Bilder von Männern mit aufgerissenen Mündern

Vier Wochen lang haben wir sie jetzt ertragen. Die Bilder jener jubelnden Männer auf den Fußballplätzen Brasiliens – die zu 90 Prozent den Mund aufgerissen haben wie ein angreifender Uruk-Hai-Berserker aus einem Tolkien-Roman. Immerhin, für Studenten der Dentalmedizin gab es tiefe Einblicke, doch decken die – die Studenten, nicht die Einblicke – nur einen minimalen Teil der Gesamtpopulation ab. Der Rest musste sich fragen, was sich hinter den offenen Mündern wohl verbirgt. Wobei, das ist letztlich vor allem eine Frage der statischen Abbildung, wenn also der Aufreißmoment auf einem Bild festgehalten ist. Im Bewegtbildmodus konnten sich ja Lippenleser daran versuchen, die Aussage hinter dem Grölmund zu ergründen – sie taten das im Rahmen der WM übrigens auch. Was mit dazu führte, dass so mancher Spieler auf dem Feld nichts mehr sagte, ohne die Hand vor den Mund zu halten. Aus Angst, dass womöglich taktische Finten erkannt oder derbe Beschimpfungen öffentlich werden könnten.

Interessant übrigens, dass vergleichsweise wenige Bilder von Fußballern zu sehen sind, die in einer druckvollen Fontäne auf den Rasen speicheln. Was wiederum im Bewegtbild relativ häufig, um nicht permanent sagen zu müssen, zu sehen ist. Fast möchte der Laie meinen, die Spieler regelten ihre Körpertemperatur nicht durch die Verdunstungswärme des Schweißes, sondern führten aufgewärmtes Kühlwasser direkt und ohne Umwege über den Mund ab. Wobei aber auch die Theorie zulässig sein muss, dass analog zum Markieren des Hundes mit der Spucke das Revier abgesteckt werden soll. Dagegen spricht, dass Hunde dies nicht nur auf Rasen machen, sondern auf jeglichem Untergrund. Fußballer hingegen verspüren wie durch ein Wunder keinen Speidrang in geschlossenen Räumen. Zumindest wirkt der Boden beim Hallenfußball weitgehend trocken. Aber jetzt reicht es trotzdem eine Zeit lang mit Fußball. Und wer Sehnsucht nach spuckenden und brüllenden Orks hat, soll gefälligst den „Herrn der Ringe“ lesen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 14.07.2014)

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Über Erich Kocina
Erich Kocina, Redakteur der Tageszeitung "Die Presse"

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