Süden ist wie Servolenkung

Lauwarm. Viel mehr ist dieser Winter bisher nicht gewesen. Ja, natürlich, einige Schneeflöckchen haben sich zu Boden gewagt, um gleich wieder schamhaft zu zerlaufen. Und die Temperaturen haben sich zeitweise sogar dem Gefrierpunkt angenähert. Huch! „Ist so kalt der Winter“, geht in unseren Breiten nur noch als Anachronismus durch. Aber selbst dieser Möchtegern-Spätherbst bewegt immer wieder Menschen dazu, sich über die Feiertage gen Süden zu begeben. „Stille Nacht“ am Strand, Silvester unter Palmen und Kokosnuss statt Vanillekipferl. Naja, als gelernter Österreicher ist man derlei Weicheier-Mentalität ja gewohnt: Sitzheizung, elektrische Fensterheber oder Servolenkung – nur nicht anstrengen.

Also bitte, dann lehnen Sie sich eben zurück und lassen sich vom Hotel Mama in der Komödie am Kai (Franz-Josefs-Kai 29, 20.15 Uhr) berieseln. Oder Sie widmen sich im Verein Österreichhilfe (17, Geblerg. 114, 14 Uhr) einem Literarischen Nachmittagskaffee. Nett wäre auch eine Führung zum Thema Gruseliges Wien (1, Michaelerpl., 16.30 Uhr). Wie, da läuft es Ihnen schon kalt den Buckel herunter? Dann kann ich leider auch nichts für Sie tun. Ich erwarte ja nicht, dass Sie mich begleiten, wenn ich in Kürze mit der Fähre von Stockholm nach Helsinki fahre. Beim Nordlichter-Schauen in Rovaniemi werde ich bei gemütlichen minus 10 Grad Tageshöchstwert jedenfalls an Sie denken. Und sollte ich mir dann einen ähnlich lauwarmen Winter wie hierzulande wünschen, werde ich mich bei Ihnen allen entschuldigen. Versprochen!

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 27.12.2005)

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Über Erich Kocina
Erich Kocina, Redakteur der Tageszeitung "Die Presse"

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