Daisy Ridley: „Star Wars‘ ist einfach überall“

(c) Walt Disney

Daisy Ridley als Rey in „Star Wars“ | (c) Walt Disney

Als Daisy Ridley zur Welt kam, gab es schon drei Teile von „Star Wars“. In Episode VII, die im Dezember ins Kino kommt, hat sie nun eine Hauptrolle. Als Kind war sie gar kein großer Fan der Weltraumsaga.

Es ist nicht einfach nur ein Film. Es ist ein ganzes Universum, in das Daisy Ridley nun eintaucht. „Das Erwachen der Macht“ ist der siebte Teil der „Star Wars“-Reihe, die 1977 begonnen hat. Die Popularität der Filme spielt sich auch abseits der Kinoleinwand ab – als riesiges Merchandising-Unternehmen mit Computerspielen, Puppen und vielem weiteren Zubehör – und teilweise absolut fanatischen Fans.

Wie fühlt es sich an, Teil eines der größten Franchise-Produkte aller Zeiten zu sein?

Daisy Ridley: Es fühlt sich sehr gut an.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem „Star Wars“-Universum in Berührung gekommen?

Ich erinnere mich, dass ich als Kind im Kino war, es muss Episode III gewesen sein. Aber es ist in mein Unterbewusstsein geflossen. „Star Wars“ ist Popkultur, es ist einfach überall.

Mögen Sie die alten Episoden von 1977 bis 1983 oder jene von 1999 bis 2005 lieber?

So ziemlich jeder mag die originale Trilogie lieber. Ich glaube, das ist bei allen Dingen so, dass man die Originale lieber mag. Aber ich mochte sie beide auf ihre Weise – und ich glaube, dass die Prequels ziemlich hart angefasst wurden, was ein bisschen unfair war.

Wie kamen Sie zum Casting für den Film?

Sie haben jemanden in etwa meinem Alter und mit athletischem Aussehen gesucht. Also ging ich zur Audition. Ich hatte fünf Termine innerhalb von sieben Monaten. Zunächst war es nichts vom Skript, nur bei der letzten Audition war es eine Szene aus dem Film. Ein paar Tage später hat mich Regisseur J. J. Abrams angerufen und zugesagt.

Hat Sie das auch geschreckt?

Natürlich. Ich habe noch nie so etwas gemacht, erstens eine Hauptrolle und zweitens Dreharbeiten, die länger als drei Wochen dauern. Und ich musste drei Monate trainieren, noch bevor die Dreharbeiten begonnen haben. Ich hatte all die Gefühle, die man so hat, wenn man einen neuen Job antritt. Und dann noch bei etwas so Großem mitmachen – ich hatte keine Ahnung, wie sehr ich geliebt werde, bis ich zur ersten Convention kam.

Was haben Sie vorher über das „Star Wars“-Universum und seine Fans gewusst?

Nicht viel. Ich habe die Filme gesehen, aber ich war nie ein Megafan. Auch meine Familie nicht. Es gab da diese Sendung „Meet the Superfans“, mit Tom Felton, der in „Harry Potter“ DracoMalfoy gespielt hat. Das war interessant, denn ich habe vorher noch nie gesehen, dass sich jemand so mit Menschen beschäftigt, die so intensiv Fans von etwas sind. Aber sogar mit meinem rudimentären Wissen weiß ich: Da ist so viel da draußen. So viel Wissen, so viel Information, die Menschen finden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Menschen Jobs haben und daneben derart große Fans von etwas sind.

Haben Sie vor den Dreharbeiten das komplette Skript bekommen?

Ja, ich habe es gelesen, als ich die Rolle bekommen habe. Aber es hat sich im Lauf des Drehs viel geändert. Und die Geschichte hat sich wirklich verändert. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, aber ich freue mich wirklich, den fertigen Film zu sehen.

Wie war es für Sie, an der Seite von Legenden wie Harrison Ford, Carrie Fisher, Chewbacca und anderen zu spielen.

Carrie Fisher war jünger, als ich es jetzt bin, als sie in den 1970ern Prinzessin Leia wurde. Und selbst ich habe mich in diesem ganzen Spiel wie ein Kind gefühlt. Die alte Garde hatte nicht das Gefühl, dass sie uns groß Tipps geben müssen, außer dass sie für uns da sind.

Sind Sie mit dem großen Speeder, der im Trailer zu sehen ist, selbst gefahren? Hatten Sie Unterricht?

Ja, das Ding bewegt sich wirklich – auf Rädern, die dann wegretuschiert werden. Also habe ich das Gefährt auf einem Kurs getestet. Man sitzt ziemlich hoch dort oben.

Welches Training haben Sie für den Film machen müssen?

Ich habe Krafttraining gemacht. Denn ich habe, obwohl ich athletisch aussehe, vorher noch nie trainiert.

Aber Sport haben Sie schon gemacht?

Auch nicht. Ich habe nie in meinem Leben Sport gemacht. Ich schaue aus wie eine Schwimmerin, weil ich breite Schultern habe. In meinem Lebenslauf habe ich deswegen angegeben, dass ich Schwimmer spielen kann, aber ich kann gerade einmal ein bisschen Kraulen und Brustschwimmen. In meiner Schule gab es keinen Sport, weil es viele Tänzerinnen gab – sie durften sich nicht verletzen. Also musste ich erst einmal Muskeln aufbauen. Und das ist nicht einfach, weil man viel essen muss. Ich esse gern, aber wenn man so viel essen muss, macht das keinen Spaß.

Hat sich Ihr Leben durch die Rolle in „Star Wars“ schon verändert?

Nur insofern, als ich tolle Menschen kennengelernt habe, mit unglaublich talentierten Menschen gearbeitet habe – nicht nur Schauspieler, auch Kameraleute, Soundtechniker usw. Und ich bin vor 7000 Leuten auf einer Bühne gestanden, das habe ich vorher definitiv noch nicht erlebt. Aber die Leute auf der Straße erkennen mich noch nicht. Ich kann also ganz normal Bus fahren.

Das könnte sich ändern.

Möglich. Ich habe mich darauf noch nicht vorbereitet. Vielleicht sollte ich mir einen großen Hut und Sonnenbrillen kaufen.

Haben Sie schon viele Folgeangebote für andere Filme bekommen?

Nein. Ich habe bei einem Film von Studio Ghibli in Japan eine Rolle synchronisiert. Das wollte ich unbedingt machen – und tatsächlich gab es einen, den sie noch nicht synchronisiert hatten. Das hat sich für mich wie Schicksal angefühlt. Und im Frühjahr 2016 fangen wir ja schon mit Episode VIII an. Wenn er einmal draußen ist, wollen hoffentlich mehr Leute mit mir zusammenarbeiten. Die Menschen wissen noch nicht, was ich kann. Und ich hoffe, dass ich nicht schlecht bin. Aber natürlich müssen sie vorsichtig sein.

Hatten Sie schon jemals Kontakt zu George Lucas, der das „Star Wars“-Universum geschaffen hat?

Ich habe ihn noch nicht getroffen. Aber das kommt sicher noch.

Viele Details aus dem Film werden ja noch im Dunkeln gehalten. Was dürfen Sie über Ihre Rolle, Rey, verraten?

Was ich sagen kann, ist, dass sie völlig autark auf dem Planeten Jakku lebt. Sie ist eine Plündererin. Sie trifft die andere Hauptrolle, Finn, und findet sich plötzlich mitten in einem Abenteuer wieder. Und sie macht ihren Weg.

Haben Sie schon Theorien gelesen, in denen über Ihre Rolle spekuliert wird?

Ja. Meist geht es darum, wessen Tochter ich im Film bin. Es gibt viel Spekulation über den Bösewicht Kylo Ren. Und sehr viel über Familienverhältnisse der Rollen zueinander. Ich wünschte, ich könnte das Gesicht aller Menschen sehen, wenn das im Film aufgelöst wird. Es gibt viele Spekulationen, aber der Film spielt 30 Jahre nach der „Rückkehr der Jedi-Ritter“. Also gibt es unglaublich viele Möglichkeiten. Ich hoffe, dass bis zum Schluss die Aufregung bleibt, bis man den Film sieht. Ich hoffe, das funktioniert und die Menschen werden schreien: „Neeeiiin!“

Wird es eine Überraschung geben, wie damals, als Darth Vader Luke gesagt hat, dass er sein Vater sei?

Kann gut sein. Mark Hamill, der Darsteller von Luke, sagte mir, dass George Lucas anfangs auch nicht gewusst hatte, dass Luke und Leia Geschwister waren, als sie sich geküsst hatten. Das hat er erst in den nächsten Teil geschrieben. Und viele glaubten am Ende von „Das Imperium schlägt zurück“ auch, dass das mit Darth Vader eine Lüge war.

Wissen Sie schon, was in Episode VIII passieren wird?

Vielleicht . . .

 

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 06.12.2015)

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Mike Krüger: „Plan B war oft in meinem Leben“

Mit »Mein Gott, Walther« und dem »Nippel« wurde er als Blödelbarde berühmt, später machte er Karriere als Moderator, erlebte die Goldgräberzeit im deutschen Privatfernsehen und feierte Erfolge in seichten Kinofilmen. In seiner Autobiografie erzählt Mike Krüger aber auch über die ernsten Seiten seines Lebens – den frühen Tod der Mutter und die harte Zeit im Internat.

Finden Sie es anstrengend, immer lustig sein zu müssen?

Mike Krüger: Nein. Ich habe eine gewisse Grundlustigkeit in mir, da muss ich mich nicht dazu zwingen. Und in meinem Freundeskreis erwartet keiner, dass ich zusätzlich den Komiker gebe, nur weil ich einer bin.

In Ihrer Autobiografie gibt es auch dunkle Momente. Etwa den Tod Ihrer Mutter, den Sie aber nur ein wenig anreißen.

Bei einer Autobiografie gehört natürlich auch meine Kindheit dazu. Der Tod meiner Mutter, als ich drei war, hat mich sehr zurückgeworfen. Dann ist sie auch unter sehr mysteriösen Umständen ums Leben gekommen – was ich erst herausgefunden habe, als mein Vater gestorben ist. In seinen Unterlagen habe ich den Totenschein gefunden, in dem gestanden ist, dass meine Mutter in einem Hotelzimmer in Paris an Herzversagen gestorben ist.

Was hat Ihr Vater Ihnen vorher erzählt?

Was damals wirklich passiert ist, habe ich mit meinem Vater leider nie besprochen, denn als ich klein war, hat er das abgeblockt. Dann war ich lange im Internat. Und danach ging es ihm gesundheitlich nicht so gut, dass man noch ernsthafte Themen mit ihm besprechen hätte können.

Tut es Ihnen leid, dass Sie das nie aufgearbeitet haben?

Ich würde schon gerne Genaueres darüber wissen, aber es ist nicht so, dass es mich schwer belastet.

Und das Verhältnis zu Ihrem Vater war ein eher distanziertes?

Als ich noch zu Hause lebte mit ihm und seiner zweiten Frau, war er sehr viel unterwegs und hat gearbeitet. Im Internat war die Verbindung sowieso gekappt, und da entwickelt sich natürlich kein besonders enges Verhältnis.

Das Leben im Internat ist ja traurig, weil man von daheim weg ist, auf der anderen Seite ist es aber auch eine schöne Zeit.

Es gibt da eine strenge Hackordnung. Als Kleiner hat man das Problem, dass die Größeren das Sagen haben und das meist mit körperlicher Gewalt durchsetzen. Wenn man dachte, die Erzieher helfen einem, war man auch falsch gewickelt. Denn die waren eigentlich noch schlimmer. Zum Glück wurde ich schnell größer, und da ging es besser. Im Sommer haben wir die meiste Zeit am Strand verbracht. Dementsprechend schlecht waren die Noten, da haben wir dann in den kalten Wintermonaten versucht, das einigermaßen aufzuarbeiten. Die letzten Jahre im Internat waren dann schon schön.

War das Internat eine Erfahrung, die Sie nicht missen möchten?

Ich hätte gut drauf verzichten können, aber alles Negative hat auch Vorteile. Man lernt auch viel.

Hat Ihre Kindheit Ihren Humor geprägt?

Ja, denn da wird man entweder selbst aggressiv und gewalttätig, oder man ist einer wie ich, der alles eher ein bisschen ins Lächerliche zieht. Ich habe dann festgestellt, dass man durch Scherze über Lehrer die Klasse auf seine Seite bekommt, ohne mit Gewalt zu drohen. Das hat mich später bestätigt, als es mein Beruf wurde, dass ich offenbar eine Gabe habe, Menschen zum Lachen zu kriegen.

Was bedeutet der Untertitel Ihrer Autobiografie, „das Leben ist oft Plan B“?

Plan B war eben oft in meinem Leben. Meist, wenn ich nicht damit gerechnet habe, kam etwas um die Ecke. Und meist habe ich dann gesagt, ja, das mache ich. Manchmal auch einen Tick zu früh – bestes Beispiel diese Samstagabendshow „4 gegen Willi“. Als ersten Moderationsjob gleich eine Samstagabendshow zu machen war mutig.

Was hat bei „4 gegen Willi“ nicht funktioniert? Was war das Problem?

Da kam einiges zusammen. Ich hätte sicher auch besser sein können. Damals war ich total unerfahren, was Moderation anging. Und dann war das natürlich die Aufregersendung überhaupt – und die ist dann nach drei Jahren eingestellt worden. Wir hatten zwar tolle Quoten, aber der Bayerische Rundfunk wurde zugeschüttet mit aggressivsten Briefen, heute hätte es einen Shitstorm nach jeder Sendung gegeben. Und der damals neue Unterhaltungschef wollte das nicht jeden Sonntag haben.

Samstagabendshows gibt es ja heute gar nicht mehr. Tut das weh?

Das kann man ganz entspannt sehen. Die Medienlandschaft hat sich gewandelt, so eine Show kostet unglaublich viel Geld und die Sender gönnen sich das einfach nicht mehr. Irgendwann kann man zwei Millionen Euro für eine Sendung nicht mehr rechtfertigen, damit produzieren andere eine ganze Staffel einer Doku-Soap. Fernsehen wird viel billiger produziert, und die Leute machen sich ihr Programm selbst. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben das noch nicht begriffen. Ich habe einmal einen Bericht in der ARD gesehen, wo sie sagten, dass es Netflix gibt, da könne man Serien für wenig Geld schauen. Ich dachte, ich habe mich verhört. Das ist das, was euch in Zukunft Riesenprobleme machen wird.

Durch das Internet kann ja mittlerweile auch schon jeder ein Komiker sein.

Die Zuschauer haben natürlich eine Riesenauswahl, für die Komiker, die versuchen, davon zu leben, wird es aber immer schwieriger. Für fünf Millionen Klicks im Internet kann man sich halt nichts kaufen. Da ist es mir lieber, ich habe fünf Millionen LPs verkauft. Insofern ist es für die Protagonisten schwerer geworden, weil jeder mit den einfachsten Mitteln bekannt werden kann – aber aus dem Internet herauszukommen und damit Geld zu verdienen, das wird schwieriger.

Merken Sie es finanziell?

Ich bin ja zum Glück schon etwas länger dabei. Ich könnte jetzt Rente einreichen, was ich nicht tue. Aber ich habe das Glück zu sagen, ich mache, wozu ich Lust habe.

Wie hat sich der deutschsprachige Humor in den vergangenen Jahren verändert?

Früher war Comedy immer mit Gesang verbunden. Wir haben zusätzlich zu den Wortgags ein Instrument gespielt, was für mich persönlich auch abwechslungsreicher ist als eine reine Stand-up-Geschichte. Ich finde es immer sehr schön, wenn zwischendurch jemand singt. Lieder prägen sich natürlich besser ein als Wortgags. Man schafft es mit einem Lied wie dem „Nippel“, dass da ganz Deutschland mitsingt.

Nervt es Sie eigentlich, immer wieder den „Nippel“ singen zu müssen?

Gar nicht. Wenn man es geschafft hat, einen so großen Hit zu schreiben, den jeder kennt – da freue ich mich jedes Mal. Ich singe es natürlich im Konzert nicht mehr selbst, das macht dann das Publikum, und ich spiele nur Gitarre. Und wenn 2000 Leute geschlossen den „Nippel“ singen, ist das ein tolles Gefühl.

In Ihrem Buch geht es auch oft um Geld. Sprechen Sie gern darüber?

Man nennt natürlich keine Zahlen, vor allem nicht, wenn man aus Hamburg kommt. Aber wenn jemand so viele Schallplatten verkauft hat wie ich, 16 Jahre lang erfolgreich Werbung gemacht hat, und noch viele andere Sachen, kann man sich ausrechnen, dass ich nicht verarmt bin. Ich habe Geld im Buch deswegen erwähnt, weil ich immer in die Goldgräberzeiten gefallen bin. Als das Privatfernsehen losging in Deutschland, spielte Geld keine Rolle. Da haben Sender einfach gesagt, die Idee ist gut, macht mal. Heute wird gefragt, wie viel man davon am Tag produzieren kann. In dieser Zeit war ich dabei. So wie auch in der goldenen Schallplattenzeit, als noch Vinyl verkauft wurde. Und mit Thomas Gottschalk und mir ging die deutsche Kinocomedy los. Ich wollte also im Buch nur den Vergleich herstellen, dass es das heute nicht mehr gibt.

Sie haben als öffentliche Person ja auch eine gewisse Vorbildfunktion – wie passt es da, dass Sie beschreiben, wie Sie eine ganze Minibar ausgetrunken haben?

Vorbildwirkung soll es nicht sein, aber es war einfach so. Es war der Zeitgeist Ende der Siebziger, Anfang der Achtzigerjahre. In der Biografie von Eric Clapton steht, dass er Ende der Siebziger viele Konzerte im Liegen spielte – nicht, weil er das wollte, sondern weil er nicht anders konnte. Das ist aber niemandem aufgefallen, denn dem Publikum ging es ähnlich. Das hat sich geändert. Wenn man heute bei einer Redaktionssitzung sitzt, hat man schon Glück, wenn nicht ein Wassersommelier um die Ecke kommt. Ob das damals gut oder schlecht war, müssen die Leute beurteilen. Das ist alles eine Zeitgeschichte, und vieles hat sich gewandelt. Ich rauche nicht, achte auf meinen Körper, mache Fitness. Von daher lebe ich sehr gesund heute, aber es gab auch wilde Zeiten.


Herr Krüger, darf man Sie auch fragen, ob . . .

. . . ob Sie manchmal auch über Ihre eigenen Witze lachen?

Nein, das ist verboten. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn jemand einen Witz vorträgt und selbst darüber lacht.

. . . ob Sie manchmal an den Nippel denken, wenn Sie eine Tube nicht aufbekommen?

Das passiert häufiger. Meine Frau weigert sich, im Flugzeug die Kaffeesahne aufzumachen, und gibt sie mir. Dann kommt meist der Spruch von jemandem, der danebensitzt. Das zeigt, dass Lieder nichts bewirken, denn die Verschlüsse sind nach wie vor so bescheuert wie damals, als ich das Lied geschrieben habe.

. . . ob Sie wissen, was Petrus wohl sagt, wenn Sie wie die Protagonisten in „Mein Gott, Walther“ und dem „Nippel“ vor dem Himmelstor stehen?

Dann würde Petrus sich wahrscheinlich wie im Lied zu Jesus umdrehen und sagen: Das wurde aber auch Zeit.


 

(“Die Presse”, Print-Ausgabe, 01.11.2015)

Mouhanad Khorchide: „Gott straft nicht als Machtdemonstration“

Im Islam wird Gott oft als patriarchalischer Herrscher verstanden. Ein Bild, mit dem der Theologe und Soziologe Mouhanad Khorchide aufräumen möchte. In seinem aktuellen Buch begründet er theologisch anhand von Koran-Zitaten und Erzählungen über den Propheten Mohammed, warum der Gott der Muslime in erster Linie eines ist: barmherzig.

Christliche Gebete beginnen oft mit der Anrede „Lieber Gott“. Wie sprechen Muslime ihren Gott an? Ist der auch lieb?

Mouhanad Khorchide: Es kommt auch auf die Sprache an, in der man mit Gott spricht. Aber „Lieber“ sagt man nicht. Man sagt eher etwas wie „Oh Gott“.

Gott ist im Islam eher keine väterliche Figur?

Bei vielen Muslimen wird Gott viel zu transzendent gesehen. Gott beschreibt sich selbst im Koran, und zwar dass er den Menschen näher ist als ihre Halsschlagader. Gott ist interessiert an einer Partnerschaft mit dem Menschen. Aber wir projizieren zu sehr ein patriarchalisches Bild in Gott, machen ihn zu einem Stammesvater, der Befehle schickt, die man befolgen muss – egal ob man sie versteht oder nicht.

Will Gott überhaupt verherrlicht werden?

Der Koran sagt in Sure 5, Vers 54, dass Gott Menschen sucht, die er liebt und die seine Liebe erwidern. Gott sucht also Mitliebende, nicht Menschen, die ihn verherrlichen. Er ist in sich vollkommen und will nicht verherrlicht werden.

Woran liegt es dann, dass im Islam das Bild eines herrschenden, zum Teil rachsüchtigen Gottes vorherrscht?

Politik spielt eine große Rolle. Politiker haben ein Interesse daran, dass sich eine Gehorsamkeitsmentalität im Volk etabliert, damit sie diesen Gott instrumentalisieren können. In Saudiarabien gilt immer noch, wer das Regime kritisiert, kritisiert Gott.

Dieses Gottesbild ist ja nicht nur in Diktaturen verbreitet. Das gibt es ja bei Muslimen in der Türkei oder in Österreich genauso.

In der Türkei oder in islamischen Ländern, die nicht unbedingt Diktaturen sind, gibt es immer noch oft eine Verherrlichungsmentalität, vor allem in den älteren Generationen. In Europa merkt man schon einen Wandel, vor allem bei jungen Muslimen, weil sie in einem demokratischen Land aufgewachsen sind. Sie lernen, kritisch zu reflektieren, zu hinterfragen. Junge Menschen wollen nicht etwas tun, nur weil es im Koran steht. Sie wollen verstehen, was will Gott eigentlich von mir.

Woher kommt dann der Zustrom zu Auslegungen wie dem Salafismus, der auf eine buchstabengetreue Auslegung setzt?

Wer in der Religion primär Identität und Halt sucht, will oft feste, klare Strukturen. Wenn man sich aber den Koran anschaut, geht es nicht um Schwarz-Weiß-Malerei, sondern um die innere Vervollkommnung des Menschen. Es ist ein viel schwererer Prozess, sich selbst zu reflektieren, als nur eine Liste zu befolgen. Salafisten geht es nur um die Fassade, etwa wie lang der Bart ist.

An einigen Stellen im Koran straft Gott sehr wohl – da ist die Rede vom Höllenfeuer.

Im Koran sagt Gott in Sure 7:156: „Meine Strafe trifft, wen ich möchte, aber meine Barmherzigkeit umfasst alles.“ Gott straft nicht, um zu strafen als Machtdemonstration. Wenn ich meinem Sohn sage, er darf nicht mit dem Computer spielen, weil er seine Aufgaben nicht gemacht hat, räche ich mich nicht. Aus meiner Liebe zu ihm möchte ich, dass er lernt, deswegen sanktioniere ich ihn. So muss man die Stellen im Koran verstehen. Es gibt im Koran übrigens kein Attribut von Gott als Strafendem, sondern es ist immer die Rede von der „Strafe Gottes“. Aber sehr wohl wird er beschrieben als der Barmherzige. Und die Bilder von Hölle und Feuer sollte man metaphorisch verstehen. Die Hölle ist die Konfrontation des Menschen mit seinen eigenen Verfehlungen. Das ist kein Racheakt Gottes.

In muslimisch dominierten Ländern gibt es ja sehr körperbezogene Strafen – sind die theologisch begründbar?

Steinigung kommt nicht vor im Koran, aber Handabhacken zum Beispiel schon. Diese Strafen waren schon vor der Entstehung des Koran vorhanden. Der Koran sagt, alle die betrogen haben oder gestohlen haben, müssen gleich sanktioniert werden. Es geht also um Gerechtigkeit. Früher wurden nur die Schwachen bestraft, die Mächtigen nicht. Die Botschaft ist daher, jedes Verbrechen muss sanktioniert werden. Heute geht es nicht darum, partikulare juristische Maßnahmen zu übernehmen – also nur weil im Koran vom Händeabhacken zu lesen ist, müssen wir es heute auch tun. Unsere Aufgabe ist zu hinterfragen: Was würde Gott sagen, wenn er heute den Koran verkünden würde? Es gibt eine Sure, in der die Rede davon ist, Pferde und Esel als Transportmittel zu nehmen. Kein Mensch würde das heute so wortwörtlich übertragen und meinen, dass Autofahren unreligiös sei.

Wenn Gott barmherzig ist und die Sünden alle getilgt werden, klingt das nach einem Freibrief für die Sünde.

Barmherzigkeit ist nicht, dass Gott alles vergibt, sondern bedeutet an erster Stelle Gerechtigkeit. Ja, Gott sanktioniert Menschen, die Verfehlungen begangen haben. Aber er will auch, dass der Mensch sich vervollkommnet. Darum gibt es das Sanktionieren, im christlichen Kontext spricht man von Fegefeuer. Es geht um eine Läuterung im Jenseits. Diese Konfrontation mit seinen Verfehlungen sollte beim Menschen zur Einsicht führen, weil Gott sein Projekt Mensch vollenden will.

Aber heißt es nicht im Islam, dass das Paradies nur für Muslime gedacht ist?

Gott schaut nicht auf unsere Geburtsurkunden. Die traditionelle Theologie sagt, egal was ein Muslim verbrochen hat, im schlimmsten Fall geht er einige Zeit in die Hölle und dann ins Paradies. Das widerspricht der Barmherzigkeit und der Gerechtigkeit. Gott ist nicht an Überschriften interessiert. Die guten Menschen sind die, die zu Gott in seine Gemeinschaft kommen. Auf die Charaktereigenschaften des Menschen und sein Handeln kommt es an. Die Religion macht dem Menschen ein Angebot, sich selbst zu vervollkommnen – es gibt sie jedenfalls nicht, um Gott einen Gefallen zu tun. Dieser Weg der Vervollkommnung ist offen für alle, für Muslime und Nichtmuslime.

Und wer nie betet oder sich nicht an die Regeln einer Religion hält?

Mit all seinen Verfehlungen wird er im Jenseits konfrontiert. Dort hat er noch einmal die Möglichkeit, durch die Konfrontation zur Einsicht zu kommen.

Und wer in einer Gesellschaft mit anderen Regeln aufwächst, wer nichts von all den Dingen weiß, die als Verfehlung gelten?

Das ist eine lange Debatte in der islamischen Tradition. Was ist mit den Menschen, die nichts von Offenbarungen mitbekommen haben? Die Mu’taziliten im achten Jahrhundert haben dazu gesagt: Die Vernunft allein sagt uns, was gut und was schlecht ist. Wir brauchen nicht den Koran, um zu wissen, dass man nicht lügen und betrügen soll. Die Menschen werden daher zur Rechenschaft gezogen, auch wenn sie von einer Religion nichts wissen.

Ihre Interpretation des Koran ist neu und ungewöhnlich. Wie realistisch ist es, dass das unter Muslimen zum Mainstream wird?

Das Neue bei meinem Buch „Islam ist Barmherzigkeit“ ist, dass ich anders argumentiere. Ich argumentiere nicht politisch, sondern theologisch. Auf den 220 Seiten zitiere ich über 400 koranische Verse und etliche Aussagen des Propheten, um zu zeigen, dass diese Positionen koranische Positionen sind – genuin islamische Positionen, also nicht von außen aufgesetzt. Deshalb stoße ich bei meinen Studierenden und den meisten Muslimen auf große Akzeptanz. Damit daraus ein Mainstream entsteht, brauchen wir Institutionen. In Deutschland gibt es die mit den vier Islam-Studiengängen mittlerweile, es gibt viele Studierende, die später Religionslehrer werden. Aber es braucht Zeit, bis ein Mainstream entsteht. Wichtig ist, dass bei meinem Ansatz alles im Koran begründet ist und nicht im Widerspruch zum Koran steht. Alle Muslime unterstreichen ja die Barmherzigkeit Gottes, aber keiner hat bis jetzt versucht, daraus systematisch eine Theologie aufzubauen.

Kann das Konzept der Barmherzigkeit auch Muslime in anderen Ländern erreichen?

Das Buch wurde schon ins Englische übersetzt, ich habe auch ein Angebot, es auf Türkisch zu übersetzen. Und ein Interview mit mir wurde in englischer Sprache auf eine Website gestellt – ich habe daraufhin viel Post bekommen aus den USA, Indonesien, Malaysia. Die Gedanken kommen jedenfalls bei vielen Muslimen in anderen Ländern an. Viele Muslime sagen, dass ihre Beziehung zu Gott gestört ist, weil ihnen Religion immer nur mit Angst beigebracht wurde. Aber wenn sie mein Buch lesen, sagen sie, jetzt hat man doch Lust auf diesen Gott. Es ist die Basis für eine gesunde Beziehung zu ihm, die auf Vertrauen, Liebe und Barmherzigkeit basiert.


Herr Khorchide, darf man Sie auch fragen . . .

. . . ob man auch ins Paradies kommt, wenn man Schweinefleisch gegessen hat?
Es ist kein rationales Verbot, das man erklären kann – denn es gibt noch ungesünderes Essen. Es ist nur eine Erinnerung an Adam, der nicht vom Baum essen durfte. Gott hat gar nichts davon, ob man nun Schweinefleisch isst oder nicht. Wenn es ein Muslim macht, ist er jedenfalls nicht verdammt – was nicht heißt, dass es erlaubt ist. Aber darauf kommt es eigentlich nicht an.

. . . ob Sie manche religiösen Rituale lächerlich finden?
Manche Dinge, die von Menschen konstruiert sind – dass man etwa glaubt, dass einem geholfen wird, nur weil man einen Satz tausend Mal ausgesprochen hat.

… ob Sie als Muslim auch Weihnachten feiern?
Auf meine Art. Ich freue mich, dass keine Mails und Anrufe kommen, ich habe dann endlich Zeit, liegen gebliebene Arbeit nachzuholen. Für mich ist es ein Feiertag.


Steckbrief

Mouhanad Khorchide | Uni Münster

Mouhanad Khorchide wurde 1971 in Beirut geboren, wuchs in Saudiarabien auf. Mit 18 Jahren kam er nach Wien und studierte Soziologie. Aufsehen erregte er mit seiner Dissertation, laut der rund ein Fünftel der muslimischen Religionslehrer Demokratie und Islam für unvereinbar hält.

Seit 2010 ist Khorchide Professor für Islamische Religionspädagogik, seit 2011 Leiter des Zentrums für Islamische Theologie in Münster, wo er für die Ausbildung von Religionslehrern verantwortlich ist.

Aktuelles Buch

Mouhanad Khorchide: Islam ist Barmherzigkeit. Grundzüge einer modernen Religion. Herder 2012; 19,60 €

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 25.11.2012)

Nora Tschirner: „Ich bin Maskulinist geworden“

Als Moderatorin bei MTV startete sie ihre Karriere, mit „Keinohrhasen“ wurde sie einem breiteren Publikum bekannt, nun spricht Nora Tschirner die Titelrolle im Disney-Film „Merida“. Ein „Presse“-Interview.

Nora Tschirner als Stimme von Merida | (c) pixar

Merida ist die wohl emanzipierteste Figur des Disney-Universums. War das entscheidend für die Zusage zur Rolle?

Nora Tschirner: Der Grund war, dass sie mich gefragt haben. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz – wenn man von Pixar gefragt wird, macht man das. Den ganzen Film habe ich erst gesehen, als ich die Zusage bekommen habe.

Eine starke Frau wie Merida ist ja im Film nach wie vor eher untypisch.

Naja, Arielle ist keine schwache Frau gewesen, Pocahontas auch nicht – ich glaube, das ist gar nicht so. Sobald eine Frau Hauptfigur ist, kann sie gar nicht mehr so richtig schwach sein.

Mir fällt zum Beispiel Cinderella ein.

Ja, aber auch bei Cinderella oder bei „Die Schöne und das Biest“ sind das bei Disney trotzdem beherzte Frauen.

Aber ihr Ziel ist, am Ende den Prinzen zu bekommen. Bei Merida ist das umgekehrt.

Das stimmt. Ja, das hat mich schon angesprochen, wenn ein Individuum dafür kämpft, sich entfalten zu dürfen.

Bezeichnen Sie sich selbst als emanzipiert?

Ich bin mittlerweile Maskulinist geworden, weil ich das Gefühl habe, die Männer brauchen ein bisschen Unterstützung. Wenn ihr da Hilfe braucht, sagt einfach Bescheid, auch gerne in Männersprache, mit einem Bier an der Bar.

Sprechen Männer denn anders als Frauen?

Ich finde ja nicht – unter uns Männern gesagt. Ich tue mir schwer damit, dass Männer so und Frauen so sind. Ich suche mir eher Leute, bei denen es eine Balance gibt. Wenn ich mir vorstelle, dass meine drei besten Freundinnen, mit denen ich seit der dritten Klasse befreundet bin, mir einen Eisbecher holen würden, wenn ich Liebeskummer habe, und wir mit einer riesigen Tüte Kleenex auf dem Sofa abflennen würden – das wäre mir ein völliges Rätsel.

Genau dieses Frauenbild wird aber in vielen Serien und Filmen à la „Sex and the City“ vermittelt. Sollte man da nicht etwas ändern?

Aber als Zuschauer und Mensch ist man ja eigenverantwortlich und kann in sich reinhören, ob es sinnvoll ist, auf dem Sofa zu sitzen und zu heulen. Wenn mir das gut tut, ist es ja legitim. Aber wenn ich mich auch in einem Alter jenseits der 17 noch von jedem Fernsehsender und Film beeinflussen lasse, finde ich das dann schon eher problematisch.

Eine Filmfigur kann in dieser Hinsicht aber schon auch Einfluss ausüben.

Schon, aber Charaktere wie Merida gibt es ja schon immer. Audrey Hepburn als Holly Golightly in „Breakfast at Tiffany’s“ hat meinetwegen eine Megascheibe, aber man kann nicht behaupten, sie wäre nicht emanzipiert. Und Ronja Räubertochter oder Pippi Langstrumpf gab es ja auch schon.

Nora Tschirner verbindet man eher mit komödiantischen Stoffen. Nervt das?

Für mich sind in einer guten Komödie viele dramatische Szenen drin. Ich mache ja keine Sketch Comedy, wo ich ständig durch das Bild rolle, weil ich über irgendetwas drüberfalle.

Was sagen die Fans? Als MTV-Moderatorin hat man ja ein anderes Publikum als bei „Keinohrhasen“ oder Zeichentrickfilmen.

Die Leute, die mich von MTV kannten, dachten, „die ist witzig und schlagfertig, der müssen wir einen Spruch anhängen, und sie freut sich darüber.“ Da wurde ich auch gerne mal pöbelig von wildfremden Leuten angesprochen. Und die waren ganz enttäuscht, als ich überlegt habe, ob ich die Polizei rufen soll. Durch „Keinohrhasen“ wurde alles weicher und wärmer. Auch durch die Kinderfilme, die ich gemacht habe – das ist schon eine ganz andere Klientel.

Welches Publikum ist angenehmer?

Schwer zu sagen. Ich möchte auf jeden Fall nicht angepöbelt werden. Und wenn man merkt, dass ich gerade eine Suppe esse und privat mit meiner Familie herumsitze, kann man mich von mir aus trotzdem ansprechen, aber sollte dann auch ein Gespür für die Situation haben. Ob das jetzt MTV-Fans oder „Keinohrhasen“-Fans sind, ist mir egal. Wenn sie nett sind, bin ich auch nett.

Tut es Ihnen eigentlich leid, dass das Musikfernsehen heute quasi ausgestorben ist?

Nein, genauso wie es mir nicht leid tut, dass ich keinen Walkman mehr habe. Es gibt genug Möglichkeiten, sich Musikvideos anzuschauen. Ich fand das eine herrliche Zeit dort, es hat sich am Schluss ja ohnehin weit weg von Musik entwickelt. Aber ehrlich gesagt war ich am Schluss froh, dass ich nicht ständig Klingeltöne um mich herum habe.


Nora Tschirner, geboren am 12. Juni 1981 in Ost-Berlin, arbeitete ab 2001 als Moderatorin bei MTV, im selben Jahr startete sie auch ihre Schauspielkarriere. Sie spielte unter anderem in „Soloalbum“ und „Kebab Connection“, ihren größten Erfolg feierte sie mit Til Schweiger in „Keinohrhasen“ und der Fortsetzung „Zweiohrküken“.

Aktuelles Projekt: Nora Tschirner spricht in der Disney/Pixar-Produktion „Merida“ die Titelrolle der freiheitsliebenden Prinzessin, die uralten Sitten trotzt – und sich nicht verheiraten lassen will.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 05.08.2012)

Arno Geiger: »Man muss die Krankheit von der Person trennen«

Autor Arno Geiger schrieb über die Demenz seines Vaters ein Buch. Er hat gelernt, damit umzugehen.

Wie haben Sie die Alzheimer-Erkrankung Ihres Vaters mental verarbeitet?

Arno Geiger: Ich wollte das anfangs nicht wahrhaben und konnte es nicht fassen. Es kam mir widernatürlich vor, dass mein Vater plötzlich die einfachsten Dinge nicht mehr kann. Erst später habe ich widerwillig zugelassen, dass es so ist. Es war eine Entwicklung vom Schock über das Sichhineinfinden zu einem Umgang mit der Situation.

Als Kind hält man seine Eltern ja für besonders stark. Wie geht man damit um, wenn sie plötzlich so schwach sind?

Das Schwierige daran ist, dass man auch selber schutzloser wird. Weil es tief in uns steckt, dass unsere Eltern uns beschützen. Und die Erkenntnis, dass das irgendwann nicht mehr so ist, macht einen verwundbar.

Das Umgehen mit so einer Krankheit kann die Familie aber zusammenschweißen.

Es ist sicher nicht ganz selbstverständlich. Aber im besten Fall rückt die klassische Familie in der Krise zusammen. Und plötzlich ist dieses Reservoir Geschwister wieder da, auf das man jahrelang nicht zurückgreifen musste. Da ist es schön gewesen zu sehen: Auf meine Geschwister kann ich mich verlassen.

Sie schreiben, dass die Diagnose Alzheimer eine Erleichterung war.

Ja, weil wir letztlich gegen die Person angerannt sind, dann haben wir gewusst, wir haben es mit der Krankheit zu tun. Das ist der Gegner. Das „Reiß dich zusammen“ und „Du interessierst dich nicht für mich“, weil er sich nichts mehr gemerkt hat, hat letztlich der Krankheit eher Nahrung geboten. Darum ist es wichtig gewesen, dass ein Umkehrprozess stattgefunden hat.

Haben Sie manchmal das Gefühl, dass die Person, die Ihnen gegenübersteht, nicht Ihr Vater ist, sondern die Krankheit?

Für mich ist es wichtig, dass ich versuche, die Person und die Krankheit zu trennen. In Momenten der Überforderung, wenn er desorientiert und hilflos ist, und das in ruppigen Gesten herauskommt, habe ich das Gefühl, die Krankheit nimmt mir meinen Vater weg. Aber wenn es gut läuft und er ausstrahlt, dass er sich wohlfühlt, habe ich manchmal blitzartig das Gefühl, der Albtraum ist vorbei. Da gibt es Momente von ganz tiefer Trauer und Glück nebeneinander.

Es gibt ja den Punkt, wo man nicht mehr rational spricht, wie Sie schreiben, sondern dem Kranken nur mehr zustimmt.

Da geht es einfach um die Anerkennung der Welt, in der mein Vater lebt. Es ist seine Welt, er hat keine andere. Er kann nicht mehr herüber zu mir, das erzeugt nur Schrecken und Elend. Aber ich kann mich an seine Seite stellen – in seiner Welt. Und wenn er sagt, seine Mutter wartet im Haus auf ihn, bestätige ich ihn. Denn wenn ich ihm ständig sagen würde, dass alles, was er sagt, falsch ist, würde er ja wahnsinnig werden.

Wie wohl sich jemand fühlt, hängt ja viel mit der Betreuung zusammen.

Wir hatten das Glück, dass Daniela, eine seiner Betreuerinnen, großartig war. Das war auch das Pech, als er ins Heim musste, denn er hat sie so gemocht und sie ihn auch. Und sobald sie nach Hause in die Slowakei gefahren ist, hat ihm etwas gefehlt.

Hat er Daniela erkannt oder war es ihr Umgang mit ihm? Er verwechselt ja, wie Sie schreiben, zum Teil sogar seine eigenen Kinder.

Er erkennt die eigenen Kinder sehr gut als ihm vertraute Menschen. So viel er vergisst – und er vergisst sehr viel -, er vergisst nicht, wen er mag. Auch nicht, wen er nicht mag. Wenn Daniela ihn gefragt hat, wie sie heißt, hat er gesagt: „Liebes Fräulein.“ Da hat sie gesagt, „Ich heiße Daniela, das hast du vergessen.“ Da hat er gesagt, „Ja, ich glaube, ich lern’s nicht mehr“. Da gibt es ein enges Nebeneinander von Fähigkeiten, Kompetenzen und unglaublichen Fehlstellen. Dass er etwa das Zuhause nicht erkennt. Aber dann klug darüber redet, was das Zuhause ist. Und man denkt, jemand, der ein solches Gefühl für Nuancen hat, wird doch sein eigenes Wohnzimmer erkennen. Aber da stößt man an die Grenzen der Logik.

Gibt es Persönlichkeitsmuster, die Sie für typisch bei Alzheimer-Patienten halten?

Sie bleiben individuelle Menschen. Mit allen Eigenschaften, Defiziten und eigenem Umgang. Es gibt natürlich im Krankheitsbild Ähnlichkeiten, aber die Frage ist, wie reagiere ich darauf. Also wie groß ist die Angst, die jemand in der Verlorenheit empfindet. Oder wie groß die Gelassenheit, die jemand angesichts dieses Schicksals besitzt. Irgendwann habe ich entdeckt, dass mir mein Vater in manchen Aspekten verloren geht, aber dass die Person noch da ist. Das zu realisieren war auch wieder schön. Das ist August Geiger, das ist die ganze Person.

Aber der Person fehlen Erinnerungen – gibt es da bestimmte?

Ich habe keine Gesetzmäßigkeiten gefunden, dass ich sagen könnte, mein Vater vergisst nur dieses und jenes. Die seltsamsten Dinge weiß er plötzlich, aber die naheliegendsten kann er nicht mehr. Das ist ein Regime der Willkür im Gehirn.

Sie als Schriftsteller können solche Dinge in Worte fassen. Was raten Sie Leuten, die dieses Ventil nicht haben?

Angst ist ein schlechter Ratgeber. Und letztlich kann ich die Krankheit nicht ändern, nur meine Einstellung dazu. Insofern bin ich mittlerweile auch so weit, dass ich sage: Ja, ich bin glücklich über die schönen Momente, die wir noch haben. Und die will ich auch nicht mehr hergeben.


Arno Geiger: Der alte Mann in seinem Exil

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(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 13.02.2011)

Alice Cooper: »In der Bibel stehen keine Gleichnisse«

Man kennt ihn vor allem wegen seiner Shows mit Monstern, Schlangen und Riesenspinnen. Doch abseits der Bühne ist Alice Cooper, der Begründer des Schock-Rock, vor allem auf dem Golfplatz anzutreffen – aber auch in der Kirche und bei Bibelstunden. Denn seinen Weg aus dem Alkoholismus, sagt er, habe er nur mit Gottes Hilfe gefunden.

Alice Cooper

Sie kommen in den Himmel und begegnen Gott – wie wird er wohl aussehen?

Alice Cooper: Das ist wohl die ewige Frage. Es heißt, dass er uns nach seinem Abbild geschaffen hat. Also wird er wohl auch so aussehen. Nur viel hübscher.

Ist er ein sanfter oder ein zorniger Gott?

Er ist ein gerechter Gott. Er ist so mächtig, dass er in alle Richtungen ausstrahlt, sei es jetzt in Richtung Zorn oder in Richtung Liebe. Wir sollten uns eher vor seinem Zorn fürchten, denn wir sind es ja, die ständig die Regeln brechen.

Und müssen Sie selbst sich auch vor ihm fürchten, allein schon wegen all der Horror-Shows, die Sie machen?

Das glaube ich nicht. Ich habe einen starken christlichen Background, das hat viel mit Vergebung zu tun. Die christliche Religion basiert auf dem individuellen Verhältnis zu Jesus Christus. Ich glaube nicht, dass er jemand ist, der sagt, dass es nicht erlaubt ist, ein Künstler zu sein. Viel in meiner Show mag furchteinflößend sein, aber gleichzeitig will ich ja auch, dass das Publikum darüber lacht.

Es gibt da diese Legende, dass Sie auf der Bühne ein Huhn getötet haben . . .

Das Lustige damals war: Jemand hat tatsächlich ein Huhn auf die Bühne geworfen. Ich habe es nur zurück ins Publikum geworfen, nein, nicht einmal geworfen, ich dachte, es würde einfach wegfliegen. Ich bin in Detroit aufgewachsen, ich hatte damals keine Ahnung, dass ein Huhn gar nicht fliegen kann. Ja, und die Zuschauer haben es dann in Stücke gerissen. Genauer gesagt, es waren die Zuschauer in der ersten Reihe – die war für all die Menschen mit Rollstühlen reserviert. Das heißt, in Wirklichkeit haben die Rollstuhlfahrer das Huhn auseinandergerissen. Und mir wurde es am Ende angelastet.

Glauben Sie denn, dass Gott bei Ihrer Show Spaß haben würde?

Er würde vermutlich die satirischen Elemente in meiner Show mögen. Aber natürlich, niemand ist perfekt. Und vermutlich würde er auch manche Teile meiner Show hassen. Aber ich weiß leider nicht, welche Teile das sein würden.

Das Böse ist in Ihren Shows ja in vielen verschiedenen Ausprägungen präsent. Wie sieht denn Satan in Ihrer Vorstellung aus?

Als Christ muss ich an Satan als ein sehr reales Wesen glauben. Alles, was falsch läuft, geht von ihm aus. Aber ich glaube nicht, dass er nur als er selbst existiert, doch ich glaube sehr wohl, dass er all die Plagen steuert, mit denen wir zu kämpfen haben. Ich glaube jedenfalls bestimmt nicht, dass er Hörner und einen Schwanz hat.

Wenn nicht mit Hörnern und Schwanz, wie müssen wir ihn uns denn vorstellen?

Wenn ich Satan beschreiben müsste, wäre er vermutlich ein schleimiger Politiker. Er wäre gut aussehend, nett, würde ständig sagen, wie großartig man ist und wie wundervoll alles ist. Und dass wir die besten Freunde sind. Und dabei würde er alles tun, um einen weg von Gott zu bringen. Aber sein Anblick wäre nicht furchterregend, er wäre vielmehr sehr überzeugend. Als er vom Himmel fiel, war er ja der schönste Engel.

Sind Sie Satan jemals begegnet?

Nein, das nicht. Aber ich habe sein Werk gesehen. Und das hat mich nicht sehr begeistert.

Sie spielen auf die Zeit an, in der Sie alkoholsüchtig waren?

Ja, das war zu der Zeit, als ich so etwas wie eine Landplage des Rock ’n‘ Roll war. Es gab keine Show, bei der ich nicht betrunken war. Und das für mehr als 15 Jahre. Ich war so etwas wie ein Aushängeschild des moralischen Verfalls. Ich war vom Weg abgekommen. Aber ich habe dabei viel gelernt. Und jetzt bin ich wieder zurück bei Christus.

Haben Sie in diesen schweren Zeiten eigentlich nie an Gott gezweifelt?

Nein. Das hat auch viel mit meinem familiären Hintergrund zu tun. Mein Vater war Priester, mein Großvater war Priester, der Vater meiner Frau ist Priester. Ich bin in einem christlichen Haushalt aufgewachsen. Aber natürlich, es gab schwierige Zeiten, ich war der verlorene Sohn, ich bin vor Christus weggelaufen. Aber dann bin ich auch wieder zu ihm zurückgekommen.

Sie halten ja seit mehr als zehn Jahren auch regelmäßig Bibelstunden für Kinder ab – was ist Ihre Lieblingsstelle in der Bibel?

Da gibt es so viele großartige Geschichten im Alten Testament: die Geschichte der jüdischen Nation, die Geschichte Israels, das ist eine der großen Geschichten. Und ich bin vermutlich einer der wenigen Menschen auf dem Planeten, die glauben, dass Gott es genau so meint, wie er es sagt. Ich glaube nicht unbedingt daran, dass alles in der Bibel nur Gleichnisse sind. Wenn Gott sagt, dass David den Löwen getötet hat, hat David vermutlich den Löwen getötet. Ich glaube nicht, dass das nur eine Geschichte war. Ich glaube, wenn er sagt, dass sich das Rote Meer aufgetan hat, dann ist das Rote Meer eben auseinandergegangen. Und so war es auch mit Jesus. Ich glaube, dass er tatsächlich all das getan hat, was in der Bibel steht.

Jetzt hat Hardrock eher nicht das Image, besonders christlich zu sein.

Wenn man ein echtes Individuum ist, glaubt man an das, woran man glaubt. Und man kümmert sich nicht darum, was andere Menschen darüber denken. Ich bin sehr überzeugt von dem, was ich glaube. Und diese Überzeugung habe ich nicht deswegen, weil ich mich auf einer intellektuellen Ebene damit beschäftigt habe. Nein, die Bibel spricht direkt mit meinem Herzen. Und das ist wichtiger als mein Intellekt.

Und es verträgt sich, auf der Bühne mit Horror-Elementen zu spielen und am nächsten Sonntag in der Kirche zu beten?

Es gibt so manche besonders überzeugte Menschen, die glauben, dass man 24 Stunden am Tag in einem finsteren Zimmer knien muss, um ein guter Christ zu sein. Von mir aus, sollen sie so leben. Aber ich glaube nicht, dass Gott das von uns erwartet. Und Jesus verbrachte viel Zeit mit den Ausgestoßenen, mit Trinkern, mit Huren, denn das waren die Menschen, die ihn brauchten. Er verbrachte seine Zeit nie mit den Pharisäern.

Was sagen Ihre Fans dazu? Wie verträgt sich Ihr christlicher Hintergrund mit dem rebellischen Image des Rock ’n‘ Roll?

Ich rede mit jedem Menschen darüber, der darüber reden will. Aber ich glaube, das vermutlich Rebellischste, das Alice Cooper jemals getan hat, war, ein Christ zu werden.

Der zweite Punkt, der mit dem Rock ’n‘ Roll- Image nicht wirklich zusammenpasst, ist Ihre Leidenschaft für Golf.

Golf ist total Rock ’n‘ Roll. Jede Band, die ich kenne, spielt Golf. Pantera, Metallica, Mötley Crüe, Iggy and the Stooges, Lou Reed, Bob Dylan, Neil Young . . . Ich könnte aus jeder Band jemanden nennen, der Golf spielt. Golf ist jetzt ein Rock ’n‘ Roll-Sport. Das war nicht immer so, aber vielleicht habe ich ja dazu beigetragen, dass es ein Rock ’n‘ Roll-Sport geworden ist.

Dann ist Tiger Woods wohl auch so etwas wie ein Rockstar?

Tiger Woods ist definitiv ein Rockstar, zumindest wenn man sich einmal die Zahlen ansieht! 121 Mädchen, mit denen er im Bett gewesen sein soll. Das reicht an andere große Rocker wie Nikki Sixx von Mötley Crüe heran.

Klingt da so etwas wie Bewunderung durch?

Ich mag Tiger Woods als Golfer. Aber wir haben in seinem Schlafzimmer absolut nichts verloren. Die Welt ist so süchtig nach Klatsch geworden, vor allem wegen des Internets. Wir sitzen den ganzen Tag herum und wollen wissen, wie es in den Schlafzimmern der Menschen aussieht. Aber ich glaube nicht, dass wir dort hingehören. Tiger Woods ist der größte Golfer. Und auf dem Golfplatz will ich ihn sehen.

Und worin unterscheiden Sie sich letztlich vom „Rockstar“ Tiger Woods?

Wenn er 121 Freundinnen hat, ist das sein Problem. Ich bin nun seit 34 Jahren verheiratet und habe meine Frau Sheryl in all diesen Jahren nie betrogen.


Herr Cooper, darf man Sie auch fragen . . .

. . . ob Ihre Frau Sie mit dem Namen „Alice“ anspricht?

Natürlich nennt sie mich Alice. Nach 34 Jahren Ehe gewöhnt man sich daran. Ich kenne auch viele Menschen, die ihre Söhne Alice nennen. Das ist mittlerweile ein sehr männlicher Name.

. . . ob Sie sich manchmal im Dunkeln fürchten?

Ich bin wie jeder andere auch. Ich schaue mir gern die TV-Show „Ghost Hunters“ an, wo sie in alte Gebäude reingehen und nach Geistern Ausschau halten. Und wenn ich dabei in meinem großen Haus ganz allein bin, schaue ich nachher, wenn ich ins Bett gehe, immer ganz vorsichtig um jede Ecke.

. . . ob Sie immer noch ein Fan von George W. Bush sind?

Ich hasse Politik. Alice Cooper ist der unpolitischste Charakter, den es gibt. Andere Musiker wie Sting oder U2 können von mir aus darüber reden. Mich interessiert das nicht. Und das Gerücht, dass ich ein Bush-Fan sein soll, entstand, als ich während des Irak-Kriegs gesagt habe: Wenn man einen Krieg führt, will man einen Präsidenten, der wie ein Pitbull ist und nicht wie ein Pudel. Das gilt auch heute noch.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 27.06.2010)

Johannes Hahn: „Haben Sie Marihuana geraucht?“

Neo-Wissenschaftsminister Johannes Hahn gilt nicht gerade als Mann der großen Sager. „UniLive“ versuchte, ihn mit kleinen Provokationen ein wenig aus der Fassung zu bringen.

Michaela Bruckberger (Die Presse)

Kein Mann für kantige Ansagen. Und auch das Mienenspiel von Wissenschaftsminister Johannes Hahn ist - selbst bei Fragen der skurrileren Art - relativ gleichbleibend. | (c) Michaela Bruckberger (Die Presse)

Blauer Salon im Wissenschaftsministerium, Johannes Hahn kommt eine halbe Stunde zu spät. Fangen wir gleich mit einer blöden Meldung an.

UniLive: Sind Sie ein bunter Vogel?

Johannes Hahn: Ich mache ungern mit meinem Namen Wortspiele.

Also nicht. Er lehnt im Sessel, der rechte Arm hängt herunter, er lächelt milde. . .

Gemeint war eher die Tradition der Wiener ÖVP unter Erhard Busek.

Hahn: Wenn bunt ein Synonym ist für Vielfalt, für Aufgeschlossenheit, dann sage ich ja.

Hätte Sie das Gesundheitsministerium, für das sie länger gehandelt wurden, nicht mehr gereizt?

Hahn: Es hat mich gereizt, weil ich sieben Jahre Gesundheitssprecher war. Rückblickend betrachtet bin ich über diese Entscheidung aber sehr zufrieden.

Das musste er wohl so sagen. Weichen wir etwas ab. Vielleicht lässt er sich zu einem Sager hinreißen.

Thema Gesundheit: Womit müssen Raucher auf den Unis rechnen?

Hahn: Eigentlich sollten eh die Köpfe rauchen. Wir haben leider verabsäumt, eine Kultur zu entwickeln, dass Raucher fragen ob sie rauchen dürfen. Im Zweifel muss man auf die Nichtraucher Rücksicht nehmen.

Das war ok, aber so richtig knackig war die Antwort dann doch nicht. Wir wollen einen Sager hören! Gut, versuchen wir es über einen Umweg. . .

Sie selber rauchen nicht?

Hahn: Nein. Früher hin und wieder Pfeife, manchmal Zigarre, Zigarillos, aber nie eine Zigarette.

Marihuana?

Hahn: Nein.

Überraschung? Auch wenn er nicht damit gerechnet hat, er lässt sich nichts anmerken und lächelt weiter.

Würden Sie sich selbst als Revoluzzer bezeichnen?

Hahn: Evolutionär ist besser.

Der war jetzt gar nicht so schlecht. . . Na gut, vielleicht ein bisschen gegen eine Gruppe aufhetzen?

Von einigen überlaufenen Studien wird abgeraten. Wozu braucht man überhaupt Publizisten?

Hahn: Die Hinwendung zu Massenfächern ist eine Modeerscheinung. Wenn man gute Informationsarbeit leistet, kann man Druck von diesen nehmen, weil sich herausstellt, dass es andere Fächer gibt, die den eigenen Neigungen mehr entsprechen.

Sehr allgemein, da muss mehr drin sein. Frontalangriff: Ein Vergleich mit Vorgängerin Elisabeth Gehrer.

Wann können wir mit dem ersten Sager à la „Kinder statt Partys“ rechnen, der richtig Wellen schlägt?

Hahn: Sager passieren in der Regel und sind nicht das Ergebnis eines langen kognitiven Prozesses.

Naja, das weiß man nicht immer. . .

Hahn: Ich habe einen eigenen Stil in der Arbeit, der von Sachorientierung gekennzeichnet war. Daran werde ich nichts mehr ändern.

Er sagt das mit stoischer Ruhe, ziemlich zurückgelehnt im Sessel, lächelt weiter. Bitte, bitte, ein bisschen mehr Emotion, Verwunderung, Ratlosigkeit. . .

Weil wir gerade bei Ihrer Vorgängerin waren – können Sie stricken?

Hahn: Nein.

Nie versucht?

Hahn: Meine Mutter hat gestickt – das habe ich einmal versucht. Wäre die arbeitsteilige Gesellschaft nicht erfunden worden, ich hätte sie erfunden.

Was halten Sie eigentlich von Humor?

Hahn: Unerlässlich. Man soll ernst an Dinge herangehen aber sie nicht immer allzu ernst nehmen.

Lange überlegt für die Antwort, Wasserglas abgestellt, Blick nach oben. So sieht also ein Philosophie-Absolvent die Lage. Gut, werden wir grundsätzlich.

Wie schlecht geht es den Studenten in Österreich wirklich?

Hahn: Manche müssen ihr Studium finanzieren, manche möchten noch etwas dazuverdienen. Wir haben eine der niedrigsten Studiengebühren in Europa. Seit 2000 hat die Zahl der Stipendiaten von 34.000 auf 48.000 zugenommen. Das Stipendienvolumen hat sich von 120 Mio. auf über 180 Mio. Euro erhöht. Aus finanziellen Gründen wird niemand vom Studieren abgehalten.

Noch ein Versuch – lässt er sich mit seiner Vergangenheit als Chef einer Glücksspielautomatenfirma zumindest ein bisschen provozieren?

Finanzierungsmodell Spielautomaten an der Uni – eine Idee?

Hahn: Die Spielautomaten sind dort, wo sie erlaubt sind, gut aufgestellt. Dort sollen sie auch stehen bleiben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Unis ein sehr interessanter Markt sind.

Er versinkt noch tiefer in seinem Sessel, lächelt aber weiter milde. Viel bewegt hat er sich bis jetzt nicht.

Ein Statement von Ihnen: „Sozialarbeit statt Studiengebühren“ war eine Maßnahme, um das Gesicht der SPÖ zu wahren, weil die Gebühren nicht abgeschafft wurden. Also, eine blöde Idee?

Hahn: Die Diskussion ist falsch gelaufen, weil man begonnen hat, Freiwilligenarbeit einer Geldwertigkeit zu unterwerfen. 100.000 Menschen machen Dienst an der Gemeinschaft. Müssten wir das mit Geld bewerten, könnten wir zusperren. Wir sind mit der SPÖ eines Sinnes, dass wir die Informationsarbeit an höheren Schulen verbessern, mit Studenten, die über ihr Fach informieren.

Nun gibt es das ja schon. Die ÖH fährt regelmäßig in Schulen.

Hahn: Mir ist es wichtig, dass wir die Informationsarbeit verbessern, das wird den Druck von Massen- oder Modefächern nehmen.

Zumindest hat er jetzt ein bisschen verunsichert geschaut. Sonst keine Regung, er lächelt weiter.

Wie wäre es, neue Studien einzuführen, um Modestudien zu entlasten?

Hahn: Ich denke, dass wir auf eine stärkere Modularisierung hinarbeiten sollten, weil der Arbeitsmarkt fachspezifische Ausbildung nicht mehr nachfragt. Ich bin ein Anhänger von Kombinationsstudien, etwa bei Wirtschaftsingenieuren, die den ersten Abschnitt auf der TU und dann eine wirtschaftliche Ausbildung machen. Die verstehen die Sprache des Technikers und sind etwa bei Investitionsentscheidungen gute Übersetzer.

Effizienz gut und schön, aber ist Studieren nicht auch ein Lebensstil, den man durchleben muss?

Hahn: Das muss jeder für sich entscheiden. Ich bin dafür, weil eine Gesellschaft auch Menschen braucht, die Dinge machen, bei denen das Finanzielle nicht im Vordergrund steht. Umgekehrt habe ich wenig Verständnis, wenn Absolventen völlig andere Tätigkeiten ausführen müssen und klagen, keinen Job gefunden zu haben.

Gut, dieser Teil war jetzt relativ trocken. Also, letzter Versuch, Anspielung auf den charakteristischen Bart!

Sozialminister Buchinger hat sich den Bart abrasiert für 12.500 €. Wie viel müsste man Ihnen bezahlen?

Hahn: Nichts. Ich habe meinen Bart immer verloren, wenn ich eine Chemotherapie über mich ergehen lassen musste. Das ist ausreichend als Bartverlust-Situation.

Die Frage war jetzt ein Eigentor. Seine Krebserkrankung wollte ich eigentlich aussparen. Irgendwie peinlich berührt, jetzt. Aber er wirkt locker, lächelt.

Wie viel Pflege braucht Ihr Bart?

Hahn: Mehr als ein simples Rasieren. Da ich mich trotzdem rasiere und immer wieder stutzen muss.

Die Aktion von Buchinger an sich?

Hahn: Das schließt den Kreis zu Ihrer ersten Frage. Jeder muss seinen Stil für sich definieren. Sie werden von mir auch keine Homestories in der Vergangenheit und Zukunft finden.

„Daheim bei Gio Hahn“? Na ja, wäre wohl ohnehin eine eher ruhige Angelegenheit geworden. Spricht’s, geht ab – und lächelt milde.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 21.02.2007)