Ich bin ja kein…, aber

Ich habe ja nichts gegen lange Haare, aber gepflegt müssen sie sein. Ich bin ja kein Freund von Trash-TV, aber die Dschungelshow habe ich sehr gern geschaut. Ich bin ja kein Vegetarier, aber ich esse kein Fleisch. Ich habe ja nichts gegen Nacktfotos, aber ästhetisch müssen sie sein. Ich bin ja kein Schwarzfahrer, aber ich habe es eilig und bin nicht mehr dazu gekommen, mir einen Fahrschein zu kaufen.

Ich bin ja kein Alkoholiker, aber einen Tag ohne ein paar Bier kann ich mir nicht vorstellen. Ich lese ja Boulevardzeitungen nicht gern, aber sie haben halt den besten Sportteil. Ich fahre ja nie betrunken mit dem Auto, aber kaum steige ich ein einziges Mal nach dem Heurigen doch ein, muss mich die Polizei aufhalten. Ich glaube ja nicht an Gott, aber wie kann er nur zulassen, dass es auf der Welt so viel Not gibt?

Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber sie müssen sich an unsere Kultur anpassen. Ich bin ja gegen Gewalt, aber ich marschiere mit dem Schwarzen Block durch die Innenstadt. Ich lege ja keinen Wert auf Marken, aber Apple macht einfach die besten Laptops. Ich habe ja nichts gegen Frauenbewegungen, aber sie müssen rhythmisch sein. Ich habe ja nichts gegen Schwarze, aber würde mein Kind einen nach Hause bringen, hätte ich ein Problem damit. Ich bin ja gegen Kinderarbeit, aber wenn ich solche Produkte boykottiere, haben sie ja gar keine Arbeit mehr.

Ich bin ja kein Raser, aber ein Dreißiger im Ortsgebiet geht ja gar nicht. Ich habe ja nichts gegen Amerikaner, aber sie haben halt keine Kultur. Ich habe ja nichts gegen Einsparungen, aber die Polizeistation in meiner Gemeinde darf nicht eingespart werden. Ich habe ja nichts gegen Kinder, aber sie machen immer so viel Lärm auf dem Spielplatz.

Ich bin ja nicht gegen Neues, aber früher hätt’s das nicht gegeben. Ich bin ja kein Sexist, aber jetzt setze deinen süßen Hintern in Gang und mach mir einen Kaffee. Ich bin ja kein sprachlicher Pedant, aber Sätze, die mit „Ich bin kein…“ beginnen und mit „aber“ fortgesetzt werden, enden selten gut.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 03.02.2014)

Werbung

Über Erich Kocina
Erich Kocina, Redakteur der Tageszeitung "Die Presse"

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: