Alles wird gut . . . Nein, war gelogen!

So manches Gespräch ist in Wirklichkeit Einwegkommunikation. Einer spricht, der andere ist zum Zuhören verdammt. Die hörbaren Äußerungen des Zuhörers beschränken sich dann auf ein „Mhm“, das alle zwei Minuten mit einem leichten Nicken kombiniert wird – und das eine Mischung aus meditativem Selbstwachhalten und dem Gegenüber ebendiese Wachheit zu versichern darstellt. Schöpft der aktive Teil des Gesprächs Verdacht, kann er mit einer Frage abtesten, ob das Gegenüber wirklich noch in der gleichen Sphäre weilt. Kommt dann auch nur ein interessiert klingendes „Mhm“ zurück, gibt man den vorgeblichen Zuhörer wohl lieber verloren. Und denkt in weiterer Folge vielleicht darüber nach, ob das, was man erzählt, für andere genauso spannend wie für einen selbst ist.

Um als Zuhörer variieren zu können, gibt es übrigens Alternativen zum „Mhm“. Beliebt ist etwa ein in Worte gefasster Ausdruck des Erstaunens. Allerdings sollte man hier fein dosieren – denn ein „Wow!“ bietet sich wirklich nur bei erzählerischen Superlativen an. Und auf die Nacherzählung des gestrigen Abendessens mit „Das gibt’s doch gar nicht“ zu antworten schießt ebenfalls weit über das Ziel hinaus. Weitgehend neutral ist hingegen die Interesse suggerierende Nachfrage „Echt?“; gern wird auch „Wirklich?“ ins Rennen geworfen. Sogar belanglosen Gesprächen wird so der Hauch des Spektakulären gegeben. Wobei die Nachfrage in sich einen gewissen Unglauben transportiert: Kann es wirklich sein, dass das, was du gerade erzählst, sich wirklich so zugetragen hat? Die Variante, dass der Erzähler auf ein „Echt?“ grinsend reagiert, dass das alles nur erfunden war, kommt aber doch nicht allzu oft vor.

Wobei, mit mancher Nachfrage ließe sich auch schön Schabernack treiben. „Meine Freundin ist Tierpflegerin.“ „Im Ernst?“ „Nein, in Schönbrunn.“ In diesem Sinne, bei Gesprächen immer darauf achten, ob man das Gegenüber eh nicht langweilt. Dann wird alles gut . . . Wirklich? Nein, das war gelogen!

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 26.05.2014)

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Leute, die „Hör zu“ oder „Pass auf“ sagen

Im persönlichen Aversionsrepertoire lagern die unterschiedlichsten Verhaltensweisen anderer Menschen, die einen bei jeder Begegnung innerlich mit den Augen rollen lassen. Und nein, das muss gar nichts mit Antipathie der betreffenden Person gegenüber zu tun haben. Es sind oft nur Kleinigkeiten des Gegenübers, die regelmäßig Nähte im Nervenkostüm auftrennen. Das kann zum Beispiel die Art sein, wie die Person in einem Gespräch einen für sie besonders wichtigen Teil ankündigt. „Hör zu!“ ist ein solches Ungetüm. Mitten im Gespräch, bei der vertieften Beschäftigung mit den Gedankengängen des anderen, unterstellt dieser Imperativ, dass man mit den Ohren eigentlich gerade ganz wo anders ist. So nicht, lieber Gesprächspartner! Und nein, „Pass auf“ ist keine brauchbare Alternative. Dahinter verbirgt sich lediglich die schulmeisterliche Figur des neunmalklugen Oberlehrers, der dem infantilen Nichtwisser einmal so richtig zeigen will, wer die Weisheit mit dem Löffel zu sich genommen hat.

Wer in einem Gespräch derart die Rolle des Alphakommunikators zu übernehmen trachtet, darf sich nicht wundern, wenn der Gesprächspartner – je nach Persönlichkeit – im Wettstreit um die Vorherrschaft das kommunikative Pfauenrad schlägt oder die kalte Schulter aus dem körpersprachlichen Umhang blitzen lässt. Lassen wir einmal den verbalen Schaukampf beiseite und widmen uns lieber dem zweiten Phänomen. Das manifestiert sich gerne in einer Geste, die regelmäßig auftritt, wenn eine Person gerade ein Gespräch zu dominieren beginnt – dass nämlich die andere ihre Fingernägel betrachtet. Die Hand nach innen zur lockeren Faust geballt, ein beiläufiger Blick auf die Nägel – ein kommunikatives Zeichen für Langeweile, Genervtheit oder auch eine Alternative, um dem Gesprächspartner nicht in die Augen sehen zu müssen. Aus dem Inneren kommt dann ein verächtliches: Hallo Baby, soll ich dir meine nonverbale Kommunikation zeigen? Tja, hätte das Gegenüber halt vorher nicht „Hör zu“ gesagt.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 19.05.2014)

Leute, die das Taschentuch in den Ärmel stecken

Dass also Kurzärmelige und Winterfeste einander auf der Straße misstrauisch beäugen und man mit beiden Adjustierungen irgendwie deplatziert wirkt. Immerhin, sobald tatsächlich einmal die Tage anbrechen, an denen man ohne Übergangsjacke im Gepäck aufbricht, geht mit der unentschlossenen Sowohl-als-auch-Kleidung auch ein anderes Phänomen in die saisonale Pause: Dass nämlich gebrauchte Taschentücher in den Ärmel geschoben werden. Klar, denn so weit, sich das kontaminierte Stück Papier quasi unter die Achsel zu stecken, gehen selbst Benutztes-Taschentuch-im-Ärmel-Träger nicht.

In Zeiten, als Männer in jeder Lebenslage ein Sakko trugen, das sie Rock nannten, konnte man das Taschentuch, das man noch Sacktuch nannte, in der Tasche der Jacke, quasi dem Rocksack, unterbringen. Damals waren Sacktücher aber auch noch vornehmlich aus Stoff, den man nicht einfach nach einmaligem Gebrauch entsorgte. Insofern lassen sich der Mehrweggedanke und die Unterbringung im Rock – wenn auch mit etwas Skepsis – noch nachvollziehen. Bei papierenen Einwegtüchern böte sich dagegen an, sie nach Gebrauch an einem sicheren Ort zu verwahren, der womöglich nicht am eigenen Körper liegt. Experten meinen, einen Mistkübel als passendes Ziel eruiert zu haben.

Nun ist schon klar, dass nicht in jeder Lebenslage ein solches Behältnis in Wurfnähe auf Befüllung wartet. Als Notlösung bietet sich dann an, das zusammengeknüllte Papier einfach in der Hand zu verwahren – in der Hoffnung, dass man niemandem die Hand schütteln muss. Oder aber das Papier wandert in eine Hosentasche, bis die Gefahr gebannt und ein Müllbehältnis aufgetaucht ist. Der Ärmel bleibt dabei sauber. Und dieser Trick funktioniert auch im Sommer mit T-Shirt. Am Ende noch ein kleiner Tipp: Mukophagie (das hat etwas mit Essen zu tun, Details sparen wir jetzt aus) ist keine adäquate Lösung. Dann zur Not doch lieber den Ärmel.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 05.05.2014)