Im Rathaus grüßt man nicht

Wien ist anders. Landbewohner, die es ins Wiener Rathaus verschlägt, werden das vor allem daran merken, dass man nicht gegrüßt wird. Damit kein Missverständnis entsteht, natürlich erntet man das charakteristische „Hallöchen“, sobald man Vizebürgermeisterin Brauner über den Weg läuft. Und natürlich ist das scheinbar unvermeidliche „Mahlzeit“ unter Kollegen auf den Gängen zu vernehmen. Doch als Unbeteiligter lässt es sich stundenlang durch den neogotischen Bau spazieren, ohne eines einzigen „Grüß Gott“ gewürdigt zu werden. Auch die an den Eingängen postierte Rathauswache zeigt keine Regung – aber gut, Salutieren wäre dann wohl doch zu viel.

Umso mehr ist der gelernte Wiener verwundert, der außerhalb der Heimat, etwa im Rathaus von Ternitz, seine Runde dreht. Von der Dame am Empfang bis zur zufälligen Begegnung am Gang, von allen wird der Besucher gegrüßt. Sogar ein „Auf Wiedersehen“ ist zu hören, wenn der zufälligen Begegnung im Stiegenhaus beim Hinausgehen eine weitere folgt.

Interessant, mag sich der Wiener denken. Rathäuser kleinerer Gemeinden sind wie Bergwandern. Schließlich gehört es am Berg dazu, entgegenkommende Wanderer zu grüßen. So wie auch Motorradfahrer die Hand heben, wenn ihnen ihresgleichen begegnet. Aber wie gesagt, das gilt nur fürs Rathaus. Auf der Straße ist das Grüßverhalten nicht anders als in der Großstadt: Gegrüßt wird nur, wen man kennt.

Obwohl, ganz so einfach ist es auch wieder nicht. In der vorarlbergerischen Marktgemeinde Lustenau etwa wird auch dem Ortsfremden ein lautstarkes „Heile!“ entgegengeschmettert. Wer damit nicht rechnet, zuckt unweigerlich ein bisschen zusammen. Insofern wäre es doch mal eine nette Idee, einen Lustenauer durch das Wiener Rathaus wandern zu lassen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 25.02.2008)

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Bitte, Zeit, vergeh‘ doch endlich!

Dass Zeit nicht und nicht vergehen will, ist schon an sich schlimm. Noch schlimmer ist allerdings, wenn der bleierne Moment dabei ein leidendes Antlitz trägt. Wenn man beim Zählen der Sekunden auch noch den weinerlichen Schmerz im Hinterkopf verdrängen muss. Wer jemals einem Auftritt der Singer-Songwriterin Marilies Jagsch beiwohnen musste, etwa als Zwischeneinlage bei einer sonst recht spannenden Lesung, kennt das Phänomen vermutlich. Da dehnt sich die Zeit bis zur erflehten Stille scheinbar endlos, wetzt der Hosenboden ungeduldig auf dem Holzsitz herum und weicht die Erleichterung der Enttäuschung nach jeder Pause, wenn das musikalische Wehklagen erneut ansetzt. Geht man nach dem katholischen Gedanken der Buße, müsste sich damit so manche Sünde der Vergangenheit ausbügeln lassen. Stimmt schon, Weltschmerz kann auch eine gewisse Ästhetik haben. Bei Radiohead zum Beispiel leidet man gerne mit. Und körperlicher Pein wird von manchen sogar eine erotische Komponente zugeschrieben. Doch irgendwo hat auch der Masochismus seine Grenzen.

Immerhin, jene Momente der Qual erlebt man sehr bewusst. Und bewusstes Erleben kann man auch als Lebensqualität interpretieren. Ganz umgekehrt ist es, wenn die Zeit nur so vorbeifließt und man sich fragt, wohin sie nur verschwunden ist. Fühlt man sich danach wenigstens besser – Verliebte wissen davon zu berichten -, hat das auch einen Sinn. Brummt danach der Schädel, hat man einige wertvolle Momente an eine Zeitvernichtungsmaschine abgetreten – wer je eine ganze Nacht vor Playstation, X-Box oder dergleichen verbracht hat, weiß, wovon die Rede ist. Im Zweifel, ob Sie jetzt lieber eine Playstation oder das Album von Marilies Jagsch erstehen sollten, gibt es jedenfalls eine klare Empfehlung: Kaufen Sie ein Buch.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 18.02.2008)

Ja, wo is‘ er denn?

Im Lauf eines Tages gibt man viel von sich, was nicht den geringsten Informationswert besitzt. Damit ist weniger Innenminister Platter gemeint, der konsequent mit Platitüden jegliche inhaltliche Festlegung umschifft, sondern all jene, denen wir im Alltag begegnen. Der Klassiker schlechthin sind etwa jene Zeitgenossen, die in abfahrtshockenähnlicher Position vor einem sabbernden kleinen Hund verharren und voll kindlicher Begeisterung plärren: „Ja, wo is‘ er denn?“ Dass es sich bei diesem Dialog um Einwegkommunikation ohne Rückmeldung – von aufgeregtem Wedeln mit dem Schwanz abgesehen – handelt, ändert nichts an seiner Popularität. Seit Generationen ist er in Gebrauch.

Immerhin, im Gespräch mit Kleinkindern lässt sich bei derartigen Wortmeldungen ein mitfühlender, vielleicht sogar ein pädagogischer Aspekt herausdestillieren. „Ja, wie ist denn das passiert?“, fragt da etwa der Vater, der genau gesehen hat, wie das Kind beim Laufen auf die Knie gefallen ist und nun weinend in seinen Armen hängt. Aber auch im Umgang mit gleichaltrigen Zeitgenossen kennen wir derartige Sätze, die keinen wirklichen Sinn haben. Außer vielleicht den, eine peinliche Stille zu durchbrechen. Ungeschlagener Klassiker ist das von einem Stoßseufzen begleitete: „Ja, so is‘ das!“

Aufmerksamen Lesern ist nicht entgangen, dass all diesen Meldungen ein „Ja“ vorangestellt wird. Ein solches finden wir übrigens auch in unserem Telefonverhalten. Beobachten Sie sich selbst, wenn Sie beim nächsten Telefonat vor das „Grüß Gott“ ein mehr oder weniger euphorisches „Ja“ setzen. Der Dialog danach entspinnt sich hoffentlich zu einem sinnvollen – und nicht zu einem jener Gespräche, denen man in der U-Bahn unfreiwillig beiwohnen muss. Falls doch? Ja, da kann man halt nichts machen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 11.02.2008)

The day the Flanellhemd died

Jeder weiß, wo er war, als die Türme des World Trade Centers zusammenkrachten. Viele können sich noch erinnern, was sie gemacht haben, als sie von Kurt Cobains Tod erfahren haben. Aber wer kann noch mit Bestimmtheit sagen, an welchem Tag es im TV-Programm plötzlich kein FS1 und FS2 mehr gab? Wer kann sich noch an den Moment erinnern, als der Pfirsichspritzer nicht mehr auf der Karte stand? Und wer kann jenen Tag festmachen, an dem das Holzfällerhemd jedem annähernd modisch ausgestatteten Kleiderschrank „Bye Bye“ sagen musste?

Es muss irgendwann gegen Ende der Neunziger gewesen sein, als es noch Menschen gab, die „Hör mal, wer da hämmert“ lustig fanden. Damals erntete man für das rot-schwarz-karierte Hemd nur noch den Spitznamen „Al Flanell“. Spätestens dann ahnte auch der letzte Traditionalist, dass er den Pfiff überhört haben musste, als er in die modische Abseitsfalle gerannt war. Doch sämtliche Bewohner des modischen Ausgedinges werden irgendwann wieder zurück in den Kreislauf des Lebens geschickt. Ein Phänomen, das man zur Zeit bei einem Bekleidungsverhalten erkennt, das zuletzt in den späten Achtzigern zu sehen war: Stiefel, die über der Hose getragen werden. Was zu Zeiten, als Jon Bon Jovi noch lange Haare hatte, Common Sense war, galt in den vergangenen Jahren als modischer Supergau. Doch mittlerweile begegnet man wieder zunehmend Hosen, die tief im Stiefelschaft ihr zerknittertes Dasein fristen. Vermutlich ist es dann nur mehr eine Frage der Zeit, bis das Flanellhemd seine Auferstehung feiert. Vielleicht trage ich dann jenen Tag in den Kalender ein, an dem der Holzfällerlook das erste Mal wieder bei den Prêt-à-porter-Schauen auftaucht. Und an dem ich mit ein bisschen Entsetzen auf das rot-schwarz-karierte Staubtuch in meiner Hand blicke.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 04.02.2008)