Die unbändige Freude am steten Rinnen der Nase

Ich freue mich, wenn ich krank bin. Denn wenn ich mich nicht freue, bin ich es trotzdem.

Wo sind eigentlich all jene, die im Sommer darüber geklagt haben, dass das Wetter so schön ist? Sie mögen jetzt, da die Sonne auf Tauchstation gegangen ist, bitte schön die Alternative des nasskalten Herbstes genießen. Und Abbitte leisten bei all jenen, die jetzt den Tag unter der Decke verbringen müssen, weil pünktlich zum Herbstbeginn sämtliche Krankheitserreger aus ihren Verstecken gelassen wurden. Vielen Dank. Immerhin, die Zeit lässt sich herrlich damit verbringen, das Konzept Krankheit ein wenig genauer zu beleuchten. So lernt man schließlich den eigenen Körper von einer Seite kennen, die er bei sommerlicher Hitze nie offenbart hat. (Ja, da schwang ein leiser Vorwurf an die Sommernörgler mit.) Also, sehen wir es positiv: Ich freue mich, wenn ich krank bin. Denn wenn ich mich nicht freue, bin ich es trotzdem.

Gehört man zur „Ich trinke Tee nur, wenn ich krank bin“-Fraktion, durchsucht man nun die hinteren Winkel der Kredenz nach „Halsfreund“, „Schlaf-Freund“ und „Innerer Balance“. Und freut sich, dass man fortan jede halbe Stunde beim Entleeren die Fliesen auf der Toilette zählen darf. Apropos zählen – auch das lässt sich beim Herumliegen vortrefflich üben. Mein Schlafzimmervorhang hat sieben Aufhänger, auf einer Seite meines Polsters sind 96 blaue und 84 rote Blumen und auf den Buchrücken der „Herr der Ringe“-Ausgabe im Dreierschuber befinden sich genau 143 Zeichen. Das Schöne ist, dass man von diesen Zahlen auch in diversen Fieberträumen immer wieder eingefangen wird. Darüber kann man sich ärgern – oder man begreift all das als abenteuerliche Reise. Wie oft hat man schon die Chance, über einen Berg Papiertaschentücher zu stolpern. Ich bin gespannt, wann die Tourismusindustrie Kurztrips ins eigene Bett vermarkten wird. Apropos, diese Kolumne hat genau 1680 Zeichen. Ohne Leerzeichen – so krank bin ich auch wieder nicht.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 28.09.2015)

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Das „ad calendas graecas“ der Nichtlateiner

Was dahintersteckt, wenn jemand verspricht, sich um etwas zu kümmern, „sobald er dazu kommt“.

„Wir halten Sie in Evidenz.“ Diese Floskel in Antwortschreiben auf Bewerbungen kennt man schon vom „Leider nicht“ in Brieflosen. Dass der Begriff selbst so gut wie ausschließlich in Schreiben an abgelehnte Bewerber vorkommt, ist evident. Dass er dort überhaupt einen Platz hat, ist wiederum ein österreichisches Spezifikum, abgeleitet vom Evidenzbüro, wie in der österreichisch-ungarischen Monarchie die Zentrale des militärischen Nachrichtendienstes bezeichnet wurde. Und da dieses Büro diverse militärisch relevante Dinge, also solche mit Evidenz, im Auge zu behalten hatte, kam das In-Evidenz-Halten ins österreichische Amtsdeutsch, von wo aus es seinen Siegeslauf in diverse Personalabteilungen des Landes startete. Dass sich hinter der scheinbaren Beachtung des Bewerbers in Wirklichkeit ein „Schmeck’s“ verbirgt und die Evidenz im Rundordner landet, ist dann wieder eine andere Geschichte.

Aber eine, die sich auch in anderen Situationen immer wieder findet. Das „Komme gleich“ des Kellners entspricht einem „Natürlich sehe ich, dass du seit fünf Minuten nach mir rufst, aber ich komme jetzt trotzdem nicht zu dir“. Das „Ich werde es mir anschauen“ im Büroalltag ist eine höfliche Umschreibung von „Red es in ein Sackerl“. Und die Floskel „Sobald ich dazu komme“ ist das „ad calendas graecas“ der Nichtlateiner. Im römischen Kalender sind die Kalenden jeweils der erste Tag eines Monats – die Griechen hingegen kannten diese Bezeichnung nicht. Im Englischen wird diese Wendung mit „when pigs fly“ oder „when hell freezes over“ umschrieben. Im Französischen verweist man „à la Saint-Glinglin“ – was wiederum sehr nah am Deutschen ist, in dem man ebenfalls einen fiktiven Heiligen ins Spiel bringt und den Sankt-Nimmerleins-Tag als Zieldatum angibt. Dazu gäbe es noch viel Spannendes zu erzählen– und das werde ich auch tun. Sobald ich dazu komme.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 21.09.2015)

Leute, die einen Stau durch Hupen auflösen können

Immer wieder im Test: Die Hupe, die wie die Trompeten von Jericho Mauern einstürzen lässt.

Der kleine Maxi hat eine neue Hupe. Apropos, warum heißt der Protagonist von Witzen eigentlich so oft Maxi? Gut, die Zeiten, in denen das Erzählen von Witzen beim abendlichen Zusammensitzen noch opportun war, sind lang vorbei. Aber warum 99 Prozent der Witze, in denen der Name eines kleinen Buben gebraucht wird, auf einen Maxi zurückgreifen, ist nicht wirklich schlüssig. Es gäbe doch so viele andere Namen, die man hier einsetzen könnte und die den Witz um nichts besser oder schlechter machen würden. Wie auch immer, der kleine Maxi hat also eine neue Hupe. Und die testet er gerade. Nicht nur gerade, sondern sogar recht häufig. Und das in der Regel vor meinem Fenster. Und es muss eine sehr mächtige Hupe sein, die Maxi da in seinem Auto hat. Denn offenbar hat sie eine Durchschlagskraft, die an die sieben Trompeten heranreicht, die dereinst die Mauern von Jericho umgeblasen haben sollen. (Dass es sich bei den Trompeten in Wirklichkeit um Schofaroth, posaunenähnliche Instrumente aus Widderhorn handelte, lassen wir jetzt einfach beiseite.)

Man darf den kleinen Maxi jedenfalls beneiden. Nicht nur wegen seiner Hupe. Sondern auch wegen seines unbezwingbare Glaubens, durch penetrantes Hupen ein Verkehrshindernis beseitigen zu können. Genau das versucht er nämlich. Wenn in einer engen Gasse jemand etwas länger zum Einparken braucht. Wenn ein Wagen der Müllabfuhr nach dem Leeren eines Mistkübels nicht sofort weiterfährt. Oder wenn sich an einer Engstelle ein Stau gebildet hat. Vermutlich erwartet Maxi, dass sich beim siebenten Erklingen seiner Hupe der Himmel öffnet und eine mächtige Hand den Verkehrsstau mit einem Wisch beseitigt.

Viele Witze enden übrigens damit, dass der kleine Maxi am Ende mit einer pfiffigen Wendung die anderen dumm dastehen lässt. Bei diesem ist das nicht so.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 14.09.2015)

Ja haben wir denn wirklich keine kleineren Probleme?

Elementare Schwierigkeiten? Pah. Die alltäglichen Tücken treiben uns wirklich in den Wahnsinn.

Was wären die großen Probleme ohne die kleinen? Die elementaren Schwierigkeiten mögen die sein, die uns aus Angst vor der Zukunft nachts nicht schlafen lassen. Doch es sind die alltäglichen Tücken, die uns wirklich in den Wahnsinn treiben. Wenn etwa ein Automat eine Münze partout nicht annehmen will – man wirft sie einmal mit mehr, einmal mit weniger Schwung in den Schlitz, reibt sie an der metallenen Front des Geräts und hört sie doch jedes Mal in den Schacht für Retourgeld plumpsen. Fast jedes Mal – irgendwann schluckt sie der Automat. Ciao, Münze. Ciao, Getränk, das ich nie kennenlernen durfte. Wenn der Kleber eines Preispickerls so beschaffen ist, dass es sich nicht einfach ablösen lässt, sondern man die kleinen Papierfetzchen mühsam von der DVD-Hülle wutzeln muss. Ähnlich wie bei Mandarinen, deren Schale man nicht einfach abziehen kann. Sondern die weiße Schicht darunter unter Fluchen minutenlang herunterpfriemelt.

Wenn man bei einer Packung Kakao den Plastikverschluss so abziehen muss, dass zwangsläufig ein paar Tropfen auf das weiße Hemd spritzen. Wenn eine Bankomatkassa den Magnetstreifen nach oben haben will – an jedem ernst zu nehmenden Geldausgabegerät wird die Karte mit dem Streifen nach unten eingeschoben. Und nur, weil ein Designer auf Egotrip glaubt, seine Individualität ausleben zu müssen, soll es bei diesem Automaten plötzlich umgekehrt sein? Wenn beim Hochfahren des Computers jedes Mal die Meldung kommt, dass der Adobe Flash Player ein Update braucht. Man auf Windows 10 upgraden soll. Ob man das Antivirenprogramm nicht auf die kostenpflichtige Variante umstellen möchte. Eine neue Version von Firefox muss auch installiert werden. Und den Rechner für eine Aktualisierung herunterfahren. Jetzt sofort. Oder in vier Stunden. Ja haben wir denn wirklich keine kleineren Probleme?

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 07.09.2015)