. Doch im Alltag ist immer noch die Rede davon, gemeinsam auf einen Kaffee zu gehen. Umgekehrt würde wohl niemand den Vorschlag machen: „Hallo, darf ich dich auf einen Kakao einladen?“ Schade, eigentlich. Das hätte auf jeden Fall mehr Pepp. Oder glauben Sie im Ernst, dass man im Zeitalter der Nespresso-Monokultur noch irgendjemanden mit Kaffee beeindrucken kann? Beim Zubereiten von Kakao ließe sich dagegen durchaus noch ein bisschen Individualität beweisen, die bei den Kaffeetrinkern von heute ja nur noch in der passenden Farbe der Espressokapsel nach außen präsentiert wird. Gratuliere.

Mit Kakao lassen sich übrigens vor allem Kollegen, die westlich von St. Pölten sozialisiert wurden, leicht auf die Kakaopalme (naja) treiben. Dann nämlich, wenn das Getränk als „Gaugau“ ausgesprochen wird. Man glaubt gar nicht, wie gereizt Oberösterreicher, Salzburger & Co auf die weiche Aussprache reagieren. Dabei passt sie genau zur cremigen Konsistenz, die richtig zubereiteter Kakao eben einmal hat. Aber selbst Kakao aus dem Automaten lernt man zu schätzen, nachdem das Aufkochen der Milch in der Arbeit doch etwas aufwendig wäre. Fällt jener Automat allerdings der zunehmenden Nespressierung der Welt zum Opfer, fühlt man sich ein wenig durch den Kakao gezogen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 18.12.2007)

Weihnachtsmann ist überbewertet

Wie beliebig Feiertage mittlerweile gehandhabt werden, erkennt man unter anderem daran, dass mehrere Tage nach Nikolaus im Fernsehen Werbespots für violette Nikoläuse ausgestrahlt werden. Früher wurden sie spätestens am Abend des 6.12. aus den Regalen der Supermärkte geräumt und vor der Kassa zum halben Preis angeboten. Doch die ideologisch wenig sattelfesten Konsumenten haben den Unterschied zwischen Nikolaus und Weihnachtsmann längst nicht mehr intus – historisch betrachtet ist es ohnehin die gleiche Person. Immerhin wurde Santa Claus nach dem Vorbild des Nikolaus kreiert. Übrigens nicht von Coca Cola, wie gerne kolportiert wird. Verantwortlich für diese Figur war Thomas Nast, ein deutscher Einwanderer, der 1862 die Figur schuf, um den Soldaten im amerikanischen Bürgerkrieg Trost zu spenden. Lediglich das standardisierte weiß-rote Erscheinungsbild mit Bauch, Bart und Backen geht auf den Limonadenkonzern zurück.

Nach dem 24. Dezember ist der Spuk aber ohnehin vorbei. Dann begegnet man wieder dem Ganzjahresweihnachtsmann. So nennt Wiglaf Droste in der wunderbaren Weihnachtskritik „Weihnachten“ (DuMont-Verlag) den Dalai Lama. Unterschiede zu Santa sieht der deutsche Autor gerade einmal in der Farbgebung – rot-gelb statt rot-weiß. Und statt „Hohoho“ bekomme man eben Weisheiten à la „Wenn man das Licht ausmacht, ist es dunkel“ zu hören. Aber Botschaften wie diese dürften ja heute auf Gehör stoßen. Womit wir wieder bei der Beliebigkeit wären.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 12.12.2007)

Das Geheimnis der Verpackung

So oft man sich in der Vorweihnachtszeit die Frage „Was schenke ich?“ stellt, so selten fragt man sich „Wie verpacke ich es?“. Die Auswahl des Geschenkpapiers ist gerade einmal zweitrangig. Kein Wunder, ist ihm doch ohnehin nur ein kurzer Moment der Aufmerksamkeit beschieden, wenn der Beschenkte das mehr oder weniger kunstvoll bedruckte Papier – auch Zeitungen sollen dafür schon verwendet worden sein – mit einer gezielten Handbewegung vom eigentlichen Objekt der Begierde reißt. Wozu also allzu viel Zeit mit der Auswahl von Motiven, Farbe und Konsistenz des Verpackungsmaterials verbringen, wenn es gerade einmal ein paar flüchtige Sekunden die Aufmerksamkeit des Beschenkten hat.

Das war nicht immer so. Bei Großmüttern und -vätern erlebt man auch heute immer noch ein viel liebevolleres Verhältnis zu Geschenkpapier. Da werden die Klebestreifen sanft gelöst, das Papier fast ehrfürchtig zur Seite gebogen und wieder glattgestreift. Damit es im nächsten Jahr wieder verwendet werden kann. Gute Idee, eigentlich. Und grundsätzlich gut ist auch die Idee der Stadt Wien, Stoffsackerl herzustellen, die statt Papier zum Einpacken verwendet werden können – alle Jahre wieder. Lediglich der Slogan, mit dem sie promotet werden („Nimm ein Sackerl für dein Packerl“), ist nicht ganz so gelungen, weil die Assoziation zur Hundstrümmerlaktion so naheliegt – wie kürzlich an dieser Stelle schon erwähnt wurde. Das Tröstliche daran: Letztlich leidet auch das beste Geschenk, wenn die Verpackung nicht stimmt.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 03.12.2007)

Hundekot unterm Weihnachtsbaum

Eine gewisse Kreativität kann man dem Wiener Rathaus nicht absprechen. Nachdem sämtliche Initiativen, den Hundekot von der Straße zu bekommen, von wenig Erfolg gekrönt waren, beschreitet Umweltstadträtin Ulli Sima einen neuen Weg: Hundekot als Weihnachtsgeschenk. Wie sonst ist die Aktion „Nimm ein Sackerl für dein Packerl“ zu verstehen, die seit kurzem propagiert wird. Sehr konsequent, wurden doch beim ersten Teil („Nimm ein Sackerl für mein Gackerl“) weniger die Hundstrümmerl selbst, sondern die putzigen Aufsteller in Hundeform Opfer menschlicher Sammelwut. Dass einem roten Sackerl mit aufgedrucktem Engel das gleiche Schicksal blühen könnte, ist unwahrscheinlich. Schließlich erfüllt ein Sackerl ohne Inhalt nicht im geringsten seine Daseinsberechtigung. „Der hübsche rote Sack ist ein aktiver Beitrag zur Abfallvermeidung“, so Sima.

Wir warten also schon darauf, dass statt der Hundekotsäckchen aus Plastik die roten Stoffsäcke in die 315 Automaten der Stadt gefüllt werden. Aber leider, so konsequent ist die Kampagne doch nicht. Denn Hundebesitzer müssen erst zum Wiener Christkindlmarkt, um am „natürlich Wien“-Stand eines der Sackerl in drei verschiedenen Größen erstehen zu können. Ab einer Spende von 3 Euro ist man dabei. Ein bisschen viel, um den Auswurf von Bello & Co abtransportieren zu können? Natürlich nicht. Denn, so Ulli Sima stolz: „Der Stoffsack kann über viele Jahre immer wieder verwendet werden.“ Ganz genau, und außerdem kann man damit ja auch andere Geschenke verpacken.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 30.11.2007)

W-Lan on the Rocks ohne Eis

Dass drahtloser Internetzugang an öffentlichen Orten kein Geschäftsmodell an sich ist, mussten vor einiger Zeit die Stammgäste des Café Stadlmann in der Währinger Straße 26 schmerzhaft zur Kenntnis nehmen. Zwar prangt noch immer unübersehbar und grell der Hinweis auf einer der Fensterscheiben, dass im Lokal W-Lan angeboten wird, doch schon auf der nächsten Scheibe muss man „Zu vermieten“ lesen, dahinter ist es dunkel. Traurig. Für Studenten der Politikwissenschaft war das Stadlmann oft genug Hörsaal, Seminarraum und Sprechstundenzimmer. Ganze Seminararbeiten wurden auf den durchgesessenen Sitzbänken, unter denen die Federn schon deutlich spürbar waren, auf dem Laptop geschrieben. Und wo liest jetzt wohl Barbara Coudenhove-Kalergi ihre Morgenzeitung?

Aber egal, vermutlich ist der Stellenwert von W-Lan ohnehin überbewertet. Denn andere Lokale leben immer noch ganz gut, obwohl sie sie den Umgang mit drahtlosem Internetzugang nicht ganz so dramatisch wichtig nehmen. Nehmen wir etwa die Shultz-Bar in der Siebensterngasse. Dort stapfte kürzlich ein alter Freund hinein, der seine UMTS-Karte irgendwo liegen gelassen hatte. „Haben Sie Wireless-Lan?“, fragte er den südamerikanisch anmutenden Barkeeper. Darauf dieser, mit einer gewissen Verunsicherung in der Stimme: „Ist das ein Cocktail?“ Macht ja nichts, dann surfen wir eben nicht auswärts sondern bleiben daheim – vielleicht bei einem „Chello on the Rocks“ oder einem „Aon Pur“. Prost!

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 26.11.2007)

Lasset uns feiern, ehret die Toilette

Dass es eine regelrechte Inflation an Tagen gibt, nämlich an jenen, die irgendeinem Thema gewidmet sind, wurde bereits des Öfteren thematisiert. So wird etwa morgen der Tag der Industrialisierung Afrikas gefeiert, während am Mittwoch der Welttag des Fernsehens zelebriert wird. Heute hingegen steht ein Thema im Mittelpunkt, das sonst gerne unter Verschluss gehalten wird: Der 19. November ist der Tag der Toilette. Statt gleich auf dem Lokus eine Konfettiparade zu starten, richten wir unseren Fokus lieber auf den Hintergrund dieses Feiertages: Laut Unicef müssen nämlich 2,6 Milliarden Menschen ohne angemessene sanitäre Anlagen auskommen.

So mag die Landschaft auf der asiatischen Seidenstraße beispielsweise beeindruckend sein (Vortrag in der Österr. Orient-Gesellschaft, Dominikanerbastei 6/6; 19 Uhr), doch wer schon einmal seine Verdauungsprobleme auf einem kirgisischen Plumpsklo aussitzen musste, kann den Wunsch nach angemessenen Sanitäranlagen sicherlich nachvollziehen. Keine Rolle spielt die olfaktorische Belastbarkeit bei „Der Dritte Mann – auf den Spuren eines Filmklassikers“ (U4 Station Stadtpark, 16 Uhr), denn der Drehort Kanal wird bei dieser Führung ausgelassen. Dass manche den World Toilet Day nicht ansprechend würdigen, beweist übrigens MTV. Denn wie naheliegend wäre es gewesen, heute (21 Uhr) eine jener „South Park“-Episoden zu bringen, in der Mr. Hankey, der Weihnachtskot, wieder einmal die Welt rettet. Schade, man kann nicht alles haben. Auch nicht am Tag der Toilette.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 19.11.2007)