„I am from Estonia“

Grundsätzlich ist ein österreichischer Reisepass im Ausland ja nicht der Schlechteste. Abgesehen davon, dass man in Israel häufig auf Hitler und im arabischen Raum auf Kreisky angesprochen wird, muss man sich im Urlaub selten mit österreichischer Politik befassen. Auf der anderen Seite hat man im Ausland gewisse Assoziationen zu Österreich eingespeichert, die jederzeit abgerufen werden können. „Where are you from?“ – „Austria“ – „Ah, Vienna! Servas!“, mag so ein Dialog lauten, mit dem ein Händler in, sagen wir, Marokko, ein Geschäft anbahnt. Und schon steht man mit Turban, Stoffkamel und weiterem Touristenkitsch beladen in der Altstadt von Marrakesch.

Nun, man könnte zwar vorgeben, aus einem anderen Land zu kommen, doch dummerweise halten die wortgewandten Verkäufer am Bazar zu beinahe jedem Land eine passende Assoziation bereit, um arglose Touristen in ein Gespräch zu verwickeln: „Ah, Italia, buon giorno!“, „Ah, France, bonjour“, „Ah, Japan, konnichi wa!“ und dergleichen, gefolgt von „See my shop!“, „good price, my friend!“ – und dem obligaten Stoffkamel. Doch noch bietet die politische Landkarte ein paar weiße Flecken, zu denen noch keine Assoziationen im Köcher warten. Erklären Sie einfach „I am from Estonia“. Dann beobachten Sie das Stirnrunzeln des Gegenübers, lächeln und nutzen die kurze assoziative Leere, um schnell das Weite zu suchen.

Die richtige Antwort wäre übrigens „Ah Tallinn, tere päevast!“ – nur für den Fall, dass Sie ein marokkanischer Händler sein sollten.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 17.08.2007)

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Über Erich Kocina
Erich Kocina, Redakteur der Tageszeitung "Die Presse"

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