Aerosexuelle Fantasien

In jedem Freundeskreis finden sich auch Freaks, Menschen, die bei Treffen immer wieder ihr Lieblingsthema in die Runde werfen – ob die Runde will oder nicht. In meiner näheren Umgebung sind das vor allem wandelnde Wikipedia-Einträge zum Thema Luftfahrt – ich bezeichne sie als Aerosexuelle. Kaum erzählt man von seinen Urlaubsplänen, wissen sie schon, mit welchem Flugzeugtyp man unterwegs sein wird. Nach der Rückkehr ist die erste Frage, ob man auf flugstatistik.de schon seine Flüge aktualisiert hat. Und soziales Prestige scheint vor allem darin zu liegen, mit möglichst exotischen Flugzeugen von möglichst exotischen Flughäfen abgehoben zu haben.

Gelegentlich haben derartige Gespräche dennoch einen gewissen Witz. Dann etwa, wenn es um Flughäfen mit skurrilen Namen geht. So freut sich der Sprachverliebte über den Wagga Wagga Airport in Australien oder fragt sich, wie der Chicken Airport in den USA wohl zu seinem Namen kam. Auch der Batman Airport in der Türkei lässt die Fantasie auf Reisen gehen – ob dort wohl auch Batmobile landen? Und wie muss es sein, über dem australischen Useless Loop Airport noch eine zusätzliche Schleife zu drehen? Getoppt wird dieser Name nur noch von einem Flughafen – dem Mafia Airport in Tansania, auch wenn man den vielleicht eher auf Sizilien erwartet hätte.

Doch zu diesem Zeitpunkt haben meine aerosexuellen Freunde längst etwas Neues entdeckt – die dreistelligen IATA-Codes, mit denen die Flughäfen eindeutig abgekürzt werden. CAT, DOG oder POO kichern sie dann vor sich hin. Und insgeheim wünschen sie sich wohl, einmal den Militärflughafen im deutschen Sembach in ihre Flugstatistik aufnehmen zu können. Der wird übrigens mit SEX abgekürzt.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 29.06.2009)

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Kleine Erniedrigung zum Frühstück

Eine Einladung zum Essen kann sich schnell vom Vergnügen zu einem kleinen Akt der Demütigung wandeln. Dann etwa, wenn die Gastgeberin sich als wandelnder Imperativ entpuppt und der Besucher sich nach den Worten „Herkommst!“, „Anziehst!“ und „Spargel schälst!“ plötzlich in einer Küchenschürze wiederfindet. Selbst aufmunternde Worte, wie sexy Männer damit aussähen, können nichts daran ändern, dass man sich wie ein unfreiwilliger Jamie Oliver-Klon fühlt. Fehlt nur noch die Kamera, in die man kulinarische Superlative plappern muss.

Gut, ein gewisser Hang zur kleinen Demütigung steckt ja in jedem von uns. Jede Fernreise mit dem Flugzeug etwa gerät am Flughafen zu einem Anfall gewollten Selbstmobbings – Taschen entleert, Gürtel aus den Schlaufen gezogen und statt mit Schuhen darf man mit Plastiksäcken an den Füßen durch den Metalldetektor wandeln. Längst sind diese Erniedrigungen Teil eines jeden Urlaubs. So wie auch die Auswahl des Essens im asiatischen Urlaubsort. Gekonnt werden die drei Chilischoten in der Speisekarte ignoriert, wie auch die Nachfrage des Kellners – „you know, it’s spicy!“. Wenn er das Menü wieder an sich nimmt und ein mitleidig-wissendes Grinsen aufsetzt, weiß man, dass man verloren hat, dass die Servietten am Tisch wohl nicht ausreichen werden, um die Schweißperlen beim Essen von der Stirn zu tupfen. Aber das gehört zum Spiel, die körperlich-kulinarische Demütigung als Urlaubserinnerung, die später zum Heldenmythos wird.

An Heldentaten wie diese lässt es sich vortrefflich klammern, während man in der Küchenschürze auf ein schnelles Ende hofft – und dass die Gastgeber bei einer Einladung zum Frühstück nicht auf die Idee kommen, den Gast in einen Pyjama zu stecken.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 22.06.2009)

Wenn die Welt auf dem Kopf steht

Wie fühlt sich Trinken im Handstand an? Wichtigste Erkenntnis: Selbst mit einem Strohhalm ist es ziemlich mühsam.

Wenn die Welt Kopf steht, heißt es kühlen Kopf zu bewahren. Und sich auf die geänderten Bedingungen einzustellen. Leichter geht das, wenn man den Fall der Fälle schon einmal geübt hat. Die auf dem Kopf stehende Welt wird dabei durch einen kopfüber stehenden Körper simuliert. Wie können unter diesen Umständen die für das Leben notwendigen Grundbedürfnisse verrichtet werden? Nun weiß man, dass man ohne feste Nahrung bis zu 30 Tage überleben kann, ohne Flüssigkeit dagegen nur maximal drei bis fünf. Trinken ist also als Bedürfnis Nummer eins identifiziert. Na, dann üben wir mal.

Zurück zum Turnunterricht. Der erste Teil der Übung ist die Rückbesinnung auf sportliche Tugenden, die seit dem Turnunterricht in der Schule ein wenig zu kurz gekommen sind. Wie ging noch mal der Handstand? Sicherheitshalber kommt eine Wand als Hilfe zum Einsatz – sagt ja niemand, dass in einer auf dem Kopf stehenden Welt plötzlich alle Hausmauern verschwunden sind. Nach einem eleganten Perspektivenwechsel zeigt sich die erste Schwierigkeit der Versuchsanordnung: Wenn die Arme das Gewicht des Körpers tragen müssen, fällt der Griff zum Glas schwer. Und die Zehenfertigkeit des Menschen ist doch nicht so stark ausgeprägt, dass man damit eine Flasche Eistee zum Mund führen könnte. Es braucht also Hilfsmittel.

Ein Strohhalm bietet sich an. Tatsächlich könnte der rosa Flexi-Trinkhalm eine große Erleichterung sein – wenn nicht das Glas zu niedrig wäre und der Mund so hilflos nach dem Ende des Halms schnappt. Dachte nicht, dass die verkehrte Welt so kompliziert sein würde. Aber gut, muss eben ein höheres Trinkgefäß her. Die Kombination aus Sektflöte und Strohhalm wird wohl die richtige Höhe haben. Sollte sie auch, denn langsam beginnen die Arme zu schmerzen.

Eistee in der Nase. Endlich sind die technischen Voraussetzungen geschaffen, und der Strohhalm ist zwischen die Lippen geklemmt. Jetzt beginnt der Kampf gegen die Schwerkraft, der Härtetest für die Peristaltik der Speiseröhre. Langsam quält sich der Eistee bergauf, landet im Mund. Und siehe da, der Schluckreflex funktioniert, das Getränk wandert in den Magen. Das Glas in einem Zug auszutrinken fällt allerdings nicht ganz so leicht. Denn irgendwann macht das Trinken keinen Spaß mehr. Das Schlucken fällt schwerer, die Arme schmerzen immer stärker. Zeit, die Welt wieder zurechtzurücken. Ein Perspektivenwechsel, der für eine dezente Eisteenote in der Nasenhöhle sorgt. Was bleibt am Ende? Die Erkenntnis, dass die verkehrte Welt mit einigen Mühen verbunden ist. Sollte es dennoch einmal dazu kommen, sollten Sie aber auf jeden Fall eine Sektflöte und einen Strohhalm dabeihaben. Nur, falls Sie Durst bekommen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 14.06.2009)

Wasabi ist keine Nuss

Unlängst musste ich am Naschmarkt einem Gespräch lauschen, in dem doch tatsächlich jemand fragte, wo diese Wasabinüsse wachsen. Nun, vermutlich in der selben Gegend, in der skrupellose Züchter hilflos miauenden Katzen ihre Zungen herausreißen, um sie zu Süßwaren zu verarbeiten. Dort, wo übrigens auch regelmäßig der arme Kokos gemolken wird. Man stelle sich das einmal bildhaft vor: Die Bäuerin auf dem Schemel, das Euter des haarigen Gesellen fest im Griff. Ein trauriger Anblick.

Aber zurück zum Ausgangspunkt: Bei Wasabia japonica handelt es sich schlicht um eine Pflanze, deren Wurzel zu Pulver oder Paste verarbeitet und in der japanischen Küche zum Würzen eingesetzt wird. Für Sushi, zum Beispiel. Oder eben für Erdnüsse, denen auf diese Weise ein Geschmack jenseits von schnödem Salz verliehen wird.

Besonders vertrackt ist die Wasabinuss übrigens dann, wenn sie über den Ärmelkanal schwimmt – dann wird sie nämlich zur Erbse. Im Englischen verwendet man dafür den Begriff Wasabi Pea, weil das kleine, grüne Etwas anscheinend einer Erbse so ähnlich sieht. Eine ähnliche Transformation hat auch der Alaska-Seelachs hinter sich, wenn er als Fischstäbchen auf den Teller gelangt. Bevor er von einem findigen Manager der Lebensmittelindustrie umgetauft wurde, war er nämlich noch ein Speisefisch aus der Familie der Dorsche. Sein Name: Pazifischer Pollack. Ein Etikettenschwindel sondergleichen. Ähnlich erbost war ich, als ich erfahren musste, dass meine Eltern gelogen hatten – und sie die gebackenen Mäuse gar nicht im Vorratsraum gefangen hatten. Aber nach so viel Tadel auch noch ein wenig Lob: Der falsche Hase gibt wenigstens zu, dass er in Wirklichkeit nur ein faschierter Braten ist.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 08.06.2009)