Strenge Erziehung in der U-Bahn

Der Wiener an sich ist einerseits ordnungsliebend, andererseits aber auch undiszipliniert. Leider stehen einander diese beiden Eigenschaften allzu oft im Weg. Gut, dass zumindest die Wiener Linien nun einen Weg gefunden haben, Herr über die Massen zu werden, die tagtäglich die Stadt durchqueren: „Ausstieg links!“ ertönt es da militärisch schrill aus den Lautsprechern, wenn die U-Bahn eine Station erreicht hat – ja, die Variante mit „Ausstieg rechts!“ gibt es auch. Fast ist man geneigt, der Durchsage ein „Jawohl, links!“ entgegenzuschmettern, ehe sich der bis dahin lose Verbund der Fahrgäste in riefenstahlscher Manier formiert und im Gleichschritt aus dem Waggon marschiert.

Doch darf man den Wiener Linien keinesfalls zu große Strenge unterstellen, denn auf der Klaviatur der Emotionen beherrschen sie auch zartere Töne. Dann etwa, wenn sich eine weinerliche Kinderstimme den Weg über den Gehörgang mitten ins Herz der Fahrgäste bahnt: „Bitte nehmen Sie Ihre mitgebrachten Zeitungen wieder mit!“ Als „Presse“-Leser ist Ihnen der Gedanke ja ohnehin fremd, die Zeitung einfach liegen zu lassen, oder? Doch andere Fahrgäste greifen nach und nach zaghaft auf den Nebensitz, nehmen das zusammgengeknüllte Stück Papier und stecken es mit Tränen in den Augen in ihre Taschen.

Zuckerbrot und Peitsche, das mögen die Wiener. Manchmal sogar ganz ironiefrei, immerhin haben die Wiener Linien sogar eine eigene Fanpage: www.fpdwl.at. Ganz genau, Ausstieg links!

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 06.09.2007)

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Über Erich Kocina
Erich Kocina, Redakteur der Tageszeitung "Die Presse"

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