Sündenböcke brauchen Liebe

Eine verbreitete Unsitte von Managern ist das Abschieben von Verantwortung – insbesondere dann, wenn etwas daneben gegangen ist. Und da man ja nicht in den Verdacht geraten möchte, den schwarzen Peter jemandem persönlich in die Schuhe schieben zu wollen, wird als Sündenbock einfach ein Ort angegeben: „Da muss wohl im Vorfeld etwas schief gelaufen sein.“ Nun stellen wir uns vor, wie es irgendwo am Stadtrand von Wien plötzlich einem armen Getreidefeld einen Stich ins Herz versetzt. Schon wieder wurde die Last von einer Managerschulter auf ein schuldloses Fleckchen Erde abgewälzt. Der Landwirt, der gerade daneben steht und gen Himmel blickt, hat nichts davon bemerkt. Er wird später wieder mit dem Traktor seine Kreise ziehen, während das arme Feld unter der Last der fälschlich zugeschobenen Verantwortung eine stille Träne zerdrückt. Nun der Appell an Sie: Geben Sie dem armen Feld ein bisschen Liebe, zum Beispiel bei der Strohzeit in Siebenhirten (23, Halauskag.) beim Kuscheln mit der Natur.

Nun hat der aufmerksame Leser sicherlich bemerkt, dass in dieser Kolumne noch ein weiterer armer Kerl vorgekommen ist, der unserer Liebe bedarf: Der schwarze Peter ist quasi das Synonym für den Sündenbock schlechthin. Dabei wissen wir doch alle, dass Peter längst orange ist. Und Sünden konnte er mangels Regierungsverantwortung noch nicht mal begehen. Während wir nun also den armen Peter herzen, überlegen wir uns, auf wem wir stattdessen ein bisschen Last abladen könnten. Schwarzer Wolfgang, hm?

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 29.07.2006)

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Kampf den Rosinen

Niemand mag Rosinen. Verständlich. Da haben Sie einen wunderbaren Kuchen, der Teig zergeht flaumig zwischen Zunge und Gaumen, und dann auf einmal meldet sich vehement Freund Brechreiz zu Wort, wenn eine angefaulte Weinbeere glitschig zwischen die Backenzähne gerät. Muss das sein? Warum stecken immer noch bösartige Großmütter, Bäcker und sonstige Übeltäter diese widerlichen Dinger in beinahe jedes Gebäck? Ich bin ja wirklich nicht heikel. Von Heuschrecken bis Lammhoden habe ich alles probiert, würde sogar Hunde essen, wenn sie mein Stamm-Asiate im Sortiment hätte. Aber bei Rosinen, da hört sich der Spaß wirklich auf.

Bringen Sie das am Besten gleich Ihren Kindern bei, dass Gerichte durch Hinzufügen ekliger Runzelbällchen in keinster Weise einen qualitativen Höhenflug erleben. Vielleicht gleich bei „Kinder kochen“ im Nachbarschaftszentrum 6 (6, Bürgerspitalg. 4-6; 10 Uhr). Wie viele wunderbare Lebensmittel es gibt, die Sie nicht mit Rosinen kombinieren sollten, können Sie derweil am Spezialitätenmarkt am Margaretenplatz in Erfahrung bringen. Zum Ausklang empfehle ich einen Besuch des Kunsthistorischen Museums (1, Maria Theresien-Str.), wo im Kuppelsaal ab 18.30 Uhr „Kunst & Genuss“ auf dem Programm steht. Für 34 Euro kann aus dem exklusiven Buffet ausgewählt werden, Verdauungsspaziergang durch die Gemäldegalerien inklusive. Und wehe, ich muss dort auf eine Sultanine beißen. Denn ich bin es einfach Leid, ständig die Rosinen aus dem Kuchen picken zu müssen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 20.07.2006)

Fußball ist gar nicht so wichtig

Selbst notorische Verweigerer wie mich hat am Ende dann doch das Fußballfieber gepackt. Spätestens bei Deutschland gegen Italien vor dem Flex wich die jegliche Massenhysterie verneinende Bobo-Attitüde der kollektiven Glückseligkeit. Insofern droht nach dem abrupten Ende – kaum dass es angefangen hatte, Spaß zu machen – der tiefe Fall in ein schwarzes Loch. Sie werden mir fehlen, die schwarz-rot-goldenen Wangen der Numerus-clausus-Flüchtlinge in der Strandbar Herrmann oder die blauen Dressen der Squadra Azzurra vor dem Eissalon Zanoni. Der gemeinsame Glückstaumel und die geteilte Trauer weichen wieder solitären Vergnügungen, bei denen man nicht einfach wildfremden Menschen plötzlich in die Arme fällt.

Obwohl, womöglich hätte ein Abend im Sommerkino im Schloss Neugebäude (11, Neugebäudestraße; 21.30 Uhr) mit Lovesong für Bobby Long ein ähnlich völkerverbindendes Potenzial. Ein bisschen WM-Nostalgie lässt sich auch mit Fußball ist immer noch wichtig von Fettes Brot in den iPod zaubern. Noch ist man ja geneigt, das wirklich zu glauben, ehe uns am 18. Juli mit dem Start der Bundesliga die traurige Realität wieder einholt. Eine ähnlich traurige Realität übrigens wie die Tatsache, beim ersten Semifinale vor dem Flex Marlene aus dem Waldviertel nicht nach ihrer Telefonnummer gefragt zu haben. Aber vielleicht laufen wir einander ja am Abend zufällig im Museumsquartier über den Weg, ganz ohne Leinwand und Gegröle. Dann ist Fußball wirklich gar nicht mehr so wichtig.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 10.07.2006)

Du hast die ersten grauen Haare

Endlich! Die erste physikalische Therapie. Die längste Zeit habe ich mich nur mehr als halber Mensch gefühlt, weil ich jenseits der 30 noch immer kein chronisches Leiden vorzuweisen hatte. Wie soll man da im Gespräch mit Kollegen bestehen, die schon Platzkarten beim Chiropraktiker haben und den Schwefelgeruch schon aus der Therme und nicht nur aus dem Chemie-Unterricht in der Schule kennen? Apropos Schule: Der Beginn der Ferien zeigt besonders drastisch, dass man sich bereits mitten auf dem Weg zum alten Eisen befindet – in Richtung Rost. Der neidvolle Blick auf das leere Schulgebäude am Arbeitsweg verrät, dass man selbst auch noch gerne auf Maturareise oder in einem Feriencamp wäre.

Um das Leid meiner Generation zu lindern, habe ich einige Tipps, die den Gang zum Physiotherapeuten oder das Vorbeigehen am Freibad erträglicher machen. Oberste Maxime: Verdrängen. Ein MP3-Player mit Kopfhörern kann Wunder wirken. „Ich zähle täglich meine Sorgen“ von Peter Alexander (80) übertönt selbst lautes Kinderlachen. Und „Liebes Kind, du hast die ersten grauen Haare“ von Heinz Conrads (+ 92) bringt die tröstliche Erkenntnis, dass auch das Altern seine schönen Seiten hat. Schöne Seiten kann man auch dem Fußball abgewinnen, vor allem wenn Klaus Eckel (32) und Pepi Hopf (35) mit Döbling gegen Simmering den Kampf der Kulturen (11, Zeltpalast beim Gasometer; 20.30 Uhr – Heimvorteil Simmering) anfachen. Übrigens, alt werden ist natürlich kein Vergnügen, aber denken wir mal an die einzige Alternative . . .

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 03.07.2006)