Sag jetzt nicht, dass das „Sag jetzt nicht“-Sager sagen

Welche Bedeutungen sich hinter der Aufforderung verbergen können, jetzt etwas nicht zu sagen.

Sagen Sie jetzt nicht, dass ich immer nur über Phrasen schreibe. Aber die Kombination aus „Sag jetzt nicht, dass…“ und einem darauffolgenden „aber“ ist einfach zu schön, um nicht darüber zu schreiben. Sagen die „Sag jetzt nicht“-Sager doch gerade erst mit ihrem „Sag jetzt nicht“-Sager, was das Gegenüber sonst vielleicht nicht einmal gedacht hätte. Ein „Sag jetzt nicht, dass ich verfressen bin, aber ich habe Hunger“ kurz nach dem Essen ist in Wirklichkeit ein charmant verklausuliertes Eingeständnis: „Ich bin verfressen.“ Entzieht man dem „Sag jetzt nicht“ das „aber“, wird aus der Phrase ein ungläubiges Hinterfragen. „Sag jetzt nicht, dass das wirklich wahr ist“, verbunden mit schreckhaft geweiteten Augen, kennzeichnet den Punkt, an dem der „Sag jetzt nicht“-Sager realisiert, dass es wirklich wahr ist. Nimmt man dem „Sag jetzt nicht“ das „jetzt“ weg, lässt sich daraus eine Versicherung des eigenen Weitblicks zimmern – ein „Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt“ ist die erwachsene Variante des elterlichen „Du wirst schon sehen, was du davon hast“. Sagen Sie jetzt nicht, dass Sie das nicht auch nervig finden! Letzterer Satz wiederum ist ein hübsches Beispiel dafür, dass zwei Mal minus auch sprachlich ein Plus ergibt – und der Satz in Wirklichkeit ein imperatives Haschen nach Bestätigung ist: „Sag, dass du das nervig findest!“

Und dann gibt es auch noch die melodramatische Variante, die nur im Film vorkommt. Wenn die Hauptdarstellerin dem verdutzt schauenden Mann gerade ihre Liebe gesteht – und ihm danach sanft den Zeigefinger auf den Mund legt. „Sag jetzt nichts!“ Was wiederum das Klischee bedient, dass Männer in Gefühlsdingen nicht die richtigen Worte finden. Schließlich verbirgt sich dahinter die Aufforderung: „Sag jetzt nichts Falsches!“ Und sagen Sie jetzt nicht, dass Ihnen das nicht auch schon aufgefallen ist!

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 01.06.2015)

Werbung

Über Erich Kocina
Erich Kocina, Redakteur der Tageszeitung "Die Presse"

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: