Jetzt muss ich aber schon ein bisschen schimpfen

Dass Ärzte einen ganz eigenen Technolekt pflegen, ist bekannt. So wie auch, dass ihr Jargon gern als Fachchinesisch – konkret vermutlich treffender als Fachlatein – bezeichnet wird. Tatsächlich kann es passieren, dass ein Besuch beim Doktor ähnlich abläuft wie eine katholische Messe vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Dass ein „Hoc est enim corpus meum“ da schnell im Volksmund zum „Hocus pocus fidibus“ mutieren konnte, ist leicht vorstellbar. Analog dazu kann man im Ärztezimmer bei intravenös schon einmal extranervös werden. Und man darf auch verwirrt sein, wenn der Arzt von „externem Pigment“ spricht und dringend zur „Balneotherapie“ rät – und damit nicht viel mehr aussagen will, als dass man schmutzig ist und in die Badewanne steigen sollte.

Es gibt allerdings auch den umgekehrten Fall, dass die Mediziner sich eines fast schon elterlich-pädagogischen Tons befleißigen. Das äußerst sich dann etwa in einem vorwurfsvoll vorgebrachten: „Jetzt muss ich aber schon ein bisschen schimpfen!“ In Momenten wie diesen schwankt man als Patient zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite steht das schlechte Gewissen, warum man tatsächlich so lange gewartet hat, bis man zur Vorsorgeuntersuchung gegangen ist, wieso man nicht mehr Sport treibt – oder dass zweimal Zähneputzen pro Tag ja wirklich nicht zu viel verlangt ist. Auf der anderen Seite steht eine aggressiv-renitente Trotzhaltung, dass man von seinem Arzt nicht gemaßregelt werden will wie von einer Kindergärtnerin.

Üblicherweise senkt man dennoch das leicht errötete Haupt, sichert Besserung zu und entfernt sich dann langsam aus der Ordination. Immerhin, der Arzt hat ja nur angedroht, dass er schimpft. Und zumindest hat er es nicht auf Latein gemacht…

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 12.11.2012)

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Über Erich Kocina
Erich Kocina, Redakteur der Tageszeitung "Die Presse"

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