Schmutzige Gedanken aus Abrahams Wurstkessel

Die Wurst an sich ist eine bedauernswerte Kreatur. Das hat weniger damit zu tun, dass ihr ständig der alte Kalauer umgehängt wird, dass sie nicht nur ein, sondern gleich zwei Enden hat. Es liegt vielmehr daran, dass ihre gekrümmte Erscheinung geradezu dazu verleitet, ihr einen Mangel an Entscheidungsstärke zu unterstellen – und auch einen ebensolchen an Rückgrat. Auch, dass schwächliche oder vom Schicksal geprügelte Menschen mit dem Begriff „armes Würstchen“ tituliert werden, gereicht der Wurst nicht unbedingt zur Ehre. Die finale Beleidigung findet sich schließlich darin, dass das in Gedärm gedrückte Brät selbst zur umgangssprachlichen Signalisierung von Desinteresse herhalten muss, was zumindest der armen Wurst nicht völlig wurst sein dürfte.

Die Wurst steht darüberhinaus auch noch in Zusammenhang mit schmutzigen Gedanken. Letztere dienen in ihrer Verneinung nämlich häufig dazu, Zeiten zu beschreiben, in denen man selbst noch nicht einmal gezeugt, geschweige denn geboren war. Was das mit der Wurst zu tun hat? Nun, die Phrase „Da warst du noch nicht einmal ein schmutziger Gedanke“ wird häufig auch mit den Worten beschrieben: „Da bist du noch in Abrahams Wurstkessel geschwommen.“ Die Herkunft dieses volkstümlichen Bonmots leitet sich vermutlich aus dem Hebräerbrief im Neuen Testament ab. Darin ist die Rede davon, dass Abrahams Urenkel Levi zur Zeit, als Abraham dem Hohepriester Melchisedek begegnete, noch „in Abrahams Lende“ war. Wie der Volksmund von der Lende auf den Wurstkessel kam, bedarf keiner allzu ausgeprägten Fantasie. Womit wir wieder den Kreis zu den sogenannten schmutzigen Gedanken geschlossen hätten.

In neueren pädagogischen Konzepten wird die Zeit eines Menschen vor seiner Zeugung übrigens mit „Da bist du noch mit den Mücken geflogen“ beschrieben. Warum? Nun, das ist eigentlich völlig wurst.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 31.10.2011)

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Ich weiß nicht, wie Maroni schmecken

Eis schmeckt am besten, wenn es kalt ist. Damit ist nicht die naheliegende Deutung gemeint, dass Speiseeis ja grundsätzlich gefrorene Flüssigkeit oder Creme ist, sondern die Tatsache, dass es im Winter viel mehr Vergnügen bereitet, einen Becher Eis löffelnd durch die Straßen zu ziehen. Schließlich ist dann die Gefahr um einiges geringer, dass sich das in der Umgebungswärme verflüssigende Gelati in hellbraunen und gelben Strömen (Erdbeereis isst man sowieso nicht) über die Hände ergießt und den Esser in ratlos-entwürdigender Pose und mit klebrigen Fingern ein Taschentuch aus dem Hosensack fischen lässt.

Allein, in der Kulinarik hat sich derzeit ein Hang zur Saisonalität durchgesetzt. Was aus ökologischer Sicht natürlich einen gewissen Sinn hat – frische Kirschen muss man ja wirklich nicht unbedingt im Winter essen. Im Mai würde es ja schließlich auch niemanden nach Sturm gelüsten. In Anbetracht dieser nach Jahreszeiten strikt gestaffelten Essgewohnheiten verwundert es nicht, dass man mit antizyklischem Verhalten vermehrt verwirrte Blicke erntet. So akzeptiert man eben den Herbst als unvermeidbare jährliche Modeerscheinung – und geht zum Maronistand.

Spätestens dort muss ich allerdings gestehen – ich habe bis heute keine Ahnung, wie Maroni eigentlich schmecken. Denn die Esskastanien sind nach ihrem Aufenthalt im Fegefeuer des Bratofens derart heiß, dass selbst aktivstes Blasen kaum Wirkung zeigt. Und so schiebt man die gebratene Frucht im Mund wie eine heiße Kartoffel hastig von der linken auf die rechte Seite und zurück, atmet dazwischen hektisch ein und ist nach gefühlten Minuten des Schmerzes froh, sie endlich geschluckt zu haben. Analog zur Eiscreme bietet sich also auch bei den Maroni ein antizyklischer Genuss an – soll heißen, das sogenannte „Glück der kalten Tage“ schmeckt vermutlich besser, wenn es heiß ist. Obwohl – logisch ist das eigentlich nicht . . .

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 24.10.2011)

Falscher Alarm in der Hosentasche

Die Bitterkeit schlechter Qualität hält noch lange an, wenn die Süße des Preises längst verflogen ist. Es ist jene Weisheit, die das Verhältnis zu meinem Mobiltelefon trefflich beschreibt. Die Marke soll hier keine Rolle spielen, schließlich will man ja die finnische Mobilfunkindustrie nicht diskreditieren. Aber so viel soll verraten werden: Eine Liebesbeziehung zwischen dem Handy und mir ist es letztlich leider doch nicht geworden. Die belustigten Blicke der iPhone-Jünger ließen sich ja noch ertragen, schließlich ist es ja auch ein gutes Gefühl, nicht bei jedem Trend an vorderster Front mitzuhecheln. Doch auch bei einem günstigeren Smartphone sollte man sich doch zumindest erwarten dürfen, dass es nicht bei jeder zweiten Website abstürzt, dass sich ein fast fertig geschriebenes SMS nicht plötzlich von selbst löscht, und dass man beim Eintragen eines Termins in den Kalender nicht für einen Volltrottel gehalten wird – will man etwa am Vormittag einen Nachmittagstermin für denselben Tag eintragen, ist als Erinnerungszeit standardmäßig acht Uhr morgens eingetragen. „Erinnerungszeitpunkt bereits vorbei“, klugscheißt es dann aus dem elektronischen Terminkalender.

Für manche Fehler kann man aber auch das schlechteste Mobiltelefon nicht verantwortlich machen. Für Phantomläuten zum Beispiel. Ein Phänomen, das dann auftritt, wenn in der U-Bahn ein Standardklingelton ertönt – und mehrere Menschen reflexartig nach ihrem Handy greifen. Nun sind Klingeltöne an sich schon ein Ärgernis, das man mithilfe des Vibracalls elegant umschiffen kann. Nur darf man nicht glauben, dass sich das Problem des Phantomläutens damit löst. Denn allzu oft meint man dann, in der Hosentasche das Vibrieren des Telefons zu verspüren. Nur um dann festzustellen, dass in Wirklichkeit nichts passiert ist. Die Bitterkeit falscher Alarme in der Hose also. Dafür können die Finnen jetzt aber nichts.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 17.10.2011)

Da muss der Mehlspeistiger noch viele Knödel essen

Irgendwo in längst vergessen geglaubten Regionen der Konversation stößt man gelegentlich auf alte Bekannte. Etwa auf Phrasen, wie sie einst die Großeltern verwendeten, um die Enkel zu intensiverer Nahrungsaufnahme zu bewegen. „Da musst du noch viele Knödel essen“, hörte man etwa, wenn man als kleines Kind daran scheiterte, einen Stein aus dem Weg zu räumen. Die auch für Kinder leicht verständliche Phrase transportierte dabei die Weisheit, dass eine kohlenhydratreiche Kost wichtig für den Aufbau von Muskelmasse ist. Dass die vielen Knödel nicht als Bizeps wiedergeboren, sondern eher um die Hüftgegend reinkarniert wurden, lassen wir jetzt einfach mal dahingestellt. Dafür können die Großeltern nun wirklich nichts. Zumindest nicht mit dieser Aussage.

Da sollte man schon eher ein Tier an den Pranger stellen, das frühere Generationen in Zusammenhang mit genüsslicher Nahrungszufuhr gerne aus dem Käfig zauberten: den Mehlspeistiger. Nun weiß man ja, dass jene in Asien verbreitete Großkatze mit den Streifen auf dem Fell so ziemlich alles appetitlicher findet als Mehlspeisen. Aber in der großelterlichen Logik wurde einfach die Gier der exotischen Raubkatze auf näherliegende Objekte übertragen. Nur sollte man sich dann nicht darauf ausreden, dass es die Streifen sind, die dick machen – das sind schon die Mehlspeisen, die man in sich hineinschaufelt. Daran ändert sich auch nichts, wenn man die Katze aus dem indischen Dschungel domestiziert und als Naschkatze hält.

Immerhin, diese großelterlichen Tiere haben ein sympathisches Antlitz. Ganz im Gegensatz zu anderen Tiermetaphern, die heute ihr Unwesen treiben. Da wird man im Angesicht des Pleitegeiers zum Angsthasen und fühlt sich von lauter Kredithaien umgeben zunehmend als Opferlamm. Aber nicht verzweifeln – auch Lämmer können sich wehren. Nur müssen sie halt noch viele Knödel essen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 10.10.2011)

Konrad, Kaufmann, Kaiser reservieren einen Tisch

Die Übermittlung von Namen in fernmündlichen Gesprächen birgt großes Potenzial für Fehler. Allzu oft erkennt man dann im Lokal den eigenen Namen nicht auf dem „Reserviert“-Schild. Was zwar ein gewisses Humorpotenzial hat, bei ernsthafteren Anfragen, etwa im Gespräch mit Be hörden, jedoch auch zu schlimmeren Komplikationen führen kann. Um derartige Übermittlungsfehler möglichst hintanzustellen, bieten sich – je nach Name – unterschiedliche Varianten an. So könnte ein Anrufer namens Renner etwa ein „so wie Läufer“ an die Nennung seines Namens hängen. Bei weniger plakativen Namen – ja, ich habe da eine gewisse Erfahrung – bleibt immer noch das Buchstabieren à la „Konrad Otto Cäsar Ida Nordpol Anton“.

Das hat allerdings auch seine Grenzen, sobald man über eine Grenze  telefoniert, schließlich ist das „Konrad“ der Önorm A 1081 in Deutschland nach DIN 5009 ein „Kaufmann“, in der Schweiz dagegen ein „Kaiser“, während man im englischsprachigen Raum von „Kilo“ sprechen würde. (Und den Kalauer, dass man im Lokal dann als Konrad Otto Cäsar etc. begrüßt wird, lassen wir jetzt aber bleiben, wenn das okay ist, ja?) Wirklich interessant wird es dann, wenn man seinen Namen im Rahmen einer formlosen Anfrage gar nicht erst nennt. Solche Fälle kommen ja durchaus vor, auch wenn es manche als unhöflich erachten. „Guten Tag, ich wollte fragen, ob Sie heute geöffnet haben“, wäre ein solcherart unverbindlicher Anruf bei einem Heurigenlokal am Wilhelminenberg. Nur was tun, wenn dann diese Antwort kommt? „Ja, haben wir, Herr Birngruber.“ Sich fragen, ob das eine Anrede à la Max Mustermann für Anrufer ist, die sich nicht deklariert haben? Überlegen, ob man beim nächsten Mal vielleicht doch vorher seinen Namen sagen sollte? Oder einfach einen Tisch für vier Personen auf Birngruber reservieren – soll ich es buchstabieren?

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 03.10.2011)