Mitten im Mitten-im-Wahn

Es gibt da diese imaginäre Linie, die bei zeitgeistigen Erscheinungen eingezogen werden kann. Eine Redewendung wie „Ja, das stimmt“ (Mini Bydlinskis Toni Polster-Verarschung zur Fußball WM 1990) war nach dem ersten Auftauchen lustig, wanderte in den allgemeinen Sprachgebrauch und überschritt dann nach mehrmaligem Gebrauch zu mehr oder weniger passenden Gelegenheiten die berühmte Linie. Nach der Grenzüberschreitung bleibt ein derartiger Spruch nur noch bei einigen wenigen im Gebrauch, bis er sich schließlich völlig verflüchtigt.

Ein ähnliches Phänomen lässt sich derzeit miterleben: Die ORF-Sitcom „Mitten im Achten“ bot ein wunderbares Vorbild, um plötzlich alles „mitten im. . .“ zu lokalisieren. Ein Banküberfall fand dann „mitten im Siebenten“ statt, die ORF-Programmreform „mitten im April“ und so weiter. Dieses Stilmittel war erfrischend und passte mitten ins Zeitgeschehen. Allerdings hat sich das Spielen mit der Phrase langsam dem Overkill angenähert und das Spielchen residiert mittlerweile mitten auf der Outlinie, mitten im Grenzbereich zwischen ausgelutscht und nervig. Aus diesem Grund sollten wir eine kleine Abschiedsfeier organisieren, am besten mitten in einer Uni-Mensa, deren Motto ja „Mitten im Leben“ ist. Musikalisch untermalen könnten wir den Abend mit „Mitten im Meer“ von Brunner & Brunner oder einem alten Gene Hackmann-Film – „Mitten im Feuer“, vielleicht. Natürlich trifft uns die Traurigkeit dann mitten ins Herz, aber danach ist der Raum wieder frei. Für neuere Phrasen.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 30.04.2007)

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Über Erich Kocina
Erich Kocina, Redakteur der Tageszeitung "Die Presse"

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