Demütige Verbeugung vor dem Badezimmerspiegel
21. Mai 2012 Hinterlasse einen Kommentar
Die Reihenfolge kann bei vielen Dingen über Gelingen und Scheitern entscheiden. Beginnt man mit der Sauce Bolognese erst, wenn die Spaghetti bereits gekocht sind, werden die Nudeln kalt, klebrig oder beides auf dem Teller landen. Rührt man beim Backen das Mehl zu früh in den Mürbteig, geht das Gebäck nicht schön auf. Und betritt man einen Raum, ehe man die Tür öffnet, holt man sich unter Umständen eine blutige Nase. Unangenehm, das.
Dass die Reihenfolge bei der Morgentoilette nicht korrekt eingehalten wurde, verraten die weißen Flecken auf dem bunten T-Shirt, die von den Kollegen mit einer Weisheit kommentiert werden, wie sie ein Paulo Coelho nicht besser hinbekommen würde: „Es ist besser, sich vor dem Anziehen die Zähne zu putzen!“ Stimmt, vielen Dank für den Hinweis. Nicht, dass das nicht ohnehin klar wäre, doch im täglichen Ablauf hat sich die Zahnhygiene nun einmal ganz am Ende eingebürgert und weigert sich beharrlich, daran etwas zu ändern. Was regelmäßig mit einer gebückten Haltung vor dem Badezimmerspiegel endet, um dem weißen Schaumsabber möglichst wenig Antropffläche auf dem Hemd zu bieten, wenn er seinen unaufhaltsamen Weg aus dem Mundwinkel nimmt. Natürlich könnte man diese Körperhaltung einfach als demütige Verbeugung betrachten, als Ersatzhandlung für das Morgengebet – aber bei aller Demut, so unwürdig will man dann doch nicht in den spirituellen Dialog treten. Vor allem, weil absehbar ist, dass am Ende ja doch wieder ein Tropfen Zahnpasta eher der Anziehungskraft des Hemdes als dem von der Schwerkraft angedachten direkten Weg zu Boden anheimfällt.
Ein paradoxes physikalisches Verhalten, das übrigens auch genau dem von Spaghetti Bolognese entspricht – besonders dann, wenn das Hemd weiß ist. Paulo Coelho würde vermutlich sagen: „Es ist besser, sich vor dem Spaghettiessen das Hemd auszuziehen.“