Kann man mit dem Aufhören anfangen?

Einschlafen ist gar nicht so einfach. Wenn man etwa plötzlich im beginnenden Halbschlaf registriert, dass man auf die Schlaftablette vergessen hat, dann ist das ein ähnlicher Effekt, als würde man beim Schäfchenzählen aufwachen. Und dann ist es passiert, man liegt da und starrt mit offenen Augen in die Dunkelheit. Im Kopf rotieren all die offenen Punkte des Tages – und damit gleich die Frage, wie ein nicht ausgedehnter Ort (das ist ein Punkt in der Geometrie nämlich) überhaupt offen sein kann.

Um derartiger Schlaflosigkeit am Abend zu entgehen, böte sich an, sich einfach vorzunehmen, den ganzen Tag nichts zu erreichen. Allerdings: Schafft man das, hat man dann ja doch etwas erreicht, oder? Das wäre dann so, als müsste man sich zwei Mal halb tot lachen, um wirklich das Zeitliche zu segnen. Oder man bemüht das Rechenspiel, wenn aus einem Zug mit drei Passagieren vier aussteigen, dann müsste einer wieder einsteigen, damit keiner drin ist. Fast schämt man sich schon ob solcher Uraltkalauer – da kann man noch so schlaftrunken sein – und überlegt, ob es nicht originellere Gedanken gibt, die die Ganglien beim Versuch des Einschlafens beschäftigen könnten. Vielleicht, ob USB die Fortsetzung von USA ist? Oder die Frage, ob man auch mit Münzen Scheingeschäfte machen kann. Sieht es sehr blöd aus, wenn man sich im Handumdrehen das Bein bricht? Und kann ein kleinkarierter Mensch auf seine Linie achten? Und warum sind Karotten oranger als Orangen?

Könnte sich jetzt bitte endlich der Schlaf meiner erbarmen? Dann könnte ich endlich aufhören, mir mit solchen Blödheiten das Warten auf das Einschlafen zur Qual zu machen. Wobei, kann man mit dem Aufhören eigentlich anfangen?

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 19.07.2010)

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Über Erich Kocina
Erich Kocina, Redakteur der Tageszeitung "Die Presse"

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